Die Macht der Meinungsforschung

Dass sich Regierungshandeln in postdemokratischen Gesellschaften zunehmend am Output orientiert ist, zeigt sich auch in den Regierungsjahren Angela Merkels. So stützt sie ihre Politik in gesteigertem Maße auf Meinungsumfragen, die vom Bundespresseamt in Auftrag gegeben werden. Nun liegen dem Spiegel diese mehr als 600 Umfragen aus der vergangenen Legislaturperiode vor. Die Bundesregierung war nach einer Klage des Grünen-Politikers Malte Spitz, der die Informationen an den Spiegel weiterreichte, zur Herausgabe der Daten gezwungen worden.

In einer Übersicht, die Spitz in seinem Blog online stellte, ist die Bandbreite der Themen zu sehen, nach denen sich die Bundesregierung erkundigte. Neben selbstreferentiellen Abfragen des eigenen Regierungshandelns, wurde vor allem die großen, richtungsweisenden Fragen nach Finanz- und Steuerpolitik, Integration und Zuwanderung sowie kulturelle Identität und Selbstbild der Deutschen tangiert.

Doch was ist nun problematisch an dem Wunsch nach Bestätigung des Regierungshandelns durch Umfragen abseits von Wahlen? Ist es nicht legitim die eigene Politik auf ihre Resonanz bei den Wählerinnen und Wählern zu testen?

Das erste Problem ist ganz praktischer Natur, wie auch Malte Spitz anmerkt: Die Umfragen müssten transparent gemacht und deren Ergebnisse allen Parteien zur Verfügung gestellt werden, so sie nicht den Regierungsparteien einen materiellen Vorteil verschaffen sollen. Denn einige Fragen zielen ganz konkret auf das Handeln der Parteien und wer, so Spitz, garantiere, dass Merkel die gewonnenen Informationen nicht auch in ihrer Funktion als CDU-Vorsitzende nutze. Zum anderen merkt der Spiegel an, dass sich Formulierungen aus den Umfragen in nahezu unveränderter Form in Regierungserklärungen der Kanzlerin wiederfänden. Somit wären die Umfragen nicht allein ein Mittel, um die politischen Meinungen der Bevölkerung einzufangen, sondern unmittelbar handlungsleitende Vorlagen, die auf Grundlage einer quantifizierten Studie erhoben wurden.

Dieses Vorgehen entwertet das Mandat, welches die Regierung im Rahmen der Bundestagswahl für vier Jahre erhalten hat und wertet kontingente Stimmungsbilder statistisch erfasster Befragter überproportional auf. Die Orientierung an Umfragen folgt damit einem zunehmenden Prozess, der in der Politikwissenschaft breit unter dem Begriff der Postdemokratie diskutiert wird. Dieser maßgeblich von Colin Crouch und Jacques Ranciere in die Debatte eingeführte Begriff bezeichnet den Aufstieg eines Zerfalls-Diskurses der Demokratie, der sich durch eine Transformation von Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen manifestiert. Oftmals von Begriffen wie Neoliberalisierung oder Ökonomisierung des Politischen flankiert, kritisiert die Idee der Postdemokratie, dass Bürgerinnen und Bürger zunehmend an politischem Einfluss verlieren (vgl. Ritzi 2014).

Dies gilt in besonderem Maße, wenn der Einfluss im Zuge sinkender Wahlbeteiligung auf die Möglichkeit der themenbezogenen Meinungsäußerung im Rahmen einer Umfrage reduziert wird.

 

Teile diesen Inhalt:

Artikel kommentieren

* Pflichtfeld