Agil, vielfältig, innovativ: Fünf Zukunftsimpulse für politische Parteien

Hanno BurmesterParteien bleiben unverzichtbar. In einer zunehmend komplexen und fragmentierten Gesellschaft sind sie wichtig, um Jung und Alt, Arm und Reich, Stadt und Land, Einwohner mit und ohne Migrationshintergrund oder deutsche Staatsbürgerschaft in einem produktiven Miteinander halten zu können.

Die Debatten, die sie unter- und miteinander führen, sind Orientierungspunkte für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Dieser Policy Brief von Hanno Burmester ist die Kurzfassung der Studie „Die Partei 2025: Impulse für  zukunftsfähige politische Parteien“. 

Agil, vielfältig, innovativ

Fünf Zukunftsimpulse für politische Parteien

Autor

Hanno Burmester ist Leiter des  Projekts „Legitimation und Selbstwirksamkeit: Zukunftsimpulse für die Parteiendemokratie“. Er ist Policy Fellow am Progressiven Zentrum und arbeitet als systemischer Organisationsentwickler (www.dasresultat.de). Vor seiner Selbstständigkeit hat er in mehreren bundespolitischen Institutionen und für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gearbeitet.

Parteien bleiben unverzichtbar. In einer zunehmend komplexen und fragmentierten Gesellschaft sind sie wichtig, um Jung und Alt, Arm und Reich, Stadt und Land, Einwohner mit und ohne Migrationshintergrund oder deutsche Staatsbürgerschaft in einem produktiven Miteinander halten zu können. Die Debatten, die sie unter- und miteinander führen, sind Orientierungspunkte für die Entwicklung unserer Gesellschaft.1

Einleitung

Parteien müssen auf der Höhe der Zeit sein, um ihre Aufgaben dauerhaft ausfüllen zu können. Das meint nicht nur eine zeitgemäße Programmatik, sondern auch zeitgemäße organisatorische Strukturen, also Satzungswerke und Gesetzesrahmen, die agile Parteiarbeit ermöglichen und nicht behindern. Dazu kommt die andauernde Weiterentwicklung der (Zusammen-) Arbeit auf Alltagsebene. Der parteiinterne Umgang im Alltag, die Qualität der Zusammenarbeit, die Offenheit für Neue und Neues, die Fähigkeit zur fairen Debatte, sowie die Bereitschaft zur reflektierten Führung sind entscheidend für die Attraktivität von Parteiengagement. VERÄNDERUNG ALS STRATEGISCHES GEBOT Schon der ausschnitthafte Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen der kommenden zehn Jahre zeigt, dass sich der strukturelle Wandel Deutschlands weiter beschleunigen wird. Parteien sind als Organisationen dem

  • demographischen Wandel
  • veränderten Arbeitswelten
  • veränderten Informationsgewohnheiten direkt ausgesetzt.

Ihre Veränderung ist deshalb kein Selbstzweck. Veränderte Parteistrukturen sind Grundvoraussetzung für ihre anhaltende Legitimität als gesellschaftlicher Schlüsselakteur. Eine Partei, die sich verändert, erhöht ihre Chancen auf langfristigen Erfolg und politische Wirksamkeit.

Veränderung braucht engagierte, treibende Führung. Zeitgleich gelingt sie am besten dann, wenn „einfache“ Mitglieder, Funktionäre und Sympathisanten neue Initiativen und Ansätze mitgestalten können. Je früher unterschiedliche Perspektiven in Reformprozesse eingebunden werden, desto eher gibt es eine Aussicht auf erfolgreiche Ergebnisse und eine hohe Akzeptanz neuer Ideen. Ein Schlüssel hierzu sind niedrigschwellige Pilotprojekte. Hier können Ideen für zeitgemäße Parteiarbeit unter direkter Beteiligung entworfen, getestet und verbessert werden, bevor sie als Erfolgsmodell in die Breite der Organisation getragen werden. Intelligente Anreize können helfen, Veränderung zu befördern. Das gilt gerade mit Blick auf die Funktionäre des Mittelbaus. Diese Stützen der Organisation können zu Architekten einer erfolgreichen Zukunft werden, wenn ihnen ein Wandel ihres Selbstverständnisses gelingt. Um dies zu befördern, sollten Parteiführungen Experimentiermut in der Breite der Organisation systematisch belohnen, sei es mit „weichen“ Gratifikationen wie dem öffentlichen Lob durch die Parteivorsitzenden oder durch „harte“ Anreize, wie bspw. die vermehrte Mittelallokation aufgrund eines Innovationsschlüssels.

1. Angebote nach Lebenswelt der Mitglieder ausrichten

These 1: Parteien brauchen programmatische und organisatorische Angebote, die auf die unterschiedlichen Lebenswelten unserer Zeit zugeschnitten sind, anstatt auf ein Angebot für alle zu setzen. Dafür müssen sie mehr über ihre Engagierten wissen, um maßgeschneiderte Angebote machen zu können. Parteien können von anderen Freiwilligen-Organisationen lernen, wie Mitmach-Formate alltagstauglich ausgestaltet werden können.

Richten sich die Mitglieder nach der Organisation – oder richtet sich die Organisation nach ihren Mitgliedern? Parteien müssen hier umdenken. Das eine Angebot für Alle reicht nicht mehr aus, um an die unterschiedlichen Lebenswelten von heute ankoppeln zu können. Unterschiedliche Parteimitglieder haben nicht nur unterschiedliche Motivationen für ihre Parteimitgliedschaft. Sie haben auch äußerst unterschiedliche Qualifikationen und Kompetenzen, Zeitbudgets und Partizipationswünsche. Parteien sollten diese Unterschiedlichkeit als Ressource wahrnehmen und entsprechend ausdifferenzierte Angebote machen, die nicht nur inhaltlich auf die Engagierten abgestimmt sind, sondern vor allem auf deren Zeitbudget und -einteilung.

Traditionelle Mitmach-Formate sind dabei weiter legitim, müssen aber um parallele, gleichwertige Mitmachmöglichkeiten ergänzt werden. Die bisherigen Partizipationsformen in Parteien zeichnen sich durch Regelmäßigkeit, physische Präsenz und Zeitintensität aus. Der Wunsch gerade derjenigen, die wenig Zeit für Parteiengagement aufwenden können oder möchten, ist genau entgegenlaufend: Zeitsouveränität, ortsungebundene Engagementmöglichkeiten und effektive Arbeits- und Debattenabläufe sind hier besonders wichtig.

Parteien sollten sich fragen: wo können wir unsere Prozesse und Handlungsgewohnheiten selbstwirksamkeits- und motivationsfördernder ausgestalten? Dabei sollten sie davon ausgehen, dass ihre Mitglieder und andere Engagementbereite mit ihrem Handeln einen Unterschied machen wollen – und die Strukturen so ausrichten, dass sie diesen Wunsch nach Wirkung grundsätzlich befördern, anstatt ihn zu bremsen.

Vor diesem Hintergrund bietet sich an, im Gespräch mit Vertretern aus anderen gesellschaftlichen Sektoren nach guten Ansätzen zu suchen. Schließlich stehen etablierte Institutionen aller Art, insbesondere Gewerkschaften, Kirchen und Sozialverbände, ähnlichen strukturellen Herausforderungen gegenüber wie die politischen Parteien. NGOs, Sozialverbände und andere probieren seit Jahren neue, alltagstaugliche MitmachFormate aus. Parteien können intensiver von ihnen lernen, als sie es momentan tun. Hierfür brauchen sie strategische Dialogformate auf allen Ebenen. Gerade für das Gespräch mit denjenigen, mit denen das Gespräch sonst eher nicht gepflegt wird.

Lernen von Anderen ist das Eine, das Erweitern des Wissens über die eigene Organisation das Andere. Parteien wissen heute viel zu wenig über ihre aktiven, passiven und ehemaligen Mitglieder, geschweige denn ihre Sympathisanten. Doch die strategische Entwicklung der Mitgliedschaft – und damit der gesamten Organisation – ist schwer möglich, wenn kaum Erkenntnisse über politische Schwerpunktinteressen, Zeitbudgets oder vorhandene Qualifikationen und Kompetenzen vorliegen. Umso wichtiger ist es, das Wissen über aktuell und potenziell Engagierte intelligent und systematisch auszubauen.

Parteien müssen mehr über ihre Engagierten wissen, um bessere Angebote machen zu können.

HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN:

  • Verschiedene Mitgliedschaftsmodelle: Neumitglieder sollten schon bei Eintritt angeben können, wo und wie sie sich schwerpunktmäßig einbringen möchten. Anlass dafür können verschiedene Mitgliedschafts-Optionen sein, die von der inhaltlichen Expertin über aktives Vor-Ort-Engagement bis hin zum Partei-Botschafter in anderen Institutionen reichen. Auch eine explizite Mitgliedschaft als stiller Unterstützer sollte möglich sein, ebenso wie der Wechsel zwischen den MitgliedschaftsOptionen. Spezifische Rollenbeschreibungen, Ansprechpartner und ggf. Fortbildungscurricula tragen dazu bei, dass Partei und Mitglied die jeweilige Option mit Leben füllen.
  • Maßgeschneiderte Mitmachangebote: Zukunftsfähige Parteien schaffen zentrale Koordinierungsstellen für Engagementwillige. Dort erhalten Freiwillige maßgeschneiderte Angebote, die sich nach Zeitbudget, Qualifizierung und Schwerpunktinteresse der jeweiligen Person richten.
  • Thematische Arbeitsgruppen: Wer ortsunabhängig arbeiten möchte, kann als Themen-Mitglied beitreten und sich in landes- oder bundesunmittelbare Arbeitsgruppen einbringen, die schwerpunktmäßig virtuell arbeiten. Diese Arbeitsgruppen sind formal mit den Gliederungen der Partei gleichgestellt und können Delegierte entsenden.
  • Flächendeckende Einführung des Mitgliederprinzips: Das Mitgliederprinzip löst auf Kreisebene flächendeckend das Delegiertenprinzip ab. Das ermöglicht das direktere, häufigere und in der Wirkung unmittelbarer erkennbare Mitmachen für das einzelne Parteimitglied.
  • Freie Wahl von Orts- oder Kreisverband: Vor allem in Ballungsräumen wirkt die nach Wohnort erfolgende Zuteilung in den jeweiligen Orts- oder Kreisverband antiquiert. Parteimitglieder sollten unkomplizierter als heute wählen können, wo sie sich einbringen wollen. So kann das Parteiengagement gerade bei Umzügen in eine und innerhalb einer Stadt verstetigt werden (Taktisch motivierten, kurzfristigen Ummeldungen im Vorfeld von Personalentscheidungen per Direktwahl werden durch fest definierte Wechsel-Moratorien unterbunden). Der damit einhergehende Wettbewerb zwischen den Gliederungen wäre ein Stimulus für die Weiterentwicklung der Partei insgesamt.
  • Effiziente Zeitnutzung: Parteien sollten die Zeit der Engagierten so effizient wie möglich nutzen. Wenn keine physische Präsenz möglich ist, sollte Engagement auch in kleinen Dosierungen und virtuell möglich sein. So können vielbeschäftigte Mitglieder auf einer Zugfahrt eine Kurzrecherche für die Themengruppe erstellen, in der Mittagspause ein paar Nachrichten in der Partei-App lesen oder an Meinungsumfragen oder Abstimmungen teilnehmen. Die
  • Organisationsroutinen kritisch überprüfen: Parteiorganisation sollte alle Strukturen dahingehend überprüfen, dass der Zeitaufwand für Selbstverwaltung der Parteigliederungen so gering wie möglich ist. Aktive Mitglieder wenden häufig viel Zeit für Parteiarbeit auf. Aber rechtfertigt das, was sie tun, diesen Aufwand? Und sind die Dinge, die sie seitens der Organisation tun müssen, wirklich notwendig (bspw. bürokratische Auflagen)? Wer hier mutig den Bestand analysiert, um sich von Verzichtbarem zu entlasten, kann unter Umständen schnell wertvolle Ressourcen freisetzen.
  • Mitgliederdaten intelligent und doch behutsam nutzen: Parteien sollten mehr Informationen über Mitglieder und Sympathisanten sammeln, um die Angebote für Mitglieder zielgenau verbessern zu können (bspw. Daten über Interessen, Qualifikation, Engagement) –  selbstverständlich unter Berücksichtigung berechtigter Datenschutzbedenken.

2. Zukunftsfähigkeit durch Qualifizierung

These 2: Parteien können die Mitgliedschaft zukunftsfest aufwerten, indem sie breite, hochwertige Qualifizierungsangebote machen. Das bringt handfeste Vorteile für jeden Engagierten und stärkt zeitgleich die Lern- und Entwicklungskultur der gesamten Partei

Im Arbeitsmarkt der kommenden Jahrzehnte wird laufende Weiterbildung nach dem Prinzip des „lebenslangen Lernens“ eine immer wichtigere Rolle spielen. Dabei wird sich der Fokus weiter von rein fachlichinhaltlichen Qualifizierungsmaßnahmen entfernen. Entwicklungsorientierte Qualifikationen wie Führungsund Konfliktkompetenz werden zunehmend zum Erfolgsfaktor. Selbstführung und Persönlichkeitsentwicklung werden damit für immer mehr Arbeitnehmer eine zentrale Bedeutung für den Karriereverlauf einnehmen.

Wer seine Mitglieder befähigt, befähigt sich selbst.

Parteien sollten sich diese Entwicklung zunutze machen. Wer seine Mitglieder befähigt, befähigt sich selbst. Parteien können sich als Qualifizierungszentralen positionieren –  im Wissen, dass das vermittelte Know-How nicht nur zum Lebensvorteil für das einzelne Mitglied außerhalb der Parteiorganisation wird, sondern auch die Organisation von der individuellen Lernleistung profitieren wird. Die breitflächige Schulung von Kompetenzen wie Teamführung, Konfliktmoderation oder Projektmanagement stärkt die Partei und wird zeitgleich ein zusätzlicher Anreiz für das Mitmachen. Gerade diejenigen, die am Arbeitsplatz nicht in den Genuss arbeitgeberfinanzierter Fortbildungen kommen, haben so handfeste Vorteile. Fortbildungsprogramme sollten zur Regel für aktive Mitglieder, Hauptamtliche und Mandatsträger werden.

Parteien konzipieren, organisieren und führen ihre Curricula in Zusammenarbeit mit externen Anbietern durch. Dabei gilt: Fortbildung zahlt sich vor allem mittel- und langfristig aus. Deshalb müssen Parteien ihre Fortbildungsstrategie jetzt einleiten. Dabei können sie insbesondere von großen Unternehmen lernen, die Fortbildung von Führungs- und Nachwuchskräften seit Jahren intensiv betreiben.

HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN:

Fortbildung automatisieren: Parteien müssen ihre Funktionäre und Mandatsträger qualifizieren, um besser werden zu können. Anstatt sich darauf zu verlassen, dass die einzelnen Personen sich eigenmotiviert für Fortbildungen anmelden, sollten Parteien diese Anmeldungen automatisieren. Wer Funktionär ist, nimmt automatisch an bestimmten Seminaren teil, hat aber die Möglichkeit, das Curriculum nach eigenen Interessensschwerpunkten zu gestalten.

  • Klar definiertes Qualifikationsniveau für Hauptamtliche: Nur wer einen festgelegten Kanon von Qualifizierungen nachweisen kann – ob außer- oder innerparteilich erworben – wird hauptamtlich eingestellt.
  • Qualifikationsziele für Ehrenamtliche: Auch für Ehrenamtliche können Qualifikationsziele ausgegeben werden – als Ziel für die Organisation, die entsprechende Angebote bereitstellen muss, aber auch als Orientierungsmarke für diejenigen, die sich ehrenamtlich einbringen. Wer aktiv ist, wird kostenfrei fortgebildet,  und wer sich kostenfrei fortbildet, muss aktiv sein. Das quid pro quo setzt zusätzliche Anreize für Engagement.
  • Parteiübergreifende Bildungsabgabe: Gute Qualifizierung kostet, ist aber die beste Investition in eine erfolgreiche Zukunft. Die zukunftsfä- hige Partei verwendet 5% ihrer Einnahmen auf Fortbildungs-Angebote, die jeweils auf die Entwicklungsbedürfnisse von Mitgliedern, Funktionären, Mandatsträgern und Hauptamtlichen abgestimmt sind.
  • Parteiinterne Fortbildungszertifikate: Wer ein fest definiertes Curriculum voll durchläuft, hat die Möglichkeit, ein Ausbildungszertifikat zu erhalten. Das bietet einen Fortbildungs-Anreiz insbesondere für berufstätige Mitglieder, dient aber auch der innerparteilichen Weiterentwicklung.

3. Strategiefähigkeit durch Diversität und Dialog

These 3: Parteien brauchen mehr Vielfalt im Inneren, um nach außen hin an Legitimität zu gewinnen. Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit zum Dialog – auch und gerade mit denjenigen, mit denen Parteien das Gespräch heute nicht oder kaum pflegen.

Vielfalt im Inneren ist Voraussetzung, um kreativ mit neuen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen umgehen zu können. Sie ist die wichtigste Ressource für den Umgang mit komplexen Herausforderungen. Deshalb ist Diversität für Parteien kein Selbstzweck, sondern strategisches Gebot.

Diversität ist kein Selbstzweck, sondern strategisches Gebot.

Vielfalt setzt jedoch, neben der Bereitschaft zur Aufnahme neuer Gesichter, die Bereitschaft voraus, sich selbst zu verändern.2 Die Fähigkeit zur Vielfalt ist gleichbedeutend mit der Fähigkeit zum Dialog. Parteien sollten deshalb regelhafte Dialogformate etablieren, die den Austausch mit Nicht-Mitgliedern verstärken und zu neuen Mitmachangeboten führen. Die Partei, die das ernsthaft angeht, erwirbt sich strategische Vorteile. Der Dialog mit engagierten Nicht-Mitgliedern konfrontiert sie mit gesellschaftlichen Meinungsbildern, die ihren Weg sonst vielleicht nicht bis in die Parteigremien finden würden.

IMPULSE FÜR PRAXISMASSNAHMEN:

  • Strategische Dialoge: Parteien etablieren auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene strategische Dialoge, in denen Parteimitglieder in den themengebundenen Austausch mit ausgewählten Fachexperten, Multiplikatoren, Vertretern von Vorfeldorganisationen usw. treten und gezielt Impulse zu programmatischen oder organisatorischen Fragen suchen. Wichtig dabei: klarer thematischer Fokus, zeitliche Begrenzung, möglichen Impact definieren, Feedback zu Wirksamkeit bereitstellen. Dieses Format intensiviert den Austausch der Partei mit der Organisationsumwelt, erhöht das Themen- und Meinungsgespür der Organisation und vertieft das Netzwerk der Partei systematisch.
  • Intersektorale Dialogformate: Hauptamtliche Vernetzungsbeauftragte intensivieren den dauerhaften Kontakt mit Vertretern anderer Sektoren. Sie organisieren regelmäßige Gesprächsformate, die dem vertieften Austausch dienen. So eröffnen Parteien Kanäle gerade zu denjenigen, mit denen der Austausch sonst nicht die Regel ist. Beispiel: regelmäßige Kamingespräche mit ausgewählten Multiplikatoren aus allen gesellschaftlichen Sektoren zu relevanten Querschnittsthemen
  • Vor-Ort-Initiativen: Thematisch fokussierte, zeitlich begrenzte Vor-Ort-Initiativen bringen Parteien zurück auf die Straße und eröffnen die Chance für begrenztes, niedrigschwelliges Engagement von Nicht-Mitgliedern. Die Partei spielt eine Rolle als kundiger Organisator und Multiplikator, der Menschen vernetzt und zum Engagement befähigt.

4. Innovation braucht Führung

These 4: Zeitgemäße Organisationsstrukturen sind ebenso entscheidend für die Legitimität von Parteien wie ihre zeitgemäße Programmatik. Deshalb muss das Führungspersonal auf allen Parteiebenen die interne Innovation als Kernaufgabe begreifen und als Thema nach vorne tragen.

Eine zukunftsfähige Partei versteht es als Kernaufgabe, parteiinterne Innovation zu befördern und Engagierte zu Innovation zu befähigen. Sie fördert Inkubatoren für gute Ideen und Initiativen, identifiziert erfolgreiche Parteiarbeit zentral und hilft dabei, Erfolgsmodelle systematisch in die Fläche zu übertragen. Sie macht ideenreiche Parteimitglieder und –gliederungen systematisch zum Vorbild für alle Parteimitglieder.

Eine zukunftsfähige Partei begründet Innovationsinkubatoren.

Dabei steht die Parteiführung in besonderer Verantwortung. Eine konstante, positive Führungskommunikation mit Blick auf Veränderungsarbeit ist unabdingbar, um ein förderliches Klima für Innovation herzustellen.

Die Frage, welche Strukturen sowohl den Bedürfnissen der Zeit wie auch der Kultur der eigenen Organisation entsprechen, ist eine strategische. Um so wichtiger ist es, dass Parteiführungen zu dieser (und den vielen programmatischen Fragen) orientierungsstiftende Debatten organisieren. Dafür sind jedoch Formate des Austauschs nötig, die tiefer gehen als die klassische Pro-Contra-Binarität parteiinterner Debatten. Wer ernsthaft an der Meinung der Basis und Engagierter ohne Parteibuch interessiert ist, braucht neuartige Dialogformen, die den tiefen Perspektivaustausch zulassen.

HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN:

  • Veränderungskompetenz auf Führungsebene verankern: Funktionäre und Hauptamtliche ohne Wahlamt tragen Verantwortung für die Entwicklung ihrer Organisation. Entsprechend sollten sie in Fragen der Führung und Selbstführung systematisch qualifiziert werden. Dazu gehört Wissen über Führungskommunikation ebenso wie Steuerungswissen über individuelle und organisationale Dynamiken von Veränderung.
  • Erfolgreiche Innovationsprojekte sammeln und in die Breite tragen: In Parteien fehlt es oft nicht an guten Ideen – sehr wohl aber an der Vernetzung, die nötig ist, um diese Erfolgsbeispiele in die Breite zu tragen. Innovationspools auf Ebene der Landes- und Bundesvorstände sollten Datenbanken zu erfolgreichen Projekten anlegen, Engagierte mit Veränderungsbedarf und –Ideen vernetzen und Treiber bei der Umsetzung von Best Practices in der Fläche sein.
  • Vorbilder stärken: Welche Parteiaktiven werden besonders oft durch die Führung besucht, besonders intensiv gefördert und besonders medienwirksam in der Parteizeitung oder den Social Media Kanälen gefeiert? Wer hier vor allem innovative, experimentierfreudige und heterogene Kandidaten in den Mittelpunkt rückt, schafft Vorbilder. Innerparteiliche Innovationsfreude wird so zum Karrierekatalysator.
  • Innovation als fester Programmteil aller Parteitage: Ist Parteireform eigentlich ein innerparteiliches „Gewinnerthema“? Für die meisten Parteimitglieder nicht. Wenn hochrangig besetzte Diskussionen über beschlossene und notwendige innerparteiliche Innovationsschritte zu festen Bestandteilen aller Parteitage werden, wird das Bewusstsein und die Wertschätzung für das Thema automatisch steigen.
  • Von Anderen lernen: Viele zivilgesellschaftliche Organisationen sind deutlich weiter als Parteien, was Mitgliedermanagement, Mitgliederaktivierung und Mitgliedergewinnung angeht. Parteiführungen sollten den Austausch mit NGO-Vertretern auch mit Blick auf organisationale Themen intensivieren. Politisch sollte die Frage diskutiert werden, ob Parteien mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln professionelles Freiwilligenmanagement leisten können. Hierzu bieten sich Formate wie „Führungskräfte-Austäusche“ an, die das vertiefte Eintauchen in fremde Organisationsstrukturen ermöglichen.

5. Anbindung durch Technologie

Parteien brauchen lebendige digitale Strukturen, um zukunftsfähig zu sein. Nur mit digitaler Infrastruktur wird es ihnen gelingen, den Bezug zur Gesellschaft insgesamt aufrecht zu erhalten.3 Digitale Kanäle sind eine elementare Weiterentwicklung der bisherigen Kommunikations- und Kollaborationsplattformen. Sie sind unabdingbar, um neue zu Potenziale heben und potenzielle Mitglieder zeitgemäß anzusprechen.

Entscheidend für die Akzeptanz von digitalen Elementen ist, dass Engagierte einen konkreten Mehrwert der digitalen Instrumente in der Alltagsarbeit erkennen. Nicht alles, was technisch machbar ist, ist in einer zukünftigen Smart Party auch organisational sinnvoll.

Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch sinnvoll.

Digitale Instrumente dürfen keine künstliche Exklusivität innerhalb der Partei schaffen. Sie sollten erst einmal ergänzend zu, nicht aber als Ersatz für bestehende Parteikommunikation eingesetzt werden. Erst im weiteren Verlauf der Nutzung kann und soll entschieden werden, ob sie die traditionellen Formate gegebenenfalls auch komplett ersetzen. Richtig angewandt können sie Mitgliedern und Interessierten ohne großen Aufwand ein verstärktes Gefühl der Teilhabe und der Information vermitteln und viele der oben genannten Veränderungsansätze begünstigen, da sie den Zugang der Partei zu ihren Mitgliedern und Interessierten deutlich vergrößern.

HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN:

  • Digitale Abstimmungen: Auf Parteitagen und in einzelnen Gliederungen können digitale Abstimmungen eine lebendigere Feedbackkultur schaffen und die Partei wieder stärker in das Bewusstsein der Mitglieder bringen ohne dass diese vor Ort präsent sein müssen. Im Vorfeld von Parteitagen kann z.B. mit „liquiden“ Techniken stärker vorselektiert werden, welche Anträge oder Kandidaten überhaupt erst diskutiert werden.
  • Digitale Pilotprojekte etablieren: Parteien sollten einzelne Organisationseinheiten, in erster Linie Orts- und Kreisgliederungen, als digitale Pilotprojekte aufstellen, die wiederum für andere Untergliederungen als glaubwürdige Referenz dienen. Die Beteiligten vor Ort dienen im Nachgang als glaubwürdige Innovations-Botschafter und -Berater für weitere interessierte Parteifunktionäre. Ein Beispiel sind komplett digital durchführbare Mitgliederbegehren und -entscheide, die bisher noch oft durch die hohen Quoren und das aufwändige Sammeln der Unterschriften erschwert werden.
  • Partei-App: Eine „Partei-App“ sorgt für kompakte und maßgeschneiderte Information (z.B. über Veranstaltungen und Aktivitäten) und ermöglicht das häufige und niedrigschwellige Abfragen eines Stimmungsbilds der Basis. Wichtig dabei: Es sollten rotierende Teilnehmergruppen befragt werden, um das Kapern von Umfragen zu verhindern. Au- ßerdem ist es ratsam Feedback bereitzustellen, ob und inwiefern das Ergebnis der Umfrage die Diskussion der Führung beeinflusst hat.
  • Digitalisierung von Mitgliedermanagement und -kommunikation: Systematisches Sammeln von Informationen über Mitglieder und Sympathisanten unter Berücksichtigung berechtigter Datenschutzbedenken. Big Data-Techniken können dabei helfen, einer Entfremdung von Basis und Parteiführung vorzubeugen, indem sie aufzeigen, wie die Basis denkt und vor allem wie sich diese Meinung entwickelt hat. Datenschutzbedenken sollte durch Freiwilligkeit und/oder anonymisierte Speicherung begegnet werden.
  • Interessenfilter: Thematische und geographische Interessenfilter in allen Formaten der digitalen Kommunikation sorgen dafür, dass Mitglieder nur die Informationen bekommen, die sie auch wirklich interessieren.

Ausblick

Das, was Parteien heute tun, reicht nicht mehr aus, um an die ganze Gesellschaft anschließen zu können. Das ist nicht schlimm, sondern der Normalfall für geschichtsträchtige Organisationen in Zeiten des rapiden gesellschaftlichen und technologischen Wandels. Umso mehr ist es Zeichen der eigenen Souveränität, wenn Parteien eine kritische Bestandsaufnahme wagen und dann konkrete Veränderungsschritte einleiten.

Nur die selbstwirksame Partei ist eine zukunftsfähige Partei.

Parteien können der Gesellschaft auch in Zukunft viel Gutes tun, wenn sie es schaffen, programmatisch wie organisatorisch auf der Höhe der Zeit zu sein. Dafür müssen sie agiler arbeiten und Freude an innerer Vielfalt entwickeln. Engagierte müssen sehen, dass ihr Beitrag einen Unterschied macht. Nur die selbstwirksame Partei ist eine zukunftsfähige Partei.

Parteien sollten keine Angst vor Veränderung haben, sondern darin ihre Chance erkennen. Wer vorangeht in einer Gesellschaft, die vor fundamentalen Veränderungen steht, kann Beispiel sein –  und gewinnt an Legitimation, den gesellschaftlichen Wandel zu gestalten, der auf uns zukommt.

  1. Dieses Papier ist die Kurzfassung der Studie „Die Partei 2025: Impulse für zukunftsfähige politische Parteien“ von Hanno Burmester, Philipp Sälhoff und Marie Wachinger. Sie ist downloadbar unter www.parteireform.org. Im Fokus ist dabei die organisatorische Veränderung von Parteien, nicht hingegen ihre programmatische Entwicklung. []
  2. Vgl. hierzu den Policy Brief „Parteikultur. Ideen für Parteireform abseits von Satzungs- und Gesetzesänderungen“ von Regina Michalik und Hanno Burmester, einsehbar unter www.parteireform.org []
  3. Vgl. hierzu das Discussion Paper „Auf dem Weg zur Smart Party. Digitale Ambitionen von Parteien zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ von Henrik Schober, Jessica Dedic und Philipp Sälhoff, einsehbar unter www. parteireform.org. []

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