Wozu ein Bundespräsident? Amt und Amtsführung des deutschen Staatsoberhauptes in der staatswissenschaftlichen Forschung.

Die verschiedenen Perspektiven auf das Amt des Bundespräsidenten sollen im Folgenden durch die Unterscheidung von zwei Interpretationsparadigmen systematisiert werden: Die in der Politikwissenschaft dominierende und in Anlehnung an Marcus Höreth (2008, 2012) als Westminster-Paradigma rekonstruierte Perspektive wird dem Gewaltenteilungsparadigma gegenübergestellt, das vor allem durch die Staatsrechtswissenschaften geprägt worden ist. Im Westminster-Paradigma wird die konstitutionelle Bedeutung des Bundespräsidenten weniger durch die Verfassung als durch die normativ-funktionale Logik des parlamentarischen Regierungssystems definiert. Demnach ist der Bundespräsident ein republikanischer Monarch, dessen Rolle angesichts der „Funktionslogik“ der parlamentarischen Demokratie vor allem daran festgemacht wird, was er ungeachtet seiner verfassungsrechtlichen Möglichkeiten nicht tun sollte: nämlich mit Worten oder gar konstitutionellen Handlungen in die reziproke Legitimationskette Volk > Parlament > Exekutive eingreifen und den Dualismus von Regierung und Opposition stören. Im Mittelpunkt steht also ein Regelkanon für eine angemessene Amtsführung, der nicht zuletzt aus einer tradierten Praxis abgeleitet wird (Abschnitt 2).

Dagegen ist die Staatsrechtswissenschaft für normativ-funktionale Argumente weniger empfänglich, zumal sie naturgemäß den Verfassungstext nicht einfach den empirischen Kausalmechanismen eines Regierungssystems unterordnen kann. Dementsprechend kreist die staatsrechtliche Literatur über den Bundespräsidenten weniger um die Frage, wie er sein Amt ausüben sollte, sondern welche Macht der Amtsinhaber angesichts seiner institutionellen Kompetenzen ausüben könnte. Dem Staatsoberhaupt wird zwar auch hier keine konstitutionelle Machtposition zugestanden, die auch annähernd an jene im Semi-Präsidentialismus heranreichen würde. Aber er wird im Hauptstrom der staatsrechtlichen Literatur auch nicht außerhalb des „politischen Kräftespiels“ verortet, sondern aufgrund seiner konstitutionellen Potenziale in den Rang einer eigenständigen Gewalt im Mobile sich gegenseitig kontrollierender Verfassungsorgane erhoben.

Diese in Abschnitt 3 als „Gewaltenteilungsparadigma“ nachgezeichnete Deutung des Präsidentenamtes findet erst spät und zunächst auch nur zögerlich Eingang in die politikwissenschaftliche Regierungslehre. Das ändert sich mit der Präsidentschaft Horst Köhlers, an der sich die Kontroversen über Rolle und Funktion des Bundespräsidenten von Neuem entzünden, und zwar nicht nur in den Staatswissenschaften, sondern auch in der politischen Publizistik. Zum einen verweigert Köhler zwei Mal die Ausfertigung eines Gesetzes der Großen Koalition und entfacht damit abermals eine Debatte über die Frage, ob das präsidiale Prüfungsrecht den Amtsinhaber nicht doch die Macht eines (fakultativen) Vetospielers verleiht. Diese keineswegs neue Frage erhält deshalb Brisanz, weil sich Köhler zum anderen als aktiver politischer Akteur versteht und mehr als nur einen Anlass bietet, die seit Theodor Eschenburg immer wieder kolportierte „Autoritas“ des Bundespräsidenten sowohl auf ihre demokratietheoretische als auch reale Bedeutung zu hinterfragen.

Der bisherigen Auseinandersetzung der Staatswissenschaften mit dem Amt und der Amtsführung der Bundespräsidenten gelten die letzen Überlegungen dieses Beitrags. Der folgende Überblick wird zeigen, dass sich die einschlägige Literatur vor allem der Grammatik des Imperativs und des Konjunktivs bedient, indem sie danach fragt, „was er kann, darf und muss bzw. könnte, dürfte und müsste“ (Strohmeier 2008). Wovon es zu wenig gibt, ist der Indikativ: eine nicht nur durch Plausibilitätsargumentationen gestützte äußere Anschauung, sondern eine profunde empirische Analyse dessen, was die Bundespräsidenten tatsächlich tun und wie sie wirken (Abschnitt 4).

2 Wie das Amt ausgeübt werden sollte: Das Westminster-Paradigma

Blickt man durch die „Westminster-Brille“ (Höreth 2012: 2) auf das Amt des republikanischen Staatsoberhauptes, erkennt man nicht viel mehr als ein institutionelles Artefakt aus der Evolution der Verfassungsgeschichte. „Im Institutionengefüge demokratischer Verfassungsstaaten“, so Hans-Peter Schwarz (2012: 299), ist es ein „Fremdkörper“, in dem sich „in republikanischer Gewandung eine Fortentwicklung der Monarchie“ zeige. Akzeptiert man diese Deutung des Amtes, dann scheint auch die Frage nach der Rolle und Funktion des Staatspräsidenten im parlamentarischen Regierungssystem gar nicht mehr die entscheidende zu sein. Umso wichtiger wird vielmehr jene nach der Rolle und den Funktionen, die die republikanischen Nachfolger des Monarchen im Zeitverlauf verloren haben. Dementsprechend wird das Amt des Bundespräsidenten in der politikwissenschaftlichen Regierungslehre in erster Linie über Negativlisten definiert. Was bleibt, ist eine restriktiv zu handhabende und der Konnotation nach auch eher vernachlässigbare „Reservefunktion“ für den „Krisenfall“ sowie eine oft nur diffus umschriebene „Symbol- und Integrationsfunktion“ im „Normalfall“. Angesichts des Verfassungstextes und seiner Genese ist diese Darstellung des Amtes durchaus konsequent. Schließlich rührt die „Unschärfe“, die Martin Nettesheim (2005: 1034) dem Grundgesetz im Hinblick auf den Bundespräsidenten attestiert, daher, dass die Verfassungsgeber vor allem anderen definieren wollten, was der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland nicht ist: Eine exekutive Gewalt, die in der Lage wäre, dem Volk und seinem Parlament die Souveränität zu entreißen, um sie in die Hände von Totalitaristen zu legen. Die Erinnerung an die fatale Rolle, die Reichspräsident Hindenburg bei der Zerstörung der Weimarer Demokratie spielte, habe im Parlamentarischen Rat, so Werner Patzelt (2005: 295), dermaßen „die Debatten über die Stellung des Bundespräsidenten geprägt, dass schließlich nur noch recht unklar herausgearbeitet wurde, was eigentlich positiv die Aufgabe des Bundespräsidenten als Staatsoberhaupt sei.“

Der Bundespräsident erhielt überwiegend notarielle Pflichtaufgaben, bei deren Ausübung ihm kein eigener Handlungsspielraum zusteht. Die wenigen seiner politischen Entscheidungskompetenzen sind in ihrer Mehrzahl auf die Bewältigung von Regierungskrisen zugeschnitten.1 Andererseits: Wenn die Mitglieder des Parlamentarischen Rates wirklich eine konstitutionelle Monarchie vor Augen hatten, als sie das Amt mit Kompetenzen und Aufgaben ausstatteten, wie Karlheinz Niclauß (1998: 189) mit Verweis auf Volker Otto (1971) bemerkt, dann sind dies noch immer erstaunlich viele. Und im Vergleich etwa zur englischen oder niederländischen Krone, deren Träger nicht einmal politische Grundrechte wie das Wahlrecht oder die öffentliche Redefreiheit genießen, sind sowohl die Kompetenzen als auch die nicht-regulierten öffentlichen Wirkungsmöglichkeiten des deutschen Bundespräsidenten doch recht großzügig bemessen.

Und dennoch ist es das Westminster-Paradigma, dessen Prämissen die Funktionsbestimmungen des Amtes über Jahrzehnte anleiteten und das dem Bundespräsidenten zwar keine unpolitische, aber doch entpolitisierte Rolle von allenfalls geringer institutioneller Bedeutung zuweist. Die Dominanz des Westminister-Paradigmas erklärt sich durch die politisch-historische Pfadabhängigkeit der Amtsführung einerseits (Abschnitt 2.1) und ihre sowohl historisch-deskriptive als auch normativ-funktionale Interpretation durch die Politikwissenschaft andererseits: Aus der beobachtbaren Praxis werden Kriterien und Funktionen einer angemessenen Amtsführung abgeleitet, zumal eben jene Praxis dem englischen Idealtyp der parlamentarischen Demokratie erstaunlich nahe zu kommen scheint (Abschnitt 2.2).

2.1 Zur Pfadabhängigkeit der Amtsführung

Als sich Theodor Heuss am 12. September 1949, direkt nach seinem Amtseid, an die Mitglieder des Bundestages und Bundesrates wendet, ist ihm die Unsicherheit über die Bedeutung seines Amtes durchaus bewusst. Diese erste Rede des ersten Bundespräsidenten verdient noch immer Beachtung. Denn Heuss antizipiert hier nicht nur den Rahmen, in dessen Grenzen die Staatswissenschaften lange Zeit nach den „Funktionen“ und der Rolle des deutschen Staatsoberhauptes suchen werden. Er tangiert auch eine Reihe von Grundsatzfragen, an denen sich noch heute Kontroversen entzünden:

„Was ist denn das Amt des Präsidenten der Deutschen Bundesrepublik? Es ist bis jetzt ein Paragraphengespinst gewesen. Es ist von dieser Stunde an ein Amt, das mit einem Menschentum gefüllt ist. Und die Frage ist nun, wie wir, wir alle zusammen, aus diesem Amt etwas wie eine Tradition, etwas wie eine Kraft schaffen, die Maß und Gewicht besitzen und im politischen Kräftespiel sich selber darstellen will. Es ist nicht meine Aufgabe und kann nicht meine Vermessenheit sein, in dieser Stunde so etwas wie ein Regierungsprogramm Ihnen vorzutragen. Das ist nicht meines Amts. Aber Sie haben einen Anspruch darauf, Auffassungen von mir kennenzulernen.“2

Heuss formuliert vorsichtig und zunächst noch mehrdeutig: Der Bundespräsident regiert nicht. Konrad Adenauer wird das erst zehn Jahre später wirklich begreifen. Und dennoch soll der Präsident eine „Kraft“ mit „Gewicht“ sein, die sich im „politischen Kräftespiel darstellen will.“ Ist er ein politischer Akteur? Offensichtlich. Im gleichen Atemzug wie er der versammelten politischen Klasse aus Bund und Ländern den „Anspruch“ auf Kenntnis seiner „Ansichten“ zugesteht, teilt er ihr mit, dass er welche hat und dass es ihre Pflicht ist (und sein wird), sie anzuhören. Aber ist er auch ein Akteur, der am Kräftemessen der Politik teilnehmen will? Wenn ja, wann und in welcher Form? Und wenn nicht: Was will er dann im Kräftespiel darstellen? Ist er der (vierte) Schiedsrichter, ein Spiel und Spieler bewertender Kommentator oder letztendlich doch „nur“ ein Schirmherr, der dem Publikum die höheren Zwecke und Würden des Wettbewerbs zu erklären sucht? Das überaus grobmaschige und konturarme „Paragraphengespinst“ des Grundgesetzes gibt auf diese Fragen keine klaren Antworten. Und so wird verständlich, warum Heuss eine „Tradition“ für sein Amt einfordert und damit im Grunde nichts anderes als das, was die Sozialwissenschaften „Logik der Angemessenheit“ nennen: eine eingeübte und anerkannte Praxis, die im Zeitverlauf die Erwartungen und Vorstellungen legitimen Handelns prägt, unabhängig vom tatsächlichen Wortlaut der formalen Regeln, auf die sich der Handelnde berufen könnte (March/Olsen 1989: 39-53). Nun ist jede (Verfassungs )Institution von einer Korona aus tradierten „Regelanwendungsregeln“ umgeben (vgl. die Beiträge in Bröchler/Grunden 2014). Das Besondere des Bundespräsidentenamtes ist aber, dass es aus den genannten Gründen von Anbeginn weitaus stärker auf Normen angemessener Amtsführung angewiesen ist als jedes andere Verfassungsorgan.

Theodor Heuss wird die von ihm angemahnte „Tradition“ durch seine Amtsführung selbst begründen. Er wird mit den Akteuren aus Exekutive und Legislative nicht seine Kräfte messen, nicht rhetorisch als öffentlicher „Mahner und Warner“ und schon gar nicht als Vetospieler. Für eine konstitutionelle Schiedsrichterrolle gibt es in den zehn Jahren seiner Amtszeit keinen Anlass respektive Gelegenheit. Der erste Bundespräsident versteht sich als Staatsnotar und Schirmherr der jungen Demokratie. In der Politik als „öffentlicher Konflikt von Interessen unter den Bedingungen von Macht und Konsensbedarf“ (Alemann 1994: 301) widmet er seine Rolle dem Letzteren. Damit, so scheint es, ist ein Pfad beschritten, von dem auch seine Nachfolger, trotz vereinzelter Versuche und kleinerer Korrekturen, nicht grundsätzlich abweichen können bzw. nicht abweichen sollten. Für Joachim Jens Hesse jedenfalls hat Heuss – bei allen „unbestreitbaren Verdiensten“ – die „Interpretationschancen“ eines ersten Amtsinhabers nur unzureichend genutzt. Heuss und sein Nachfolger Lübke hätten „das zugesprochene Amt mehr oder weniger ausschließlich auf die eigene Person bezogen. Sie haben damit das Amt des Staatsoberhauptes entpolitisiert“ (Hesse/Ellwein 2012: 452; so auch Sontheimer 1995: 280 f.). Gerade Heuss habe sich von Adenauer „an den Rand der Politik drängen lassen“. Als dieser schließlich davor zurückschreckte, selber Staatsoberhaupt zu werden, seien die langfristigen Folgen deutlich geworden: Adenauer „beschwor damit die unwürdige Situation herauf, in der jeder zukünftige Bundespräsident einerseits an den Maßstäben gemessen werden muss, die Heuss gesetzt hat – und es waren dies ausschließlich persönliche Maßstäbe –, und andererseits dem Eindruck ausgeliefert ist, den Adenauer vermittelte, und nach dem es sich für einen Mann von Tatkraft nicht recht lohne, dieses Amt zu übernehmen“ (Hesse/Ellwein 2012: 454; vgl. auch Schwarz 2012: 287 ff.).

Wenn die Möglichkeiten und Grenzen des Amtes vor allem durch die frühe Praxis definiert worden sind, drängt sich fast automatisch die Frage auf, ob dem Bundespräsident heute nicht doch eine wesentlich stärkere politische Bedeutung zukommen würde, auch und gerade institutionell, hätten in der Villa Hammerschmidt und im Palais Schaumburg andere Amtsinhaber residiert. Es sei anzunehmen, schreibt Werner Patzelt, „dass ein härterer erster Bundespräsident im Zusammenwirken mit einem nachgiebigeren ersten Kanzler die politischen Möglichkeiten des Amtes wohl bis an den Außenbereich seiner verfassungsrechtlichen Grenzmarken ausgedehnt hätte. Ob die tatsächliche politische Stellung des Bundespräsidenten dann noch gut zur Funktionslogik unseres etablierten parlamentarischen Regierungssystems passte, ist allerdings fraglich“ (Patzelt 2005: 305). Möglicherweise hätte auch später noch ein Pfadwechsel eintreten können. Man braucht jedenfalls nicht viel , um sich vorzustellen, wie ein Bundespräsident Adenauer, außenpolitisch so erfahren wie nach wie vor ehrgeizig und noch dazu mit allen Wassern mikropolitischer Machtspiele gewaschen, einem Kanzler Erhard hätte zusetzten können.

Ob eine solche Konstellation für das Verfassungsgefüge aber tatsächlich eine „critical juncture“3 gewesen wäre, die eine die Amtsträger überdauernde Präsidialisierung mit entsprechenden Machtverschiebungen nach sich gezogen hätte, ist dann doch sehr unwahrscheinlich. Der Interpretationsspielraum formaler Institutionen ist nicht beliebig dehnbar (Grunden 2013). Entscheidend aber ist, dass es trotz Pfadabhängigkeiten solche Spielräume gibt. Über die Auslegung uneindeutiger Verfassungsregeln wird nicht ausschließlich per Jurisdiktion, sondern auch durch die praktische Anwendung entschieden (Rüb 2014: 57 ff.). Wird der Praxis der Regelanwendung nicht widersprochen, obwohl sie von tradierten Erwartungshaltungen abweicht, wirkt sie als Katalysator für institutionellen Wandel, der zwar nicht unbedingt einen Pfadwechsel, aber doch eine Pfadkorrektur zur Folge haben kann (grundsätzlich dazu Mahoney/Thelen 2010).

Die Entwicklung des Bundespräsidentenamtes bietet eine Reihe von Beispielen, die zeigen, dass es nicht immer die rechtswissenschaftliche Verfassungsinterpretation (oder gar die Verfassungsgerichtsbarkeit) ist, die die Amtsführung anleitet, sondern dass eben die beobachtbare Praxis der Verfassungsinterpretation als Referenz dient. Heuss und Lübke scheiterten mit ihren Versuchen, ein politisches Vetorecht bei der Berufung von Kabinettsmitgliedern durchzusetzen, insistierten aber erfolgreich auf ein materielles Prüfungsrecht im Vorfeld der Ernennung und Entlassung von Beamten und Bundesrichtern, das heute nicht mehr als umstritten gilt (Nierhaus 2011a: Art. 60, Rn 8).((Michael Nierhaus geht in seinem Kommentar zu Art. 60 (1) GG sogar noch weiter und attestiert dem Bundespräsidenten das Recht, eine Ernennung oder Entlassung aufgrund politischer Erwägungen zu verweigern (vgl. die abweichende Meinung bei Herzog 2009: Art. 60, Rn. 18, Fn. 13).)) Sein Prüfungsrecht „kann sich gegenüber einer in Personalfragen allzu selbstherrlichen Regierung durchaus einmal als echte Waffe herausstellen“ (Herzog 2009: Art. 60, Rn. 18). Die Vergangenheit habe im Übrigen gezeigt, so Roman Herzog mit Verweis auf Lübke, dass der Bundespräsident „auch in Fällen, in denen zwar nicht seine rechtliche, wohl aber seine moralische Position stark ist, durchaus einmal seinen Willen durchsetzen kann“. Die vereinzelt immer noch diskutierte Frage, ob auch Reden, Interviews oder sonstige „repräsentative“ Tätigkeiten des Bundespräsidenten einer Gegenzeichnung der Bundesregierung bedürfen, ist letztlich dadurch entschieden worden, dass die Präsidenten nie daran dachten, eine solche Genehmigung einzuholen und die jeweiligen Regierungen auch nicht darauf bestanden. Die wahrscheinlich größte Kontroverse über die Kompetenzen des Bundespräsidenten entzündet sich regelmäßig an Artikel 82 GG: Hat der Präsident neben dem formalen auch ein materielles Prüfungsrecht bei der Gesetzesausfertigung? Lübke hat es sich genommen, von Weizsäcker und Köhler schließlich auch (vgl. den Überblick bei Rütters 2011: 872 f.). Mittlerweile ist das materielle Prüfungsrecht herrschende Meinung in der Staatsrechtslehre (zur staatsrechtlichen Diskussion Nierhaus 2011b: Art. 82). In anderen Fällen begrenzte die praktische Auslegung der Verfassungsregeln die Spielräume der Präsidenten, weil die Amtsinhaber angesichts des Widerstandes der Kanzler und ihrer Regierungen vor einem offenen Konflikt zurückschreckten (Rütters 2011: 867 ff.).

Die genannten Beispiele zeigen indes, dass die konstitutionelle Bedeutung des Amtes keinesfalls statisch sein muss, sondern einer historischen Dynamik unterliegen kann, die – zugegeben – bisher zwar nur sehr schwach ausgeprägt war, aber in anderen Konstellationen an Kraft gewinnen könnte. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Festzuhalten ist zunächst, dass im Westminster-Paradigma die Amtsführung des Theodor Heuss bis heute als Referenz für eine angemessene Amtsführung dient, von der die „Funktionen“ eines republikanischen Staatsoberhauptes in einem parlamentarischen Regierungssystem abzulesen sind. Die institutionellen Potenziale des Bundespräsidentenamtes finden dagegen nur wenig Beachtung. Nicht dass er sie hat ist von Bedeutung, sondern dass er sie angemessen nutzt. Mehr noch: Weil die bisherigen Amtsinhaber ihre institutionellen Möglichkeiten nicht ausschöpfen wollten oder konnten, gelten sie im Hinblick auf Gewicht und Funktionen des Amtes im Verfassungssystem als nachrangig.

2.2 Zur konstitutionellen Bedeutung des Amtes

Das theoretische Fundament für alle Ansätze, die das Bundespräsidentenamt entlang normativer Funktionen im parlamentarischen Regierungssystem analysieren, legte Werner Kaltefleiter in seiner 1970 erschienenen Habilitationsschrift. Sie verdient es, etwas ausführlicher referiert zu werden, weil man ohne Übertreibung sagen kann, dass seine Interpretation des Amtes zur „herrschenden Meinung“ in der Politikwissenschaft avancierte. Kaltefleiter vergleicht die institutionelle Stellung und die Funktionen von Staatsoberhäuptern in parlamentarischen Regierungssystemen, um der Frage nachzugehen, „wie das Amt des Staatsoberhauptes beschaffen sein muß, damit es der Arbeitsfähigkeit des parlamentarischen Regierungssystems dient“ (Kaltefleiter 1970: 18). Im Mittelpunkt steht der „systemnormative Aspekt“ des Amtes: Weniger der geschriebene Verfassungstext als die Struktur des parlamentarischen Regierungssystems bestimme die Funktion einzelner Institutionen (ebd.: 23). Dazu zählen auch das „latente und manifeste Normensystem und die Verhaltenserwartungen der verschiedenen politischen Gruppen“ zum relevanten Teil der Verfassung in einem „umfassenden Sinne“ (ebd.: 15).

Um eine dem parlamentarischen Regierungssystem angemessene Funktionsdefinition des Staatsoberhauptes und entsprechende Kriterien einer angemessenen Amtsführung zu entwickeln, nutzt Kaltefleiter das „Klassisch-Parlamentarische-Regierungssystem“ Englands als idealtypische Referenz. Etwaige Einwände gegen diesen Ansatz begegnet er mit dem Argument, die Unterschiede zwischen institutioneller Monarchie und parlamentarischer Republik beständen lediglich in den „Selektionssystemen“ (Erbfolge vs. Wahl), nicht aber in den Funktionen des Staatsoberhauptes (23 f.). In beiden Verfassungssystemen ist es die Reserve- und Symbolfunktion, die ihm eine konstitutionelle Bedeutung verleihen. Somit rechtfertigt sich auch die Existenz des Bundespräsidentenamtes dadurch, dass er in der außerordentlichen Situation einer Regierungskrise willens und fähig ist, die Wiederherstellung einer stabilen und handlungsfähigen Regierung herbeizuführen. Er hat dabei aber keine eigenen (partei )politischen Ziele zu verfolgen, sondern einzig und allein „den gestörten Mechanismus des parlamentarischen Systems in Ordnung zu setzen“ (ebd.: 33). Im Normalfall symbolisiert das Staatsoberhaupt durch die „Verkündung der von Regierung und Parlament beschlossenen und verantworteten Gesetze“ die „Einheit der Nation“. Die Minderheit hat die Entscheidungen der Mehrheit zu akzeptieren; „sie gelten für alle“ (ebd.: 32).

Die Symbolfunktion ist bei Kaltefleiter keine eigenständige Kategorie; sie ist Teil der Reservefunktion und verlangt die gleiche strikte Überparteilichkeit. Präsident oder Monarch haben zwar das Recht, ihre Meinung zu äußern, „zu warnen und zu mahnen“, aber sie sollten das nicht öffentlich tun. Ihre Symbolfunktion beschränkt sie hier auf die „Artikulation von allem Unbestrittenen, des Verfassungskonsenses im weitesten Sinne“ (Kaltefleiter 1970: 32). Halten sie sich nicht an dieses Gebot, drohen sie in den politischen Wettbewerb abzurutschen, wo sie über kurz oder lang ihre wichtigste Handlungsressource verlieren werden: ihre Autorität. Ohne Autorität aber, die vor allem anderen auf dem Nimbus ihrer Überparteilichkeit beruht, werden sie im Krisenfall ihrer Reservefunktion nicht entsprechen können. „Daraus folgt, daß öffentliche Reden und Ausführungen des Staatsoberhauptes entweder nur unstrittige Fragen betreffen oder strittige Fragen nur unentschieden behandeln können oder mit der amtierenden Regierung abgesprochen sein müssen“ (ebd.: 58). Das Grundgesetz lege vielleicht eine „expansivere Auslegung der Funktionen“ des Präsidenten nahe, aber eine solche Interpretation stünde „nicht im Einklang mit den funktionalen Erfordernissen des parlamentarischen Regierungssystems“ (ebd.: 275). Die „verfassungsrechtlich begründeten Entscheidungsspielräume des Bundespräsidenten“ sind letztlich nur von „theoretischer Natur“. Eine angemessene Amtsführung zeichne sich gerade dadurch aus, dass der Amtsinhaber den Rahmen des Verfassungsrechts nicht ausschöpft (ebd.: 276).

In der Mehrzahl der Überblicksdarstellungen des politischen Systems der Bundesrepublik ist der Einfluss Kaltefleiters nicht zu überlesen. Allerdings ist auch ein bedeutender Unterschied auffällig: Die Symbolfunktion wird von der Reservefunktion getrennt und um Integrations- und Repräsentationsaspekte erweitert. Klarer wird das Aufgaben- und Funktionsprofil des Amtes dadurch nicht. Zudem: Wer hier nach einer Antwort auf die Titelfrage sucht, wird sich im Verlauf der Lektüre eines Gefühls der Ernüchterung nicht erwehren können.

Zunächst ist mit Stefan Marschall (2007: 176) festzustellen, dass „der Präsident in der wissenschaftlichen Beachtung vergleichsweise ein Schattendasein [fristet]“. Ihm werden „üblicherweise nur wenige Seiten gegönnt“. Manfred G. Schmidt (2007) etwa widmet ihm ganze drei Textseiten. Bei einem Politikwissenschaftler, der sich vor allem für den Zusammenhang von Machtverhältnissen, Institutionen und Politikinhalten interessiert, vermag das Amt kein großes Interesse zu wecken. Er verweist kurz auf die notariellen Funktionen und die „Reservegewalt“ des Bundespräsidenten, stellt dann aber klar: „Normalerweise liegt die politische Bedeutung des Amtes des Bundespräsidenten jedoch hauptsächlich in stilgebenden, repräsentativen, zeremoniellen Funktionen (177). Auch das von Ernst Benda, Werner Maihofer und Hans-Jochen Vogel herausgegebene „Handbuch des Verfassungsrechts“ (1983), um ein Beispiel aus der Staatsrechtslehre anzuführen, erwähnt den Bundespräsidenten auf gerade mal neun von 1417 Seiten.

Kurt Sontheimer, der sich ebenfalls nicht lange mit dem Bundespräsidenten aufhält, bringt den Grund für das geringe Interesse auf den Punkt: Die Stellung des Bundespräsidenten entspräche „im großen und ganzen“ der Funktion, „die der Monarch im britischen Regierungssystem wahrnimmt“. Das „Bonner Grundgesetz“, schreibt Sontheimer (1995: 279) weiter, „beschränkt den Präsidenten fast vollständig auf die Funktionen des obersten Repräsentanten des Staates.“ Und darum sei er „tatsächlich keine wichtige Figur im politischen Kräftefeld der Bundesrepublik. Seine Autorität ruht nicht auf Macht, sondern auf der Art und Weise, wie er den gesamten Staat nach innen und außen vertritt“ (283).

Hans-Peter Schwarz wird noch deutlicher: Der Bundespräsident könne mit seinem „repräsentativen Staatsamt“ gegenüber der Regierung genauso wenig bewegen, „wie das ein Monarch in den meisten der noch verbliebenen konstitutionellen Monarchien vermag“ (Schwarz 2012: 300). Jedenfalls habe kein Amtsinhaber den „großen Gang der Entwicklung“ verändert, geschweige denn es versucht: „Die Geschichte der Bundesrepublik wäre wahrscheinlich nicht anders verlaufen, wenn statt des nach den Art. 54-61 GG in Verbindung mit Art. 68 GG tätigen Bundespräsidenten im Jahresrhythmus der jeweilige Präsident des Bundesrats die entsprechenden Funktionen wahrgenommen hätte“ (298). Insofern kann man sich mit Klaus von Beyme in der Tat die Frage stellen, „ob es nicht systemgerechter gewesen wäre, auf ein repräsentatives Staatsoberhaupt gänzlich zu verzichten“ (Beyme 2004: 304). Die institutionellen Kompetenzen des Präsidenten interpretiert von Beyme sehr restriktiv und in der Konnotation mit Distanz. Das materielle Prüfungsrecht nach Art. 82 GG sei beispielsweise „in gewisser Weise systemwidrig“, ein „Zopf aus der Zeit der konstitutionellen Monarchie (306). Die politische Bedeutung des Amtes erschließe sich weit mehr durch seine repräsentative Funktion als durch institutionelle Kompetenzen. „Und wo er über Handlungsspielräume verfügt“, sekundiert Frank Decker (2011: 331), sei er „gehalten, diese nicht zu überdehnen und gegen den Willen der übrigen Staatsorgane auszuüben.“

Als Repräsentant der „Einheit des Staates“ und als Integrationsfigur agiert der Präsident in dieser Lesart zu allererst „als eine Art Ersatzmonarch“ (Hesse/Ellwein 2012: 454). „Hier ist er frei, kann Populäres oder öffentlich kaum Bestreitbares moralisch anmahnen, empfehlen oder fordern, ohne für eine Verwirklichung verantwortlich zu sein. Er vermag auf diese Weise allgemeinen Stimmungen Ausdruck zu geben, Popularität zu gewinnen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen“ (Rudzio 2011: 313). Allerdings setze das eine durch Überparteilichkeit in Fragen der Tagespolitik weitgehend durch Zurückhaltung gekennzeichnete Amtsführung voraus. Tatsächlich sei es „fast allen Bundespräsidenten“ gelungen, „parteiübergreifende Zustimmung als ein nur dem ‘Ganzen’ verpflichtetes Staatsoberhaupt zu finden“, obwohl sie vor ihrer Wahl durchaus gestandene Parteipolitiker waren (Jochum 2000: 46). Umgekehrt, so Stefan Marschall, sei es „verbreiteter Konsens in der Bundesrepublik, die Person und das Amt aus dem parteipolitischen Streit herauszuhalten. Dieser Konsens sollte freilich von den Amtsinhabern selbst nicht herausgefordert werden“ (Marshall 2007: 193). Letzten Endes zeige sich die Funktion eines nicht-regierenden Staatsoberhauptes in der „Ergänzung von Elementen, die der sonstigen Politik abgehen. Zu diesen Elementen zählen insbesondere Überparteilichkeit, Langfristorientierung, Erklärung der ‘großen Zusammenhänge’, Vermittlung von Ziel und Richtung, Betonung des Beständigen inmitten hektischen Wandels“ (Jochum 2000: 62).

Wozu also ein Bundespräsident? Notwendig sei das Amt nicht, gibt Hesse zu (so auch Rausch 1984: 115 ff.), aber im Hinblick „auf einige wichtige Formalien“ doch „wünschenswert“. Sowohl der Regierungschef als auch der Parlamentspräsident seien letztlich zu „parteiergreifender Aktivität gezwungen“, während nur das Staatsoberhaupt „allgemeinen Ansprüchen zu genügen vermag“ (Hesse/Ellwein 2012: 455 f.). „Eines zu haben, bietet freilich drei Vorteile“, findet auch Werner Patzelt. Neben der Reservefunktion und der im Prüfungsrecht zutage tretenden Rechtswahrung „mag es in symbolischen und emotionalen Tiefenschichten des Politischen jenseits des tagespolitischen Streits integrierend wirken“ (Patzelt 2005: 293). Frank Decker bedient sich des schon von Michael Jochum vorgebrachten Kompensationsarguments und attestiert dem Amt im Hinblick auf seine Repräsentations- und Integrationsfunktionen eine „entlastende Wirkung“, zumal eine „wie immer geartete Semipräsidentialisierung“ nicht zu befürchten sei (Decker 2011: 340): „Indem es die Basis der Repräsentation verbreitert, trägt es dazu dabei, die Legitimationsgrundlagen der Politik und des Staates zu stärken. Weshalb sollte die Republik auf diesen Beitrag, den alle bisherigen Bundespräsidenten auf ihre Art geleistet haben, ohne triftigen Grund verzichten?“ (ebd.: 341).

3 Welche Macht der Amtsinhaber ausüben könnte: Das Gewaltenteilungsparadigma

Die oben referierten Interpretationen des Bundespräsidentenamtes kreisen in mehr oder minder großem Abstand um die Kernprämisse des Westminster-Paradigmas: Die Amtsführung des Bundespräsidenten sollte der Funktionslogik des parlamentarischen Regierungssystems entsprechen. Allein die Regierungslehre Wolfgang Rudzios fällt durch einen kleinen, aber nicht unwichtigen Unterschied auf. Dort wir der Präsident nicht, wie sonst üblich, in einem Kapitel über die Exekutive behandelt, sondern unter „Institutionellen Gegengewichten“: Auch wenn die Antwort skeptisch ausfällt, fragt er immerhin: Ist der Bundespräsident „potentiell mehr als nur Repräsentant?“ (Rudzio 2011: 307) Für sich genommen scheint die politikwissenschaftliche Parabel vom Präsidenten als republikanischem Monarchen in der parlamentarischen Demokratie auch durchaus schlüssig zu sein. Erst der Versuch, sie in den Gesamtkontext des Verfassungssystems einzuordnen, deckt eine Inkonsistenz auf: Das parlamentarische Regierungssystem ist nur die eine Seite der Verfassungsmedaille, auf der anderen zeigt sich ein Checks-and-Ballances-Konstitutionalismus. Dieser eröffnet eine alternative Perspektive auf den Bundespräsidenten, in der seine institutionellen Kompetenzen nicht mehr nur von „theoretischer Natur“ sind, sondern eine aktivere Rolle unter sich gegenseitig kontrollierenden Verfassungsorganen erlauben (Abschnitt 3.1). Ferner ist sowohl in den Politik- als auch den Staatsrechtswissenschaften eine Verselbständigung der Symbolfunktion zu beobachten, die noch dazu eine Erweiterung und Aufwertung erfährt. Das wirft neue Fragen auf, die im Rahmen des Westminster-Paradigmas nicht einfach zu beantworten sind. Wird die verselbständigte Symbolfunktion stattdessen mit dem Gewaltenteilungsparadigma verbunden, spukt plötzlich wieder ein Gespenst durch die öffentlichen Debatten, das die Staatswissenschaften eigentlich schon vertrieben glaubten: die Pouvoir Neutre (Abschnitt 3.2).

3.1 Der Bundespräsident im Mobile der Verfassungsorgane

Ingeborg Maus macht den Idealtyp einer parlamentarischen Demokratie an zwei Merkmalen fest: einer vertikalen Gewaltenteilung zwischen „gesetzgebender Souveränität und gesetzanwendenden Staatsapparaten“ einerseits sowie einer direkten, vertikalen Legitimationskette zwischen Volk, Parlament und Regierung andererseits, die eine ungeteilte Volkssouveränität gewährleisten soll. Ihr Gegenmodell ist die amerikanische Unionsverfassung, die auf die einer horizontalen Gewaltenteilung samt Souveränitätsteilung beruht: „Alle ‘Gewalten’ sind an der Ausübung der Souveränitätsfunktion beteiligt und treten zur Legislative in Konkurrenz, so daß die teilsouveränen Gewalten sich gegenseitig kontrollieren“ (Maus 2008: 11). Diese Gegenüberstellung verdeutlicht, was das Regierungssystem des Grundgesetzes nicht ist: eine in konsequenter Reinform institutionalisierte parlamentarische Demokratie. Die parlamentarische Architektur wird vielmehr durch horizontale Checks-and-Ballances-Elemente ergänzt oder – je nach Standpunkt – verfremdet. Dazu zählen in erster Linie die überaus starke, weil zur Normenkontrolle berufene, Verfassungsgerichtsbarkeit sowie das Bundesratsmodell, durch das die Exekutiven der Länder als Vetospieler im Gesetzgebungsprozess auftreten können. Das deutsche Regierungssystem zeichnet sich also durch einen „Verfassungseklektizismus“ (Maus 2008: 44) aus, der als „Politikverflechtung“ (Scharpf/Reissert/Schnabel 1976) oder als „Strukturbruch“ (Lehmbruch 1998) der „Verhandelnden Wettbewerbsdemokratie“ (Korte/Fröhlich 2009: 75-81) seine politikwissenschaftliche Aufarbeitung erfahren hat.

Das Regierungssystem des Grundgesetzes wird in der Literatur nur dann als ein „rein parlamentarisches“ (Hartmann/Kempf 2011: 91) oder „konsequent“ (Rudizio 2008: 308) parlamentarisches System bezeichnet, wenn der Bundespräsident in den Mittelpunkt rückt. Hier setzt die Kritik am Westminster-Paradigma an, zumal dieses nicht recht erklären kann, warum die Verfassungsgeber dem Staatsoberhaupt einerseits Entscheidungskompetenzen übertragen, andererseits aber erwarten, dass er sie gar nicht nutzt. Die Frage erübrigt sich, wenn man sich „ein Stück weit von der ‘reinen’ Lehre des Parlamentarismus verabschiedet und diesen als eine Form institutionalisierter und flexibler Gewaltenteilung sowie komplexer Repräsentation interpretiert“ (Lhotta 2012: 134). Schließlich müsse eine verfassungs- und systemgerechte Interpretation des Präsidentenamtes der horizontalen Gewaltenkontrolle die gleiche Bedeutung beimessen, wie sie oft nur den parlamentarischen Verfassungselementen zuteil wird. Dann würde ersichtlich, dass der Bundespräsident „Bestandteil eines tief gestaffelten Systems von checks and balances“ sei, „dem sich parlamentarische Mehrheiten in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber sehen“ (Lhotta 2012: 141 f.).

Roland Lhotta greift damit einen in der Staatsrechtslehre entwickelten Argumentationsstrang auf, demzufolge dem Bundespräsidentenamt im Gewaltenteilungsgefüge keine eindeutige Funktion zukomme. Es sei vielmehr „komplementär zu allen übrigen Verfassungsorganen angelegt“, aber „nicht im Sinne einer Ersatzfunktion, sondern aus einer eigenen Verfassungsposition heraus ergänzend und unterstützend“ (Jekewitz 1984: Art. 54, zit. nach Lhotta 2012: 137). Der Präsident kann vor allem in zwei Bereiche eingreifen, die nach rein parlamentarischer Interpretation allein dem Parlament obliegen sollten: in die Regierungsbildung nach Art. 63 und 68 GG sowie in die Gesetzgebung durch sein Prüfungsrecht nach Art. 82 GG. Diese institutionellen Möglichkeiten machen ihn aber auch im Rahmen des Gewaltenteilungsparadigmas keinesfalls zu dem „Hüter der Verfassung“. Selbst wenn man den von Carl Schmitt geprägten und durch dessen Antiparlamentarismus und Antipluralismus kontaminierten Begriff verwenden möchte, wäre er zuallererst für das Bundesverfassungsgericht zutreffend. Dabei hat schon Kaltefleiter (1970: 208 ff.) darauf hingewiesen, dass letztendlich alle Verfassungsorgane die Verfassungsordnung zu schützen haben und es im extremsten aller Ausnahmefälle die Bürger selbst sind, die über ihr Widerstandsrecht für ihre Verfassung einstehen müssen.

Dennoch kommt dem Staatsoberhaupt im Gewaltenteilungsparadigma eine durch die Verfassung privilegierte Position zu, die es ihm erlaube, „an der Ausübung der Staatsgewalt in funktionaler und gewaltenteiliger Verschränkung mit anderen Organen“ teilzunehmen. Diese Verschränkung sei „Ausdruck der Idee der gemischten Verfassung, in der Organe verschiedenen Zuschnitts die Ausübung der Staatsgewalt zugleich fördern und kontrollieren“ (Nettesheim 2005: 1054 f.). Woran aber wäre die eigenständige Rolle des Bundespräsidenten im Mobile sich gegenseitig kontrollierender Verfassungsorgane in der Praxis festzumachen? Vor allem an seinem materiellen Prüfungs- und Ausfertigungsverweigerungsrecht am Ende des Gesetzgebungsverfahrens. Es öffne dem Präsidenten ein „Portal zu einer Performanz als (fallabhängiger) Vetospieler“ (Lhotta 2012: 134). Oft werde übersehen, sekundiert Marcus Höreth (2012: 7), „dass der Bundespräsident formell am Gesetzgebungsprozess beteiligt ist und somit die Kriterien eines vollwertigen Vetospielers nach Tsebelis (2002) erfüllt.“ Wenn dem so ist, dann drängt sich eine Anschlussfrage auf: „Ab wann bzw. welcher Machtausstattung des Präsidenten wird ein parlamentarisches System in die Richtung eines präsidentiellen bzw. semi-präsidentiellen Systems verschoben? Die Möglichkeit jedenfalls, ein von der Parlamentsmehrheit getragenes Gesetz nicht auszufertigen und damit faktisch über ein (nicht überstimmbares) Veto zu verfügen, scheint hier eine der entscheidenden Variablen zu sein“ (Lhotta 2012: 137). Wenn die Amtsinhaber ihr Prüfungsrecht in Zukunft expansiver nutzen sollten, könnte eine „sektorale antimajoritäre Hybridisierung“ des parlamentarischen Systems die Folge sein (Lhotta 2008: 121).

Der Anlass für diese Überlegungen ist die Präsidentschaft Horst Köhlers, der im Jahr 2006 zwei Gesetze der Großen Koalition nicht ausfertigte: das „Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung“ sowie das „Gesetz zur Verbesserung der gesundheitsbezogenen Verbraucherinformation“. In beiden Fällen nennt der Präsident materielle Verfassungsverstöße als Gründe für sein „Veto“ (Rütters 2011: 873). Allerdings erfüllen weder die von Köhler noch die vier von seinen Vorgängern nicht ausgefertigten Gesetze die Kriterien einer politischen Schlüsselentscheidung: große Reichweite der Betroffenen, Intensität der Regulierung und großes Konfliktpotential im politischen Wettbewerb (Beyme 1997: 66 f.) Hinzu kommt die geringe Zahl der Fälle: Zwischen 1949 und 2009 wurden ganze acht von 7.037 Gesetzen von den Bundespräsidenten nicht ausgefertigt. Angesichts einer Vetofrequenz von 0,1 Prozent und der geringen politischen Bedeutung der beanstandeten Gesetze kann man den Vertretern des Gewaltenteilungsparadigmas also durchaus entgegenhalten, dass die Bundespräsidenten bisher „weder als besonders aktive und für den politischen Entscheidungsprozess relevante ‘Vetospieler’“ agierten, „noch verfolgten sie mit Hilfe der Veto-Option erkennbare eigenständige politisch-programmatische Ziele“. Eine Präsidentialisierung, so Rütters weiter, ließe sich „allen Ernstes aus der bisherigen Anwendung der Ausfertigungsverweigerung weder ableiten noch ablesen noch extrapolieren“ (Rütters 2011: 875 f.).

Der Gegensatz der beiden Positionen ergibt sich aus ihren unterschiedlichen Herangehensweisen: Das „Vetospieler-Argument“ Lhottas ist ein theoretisches, aus der Gewaltenteilungslogik der Verfassung destilliertes Argument, das die Potenziale des Amtes auszuloten versucht, während Rütters, der Westminster-Logik folgend, die konstitutionelle Bedeutung des Präsidenten aus der bisherigen Amtspraxis ableitet. Marcus Höreth (2012) unternimmt den Versuch einer Vermittlung, indem er die institutionellen Möglichkeiten und die bisherige Praxis der Gesetzesausfertigung in einen politischen Kontext stellt. Vier der acht Ausfertigungsverweigerungen betrafen Gesetze einer Großen Koalition, deren Gesetzgebung darüber hinaus, so rechnet Höreth vor, überdurchschnittlich oft durch das Bundesverfassungsgericht annulliert worden sei, allerdings erst nach ihrer jeweiligen Regierungszeit. Offensichtlich gingen übergroße parlamentarische Mehrheiten mit einer geringeren verfassungsrechtlichen Sensibilität einher, weil eine uneinige Opposition nicht immer das notwendige Quorum für eine abstrakte Normenkontrolle aufzubringen vermag. Damit unterliege die Gesetzgebung großer Koalitionen einer verringerten verfassungsrechtlichen Kontrolle, was mit dem „Leitbild des demokratischen Verfassungsstaates“ nicht zu vereinbaren sei. Hier kommt nun das Staatsoberhaupt ins Spiel: „Als fallabhängiger Vetospieler im Gesetzgebungsprozess wäre der Bundespräsident in der Lage, für die Dauer einer Großen Koalition die oben festgestellte reduzierte verfassungsrechtliche Kontrolldichte dadurch zu erhöhen, dass er sein Prüfungsrecht expansiver wahrnimmt als zu Zeiten einer kleinen Koalitionen und bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines ihm vorgelegten Gesetzes die Ausfertigung verweigert“ (Höreth 2012: 13). Als Folge erwartet Höreth einen disziplinierenden Effekt: „Wenn zukünftig die Große Koalitionen zum gängigen Koalitionsformat werden […], wird der Bundespräsident stärker als je zuvor in die Rolle eines nicht immer einfach zu absorbierenden Vetospielers in der Gesetzgebung hineinwachsen. Dies wird nötig sein, um die regierende Große Koalition zu größerer verfassungsrechtlicher Sorgfalt zu ermutigen; oder dort, wo es nötig ist, den regelmäßigen Einsatz des BVerfG zu ermöglichen“ (Höreth 2012: 18).

Höreths „Mithüter-Funktion“ macht die konstitutionelle Bedeutung des Bundespräsidenten und die „Angemessenheit“ seiner Amtsführung von politischen Kräfteverhältnissen und historischen Kontexten abhängig. Sie ähnelt damit im Ansatz der „Vorbeugefunktion“ nach Xuewu Gu (1999), durch die dem normativen aber auch statischen Funktionalismus des Westminster-Paradigmas eine „prozessual-dynamische Sichtweise“ entgegenstellt werden soll, indem sie die binäre Unterscheidung zwischen Normal- und Krisenfall überbrückt (Gu 1999: 763). Man dürfe nicht übersehen, „daß Funktionserwartungen oder Funktionsstörungen des Parlaments und/oder der Regierung sehr oft durch antizipierendes und konfliktabbauendes Handeln, ja manchmal auch durch geschicktes Drohen von Staatsmännern, also durch einen dynamischen politischen Prozeß vorgebeugt werden kann. Gerade aus diesem Vorbeugungsprozeß ergibt sich für den Bundespräsidenten, der von der Verfassung mit einem Gesetzprüfungsrecht (Art. 82), Parlamentsauflösungsrecht (Art. 63, 68) und Gesetzgebungsnotstandsrecht ausgestattet wird, eine ‘Vorbeugefunktion’, die er jeder Zeit ausüben kann und muß“ (Gu 1999: 764).

Um eine eigenständige und wirksame Rolle unter den Verfassungsorganen einnehmen zu können, muss der Bundespräsident seine verfassungsrechtlichen Möglichkeiten also gar nicht ausschöpfen. Entscheidend ist, dass er es könnte, und dass er seine Bereitschaft glaubhaft macht, es im Zweifelsfall auch zu tun. Er „könnte“ schon während des parlamentarischen Entscheidungsprozesses den Kanzler auf seine Zweifel an einem Gesetz aufmerksam machen oder Bedenken gegen die Ernennung eines Ministers oder Beamten vortragen: „In diesem Sinne kann der Bundespräsident nicht nur politische Entscheidungen verhindern, sondern auch mitgestalten“ (Gu 1999: 765). Das ist auch deshalb eine gewagte These, weil zum einen offen bleibt, angesichts des Forschungsstandes offen bleiben muss, ob die Bundespräsidenten ihrer „Vorbeugefunktion“ tatsächlich nachzukommen versuchen, und ob sich Kanzler und Parlament zum anderen davon wirklich beeindrucken lassen. Im Grunde genommen kombiniert Gu den Konjunktiv des Gewaltenteilungsparadigmas mit dem Imperativ des Westminster-Paradigmas (Letzteres mit umgekehrten Vorzeichen): Weil die Präsidenten eine Vorbeugefunktion ausüben könnten, sollten sie es auch tun. Mehr noch: Gu stellt der Reserve- und Repräsentationsfunktion in Anlehnung an Eschenburg (1963: 649 f.) eine dritte Funktion zur Seite, in der Erwartung, dass sie im Regelfall auch ausgeübt wird, denn andernfalls läge ja ein prinzipielles Funktionsversagen vor. Das ist solange kein echter „prozessual-dynamischer“ Ansatz, solange die Ausübung der „Vorbeugefunktion“ nicht auch nachgewiesen werden kann.

Das verfassungsrechtliche Potenzial für eine „critical juncture“ im Hinblick auf die Normen einer angemessenen Amtsführung liegt vermutlich gar nicht in den Prüfungskompetenzen des Bundespräsidenten, die ja schließlich keinen genuin politischen Ermessensspielraum bieten. Bei der Regierungsbildung ist das aber sehr wohl der Fall, vorausgesetzt die bisher gekannte Stabilität der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse wäre in Zukunft nur noch eine Erinnerung an die „gute alte Zeit“. Wolfgang Rudzio hat das gesamte Machtpotenzial des Präsidenten im Falle einer Regierungskrise zusammengefasst: „Der Bundespräsident erschiene dann als zentraler Akteur. Vorstellbar würde – bei kombinierten Einsatz seiner Möglichkeiten zu Kanzlerernennung, Parlamentsauflösung und zum Gesetzgebungsnotstand – quasi ein Präsidialregime, wenngleich deutlich abgeschwächt und zeitlich begrenzt“ (Rudzio 2011: 312).

Dabei muss man gar nicht den Teufel eines Gesetzgebungsnotstandes an die Wand malen, um das Szenario für eine Neubewertung der konstitutionellen Bedeutung des Bundespräsidenten zu entwerfen. Dazu reicht schon eine neue Unübersichtlichkeit in den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen, wie sie Karl-Rudolf Korte (2012) beschrieben hat: ein Bundestag, vielleicht mit sechs oder sieben Parteien, in dem eine Koalitionsbildung entlang der tradierten Lager nicht möglich ist und in dem sich Union oder SPD einer Großen Koalition verweigern. Wenn eine Neuwahl an dieser Konstellation nichts ändert bzw. nach menschlichem Ermessen nichts ändern würde, läge die Regierungsbildung in den Händen des Bundespräsidenten. Er könnte eine Minderheitsregierung nach dem dritten Wahlgang zum Bundeskanzler ernennen oder eine Koalition zwischen jenen Parteien vermitteln, die ein solches Bündnis bisher ausgeschlossen haben. Vielleicht ist es tatsächlich nur die Autorität des Bundespräsidenten, der die Parteien von den Koalitionsversprechungen gegenüber ihren Wählern entbinden kann, um – der Staatsräson willen – eine Mehrheitsregierung zu bilden, sei es in Form einer Ampel-, einer Jamaika- oder doch einer Großen Koalition.

All das ließe sich rein theoretisch noch unter die Reservefunktion des Staatsoberhauptes subsumieren, die „den gestörten Mechanismus des parlamentarischen Systems wieder in Ordnung“ setzen soll (Kaltefleiter 1970: 33). Aber wäre eine solche Regierung, insbesondere als Minderheitenkabinett in den Augen von Öffentlichkeit und Opposition nicht auch seine Regierung? Wäre er nicht ihr Schirmherr, und zwar im engeren Sinne des Wortes als ihr Protektor? Welche Konsequenzen hätte das für seine „Symbol-“, „Repräsentations-“ oder „Integrationsfunktion“? Gewiss ist das alles spekulativ, zeigt aber, dass sowohl die konstitutionelle Bedeutung des Bundespräsidenten als auch eine entsprechend angemessene Amtsführung keinesfalls statisch sind.

3.2 Das Gespenst der Pouvoir Neutre

In den bisher diskutierten Deutungen des Bundespräsidentenamtes gibt es bei allen Unterschieden eine Gemeinsamkeit, die dem Grundkonsens von Herrenchiemsee und Parlamentarischem Rat zu verdanken ist: Der Bundespräsident ist weder der Hüter der Verfassung noch eine, den anderen Verfassungsorganen erhabene Pouvoir Neutre, nicht im Sinne ihres Schöpfers Benjamin Constant und schon gar nicht im Sinne eines Carl Schmitt, der sich ihrer ideengeschichtlichen Deutung zu bemächtigen versuchte. Und doch: Gerade zwischen den Zeilen der staatsrechtlichen Literatur schimmert die Figur einer herausgehobenen „neutralen Gewalt“ immer wieder durch, etwa wenn der Bundespräsident als „vierte Gewalt“ (Pernthaler 1967: 151) oder als Gewalt „sui generis“ (Stern 1980: 212) bezeichnet wird. Martin Nettesheim (2005: 1075) verleiht ihr noch mehr Kontur, indem er dem Präsidenten „die Rolles eines beschützenden Wächters (Kustos)“ zuweist, „der in je unterschiedlichem Maße den politischen Prozeß anstößt, balanciert und kontrolliert“. Roman Herzogs Interpretation der „staatspolitischen Rolle“ des Bundespräsidenten läuft auf dieselbe „Funktion“ hinaus, die er aber noch erweitert: „Der Bundespräsident ist kein Frühstücksdirektor, sondern er repräsentiert […] den wichtigsten Gedanken, den es in einem modernen Staat überhaupt zu repräsentieren gibt: den der Existenz, der Legitimität und der Einheit des Staates. […] In nahem Zusammenhang damit steht, dass vom Bundespräsidenten auch die Fähigkeit zur Integration des Staatsvolkes erwartet werden muss.“ (Herzog 2009: Art. 54, Rn 97)

Nettesheim und Herzog üben sich in dem, was in der Einleitung als ausladende Verfassungsexegese bezeichnet worden ist. Denn keine Zeile des Grundgesetzes weist dem Präsidenten die Funktion zu, den „politischen Prozess“ – und zwar in Gänze – anzustoßen oder zu „kontrollieren“. Dort findet sich weder der Auftrag, die „Existenz“, „Legitimität“ und „Einheit des Staates“ zu repräsentieren, noch die Aufgabe, das „Staatsvolk“ zu „integrieren“. Man müsste über diese Formulierungen nicht stolpern, wären sie nur barocke Umschreibungen für wesentliche Prämissen des modernen Verfassungsstaates, die durch die Notariatsfunktion des Staatsoberhauptes symbolisiert werden: die Gleichheit vor dem Gesetz sowie die Legitimität und Legalität des demokratischen Entscheidungsprozesses. Doch insbesondere Herzog will mit seiner Deutung auf mehr hinaus: Alle bisherigen Bundespräsidenten, er selbst eingeschlossen, hätten durch ihre Amtsführung unter Beweis gestellt, „dass es jenseits alles unvermeidlichen Parteienstreits noch ein oberstes Staatsorgan gab, das sich aus diesem Streit heraus hielt und gewissermaßen nur dem ‘Gemeinwohl’ diente“ (Herzog Art. 54, Rn 90).

Herzog suggeriert, den Anführungszeichen zum Trotz, dass es tatsächlich so etwas wie ein „Gemeinwohl“ gibt, das sich hinter dem Rauch von Interessenkonflikten und „Parteienstreit“ erkennen ließe. Doch in einer pluralistischen Demokratie ist die Definition des „Gemeinwohls“ allein von Werten und Interessen abhängig, kann mithin nur über akzeptierte, gleichwohl konfliktbehaftete Verfahren erfolgen, deren Resultate zudem kritisierbar und reversibel sind.4 Dagegen ist ein „oberstes Staatsorgan“, das „nur“ dem Gemeinwohl dient, eine Rollenvorstellung, die Constants Pouvoir Neutre in einem Punkt zum Verwechseln ähnlich sieht: Man erkennt eine politische Vaterfigur, deren Weisheit und Autorität den politischen Prozess zu Richtung und Ordnung verhelfen soll. Dass Herzog, wie die meisten Staatsrechtler, das deutsche Staatsoberhaupt dennoch nicht als Pouvoir Neutre charakterisieren will, wird durch die institutionellen Rechte des Bundespräsidenten begründet, die den entsprechenden Katalog bei Constant bei weitem nicht ausfüllen. Das heißt aber eben nicht, dass er auch auf eine öffentliche Wächter-Rolle verzichten müsste: „In diesen Zusammenhang gehört die Frage, ob und inwieweit der Bundespräsident allgemeine Themen der Staatspolitik öffentlich aufgreifen darf, die nach seiner Überzeugung von den politischen Führungsorganen nicht ausreichend berücksichtigt oder sogar vom Staatsvolk nicht ausreichend verstanden werden […]. Nach hier vertretener Ansicht muss es im modernen Staat, wenn Bundestag und Bundesregierung solche langfristigen, oft unpopulären Themen nicht hinlänglich behandeln können (oder wollen), wenigsten ein Staatsorgan geben, das sie in die öffentliche Diskussion bringt, und das kann unter den gegebenen Umständen faute de mieux nur der Bundespräsident sein“ (Herzog 2009: Art. 54, Rn 91).

Wenn dem Bundespräsidenten eine eigenständige Funktion inmitten sich wechselseitig kontrollierender Verfassungsorgane zukommt, dann, so könnte man auch vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsparadigmas folgern, gibt es keinen Grund, warum er seiner Kontrollfunktion nicht auch in jenem sozialen Raum nachkommen sollte, in dem die Institutionen der Demokratie mit Leben gefüllt werden: in der politischen Öffentlichkeit. Schließlich gilt die öffentliche Rede – seine „Worte als Taten“ (Jochum 2000) – als das wichtigste und auch wirkungsvollste Instrument des Bundespräsidenten. Horst Köhler jedenfalls ist schon zu Beginn seiner Amtszeit fest entschlossen, sich nicht mit der Rolle eines republikanischen Monarchen zu bescheiden, der sich auf die „Artikulation von allem Unbestrittenen“ beschränkt: „Der Bundespräsident kann sich nicht verstecken, wenn es darum geht, aus der Vielfalt von Meinungen, Vorschlägen und Forderungen herauszuarbeiten, was letztlich dem Wohl des Volkes dient“ (zit. nach Hachmeister 2007: 224). Köhler wird sein Amt rhetorisch politisieren und – zumindest punktuell – versuchen, über die Öffentlichkeit Einfluss auf die Tagespolitik zu gewinnen.

Die Deutungen und Rechtfertigungen der Amtsführung des neunten Bundespräsidenten treiben gerade in seinen ersten Amtsjahren Blüten von verstörender Pracht. Insbesondere in der medialen Kommentierung vermischt sich zuweilen eine Anti-Parteien-Rhetorik mit parlamentarismuskritischen Akzenten: „Es ist“, schreibt Hans-Ulrich Jörges im Stern (23/2004), „als habe das ungeduldig gewordene Land – bar jeden Vertrauens in die Vernunft und die Handlungsfähigkeit der politprofessionellen Kaste – einen nach oben geschickt, die Dinge endlich in Bewegung zu setzen. […] Horst Köhler inszeniert nicht weniger als den Einbruch des gesunden Menschenverstandes in die taktisch verkeilte Blockadewelt der operativen Politik. Und eine Revolution im Amtsverständnis des Präsidenten. […] Ein Macher tritt das Erbe der Mahner an. Und geht daran, dem Land eine eigene, deutsche Version eines Präsidialsystems zu verpassen. Ein Staatsoberhaupt, das die Grenzen der Verfassung dehnt, um mitzuregieren, ohne doch Regierungsgewalt zu haben“ (zit. nach Hachmeister 2007: 233 f.). Auch andere Journalisten spielen in ihren Redaktionssandkästen mit den Förmchen der Verfassungskrise. Am 16. März 2004, einen Tag nach Köhlers „Vorfahrt für Arbeit-Rede“ auf dem Arbeitgeberforum präsentiert die Bild-Zeitung den Bundespräsidenten auf Seite eins als „Super-Horst“ im Comic-Outfit: „So retten wir unser Land. Bundespräsident Köhler zeigt Politikern und Bossen den Weg aus der Krise!“ Nun gibt es Raum für politische Phantasien: „Horst Köhler als Kanzler?“ fragt der Cicero seine Leser auf dem Titel der Ausgabe 2/2005, wobei die Frageform nur als schlechte Tarnung für eine Forderung daherkommt. Henning Krumrey macht den Bundespräsidenten im Focus (51/2006) dann direkt zum „Gegenkanzler aus Schloss Bellevue“. Der Spiegel hatte schon vorher den Bundespräsidenten in seine Hitliste der populärsten Parteipolitiker aufgenommen, ganz so, als stände er zu ihnen in Konkurrenz.

Man muss sich diesen medialen Zeitgeist vor Augen führen, um nachzuvollziehen, warum Claus Leggewie (2006) einen „Hauch von Weimar“ verspürt, nachdem Köhler gleich zum zweiten Mal einem Gesetz der Großen Koalition die Ausfertigung verweigert. Es ist nicht das „Veto“ als solches, das Sorgen bereitet, sondern die Sehnsucht nach der Pouvoir Neutre als einer über den Parteien stehenden Gewalt, die Parlamentarier und Organisierte Interessen auf ein – doch objektiv erkennbares – „Gemeinwohl“ verpflichtet.5 Köhler lässt sich von diesem Zeitgeist mitreißen und schließlich an den „Rubikon“ der Verfassung treiben (Leggewie 2006). Überschreiten wird er ihn nicht, und es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass er es je wollte.

Stattdessen zeigt der Fall Köhler, dass es mehr als nur normative Erwartungen sind, die die Amtsführung des Bundespräsidenten an die „Funktionslogik des parlamentarischen Regierungssystems“ binden. Sie ist auch machtpolitischen Kausalmechanismen unterworfen, zumal sich die realen Spielräume politischer Akteure nicht allein von Verfassungsregeln ablesen lassen, sondern immer auch durch kommunikative und mediale Kausalitäten strukturiert werden. Gerd Strohmeier hat 2008 ein Szenario für eine gescheiterte Präsidentschaft entworfen, das sich im Rückblick wie das Drehbuch zum Rücktritt Horst Köhlers im Jahr 2010 liest: „Je mehr ein Bundespräsident beginnt, politisch zu intervenieren, desto weniger wird es ihm gelingen, politisch zu integrieren, und je weniger es ihm gelingen wird, politisch zu integrieren, desto weniger wird es ihm gelingen, sich gegen politische Angriffe zu immunisieren […]. Schließlich würde er zunehmend den ‘patriarchalischen Glanz’ seines Amtes und die damit verbundene ‘politische Immunität’ verlieren und in der Folge – wie ein gewöhnlicher Politiker – angegriffen werden“ (Strohmeier 2008: 196).

Köhlers Präsidentschaft sollte aber auch für einen anderen Aspekt sensibilisieren: Offenbar gibt es zwischen einem konstitutionellen Monarchen und dem Staatsoberhaupt einer parlamentarischen Republik doch mehr Unterschiede als nur das „Selektionssystem“ (Kaltefleiter 1970: 23). In der Monarchie ist es die Krone, nicht ihr Träger, die die „Einheit der Nation“ symbolisiert (Kaltefleiter 1970: 26). Insofern ist für die „Integration“ des Volkes schon Genüge getan, wenn sich die Monarchen auf den Vollzug tradierter politischer Zeremonien beschränken und ansonsten die „Untertanen“ an ihrem privaten Glück teilhaben lassen: Jubiläen, Geburtstage, Hochzeiten und natürlich eine erfolgreiche Fortpflanzung. „Ruck-Reden” (Herzog) oder Forderungen nach „Vorfahrt für Arbeit“ (Köhler) wären hier nicht nur ein Fauxpas, sondern Anlass für veritable Verfassungskrisen. Dagegen erwartet die Republik von ihrem Staatsoberhaupt durchaus eine politische Rolle, zum einen, weil es hier keinen öffentlichen Anspruch auf das Privatleben eines gewählten Bürgers gibt und sinnvollerweise auch nicht geben kann; zum anderen, weil sich ein Wahlamt nicht allein durch seine schiere Existenz, sondern immer auch das Handeln seines Trägers zu rechtfertigen hat.

Wo die Grenzen einer öffentlichen, politischen Rolle des Bundespräsidenten liegen, lässt sich nicht a priori bestimmen. Aber die Politikwissenschaft hat sich die Definition der konstitutionellen Bedeutung des Bundespräsidenten samt einer entsprechend angemessenen Amtsführung unnötig schwer gemacht, indem sie die „Repräsentations-” und „Integrationsfunktion“ von der vielleicht einzig belastbaren Verfassungsfunktion trennte: der Reservegewalt. Das führt zur diffusen und zuweilen auch „sakral“ (Schwarz 2012: 300) anmutenden Aufladung des Amtes, die als „Funktionen“ auf eine Überforderung der Amtsinhaber hinauslaufen. Denn am Ende muss immer offen bleiben, was unter der Fähigkeit zur Integration eigentlich verstanden werden kann. Politische Identitäten sind soziale Konstrukte, deren fortlaufende Erneuerung nicht allein durch politische Akteure und Institutionen gewährleistet werden kann, schon gar nicht durch eine einzige Person, sei sie auch Akteur und Institution in einem.

Stattdessen könnte der Bundespräsident als politischer Akteur begriffen werden, der eigene Interessen und Ziele im öffentlichen Diskurs verfolgen kann, zum Beispiel Popularität erlangen, Themen aufgreifen und setzen, überhaupt „erhört“ zu werden. Aber entscheidend bleibt, dass ihn sein öffentliches Wirken nicht daran hindert, im Krisenfall tatsächlich integrierend zu wirken, und zwar zwischen den vom Volk gewählten Parteien, die allen Differenzen zum Trotz eine handlungsfähige Regierung zu bilden haben. Das muss im Übrigen auch nicht immer eine monarchische Zurückhaltung erfordern, sondern kann in einer auszumalenden historischen Situation durchaus öffentliche Kritik, Beistand oder „Parteinahme“ verlangen.

4 Wie das Amt ausgeübt wird: Ein Desiderat der politikwissenschaftlichen Forschung

Wozu gibt es einen Bundespräsidenten? Der vorangegangene Überblick über die Argumentationsstränge in der politik- und staatswissenschaftlichen Forschung hat gezeigt, dass es an Vorstellungen über seine Funktionen nicht mangelt: Neben der Reserve- und Notariatsfunktion finden sich Symbol-, Repräsentations- und Integrationsfunktionen, noch dazu Vorbeuge-, Kontroll- und Wächterfunktionen. Zum Teil weisen die verschiedenen Rollendefinitionen gemeinsame Schnittmengen auf, zum Teil setzen sie eigene Akzente. Vereinfacht kann man zwischen jenen Rollendefinitionen unterscheiden, die herausstellen, wie die Bundespräsidenten ihr Amt angesichts der Funktionslogik des parlamentarischen Regierungssystems führen sollten (Westminster-Paradigma) und jenen, die aufzeigen, wie sie ihr Amt führen könnten, um ihrer Rolle im Gefüge sich gegenseitig kontrollierender Verfassungsorgane gerecht zu werden (Gewaltenteilungsparadigma).

Wie das Amt aber tatsächlich ausgeübt wird, und zwar auch in den für die Öffentlichkeit nur schwer einsehbaren Winkeln des Regierungssystems, ist ein bisher erstaunlich selten bearbeitetes Forschungsfeld. Doch solange wir nicht wissen, was die Bundespräsidenten in ihrem Arbeit tatsächlich tun, muss jede Antwort auf die Frage, wozu es sie gibt, lückenhaft ausfallen. Forschungsbedarf besteht vor allem in den folgenden Bereichen:

Außenpolitik: Die völkerrechtliche Vertretung der Bundesrepublik gehört zu den wenigen konkreten, im Grundgesetz genannten Aufgaben des Bundespräsidenten. 60 Prozent seiner Zeit widme er der Außenpolitik, sagte Christian Wulff über seinen Arbeitsalltag als Präsident,6 und man kann annehmen, dass es bei anderen Präsidenten nicht viel weniger war bzw. ist. Doch für was müssen sie ihre Zeit konkret verwenden? Absolvieren sie nur Protokolle oder spielen sie, wenn schon keine eigenständige, so doch eine eigene außenpolitische Rolle im Einvernehmen mit der Bundesregierung? Können die Präsident Aufgaben übernehmen, die ihnen Kanzler und Außenminister aus guten Gründen überlassen?

Verhältnis zu Parlament und Regierung: Wie eng sind die Kontakte zu Parlamentariern, Parteien und Regierungsmitgliedern im Arbeitsalltag der Präsidenten? Treten sie hier wirklich als Ratgeber, Mahner und Ermunterer auf? Und lassen sich Fälle identifizieren, die zeigen, dass die Präsidenten tatsächlich Einfluss auf die Meinungsbildung, vielleicht sogar auf konkrete Entscheidungen von Regierung und Parlament auszuüben vermögen? Entsprechende empirische Erkenntnisse – und eben nicht nur Anekdoten aus der biografischen Literatur – wären deshalb so bedeutsam, weil nur sie Aufschluss darüber geben können, ob die „Auctoritas“ (Eschenburg 1963: 649) oder „Vorbeugemacht“ (Gu 1999) mehr sind als nur gern weitererzählte Legenden der Regierungslehre.

Öffentlichkeitsarbeit und öffentliche Wirkung: Es wäre unrealistisch anzunehmen, die Bundespräsidenten erhielten qua Amt und automatisch große mediale Aufmerksamkeit. Jeder politische Akteur muss sich seine Presse-Artikel und Sendeminuten hart erarbeiten. Über die Praktiken und Kalküle ihrer medialen Inszenierung und Wortpolitik ist indes kaum etwas bekannt. Eine andere Frage ist, wie erfolgreich sie dabei sind. Wolfgang Jäger glaubte zu Beginn der 1990er Jahre noch, die Mediendemokratie werde das öffentliche Gewicht der Bundespräsidenten erhöhen (Jäger 1994: 182), während Hans-Peter Schwarz 18 Jahre später eine „zunehmende Bedeutungslosigkeit“ ausgemacht haben will (Schwarz 2012: 305). Wer recht hat, lässt sich mit Blick auf den Forschungstand nicht sagen. Für eine Bewertung seiner „Repräsentations- und Integrationsfunktion“ wäre es aber durchaus bedeutsam zu wissen, welchen Stellenwert präsidiale Reden in der Medienberichterstattung einnehmen und ob sie bis in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit vordringen.

Profunde empirische Analysen der Amtsführung, insbesondere hinter den medialen und zeremoniellen Kulissen, könnten zudem helfen, dem so emsigen wie auch auf eigentümliche Art ahistorischen Funktionen-Sammeln eine alternative Perspektive auf den Bundespräsidenten entgegenzustellen. Anstatt jenseits seiner verfassungsmäßigen Aufgaben nach „Funktionen“ zu suchen, die ja auch immer ein „Sollen“, wenn nicht gar ein „Müssen“ konstatieren, ließe sich das Amt des Bundespräsidenten dann besser über seine Optionen charakterisieren. Der deutsche Bundespräsident bekleidet ein institutionell schwaches, aber auch überaus unabhängiges Amt, das ihn jenseits seiner notariellen Aufgaben kaum zu etwas verpflichtet (Patzelt 2005). Aber er besitzt je nach historischen Herausforderungen und politischen Kräfteverhältnissen unterschiedliche, auch unterschiedliche große Möglichkeiten einer angemessenen Amtsführung. Auf welche Weise, unter welchen Bedingungen und ob überhaupt sich die Amtsinhaber all den oben genannten Funktionsfragmenten widmen, widmen sollen und können, lässt sich somit weder allein aus dem Verfassungstext noch allein aus der äußeren Anschauung der bisherigen Amtspraxis erschließen. Dazu bedürfte es systematischer empirischer Forschung, die eine Präsidentschaft in ihren jeweiligen politisch-historischen Kontext einordnet.

Literatur

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Zitationshinweis

Grunden, Timo (2014): Wozu ein Bundespräsident? Amt und Amtsführung des deutschen Staatsoberhauptes in der staatswissenschaftlichen Forschung. Erschienen in: Regierungsforschung.de, Politikmanagement und Politikberatung. Online verfügbar unter: http://www.regierungsforschung.de/dx/public/article.html?id=252

Fußnoten / Endnoten

  1. Als da wären: das Recht, den Bundestag einzuberufen (Art. 39 GG); das Vorschlagsrecht zur Wahl des Bundeskanzlers im ersten Wahlgang; das Recht, eine Minderheitsregierung nach dem dritten Wahlgang zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen (Art. 63 GG); das Recht zur Auflösung des Bundestages, wenn eine Vertrauensfrage des Kanzlers scheitert und dieser eine Auflösung vorschlägt bzw. das Recht, die gescheiterte Regierung als Minderheitskabinett im Amt zu lassen (Art. 68 GG); die Erklärung des Gesetzgebungsnotstandes auf Antrag der Bundesregierung und mit Zustimmung des Bundesrates (Art. 81 GG); die Prüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit (Art. 82 GG); das Begnadigungsrecht (Art. 60 GG) und schließlich das Recht zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts bei Organstreitigkeiten (Art. 93 GG). []
  2. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages Nr.1/2 vom 12.09.1949: 9-10, online abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/01/01002.pdf (Stand: 4.10.2013). []
  3. Dazu Pierson (2004: 135): „Junctures are ‘critical’ because they place institutional arrangements on paths or trajectories, which are then very difficult to alter. []
  4. Eine ausführliche und so kritische wie lesenswerte Auseinandersetzung mit dieser Rollendefinition des Bundespräsidenten bei Herzog findest sich bei Robert Chr. van Ooyen (2012). []
  5. Wenn man noch einmal nachliest, was sich Carl Schmitt unter einer Pouvoir Neutre vorstellte, wird klar, warum dieser Diskussion auch etwas Gespenstisches anhaftete: „Die Weimarer Verfassung hat hier den Versuch gemacht, gerade aus demokratischen Prinzipien heraus gegen die Herrschaft von Parlamentskoalitionen und gegen den Pluralismus sozialer und wirtschaftlicher Machtgruppen ein Gegengewicht zu bilden, die Einheit des Volkes als eines politischen Ganzen zu wahren und die verfassungsmäßige Ordnung von einem Missbrauch der Parteien zu schützen“ (Schmitt 1929: 234). []
  6. Vergleiche welt.de vom 11.12.2010. []

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