Ein Wahlkampf mit überraschenden Wendungen – Beobachtungen zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz vom 13. März 2016


Prof. Dr. Manuela GlaabRheinland-Pfalz war bis zum vergangenen Wahlsonntag ein Solitär unter den deutschen Ländern, da nirgendwo sonst lediglich drei Parteien im Landtag vertreten waren. Auf die jahrzehntelange Dominanz der CDU folgte Anfang der 1990er Jahre eine fast 25jährige Vorherrschaft der SPD im Bindestrich-Land. Mit diesen übersichtlichen Verhältnissen ist es erst einmal vorbei. Schon im Herbst 2015 hatte sich abgezeichnet, dass es im folgenden Frühjahr in Rheinland-Pfalz wie auch in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt zu Ausnahmewahlen kommen könnte.

Landespolitische Themen traten angesichts der Flüchtlingskrise und damit zusammenhängender Problemlagen vollkommen in den Hintergrund. Die Kampagnenstrategien der Parteien wurden zusätzlich dadurch herausgefordert, dass eine Profiteurin dieser Entwicklung bald feststand: Die AfD, die nach der Abspaltung des Lucke-Flügels im Niedergang begriffen schien, profitierte zunehmend von der Stimmung gegen Fremde.

Ein Wahlkampf mit überraschenden Wendungen

Beobachtungen zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz vom 13. März 2016

Autor

Prof. Dr. Manuela Glaab ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politisches System der Bundesrepublik Deutschland am Institut für Sozialwissenschaften der Abteilung Politikwissenschaft der Universität Koblenz-Landau. Seit 2012 ist sie Fellow der NRW School of Governance.

Rheinland-Pfalz war bis zum vergangenen Wahlsonntag ein Solitär unter den deutschen Ländern, da nirgendwo sonst lediglich drei Parteien im Landtag vertreten waren. Auf die jahrzehntelange Dominanz der CDU folgte Anfang der 1990er Jahre eine fast 25jährige Vorherrschaft der SPD im Bindestrich-Land. Mit diesen übersichtlichen Verhältnissen ist es erst einmal vorbei. Schon im Herbst 2015 hatte sich abgezeichnet, dass es im folgenden Frühjahr in Rheinland-Pfalz wie auch in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt zu Ausnahmewahlen kommen könnte. Ähnlich wie schon im Jahr 2011 nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima dominierten externe Ereignisse die Themenagenda. Dieses Mal aber spielte sich die Tragödie nicht ein einem entfernten Land ab, sondern erreichte auch Europa und Deutschland vor Ort: Seit dem Sommer 2015, bis in die heiße Wahlkampfphase hinein bestimmte die anhaltende, sich angesichts steigender Zahlen von nach Deutschland Geflüchteten weiter zuspitzende Flüchtlingskrise die Nachrichtenlage. Als ein Wendepunkt im Meinungsklima lassen sich insbesondere die Ereignisse der Silvesternacht in Köln markieren, da Sorgen wegen und Bedenken gegen die von Bundeskanzlerin Merkel vertretene Linie in der Flüchtlingspolitik seither immer lauter artikuliert wurden, mit Pegida-Protesten auf der Straße und immer häufiger auch Anschlägen gegen Flüchtlingsunterkünfte. In Rheinland-Pfalz hatte dies ganz ähnliche Folgen wie in anderen Regionen der Republik: Landespolitische Themen traten angesichts der Flüchtlingskrise und damit zusammenhängender Problemlagen vollkommen in den Hintergrund. Die Kampagnenstrategien der Parteien wurden zusätzlich dadurch herausgefordert, dass eine Profiteurin dieser Entwicklung bald feststand: Die AfD, die nach der Abspaltung des Lucke-Flügels im Niedergang begriffen schien, profitierte zunehmend von der Stimmung gegen Fremde. Auch erleichterte diese es den Rechtspopulisten, Anti-Establishment-Affekte gegen die etablierten Parteien noch zu schüren. Dass die AfD die Fünfprozenthürde am 13. März 2016 überspringen würde, war daher wahrscheinlich.

Die strukturelle Ausgangslage

Angesichts dieser situativen Dynamiken lohnt bei der Wahlnachlese noch einmal der Blick auf die strukturelle Ausgangslage: Die SPD stand in Rheinland-Pfalz vor der Herausforderung, nach beinahe 25 Jahren an der Regierung und aller damit einhergehenden Verschleißerscheinungen den Machterhalt noch einmal zu schaffen. Nach dem Wechsel an der Regierungsspitze von Kurt Beck zu Malu Dreyer am 16. Januar 2013 gelang es den Sozialdemokraten zwar sich neu aufzustellen – ein wichtiger Schritt war dabei die Kabinettumbildung vom November 2014 –, gleichwohl stagnierten die Zustimmungswerte bis in das Wahljahr hinein auf der 31-Prozentmarke. Die Union hingegen – alleinige Oppositionspartei im rheinland-pfälzischen Landtag – arbeitete unter Führung ihrer Partei- und Fraktionschefin Julia Klöckner konsequent auf das Ziel des Machtwechsels im ehemaligen CDU-Stammland hin. Über eine längere Phase, bis in den Spätsommer 2015 hinein, gelang es den Christdemokraten, einen stabilen Vorsprung vor der SPD von etwa 10 Prozentpunkten zu halten. Eine eindeutige Wechselstimmung ließ sich aus den Umfragen dennoch nicht ablesen. Die Mehrheit der Rheinland-PfälzerInnen war vielmehr mit der Arbeit der rot-grünen Landesregierung zufrieden (Infratest dimap, Politrend Januar 2016). Zudem schmolz der Vorsprung der Union in der heißen Phase des Wahlkampfs rapide, von 6 Prozentpunkte im Februar (Infratest dimap/SWR-Polittrend) bis auf maximal 1 Prozentpunkte im März 2016 (YouGov). Die letzte Vorwahlbefragung der Forschungsgruppe Wahlen (ZDF-Politbarometer) sah sogar die SPD (36 Prozent) knapp vor der CDU (35 Prozent). Eines war jedoch während des gesamten Wahlkampfes abzusehen: Keine der beiden Volksparteien konnte mit einer strukturellen Mehrheit im Mainzer Landtag rechnen, die ein klassisches Lagerbündnis aus zwei Parteien erlauben würde; explizite Koalitionssignale suchten sie daher zu vermeiden. Vielmehr war zu erwarten, dass mindestens vier oder sogar fünf Parteien in den Landtag einziehen würden, so dass die Koalitionsarithmetik letztlich vom Abschneiden der kleinen Parteien bestimmt werden würde.

Neue Kräfteverhältnisse im Land

Am Wahlabend bestätigte sich dieses Szenario: 36,2 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmten für die SPD (+ 0,5 Prozentpunkte), was sie abermals und überraschend deutlich zur stärksten Fraktion im Mainzer Landtag machte. Dagegen fuhr die CDU mit 31,8 Prozent (-3,4) ihr historisch schwächstes Wahlergebnis ein. Auch bei den Direktmandaten im Land lagen die Sozialdemokraten vorne, da sie aus den 51 Wahlkreisen 27 direkt gewählte Abgeordnete stellten, die CDU hingegen nur 24. Eine Zitterpartie hatten am Wahlabend Bündnis 90/Die Grünen durchzustehen. Nach dem Ausnahmeerfolg des Jahres 2011 infolge der Reaktorkatastrophe von Fukushima stürzten sie regelrecht ab, von 15,4 Prozent auf nur noch 5,3 Prozent der Landesstimmen. Der Wiedereinzug in den Landtag gelang damit knapp, die rot-grüne Regierungsmehrheit aber war verloren. Die FDP hingegen schaffte mit 6,2 Prozent die „politische Wiederauferstehung“ durch den Wiedereinzug in den Landtag, den sie 2011 noch verpasst hatte. Eine schwarz-gelbe Mehrheitskoalition lag jedoch außerhalb des rechnerisch möglichen. Die eigentliche Wahlsiegerin des 13. März aber war die AfD, der mit 12,6 Prozent aus dem Stand der Einzug in das Landesparlament gelang.

Das Parteiensystem stellt sich damit fragmentierter, segmentierter und polarisierter dar, als es in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Über weite Phasen hinweg waren im rheinland-pfälzischen Landtag lediglich drei, maximal aber vier Parteien vertreten. Jetzt hat der Fragmentierungsgrad einen neuen Höchststand erreicht (die effektive Parteienzahl beträgt auf der parlamentarisch-gouvernementalen Ebene: 3,38; elektorale Ebene: 3,9). Einer rechten Partei war zuletzt Ende der sechziger Jahre der Einzug in den Mainzer Landtag gelungen (bei der Landtagswahl 1967 erhielt die NPD einen Sitz). Die Linke hat es bisher nicht ins Parlament geschafft. Auch deshalb – wegen der starken Verankerung der Volksparteien und der schwachen Ränder – wird dem Land gemeinhin eine gemäßigte politische Kultur bescheinigt. Nun aber ist im Parlament eine Partei vertreten, deren Programmatik zwar noch nicht vollständig ausbuchstabiert, deren politisch-strategische Positionierung aber als rechtspopulistisch einzuordnen ist, so dass sie als nicht koalitionsfähig gilt. Wie weit die Polarisierung im Parteienspektrum den politischen Alltag künftig bestimmen wird, ist derzeit noch nicht genau absehbar, wird aber maßgeblich davon abhängen, welchen Ton die AfD im Landtag anschlagen wird und welche Kräfte – die eher rechts-konservativen oder völkisch-nationalen – sich in der im Aufbau befindlichen Partei durchsetzen werden. Der Umgang der Parteien miteinander wird jedenfalls in den öffentlichen Diskurs hinein wirken und das gesellschaftliche Klima mit prägen.

Personen statt Programme

Der kurzfristige Stimmungsumschwung zugunsten der Sozialdemokraten ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass situative Faktoren ein immer größeres Gewicht bei der Wahlentscheidung erhalten. Tatsächlich waren noch wenige Tage vor der Landtagswahl 35 Prozent der von der Forschungsgruppe Wahlen (ZDF-Politbarometer Extra vom 10.3.2016) Befragten unsicher, ob und wen sie wählen wollten. Wenn die langfristigen Parteibindungen schwinden, kann die Kandidatenpräferenz am Wahltag den Ausschlag geben. Mit Amtsinhaberin Malu Dreyer (SPD) und Herausforderin Julia Klöckner (CDU) konkurrierten in Rheinland-Pfalz erstmals zwei weibliche Spitzenkandidatinnen um das Amt des Ministerpräsidenten. Bundesweit sorgte diese Konstellation – zumal hier zwei unterschiedliche Politikerinnentypen aufeinandertrafen – für Schlagzeilen. Medialer Höherpunkt war das TV-Duell der beiden Spitzenfrauen, das dem SWR am 1. März 2016 beste Einschaltquoten bescherte (440.000 Zuschauer, 28 Prozent Marktanteil; Klöckner und Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) hatten 2011 lediglich 250.000 Menschen zugeschaut). Zwar wurde das TV-Duell eher als Unentschieden gewertet, doch lag Amtsinhaberin Dreyer Umfragen zufolge in der Wählergunst klar vor ihrer Herausforderin Klöckner: Jede(r) zweite Rheinland-Pfälzer(in) wünschte sich Dreyer weiterhin als Ministerpräsidentin, weniger als ein Drittel gab Klöckner den Vorzug (Ländertrend Infratest dimap vom 1./2. März 2016).

Dass in Rheinland-Pfalz der „Malu-Faktor“ der schwächelnden SPD neuen Auftrieb gab, bestätigt die Wahlkampfstrategen, die von Anfang an auf die Popularität der Ministerpräsidentin setzten: „Zweitstimme ist Malu-Stimme“ war die Hauptbotschaft. Schon vor ihrem Amtsantritt als Ministerpräsidentin hatte sich Dreyer als Sozialpolitikerin in Rheinland-Pfalz Sympathien erworben. In der Regierungsführung verdiente sie sich Respekt mit der konsequent vollzogenen Kabinettsumbildung, die zugleich die Distanzierung von den „Altlasten“ der Ära Beck zum Ausdruck brachte. Im Wahlkampf hob die Imagekonstruktion ganz ab auf das Vertrauen in die – auch jenseits der eigenen Anhängerschaft geschätzte – „Landesmutter“. „Die Menschen suchen Halt, sie suchen Sicherheit, sie suchen Zukunft. Das gibt es bei uns, das gibt es bei mir”, so Dreyer auf dem Landesparteitag im November 2015. Thematisch orientierte sich die Kampagne an den Schwerpunkten „Erfolgsland“, „Bildungsland“, „Gesundheitsland“, „Wirtschaftsland“, „Zukunftsland“ und „gute Flüchtlingspolitik“, ohne damit weiter durchzudringen. Eher spielte die Ministerpräsidentin die exekutive Karte, da sie sich als in der Verantwortung stehende Managerin der Flüchtlingskrise im Land präsentierte (symbolisiert bspw. durch Pressefotos bei der Abnahme von Fingerabdrücken in einer Flüchtlingsaufnahmestelle Anfang Dezember 2015). Flankiert wurde dieser kandidatenzentrierte Ansatz durch strategische Innovationen, so vor allem durch einen intensiv betriebenen Haustürwahlkampf in Zielgruppen-Wahlkreisen, bspw. in der Stadt Worms. Die Binnenmobilisierung suchte die Parteiführung zu unterstützen durch den erklärten „Kampf gegen rechts“, den Dreyer persönlich auf dem Programmparteitag im Januar 2016 unter dem Jubel der SPD-Delegierten beschwor.

Julia Klöckner war mit bundespolitischem Rückenwind in den Wahlkampf gestartet und setzte auf Sieg: „13.3. Diesmal beide Stimmen CDU“. Elf Mal trat Kanzlerin Merkel in Rheinland-Pfalz an der Seite der Spitzenkandidatin auf und demonstrierte so ihre Unterstützung für Klöckner. Diese hatte sich auf die Konkurrenz um die Macht mit Dreyer eingestellt, indem sie längerfristig einen Imagewandel vollzog. Als Fraktions- und Parteichefin der CDU in Rheinland-Pfalz und stellvertretende Vorsitzende der Bundespartei erarbeitete sie sich zudem einen auffallend hohen Bekanntheitsgrad im Land. Die Imagekonstruktion Klöckners – in Bildern sichtbar bspw. im ausgestrahlten TV-Spot – knüpfte an ihre Herkunft als Winzertochter und Weinkönigin zwar an, zugleich aber trat sie auf als Politprofi, als ebenso attraktive wie kompetente Frau, die Probleme anpackt, ihren Laden im Griff hat und im Bund ein Wörtchen mitredet. In der Anhängerschaft der CDU genoss Klöckner Umfragen zufolge starken Rückhalt, stärker als Dreyer polarisierte sie jedoch jenseits der eigenen Reihen. Dies verweist auf die Tatsache, dass Klöckner – wie es der Rolle der Oppositionsführerin entspricht – im Mainzer Landtag aktiv die Auseinandersetzung mit der rot-grünen Landesregierung pflegte, indem sie Defizite der Regierungspolitik regelmäßig herausstellte und die Notwendigkeit eines Politikwechsels in Rheinland-Pfalz betonte. Darüber hinaus hat sie ihre Rolle als stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, die ihr eine höhere (regionale wie überregionale) mediale Sichtbarkeit als anderen rheinland-pfälzischen Politikern verlieh, strategisch zu nutzen gewusst. Unter Klöckners Führung setzte die CDU, wie sich insbesondere in der Debatte um die Flüchtlingskrise zeigte, auf einen Mehrebenenwahlkampf.

Das kritische Ereignis Flüchtlingskrise

Neben der Kandidatinnenfrage fokussierte der Wahlkampf aber vor allem auf die Flüchtlingskrise und damit zusammenhängende Problemlagen. Klassische landespolitische Themen traten demgegenüber weitgehend in den Hintergrund und konnten kaum zur strategischen Positionierung der Parteien genutzt werden. Zwar versuchte sich die Union – etwa mit Vorschlägen zur Haushaltskonsolidierung, Wirtschafts-, Infrastruktur- und Bildungspolitik – als bessere Alternative für Rheinland-Pfalz zu präsentieren. Gleichzeitig aber galt es zu vermeiden, “das Land schlecht zu reden” (so der häufig gehörte Vorwurf der SPD), weil dies kaum dem Lebensgefühl in Rheinland-Pfalz entspricht. Nachdem die mit der Ära Beck assoziierten Skandale – prominentestes Beispiel ist zweifelsohne das Finanzdebakel um den Nürburgring – der Union lange Zeit in die Hände zu spielen schienen, fanden diese im Wahlkampf eher geringe Beachtung und wurden auch nicht offensiv zum Negative Campaigning genutzt. Statt dessen wählte die CDU eine andere, durchaus risikoreiche Strategie: Nachdem sich Klöckner schon früh, Anfang Dezember 2014, mit der Forderung eines Burka-Verbots profiliert hatte, vertrat sie auch im Wahlkampf – unter dem Eindruck der sich verschärfenden Flüchtlingskrise – eine restriktivere Linie als die Landesregierung zum Thema Flüchtlinge und Integration. So forderte sie bereits im Herbst 2015 ein „Integrationspflichtgesetz“ – „wo Rechte sind, sind auch Pflichten” – und setzte damit erfolgreich ein Wahlkampfthema. Damit reagierte Klöckner auf die wachsende Beunruhigung in Teilen der eigenen Anhängerschaft und brachte zugleich die rot-grüne Landesregierung in Zugzwang. Erst im Dezember legte Dreyer mit ihrer Forderung eines nationalen Integrationsplans von Bund und Ländern nach. Klöckner wiederum nutzte ihre bundespolitische Rolle als Unionsvize zu weiteren Vorstößen, etwa als Mitverfasserin eines CDU-Integrationspapiers (Mitte Februar 2016), das in der großen Koalition für neuen Streit sorgte. Mit ihrem sogenannten „Plan A2“ von Anfang Februar 2016 aber begab sie sich in einen schwierigen Spagat zwischen Loyalität zur Kanzlerin und kritischer Distanz zu deren umstrittener Flüchtlingspolitik, indem sie tagesaktuelle Kontingente und Grenzzentren forderte, dies gleichzeitig aber nicht als Abkehr von Merkels Linie – keine festen Obergrenzen, Sicherung der europäischen Außengrenzen und eine faire Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU – verstanden wissen wollte. Am 20. Februar, anlässlich des jüngsten EU-Gipfels, kulminierten Klöckners Bemühungen, Handlungsfähigkeit in der Flüchtlingskrise zu demonstrieren, schließlich in einer „Gemeinsamen Erklärung“ mit dem baden-württembergischen CDU-Spitzenkandidaten Guido Wolf, womit endgültig die – von der CSU ohnehin schon arg strapazierte – Geschlossenheit der Union in Zweifel stand.

Auf die Kleinen kommt es an

Der Absturz der Grünen in der Wählergunst ist auf den ersten Blick dramatisch, tatsächlich aber konnte die Partei in Rheinland-Pfalz nur einmal ein zweistelliges Ergebnis erzielen, nämlich bei der Landtagswahl 2011 unmittelbar nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima. Damals hatte sie ihren Stimmenanteil mehr als verdreifacht und gelangte aus der außerparlamentarischen Opposition unmittelbar in die Regierungsverantwortung. Im Durchschnitt jedoch erreichten die Grünen bei den Landtagswahlen der Jahre 1983 bis 2006 nur 5,6 Prozent (1983 bis 2011: 7 Prozent; 1983 bis 2016; 6,8 Prozent). 1983 wie auch 2006 waren sie sogar an der Fünfprozenthürde gescheitert. Abgesehen von wenigen Hochburgen in Universitätsstädten sind die Grünen im Land weit weniger verankert als dies etwa in den Nachbarländern Hessen oder Baden-Württemberg der Fall ist. Auffallend ist dennoch, dass der kleine Koalitionspartner der SPD wenig von der Regierungsbilanz und den verwirklichten grünen Vorzeigeprojekten (wie etwa das Klimaschutzgesetz oder der Nationalpark Hunsrück-Hochwald) profitieren konnte. Stattdessen gingen die meisten Stimmen an den großen Koalitionspartner verloren (90.000 laut der Wählerwanderungsanalyse von Infratest dimap). Auch reichte das Spitzenpersonal – an erster Stelle zu nennen wäre eine weitere Frau: Wirtschaftsministerin Eveline Lemke – hinsichtlich des Bekanntheitsgrads, aber auch der Popularität und Kompetenzwerte bei weitem nicht an Dreyer und Klöckner heran. Am schwersten dürfte jedoch wiegen, dass es den Grünen nicht gelungen ist, mit ihren Schwerpunkten Umwelt, Klima und Energie im Wahlkampf durchzudringen. Der eigenen Anhängerschaft waren diese Kernthemen weiter wichtig. So ergab etwa der SWR-Politrend vom Februar 2016, dass jeder Zweite in dieser Gruppe „Umwelt und Energie“ als das wichtigste Thema bei der Wahlentscheidung betrachtete. Die im Wahlkampf vorherrschende Themenkonjunktur aber war eine andere. Zaghafte Versuche, sich als „grünes Korrektiv“ zu profilieren, wurden nicht konsequent weiterverfolgt. Die von Umweltministerin Ulrike Höfken auf dem Programmparteitag vom November 2015 ausgegebene Parole: “Ohne Grün wird alles schwarz” hätte ein Mobilisierungspotenzial beinhaltet, rief aber zugleich die Frage nach den Koalitionsoptionen auf und wurde vermutlich deshalb vermieden. Eine konsequente Strategie der Policy-Maximierung – das Erreichte bewahren und grüne Themen weiterbringen, notfalls auch mit der CDU – hätte eine solche Zuspitzung aber nahegelegt.

Besonders schwierig ist es im Allgemeinen für Parteien der außerparlamentarischen Opposition, die Aufmerksamkeitsschwelle der Medien zu überwinden. Die Linke spielte – abgesehen vom Auftritt ihres Spitzenkandidaten Bülow in der SWR-Elefantenrunde am 10. März – faktisch kaum eine Rolle in der Medienöffentlichkeit. Auch die FDP fand im rheinland-pfälzischen Wahlkampf erst zu einem späten Zeitpunkt mehr Beachtung, nämlich dann als ihr Wiedereinzug in den Landtag Umfragen zufolge in greifbare Nähe rückte. Dass hier und dort über ihre Plakatkampagne berichtet wurde, fällt eher in den Bereich der Metakampagne, der weite Teile der Wählerschaft kaum interessieren dürfte. Die Elefantenrunde nutzte Spitzenkandidat Volker Wissing, um die FDP als Wahlalternative für diejenigen zu präsentieren, die sich enttäuscht vom bürgerlichen Lager abgewandt hatten, indem er die Kompetenz der FDP in den Themenfeldern Wirtschaft, Infrastruktur, Bildung und innere Sicherheit hervorhob.

Hervorstechend war im zurückliegenden Wahlkampf zudem die Asymmetrie im Aufmerksamkeitswettbewerb der „kleinen Parteien“: Der AfD kam angesichts ihrer im Verlauf der Flüchtlingskrise ansteigenden Zustimmungswerte weit größere mediale Aufmerksamkeit zu als den übrigen nicht im Parlament vertretenen Parteien. Dabei wurde jedoch – auch in den regionalen Medien – stärker auf die Bundespartei und ihr streitbares Spitzenpersonal fokussiert, als auf die vergleichsweise unbekannten Vertreter der Landespartei. Erst in der heißen Phase des Wahlkampfs wurden diese ebenso wie die Kandidaten und Kandidatinnen der konkurrierenden Parteien in Portraits und Interviews vorgestellt. Um den Auftritt des AfD-Spitzenkandidaten Uwe Junge in der SWR-Elefantenrunde entfachte sich zudem ein Konflikt, der eskalierte, als CDU-Chefin Klöckner ihre Teilnahme an der SWR-Sendung absagte. Ministerpräsidentin Malu Dreyer hatte sich zuvor geweigert, darin gemeinsam mit der AfD aufzutreten, so dass der SWR – was nicht vollkommen ungewöhnlich ist – lediglich eine „kleine Elefantenrunde“ der im Parlament vertretenen Parteien plante. Den Bekanntheitsgrad Junges dürften diese Querelen schlagartig vergrößert haben. Die Einschaltquoten bei der schlussendlich doch mit sechs Parteien veranstalteten Elefantenrunde – wobei die SPD allerdings durch ihren Landeschef und amtierenden Innenminister Roger Lewentz vertreten wurde – sprechen jedenfalls für ein großes Interesse des Publikums: nach Angaben des SWR verfolgten am 10. März 2016 430.000 Zuschauer die Sendung.

Ausblick: Das Koalitionsdilemma

Was im Gesamteindruck der Landtagswahl 2016 in Rheinland-Pfalz haften bleibt, ist eine eigentümliche Mischung aus Zufriedenheit mit dem Status Quo und einer Protestwahl, die das Parteiensystem deutlich verändert hat. Bei einer Wahlbeteiligung von 70,4 Prozent (+8,6 Prozentpunkte) hat die große Mehrheit der WählerInnen den etablierten demokratischen Parteien das politische Vertrauen ausgesprochen. SPD und CDU finden in Rheinland-Pfalz – anders als in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt – als Volksparteien noch ein hinreichend großes Potenzial in der politischen Mitte, so dass sie zusammen gut zwei Drittel der Wählerschaft hinter sich haben. Die mit Abstand größten Stimmenzuwächse aber verbuchte die AfD, die Stimmen von allen Parteien abziehen und eine große Zahl von Nichtwählerinnen für sich gewinnen konnte. Im neu konstituierten Landtag wird sie über mehr Sitze (14) verfügen als FDP (7) und Grüne (6) zusammen.

Am 13. März hat die AfD dem Protest gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ein Ventil geboten. Sie profitiert aber auch vom Vertrauensverlust der demokratischen Institutionen und einem bis in bürgerliche Kreise hinein kultivierten Misstrauen gegen die sogenannten „etablierten“ Parteien. Auch wenn die Etablierung der AfD mit dem Einzug in drei weitere Landtage – darunter erstmals zwei westdeutsche Flächenländer – noch längst nicht abgeschlossen ist, so verbessert sich damit doch die organisationsstrukturelle Basis der Partei. Eine weitere Erfolgsbedingung, die Qualität des auf Landesebene rekrutierten politischen Personals, ist gegenwärtig noch weitgehend eine Unbekannte. Nicht zu unterschätzen ist, dass der Rechtspopulismus ein relevantes und unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise offenbar wachsendes Wählersegment anspricht, dem die AfD einen Ankerpunkt im Parteienspektrum bieten will. An der Konfliktlinie zwischen einem libertären, fortschrittlich-weltoffenen und einem autoritären, traditionalistisch-nationalen Gesellschaftsmodell ist ein strukturelles, nicht lediglich situatives Potenzial für die AfD auch in Rheinland-Pfalz vorhanden.

Obwohl nunmehr fünf Parteien im Landtag vertreten sein werden, ist Ministerpräsidentin Malu Dreyer als Gewinnerin aus den Wahlen hervorgegangen und hat damit den klaren Auftrag zur Regierungsbildung in Rheinland-Pfalz erhalten. Die CDU hat es unter Führung Julia Klöckners auch im zweiten Anlauf nicht geschafft, den Machtwechsel herbeizuführen. Der Wahlsieg sorgte innerhalb der SPD für Euphorie, weil die Aufholjagd erst auf der letzten Wahlkampfetappe gelang und der Abstand zur CDU größer ausfiel als erwartet. Zudem hebt sich das Wahlergebnis deutlich vom Niedergang der Sozialdemokratie in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt ab. Faktisch aber konnte die SPD nur einen halben Prozentpunkt gegenüber 2011 zulegen und wird nach neuen Koalitionspartnern Ausschau halten müssen. Rechnerisch bleibt neben einer SPD-geführten großen Koalition noch die sogenannte Ampel aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen als weitere, allerdings knappe Mehrheitsoption. Jenseits der parteistrategischen Kosten-Nutzen-Kalküle stellt sich dabei durchaus ein Koalitionsdilemma: Mit Blick auf die Regierungsstabilität und das Gestaltungspotenzial mag eine große Koalition attraktiver erscheinen. Zugunsten des demokratischen Wettbewerbs zwischen der Regierung und einer starken Opposition wäre die Ampel jedoch vorzuziehen – zumal die AfD im Falle einer großen Koalition die Oppositionsführung im Landtag übernehmen würde.

Zitationshinweis

Glaab, Manuela (2016): Ein Wahlkampf mit überraschenden Wendungen – Beobachtungen zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz vom 13. März 2016, Essay, Online verfügbar unter: https://regierungsforschung.de/ein-wahlkampf-mit-ueberraschenden-wendungen-beobachtungen-zur-landtagswahl-in-rheinland-pfalz-vom-13-maerz-2016/

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