Der Kandidaten-Faktor: Eine übermächtige Kanzlerin?

Online-Wahlhilfen wie der Bundeswahlkompass 2017 stellen nicht nur eine Unterstützung für den unentschlossenen Wähler dar, auch für die Forschung liefern sie wichtige Erkenntnisse. Für die Wahlentscheidung der Wähler spielt beispielsweise die Bewertung des Spitzenpersonals eine wichtige Rolle. Wem trauen die Wähler die Kanzlerschaft zu? Und welchen Einfluss haben dabei große politische Umbrüche wie die Flüchtlingsdebatte in der vergangenen Legislaturperiode?

Jan Philipp Thomeczek hat in seinem Beitrag Erkenntnisse für die Bundestagswahl aus Daten der Online-Wahlhilfe ausgewertet und zusammengefasst. Anhand der Ergebnisse aus der Kandidatenbewertung des Zusatzfragebogens verdeutlicht er, warum Bundeskanzlerin Angela Merkel einen großen Vertrauensvorsprung gegenüber ihrem Gegenkandidaten Martin Schulz genießt.

Der Kandidaten-Faktor:

Eine übermächtige Kanzlerin?

Autor

Jan Philipp Thomeczek ist Promovierender an der NRW School of Governance und ehemaliger Stipendiat der Mercator Stiftung. Er ist Projektleiter des Bundeswahlkompasses 2017 bei Kieskompas BV.

Parteien stehen für Inhalte, doch die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten müssen diese transportieren. Von besonderer Bedeutung ist daher die „K-Frage“: Wem trauen die Parteien das Kanzleramt zu? Nach intensiver Überlegung hat sich Angela Merkel bekanntlich dazu entschieden, für eine vierte Amtszeit zu kandidieren. Die SPD setzt ihre Hoffnungen auf den profilierten Europapolitiker Martin Schulz.

Für die Wahlentscheidung der Wählerinnen und Wähler spielt die Bewertung des Spitzenpersonals eine wichtige Rolle. Ein populärer Kandidat wie Christian Lindner kann eine entscheidende Überzeugungshilfe sein, wie die Landtagswahl 2017 in Nordrhein-Westfalen gezeigt hat. Im Vordergrund steht dabei die Frage: Wem trauen die Wählerinnen und Wähler die Kanzlerschaft zu? Und welchen Einfluss haben dabei große politische Umbrüche wie die Flüchtlingsdebatte in der vergangenen Legislaturperiode?

Diese Fragestellungen können mit Hilfe der Daten aus der Online-Wahlhilfe Bundeswahlkompass 2017 beantwortet werden, da die Kandidatenbewertung Teil eines Zusatzfragebogens ist. Dabei handelt es sich um ein wissenschaftliches Projekt, das von einem renommierten Forscherteam der Universität Duisburg-Essen, der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, der Universität Trier und der Universität Bamberg entwickelt wurde. Der folgende Beitrag basiert auf den Daten der ersten 800 Nutzerinnen und Nutzer, die den Zusatzfragebogen ausgefüllt haben.

Kompetenz-Vorsprung von Merkel gegenüber Schulz groß

Abbildung 1 zeigt den Verlauf von vier Kurven: die Bewertung von Kompetenz (dunkelblau und dunkelrot) und Sympathie (hellblau und hellrot) für Angela Merkel und Martin Schulz. Für diese Einschätzung stehen den Nutzerinnen und Nutzern zehnstufige Skalen zur Verfügung, wobei 0 für die schlechteste und 10 für die beste Bewertung steht. In der Abbildung sind jeweils die Mittelwerte in Abhängigkeit von der Links-Rechts-Selbsteinstufung angegeben. Dazu werden die Befragten um eine Positionierung auf einer Skala von 0 bis 10 gebeten, wobei die beiden Pole für links (0) und rechts (10) stehen. Mit den Werten dazwischen können Abstufungen vorgenommen werden, so dass bspw. ein Wert von 4 für eine klassische „Mitte-Links“- und 6 für eine „Mitte-Rechts“-Position steht. Die Abbildung zeigt die Mittelwerte für diese verschiedenen Untergruppen der Links-Rechts-Selbsteinstufung an. Somit lassen sich Aussagen dazu treffen, wie gut oder schlecht Angela Merkel und Martin Schulz von verschiedenen politischen Lagern bewertet wurden.

Abbildung 1: Bewertung der Kompetenz und Sympathie von Angela Merkel und Martin Schulz in Abhängigkeit von der Links-Rechts-Selbsteinstufung

Die dunkleren Linien repräsentieren jeweils die Sympathie, die helleren stehen für die bewertete Kompetenz von Merkel und Schulz. Angela Merkel wird von den Befragten durchschnittlich mehr Kompetenz als Sympathie zugeschrieben, da die dunkelblaue Linie stets oberhalb der hellblauen liegt. Dies gilt insgesamt auch für Martin Schulz, wobei hier beide Kurven enger beieinanderliegen. Lediglich in den Untergruppen der Skalenwerte 8 bis 10, die für starke bis sehr starke rechte Einstufungen stehen, wird Schulz mehr Sympathie als Kompetenz zugeschrieben, wenn auch auf sehr geringem Niveau. Das ändert sich jedoch, wenn man den Verlauf der Bewertungen zwischen Merkel und Schulz vergleicht. Im Vergleich zeigt sich, dass Schulz lediglich im linken Lager (Skalenwerte 0-3) sympathischer als Merkel bewertet wird. Für alle anderen, die sich ideologisch zwischen 4 und 10 selbst positionieren, gilt Angela Merkel als die im Vergleich sympathischere Kandidatin.

Merkels Unterstützung links der Mitte

Bemerkenswerter ist jedoch Merkels großer Vorsprung gegenüber Martin Schulz bezüglich der Kompetenzbewertung. Sogar im linken Spektrum wird ihr mehr Kompetenz zugeschrieben als Schulz. Lediglich in den Untergruppen der Selbsteinstufung 1 bis 3 wird Martin Schulz als etwas kompetenter eingeschätzt, doch auch hier sind die Abstände gering. Den höchsten Durchschnittswert von allen Untergruppen hat Angela Merkel gar bei der klassischen „Mitte-Links“-Wählerschaft (Skalenwert 4). Das ist erstaunlich, handelt es sich hierbei doch um die Wählerschaft, die von der SPD ganz besonders stark umworben wird. Der öffentliche Beifall, den Angela Merkel aus dem eher linken Spektrum für ihr Handeln in der Flüchtlingskrise erhalten hat, spiegelt sich hier wider. Die Wählerinnen und Wähler halten offensichtlich viel von Angela Merkel, wohingegen Schulz schon bei der ideologischen Mitte auf eine Kompetenz-Bewertung von unter 5 abrutscht – also dort, wo sich die allermeisten Wählerinnen und Wähler selbst verorten.

Doch die Beliebtheit links der Mitte hat für Angela Merkel einen Preis: Ab einer Links-Rechts-Selbsteinstufung von 7 sinkt die Bewertung von Merkels Kompetenz deutlich ab. Zwar hat sie hier in beiden Bewertungs-Dimensionen stets einen Vorsprung vor Schulz, allerdings liegt die durchschnittliche Kompetenzbewertung ab einer Selbsteinstufung von 7 schon unterhalb von 5. Insgesamt erhält Merkel durchschnittliche Kompetenz-Bewertungen von über 5 im Links-Rechts-Spektrum von 1 bis 7, Schulz jedoch nur 1 bis 4. Anders ausgedrückt: Während Angela Merkel auch außerhalb ihres politischen Lagers gute Kompetenzwerte erhält, kann Schulz nicht bis zur Mitte (Skalenwert 5) durchdringen und hat Probleme, sich in seinem eigenen Lager gegen Angela Merkel zu behaupten.

Fazit

Trotz der großen Lager-Unterschiede ist erkennbar, welchen großen Vertrauensvorsprung Angela Merkel in weiten Teilen der Wählerschaft vor Martin Schulz hat. Schulz ist sicherlich kein schlechter Herausforderer, tritt jedoch gegen eine äußerst starke Kanzlerin an. Die Erosion der deutschen Parteienlandschaft hat deutliche Spuren hinterlassen. Die Frage, inwiefern Angela Merkel die Union programmatisch “sozialdemokratisiert” hat, kann hier nicht beantwortet werden. Erstaunlich ist jedoch, dass sie weite Teile der „linken“ Wählerschaft erreichen kann – Wähler, die eigentlich für SPD, Linke oder Grüne stimmen würden. Angela Merkel nimmt dadurch jedoch in Kauf, dass sie die Kernwähler der Union, die sich rechts der Mitte verorten, zunehmend von sich und damit ihrer Partei entfremdet. Martin Schulz gelingt es hingegen nicht, die Wählerinnen und Wähler links der Mitte von sich überzeugen.

Zitationshinweis

Thomeczek, Jan Philipp (2017): Der Kandidaten-Faktor: Eine übermächtige Kanzlerin?, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de, Online verfügbar unter: https://regierungsforschung.de/der-kandidaten-faktor-eine-uebermaechtige-kanzlerin/

Teile diesen Inhalt:

Artikel kommentieren

* Pflichtfeld