Auf dem Weg zu „Mitmach-Parteien“? Herausforderungen und Maßstäbe guter Mitgliederbeteiligung


Die direkte Beteiligung von Parteimitgliedern ist derzeit nicht nur rhetorisch en vogue: Viele Parteien haben in den letzten Dekaden ihre Beteiligungsarchitekturen ausgebaut und versprechen die weitere Stärkung des „Mitmach“-Gedankens. Dabei wurden in der Debatte bisher jedoch einige Aspekte nur unzureichend adressiert.

In diesem Papier geben Sven Altenburger, Jessica Dedic und Jan Schoofs Antworten auf die Frage, was die Herausforderungen und die Maßstäbe für gute Mitgliederbeteiligung sind. Das Fazit: Die deutschen Parteien sollten die Möglichkeiten für innerparteiliche Beteiligung weiter ausbauen ohne dabei wesentliche Qualitätsmaßstäbe aus dem Blick zu verlieren, wie sie diese im Folgenden systematisch skizzieren.

Auf dem Weg zu „Mitmach-Parteien“?

Herausforderungen und Maßstäbe guter Mitgliederbeteiligung

Autoren

Sven AltenburgerSven Altenburger ist Project Assistent beim Progressiven Zentrum. Er hat Politikwissenschaft und Geschichte (BA) in Kiel und Kopenhagen sowie Politische Ideengeschichte (MA) in London studiert.

 

 

Jesscica DedicJessica Dedic leitet das Büro für Internationale Angelegenheiten der Landeshauptstadt Düsseldorf und ist als Mitglied im Vorstand der SPD Düsseldorf aktiv. Sie hat einen Master im Fach Konfliktmanagement in den USA abgeschlossen.

 

 

Jan SchoofsJan Schoofs ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der NRW School of Governance (Universität Duisburg-Essen) und forscht zum Themenbereich „Party Change“.

 

 

 

Die direkte Beteiligung von Parteimitgliedern ist derzeit nicht nur rhetorisch en vogue: Viele Parteien haben in den letzten Dekaden ihre Beteiligungsarchitekturen ausgebaut und versprechen die weitere Stärkung des „Mitmach“-Gedankens. Dabei wurden in der Debatte bisher jedoch einige Aspekte nur unzureichend adressiert. In diesem Papier geben wir Antworten auf die Frage, was die Herausforderungen und die Maßstäbe für gute Mitgliederbeteiligung sind. Unser Fazit: Die deutschen Parteien sollten die Möglichkeiten für innerparteiliche Beteiligung weiter ausbauen ohne dabei wesentliche Qualitätsmaßstäbe aus dem Blick zu verlieren, wie wir sie im Folgenden systematisch skizzieren.

Das Leitbild der „Mitmach-Partei“

Der Ruf nach mehr direkter Beteiligung von Parteimitgliedern ist keine leere Worthülse: Tatsächlich haben viele deutsche Parteien in den letzten Dekaden ihre Beteiligungsarchitekturen ausgebaut. Einen besonderen Schwerpunkt der Reformtätigkeiten bildete die Erweiterung direktdemokratischer Beteiligungsformate (z.B. Urwahlen, Mitgliederentscheide, Mitgliederbefragungen). Immer häufiger kommen diese Verfahren auch zur Anwendung; gleichzeitig experimentieren die Parteien intensiv mit alternativen Verfahren der Mitgliederbeteiligung. Dass inzwischen fast alle Parteien „Mitmach-Parteien“ sein wollen und zu diesem Zweck mit ganz verschiedenen Beteiligungsarchitekturen experimentieren, ist im Kontext der Bundestagswahl 2013 deutlich erkennbar geworden.1

Die Vorteile für die mitgliederschwundgeplagten Parteien scheinen auf der Hand zu liegen: Unmittelbare Mitgliederbeteiligung soll vor allem die parteiinternen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesseinklusiver machen, willkürliche Entscheidungen und Machtverhältnisse in Parteien verhindern, die Legitimität und Vertrauenswürdigkeit von Entscheidungen erhöhen und nicht zuletzt auch die Attraktivität auf dem Wähler- und Mitgliedermarkt steigern.2

Auch für das politische System insgesamt werden Demokratisierungseffekte erwartet. Demokratie im Staat entsteht aus dieser Perspektive nicht allein dadurch, dass Parteien den WählerInnen mit klar artikulierten Positionen unterscheidbare Wahl- und Repräsentationsmöglichkeiten bieten – wobei es in diesem outcome-orientierten Verständnis letzten Endes zweitranging ist, wie Parteien zu ihren politischen Positionen gelangen und ihre Funktionsträger auswählen.3 Stattdessen tragen demokratische Prozesse innerhalb von Parteien aus einer input-orientierten Sicht dazu bei, die politische Kultur, Zivilgesellschaft und Legitimität des politischen Systems zu stärken, indem Parteien als „Schulen der Demokratie“ einer Vielzahl von BürgerInnen Möglichkeiten für Engagement und den Erwerb von politischen Kompetenzen bieten.3

Die Debatte um Mitgliederbeteiligung ist insofern eng mit der Vorstellung verbunden, dass die Einbindung von Personen in innerparteiliche Diskussions-, Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse bessere und demokratischere Ergebnisse mit sich bringt. Allerdings gehen mit einer verstärkten Beteiligung von Parteimitgliedern mit Blick auf den Teilnehmerkreis, den Zweck und die Form der Beteiligung verschiedene Herausforderungen einher.

HERAUSFORDERUNG I: WER WIRD BETEILIGT?

Beteiligung steht in einem Spannungsverhältnis zur Repräsentativität von Entscheidungen: Die Ergebnisse von verstärkter innerparteilicher Mitwirkung können dem Anspruch einer repräsentativen Vertretung aller Mitglieder entgegenstehen. Paradoxerweise kann Mitgliederbeteiligung Ungleichgewichte verstärken. Wie die Partizipationsforschung gezeigt hat, nehmen vorrangig Menschen mit hohen zeitlichen, sozialen oder finanziellen Ressourcen Beteiligungsangebote wahr – ein Befund, der auch mit Blick auf innerparteiliche Aktivitäten naheliegt. Selbst wenn eine breite Beteiligung angestrebt wird, können höher gebildete Mitglieder in Diskussions- und Willensbildungsformaten dominieren und damit ihre Interessen zu Lasten der anderen Mitglieder durchsetzen. Umgekehrt ist eine „Tyrannei der Mehrheit“ denkbar, wenn durch Mehrheitsentscheidungen systematisch Minderheitenpositionen nivelliert werden. Eine etwas anders gelagerte Herausforderung ergibt sich aus der Frage, ob und inwiefern Nicht-Mitglieder einbezogen werden sollen. Bei der Nominierung eines Spitzenkandidaten für eine Wahl kann dies aus Sicht der Parteien ein probates Mittel ein, um positive Aufmerksamkeit zu erzeugen und die Basis potenzieller WählerInnen zu verbreitern. Allerdings können dann Personen, die nicht zwangsläufig mit den politischen Werten der Partei übereinstimmen, Einfluss ausüben. Eine gleichberechtigte Teilhabe stellt darüber hinaus den Wert der Parteimitgliedschaft und damit den Grundpfeiler der Mitgliederparteien infrage.4

HERAUSFORDERUNG II: WARUM WERDEN PARTEIMITGLIEDER BETEILIGT?

Mitgliederbeteiligung zielt darauf ab, ein Meinungsbild über einen Sachverhalt einzuholen oder eine verbindliche Entscheidung zu treffen. Ihre Gegenstände sind typischerweise Personal- (Auswahl von Kandidaten für Wahlen, Wahl von Parteivorsitzenden und -funktionären), Programm- (Wahlprogramme, umstrittene inhaltliche Positionen) oder Koalitionsentscheidungen.5 Doch solche Sachfragen sind immer auch Machtfragen. Mitgliederbeteiligung ist nicht herrschaftsfrei, denn sie verändert und schafft Machtpotenziale. Dies gilt in erster Linie für diejenigen, die über ihren Einsatz und ihre konkrete Ausgestaltung entscheiden. Als Machtinstrument können Mitgliederbefragungen dazu dienen, bereits gefestigte Positionen zu legitimieren. Öffentlich verkündete Wahlempfehlungen (z.B. verbunden mit der Androhung eines Rücktritts) hebeln die Unbefangenheit der Entscheidung tendenziell aus.(( Vgl. Smith 2009, S. 111-133.)) Arbeitsgruppen lassen sich gezielt einsetzen, um unliebsame innerparteiliche Diskussionen zu steuern.

HERAUSFORDERUNG III: WIE WERDEN PARTEIMITGLIEDER BETEILIGT?

Die Bandbreite der verschiedenen Beteiligungsverfahren ist groß. Systematisch lassen sie sich zu zwei Modi verdichten: Teilhabe und Selbstbestimmung.(([1] In der Parteienforschung wird systematisch zwischen konsultativen und verbindlichen Beteiligungsverfahren unterschieden; vgl. hierzu Bukow, Sebastian/Poguntke, Thomas (2013): Innerparteiliche Organisation und Willensbildung, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 179-209.)) Teilhabe wird in Form von Informations-, Beratungs-, und Mitwirkungsmöglichkeiten realisiert. Beispiele sind thematische Arbeitsgruppen, Programmkonferenzen oder Mitgliederbefragungen. Sofern Entscheidungen getroffen werden, sind diese für die Gesamtpartei bzw. für die Parteiführung formal nicht bindend. Kennzeichnend ist demnach ein konsultativer Charakter der Beteiligung, dem dennoch eine hohe faktische Verbindlichkeit zukommen kann. Mitgliederbeteiligung als Selbstbestimmung kennzeichnet demgegenüber die Aufhebung der Entscheidungsvollmacht der Parteiführung bzw. Parteifunktionäre. Entscheidungen sind autoritativ, wie etwa im Falle von Urwahlen, inhaltlichen Mitgliederentscheiden und Abstimmungen. Die Entscheidungen der Mitglieder in solchen Verfahren sind bindend. Auch jenseits des formalen Verbindlichkeitsgrades haben die Wahl des Verfahrens und dessen organisatorische Ausgestaltung weitreichende Implikationen. Mitgliederbefragungen erlauben beispielsweise im Regelfall nur eine Ja-Nein-Entscheidung, während Programmkonferenzenund Arbeitsgruppen mit ihrer größeren Interaktionstiefe den Diskurs ermöglichen. Im Gegenzug ist der Teilnehmerkreis in letzteren begrenzt und verlangt ein hohes persönliches Engagement. Verschiedene Mitgliederbeteiligungsverfahren weisen spezifische Leistungsprofile und Zielkonflikte auf.

In der Gesamtschau stehen der Euphorie um das „Mitmachen“ also durchaus kritische Fragen gegenüber: Was sind die konkreten Ziele, die mit verstärkter Beteiligung erreicht werden sollen? Kann Beteiligung so gestaltet werden, dass ein gehaltvoller Austausch zwischen Parteibasis und Parteieliten entsteht? Wer soll beteiligt werden – alle Parteimitglieder oder doch lieber die Experten zu einem Thema? Kurzum: Was zeichnet eigentlich gute Mitgliederbeteiligung in Parteien aus? Vor dem Hintergrund dieser Fragen entwickeln wir im Folgenden sieben basale Qualitätsmaßstäbe, denen gute Mitgliederbeteiligung aus unserer Sicht genügen muss.6 Wir schließen mit einem kurzen Fazit in Form von Handlungsempfehlungen.

Maßstäbe guter Mitgliederbeteiligung

1. GUTE MITGLIEDERBETEILIGUNG SETZT ZUGÄNGLICHKEIT VORAUS

Mitgliederbeteiligung ist im Idealfall breit angelegt. Prinzipiell sollten alle Mitglieder einer Partei die Möglichkeit haben, sich in ein konkretes Beteiligungsverfahren einzubringen. Beispielsweise müssen bei Urwahlen alle stimmberechtigten Mitglieder auch tatsächlich abstimmen können. Online-Verfahren sind grundsätzlich ein geeignetes Instrument, um eine umfassende Mitgliederbeteiligung zu ermöglichen, schließen angesichts der „digitalen Spaltung“7 allerdings bestimmte Mitglieder potenziell aus. Ist der Teilnehmerkreis notwendigerweise begrenzt, wie im Falle von Arbeitsgruppen, dann sollte zumindest jedes interessierte Parteimitglied die Chance haben, sich einzubringen. Losverfahren sind eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen. Alternativ sind die Kriterien, die bei der Auswahl von Teilnehmern zugrunde gelegt werden (beispielsweise der Status als Experte oder Vertreter einer innerparteilichen Gruppe) zu begründen. Zugänglichkeit herzustellen bedeutet nicht zuletzt, die individuellen Lebenslagen der Mitglieder zu berücksichtigen. Finden Programmkonferenzen während der Kernarbeitszeit statt? Ist für eine Kinderbetreuung auf Parteitagen gesorgt? Gibt es Fahrdienste für nicht-mobile Mitglieder? Werden Reisekosten, die im Rahmen des Engagements anfallen, erstattet? Dies sind wichtige Fragen, um ein tatsächliches Mitmachen der Parteimitglieder zu ermöglichen.

2. GUTE MITGLIEDERBETEILIGUNG IST SENSIBEL FÜR REPRÄSENTATIVITÄT

Wird eine Repräsentativität angestrebt, um die Pluralität der Ansichten und sozio-demografischen Merkmale von Mitgliedern sowie insbesondere Minderheiteninteressen zu berücksichtigen, bedarf es sorgfältig ausgewählter institutioneller Arrangements, die Selektionsmechanismen etablieren. Eine Möglichkeit hierfür können Quoten für Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen sein. Losverfahren in Kombination mit repräsentativem sampling stellen eine weitere Möglichkeit dar, um heterogene Mitglieder für Beteiligungsverfahren auszuwählen. Schließlich kann dieses Ziel auch erreicht werden, indem Personen in Führungspositionen Mitglieder für die Teilnahme an Beteiligungsverfahren ernennen. Während ein solcher Prozess zwar anti-demokratische Züge trägt (durch Eliten gesteuerte Selektion), so kann er doch inklusiv-demokratische Ergebnisse hervorbringen. Die direkte, personalisierte Einladung zu Beteiligungsverfahren stellt zudem ein wichtiges Motivationsmoment dar, welches potenziell auch soziale Ungleichheiten bei Beteiligung verringern kann.8

3. GUTE MITGLIEDERBETEILIGUNG ERFORDERT EGALITÄT DER TEILNEHMER

Alle Beteiligten müssen über dieselben formalen Mitwirkungs- und Einflussmöglichkeiten verfügen. Darü ber hinaus müssen die Teilnehmer in die Lage versetzt werden, tatsächlich gleichberechtigt mitzuwirken. Aus diesem Grund sind Macht- und Ressourcenungleichgewichte, die zwischen Funktionsträgern und Mitgliedern ohne Mandat auftreten können, soweit wie möglich auszugleichen. Dieses Kriterium gewinnt insbesondere in heterogenen Formaten, die auf eine gewisse Reprä- sentativität der Teilnehmenden abzielen, an Relevanz. Eine solche Egalität ist nicht mit Gleichheit (im Sinne von Homogenität) der Teilnehmer zu verwechseln.

4. GUTE MITGLIEDERBETEILIGUNG BRAUCHT KLARE REGELN

Prozesssicherheit im Sinne verlässlicher Verfahrensund Entscheidungsregeln ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal guter Mitgliederbeteiligung. Im besten Falle sind verschiedene Beteiligungsverfahren in der Satzung einer Partei eindeutig und nachvollziehbar geregelt. Wer darüber entscheidet, in welchen Situationen welches Beteiligungsformat Anwendung findet, ist eine Schlüsselfrage: Entscheidet die Parteiführung nach Gutdünken über ihren Einsatz, so läuft Mitgliederbeteiligung Gefahr, zu einem bloßen Machtinstrument zu werden. Nimmt eine Partei Mitgliederbeteiligung hingegen ernst, kodifiziert und institutionalisiert sie diese und schafft angemessene Quoren für ihre Initiierung. Auch die Durchführung verlangt ein Mindestmaß an Regelung, etwa mit Blick auf Fristen bei Mitgliederentscheiden. Schließlich muss zu Beginn festgelegt werden, welche Entscheidungen die Beteiligten überhaupt treffen können (bzw. dürfen), auf welche Art und Weise Beschlüsse gefasst werden (einstimmig, per Mehrheit etc.), welchen Verbindlichkeitsgrad die Entscheidungen haben (konsultativ oder verbindlich) und wie diese in die innerparteiliche Willensbildung und Entscheidungsfindung einfließen.

5. GUTE MITGLIEDERBETEILIGUNG VERLANGT INFORMATION, TRANSPARENZ UND DOKUMENTATION

Nachvollziehbarkeit bezieht sich nicht allein auf die statuarische Regelung von Mitgliederbeteiligungsverfahren, sondern auch auf deren praktische Durchführung. Parteien haben eine kommunikative Bringschuld – sie müssen Erwartungsmanagement betreiben (Offenlegung der Ziele und Grenzen) und Feedback-Zyklen etablieren (Bereitstellung von Informationen über Verlauf und Ergebnisse). Mit Blick auf den Prozess muss ersichtlich sein, welcher Teilnehmerkreis wann was entschieden hat und welchen Einfluss die Beteiligung auf eine Entscheidung hatte. Innerparteiliche Öffentlichkeit kann auf unterschiedliche Art und Weise hergestellt werden, z.B. mithilfe von Pressemitteilungen, Newslettern, Online-Angeboten, Live-Streams, etc. Allerdings gilt es zwischen dem Transparenzanspruch und dem Vertraulichkeitsgebot abzuwägen – eine „völlige Transparenz“ kann einer vertraulichen Kooperation abträglich sein und so dysfunktionale Folgen zeitigen.

6. GUTE MITGLIEDERBETEILIGUNG GEHT MIT ANERKENNUNG EINHER

Parteimitglieder wenden ihre Zeit, ihre Energie und nicht selten auch ihre finanziellen Mittel auf, um sich in den Dienst ihrer Partei zu stellen. Ihr persönliches Engagement sollte eine entsprechend sichtbare Würdigung finden. Wichtiger als materielle Anreize (Vergünstigungen, Prämien) erscheinen vor allem immaterielle Formen der Anerkennung wie Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften, die formale Anerkennung von erworbenen Qualifikationen (Zertifikate) und nicht zuletzt eine kommunikative Wertschätzung.

7. GUTE MITGLIEDERBETEILIGUNG BEANSPRUCHT RESSOURCEN

Eines sollte deutlich geworden sein: Gute Mitgliederbeteiligung gibt es nicht zum Nulltarif. Die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Mitgliederbeteiligung kostet Zeit, Geld und Arbeitskraft. Parteien müssen bereit sein, entsprechende Ressourcen in die Hand zu nehmen. Der SPD-Mitgliederentscheid über die dritte Große Koalition schlug mit knapp 1,6 Millionen Euro zu Buche.9 Das mag eine Ausnahme sein, doch auch kleinere Beteiligungsformate verursachen Kosten. Hierzu zählt insbesondere der Einsatz von qualifiziertem Personal, das konkrete Beteiligungsverfahren betreut. Gute Mitgliederbeteiligung zeichnet sich nicht zuletzt durch eine systematische Nachbereitung aus: Professionelle Evaluationen sind in dieser Hinsicht ein wichtiges Instrument, damit sich Lerneffekte in Parteien systematisch einstellen.

Potenziale direkter Mitgliederbeteiligung

Die stärkere unmittelbare Einbindung von Mitgliedern in Prozesse der innerparteilichen Willensbildung und Entscheidungsfindung ist trotz der von uns skizzierten Herausforderungen eine Chance für die deutsche Parteiendemokratie. Wie können Parteien die vielfältigen Potenziale heben? Aus unseren Überlegungen folgen vier wesentliche Empfehlungen.

1. BETEILIGUNGSARCHITEKTUREN AUSBAUEN UND DIVERSIFIZIEREN

Die deutschen Parteien haben ihre Beteiligungsarchitekturen in den vergangenen Dekaden ausgebaut. Allen Unkenrufen zum Trotz befinden Sie sich auf einem guten Weg. Dies gilt umso mehr, wenn man in Rechnung stellt, dass es sich um sogenannte „lose verkoppelte Anarchien“10 handelt, das heißt um hoch komplexe, demokratisch verfasste und insofern nur begrenzt steuerbare Großorganisationen. Wandel braucht deshalb Zeit. Angesichts des permanenten gesellschaftlichen Wandels werden die Parteien gleichwohl weiterhin mit sich verändernden Erwartungen konfrontiert sein. Wenn sie ihre privilegierte Stellung im politischen System sichern wollen, müssen sie also auch in Zukunft auf diese Entwicklungen reagieren. Kurz- und mittelfristig bedeutet das in erster Linie, die Beteiligungsarchitekturen kontinuierlich zu erweitern. Gleichzeitig stellt sich die Aufgabe, die Beteiligungsangebote zu diversifizieren, um heterogene Beteiligungswünsche – ob von dauerpartizipierenden, punktuell aktiven oder projektorientierten Mitgliedern zu befriedigen.

2. MIT BETEILIGUNGSVERFAHREN EXPERIMENTIEREN UND AUS ERFAHRUNGEN LERNEN

Die Anwendung neuer Beteiligungsverfahren muss von Parteien und ihren Mitgliedern erlernt werden. Ihre Verstetigung benötigt Zeit und Erfahrung. Dazu gehört das Experimentieren mit verschiedenen Formaten. Beispielsweise kann bei inhaltlichen Abstimmungen die simple Ja-Nein-Dichotomie und der inflexible und üblicherweise unwiderrufliche Charakter der Abstimmungen entgegengewirkt werden: Neben der Aufführung von mehr als zwei Abstimmungsmöglichkeiten lassen sich Abstimmungen mit Diskussionen verknüpfen, etwa indem nach einer ersten Abstimmung ein institutionalisierter, innerparteilicher Diskussionsprozess stattfindet und anschließend eine zweite ratifizierende Abstimmung erfolgt. Nicht jede Erfahrung wird gut sein: Urwahlen können innerparteiliche Flügelkämpfe befeuern, Mitglieder können von den Wirkungen ihres Engagements enttäuscht sein. Parteien tun insofern gut daran, eine gewisse Toleranz gegenüber dem Schei  tern zu entwickeln und aus ihren (Miss-)Erfolgen zu ler  nen. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf die Erfahrun -gen, die andere Parteien – sei es im Bund, den Ländern oder im Ausland – gesammelt haben.

3. BETEILIGUNGSARCHITEKTUREN PARTEISPEZIFISCH ENTWICKELN

Angesichts verschiedener historischer Prägungen, struktureller Voraussetzungen, kultureller Traditionslinien und normativer Mitgliedererwartungen wird jede Partei ihre jeweils eigene Beteiligungsarchitektur entwickeln müssen. Pfadabhängigkeiten lassen sich nicht ohne weiteres überwinden. Trotz allgemeiner und par – teiübergreifender Trends (insbesondere Ausbau direkt- demokratischer und diskursiver Verfahren sowie Digitalisierung) wird Mitgliederbeteiligung bei den Grünen wohl auch in absehbarer Zeit anders aussehen als in der CSU. Eine universelle Patentlösung gibt es also nicht.

4. QUALITÄTSSICHERUNG BETREIBEN

Ganz unabhängig vom konkreten Verfahren ist Qualitätssicherung vor, während und nach einem konkreten Beteiligungsverfahren essenziell: Gute Mitgliederbeteiligung setzt Zugänglichkeit voraus, ist sensibel für Repräsentativität, erfordert Egalität der Teilnehmer, braucht klare Regeln, verlangt Information, Transparenz und Dokumentation, geht mit Anerkennung einher und beansprucht Ressourcen. Parteien sollten diese Maßstäbe als Grundlage für ihre künftige Beteiligungsarbeit nutzen. Denn durch sie wird gewährleistet, dass das geflügelte Wort vom „Mit – machen“ nicht nur zeitgenössischer Trend oder Lippenbekenntnis ist, sondern einen wirklichen Wandel der innerparteilichen Willensbildungs- und Entscheidungsstrukturen zu Gunsten der Parteimitglieder und damit einhergehend eine Erhöhung der Dynamik und Attraktivität von Parteien nach außen repräsentiert.

 

  1. Siehe beispielsweise die Übersicht bei Jun, Uwe (2009): Organisationsreformen der Mitgliederparteien ohne durchschlagenden Erfolg: Die innerparteilichen Veränderungen von CDU und SPD seit den 1990er Jahren, in: Jun, Uwe/Niedermayer, Oskar/Wiesendahl, Elmar (Hrsg.): Zukunft der Mitgliederparteien, Opladen, S. 187-210. Für Anwendungen von Urwahlen in den Landesparteien siehe Detterbeck, Klaus (2013): The Rare Event of Choice. Party Primaries in German Land Parties, in: German Politics 22 (3), S. 270-287. Für den Kontext der Bundestagswahl 2013 vgl. die Studie von Korte, Karl-Rudolf/Schoofs, Jan (2013): Wahlprogramme als Gegenstand innerparteilicher Demokratie im Bundestagswahlkampf 2013. Beteiligungsarchitekturen im Vergleich. Kurzstudie der Forschungsgruppe Regieren, in: www.regierungsforschung.de vom 31.07.2013 sowie den Beitrag von Träger, Hendrik (2015): Innerparteiliche Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zur Bundestagswahl 2013: Eine Urwahl, zwei Mitgliederentscheide und neue Verfahren der Wahlprogrammerarbeitung, in: Korte, Karl-Rudolf (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2013. Analysen der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung, Wiesbaden, S. 269- 289. []
  2. Vgl. Rahat, Gideon et al. (2008): Democracy and Political Parties: On the Uneasy Relationships between Participation, Competition and Representation, In: Party Politics 14, S. 663-683. []
  3. Vgl. Putnam, Robert (2001): Bowling Alone. The Collapse and Revival of American Community, New York. []
  4. Der Beteiligung von Nicht-Mitgliedern sind entsprechende rechtliche Grenzen gesetzt. Vgl. hierzu ausführlich Bäcker, Alexandra (2011): Dritte im Bunde: Zur Beteiligung von Nichtmitgliedern in politischen Parteien, In: Recht und Politik 3/2011, S. 151-159. []
  5.  Vgl. Scarrow, Susan (2005): Implementing Intra-Party Democracy, National Democratic Institute: Political Parties and Democracy in Theoretical and Practical Perspectives, Washington D.C., S. 7, online unter: http://www. polsci.uh.edu/faculty/scarrow/research/1951_polpart_scarrow_110105.pdf (17.07.2015). []
  6. Wir stützen uns hierbei auf die Vorschläge von Hebestreit, Ray (2013): Partizipation in der Wissensgesellschaft. Funktion und Bedeutung diskursiver Beteiligungsverfahren, Wiesbaden, S. 75-86 sowie von MeinholdHenschel, Sigrid (2007): Qualitätsanforderungen an Beteiligungsvorhaben, in: Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.), Kinder- und Jugendbeteiligung in Deutschland: Entwicklungsstand und Handlungsansätze, Gütersloh, S. 221- 246. []
  7. Wir stützen uns hierbei auf die Vorschläge von Hebestreit, Ray (2013): Partizipation in der Wissensgesellschaft. Funktion und Bedeutung diskursiver Beteiligungsverfahren, Wiesbaden, S. 75-86 sowie von MeinholdHenschel, Sigrid (2007): Qualitätsanforderungen an Beteiligungsvorhaben, in: Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.), Kinder- und Jugendbeteiligung in Deutschland: Entwicklungsstand und Handlungsansätze, Gütersloh, S. 221- 246. []
  8. Vgl. Smith 2009, S. 165-167. []
  9. Siehe hierzu http://www.sueddeutsche.de/politik/mitgliederentscheidzum-koalitionsvertrag-sensible-fracht-fuer-die-spd-1.1840792. []
  10. Vgl. für diesen Befund exemplarisch Wiesendahl, Elmar (1998): Parteien in Perspektive. Theoretische Ansichten der Organisationswirklichkeit politischer Parteien, Opladen. []

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