Angiesiert – Zur Nähe zwischen Kanzlerin und deutscher Nationalelf

Neben dem Spiel, war auch die Selfie-Quote der Spieler der deutschen Nationalmannschaft beeindruckend. Eine Unmenge an Bildern streuten die frisch gekürten Weltmeister in den vergangenen zwei Tagen in die sozialen Netzwerke.

Zwei Protagonisten waren dabei auszumachen: Der World-Cup und Kanzlerin Angela Merkel. Merkel schien dabei Bundespräsident Joachim Gauck spielend auszustechen, wenn es um den Vorzug bei Ihren „Lieblingsbürgern“ (O-Ton Tom Bartels, ARD, gemeint sind die Nationalspieler) ging.

Merkel schafft es seit der WM 2006 sich als authentischer Edel-Fan der Mannschaft um ihre Lieblinge Schweinsteiger und Podolski zu inszenieren. Gerne wird vom SMS-Kontakt zwischen Ersterem und der Kanzlerin berichtet und betont, dass Merkel es sich im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen erlauben könne diese Nähe zu suchen. Doch wie politisch erscheinen diese Besuche wirklich? Und kann man Merkel für ihre Freude am Sieg der Nationalmannschaft kritisieren? Die Bilder scheinen in diesem Fall nicht zu lügen. Merkels Freude ist echt! Kaum einmal sieht man sie so emotional wie im Stadion und kaum einmal lächelt sie so ungezwungen wie auf den Bildern aus der Kabine. Müssen wir also diese Bilder politisieren? Politisieren sie sich selbst, oder haben sie gar eine spezifische Botschaft?

Viel wurde in den letzten Tagen über genau diese Fragen diskutiert. Die Beobachtungen adressierten dabei leider in erster Linie boulevardeske Bedürfnisse, indem die Wangenküsse, die Schlandtasche und das Dosenbier der Kanzlerin besungen wurden. Doch auch der Mutti-Topos wurde bemüht und Merkel als „Angie“ zum Glücksbringer der Nationalmannschaft stilisiert. Einige Stimmen problematisierten das nicht immer einfache Verhältnis zwischen Staatsoberhaupt und Regierungschefin, die gemeinsam im Flieger nach Rio saßen. Diese in der Tat besondere Situation scheint im Protokoll so nur bedingt vorzukommen.

Fragt man jedoch nach den politischen Implikationen der Merkel-Reise so wird augenblicklich über den Begriff der Authentizität diskutiert. Nicht genug, dass dies ein in Fußballkreisen ohnehin breit polemisiertes Thema ist, welches sich um „Party-Fans“, „echte Liebe“ und Feuilleton-Nerds dreht und, dass Merkels Fußballkenntnisse bisweilen in völliger Unkenntnis Frage gestellt werden. Nein, die Thematisierung der Authentizität wirkt unmittelbar auch auf die politische Figur Merkel. Denn Glaubwürdigkeit ist ein hohes Gut im Kampf um Aufmerksamkeit und Wählerstimmen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine ontologische Eigenschaft – niemand kann einfach authentisch sein. Vielmehr lebt Authentizität von der Fremdzuschreibung, die durch eigenes Handeln sicher beeinflusst, nie aber kontrolliert werden kann. Fraglich ist also nicht unbedingt ob Merkel nun ein authentischer Fan ist – zumindest stellt sich diese Frage weder in politik- noch in kulturwissenschaftlicher Perspektive. Zu fragen wäre nicht, ob Merkel wirklich als Fan des Sports und der Mannschaft, mithin als Privatperson die Nähe zu den Weltmeistern sucht, sondern welche (politische) Symbolik aus dieser Nähe abzuleiten ist. Denn es ist diese Symbolik, die uns zur Analyse offen steht und die in ihrer Performativität eine Bedeutung für den politischen Prozess hat. Angela Merkel hat ihrem symbolischen Profil am Sonntag eine weitere Seite hinzufügen können. Sie ist nun Weltmeister-Kanzlerin, was ihr in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit sicher nicht zum Nachteil gereichen wird.

Natürlich hat die Medaille der Symbolik auch eine zweite Seite: Durch die Nähe der Kanzlerin zum DFB-Team lässt sich nur schwerlich eine Differenz zwischen der Politik der Regierung Merkel und dem deutschen Fußball – repräsentiert durch seine erste Mannschaft – erkennen. Genau hier liegt das Problem eines „unverkrampften“ Umgangs mit nationalen Symbolen: Sie sind eben nicht allein Ausdruck einer Zustimmung zur Mannschaft von Joachim Löw, sondern symbolisieren immer auch eine direkte Zustimmung zu deutscher Politik (so sie nicht gar den Bezug zu ideelen Konzepten wie dem „Volk“ oder dem „Land“ herstellen und somit in deutlich düstere Ecken verweisen). Diese zu kritisieren fällt umgekehrt schwieriger, wenn man sich in ihre Farben kleidet. Damit soll weder einer undifferenzierten „Schland-Kritik“ das Wort geredet, noch das Tragen deutscher Fan-Artikel per se als nationalistisch abgestempelt werden. Vielmehr gilt es die untrennbare Nähe von politischen und sportlichen Spitzenvertretern immer aufs Neue kritisch zu beleuchten. Angela Merkel im Stadion von Rio de Janeiro ist keine Privatperson und somit ist auch ihre Freude nicht (allein) Ausdruck ihrer persönlichen Sympathie für den deutschen Fußball. Umgekehrt können sich auch die Spieler der Nationalmannschaft nicht freimachen von ihrer Nähe zur Kanzlerin. Auch sie sind, selbst in der Situation des größten Triumphes, nicht „nur“ Fußballspieler, sondern stützen mit ihren Kabinen-Selfies die Politik der Regierung Merkel. Dass sich diese Unterstützung auf symbolischer oder in den Worten Ulrich Sarcinellis darstellungspolitischer Ebene vollzieht schmälert die Wirkung dieser Bilder mitnichten. Durch die Verbreitung der Bilder auf allen Kanälen einschließlich der sozialen Medien, haben sie sicher eine größere Reichweite als dies jegliche Sendung des politischen Berlins jemals haben könnte.

Die enge wechselseitige Beziehung aus DFB und Bundesregierung in Person von Angela Merkel in den Blick zu nehmen, heißt sie zu benennen und somit für eine Kritik zu öffnen. Niemand kann Merkel ihren Spaß am Fußball und den Nationalspielern ihren Spaß mit „Angie“ nehmen. Doch müssen sich alle Akteure über die Wirkung gemeinsamer Bilder bewusst sein. Nur auf den folkloristischen Wert der Kanzlerin abzuzielen greift hier leider zu kurz.

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