„Intrige? Ich kenne keine Intrige, es hat nie eine Intrige gegeben“ – der erzwungene Rücktritt von Kurt Beck


8. September 2008. Es war der Tag danach, der Tag nach einem denkwürdigen politischen Vorgang in der langen Geschichte der deutschen Sozialdemokratie. Ein Parteivorsitzender trat zurück, nur Stunden später war ein neuer designiert.

Kurt Beck kam aber nicht, um zu gehen: es gab kein öffentliches Wort zu seinem Rücktritt, nur eine schriftliche Erklärung, in der er sich als Opfer einer Intrige bezeichnete – die Wunden müssen tief gesessen haben. Franz Müntefering kam hin- gegen, um zu bleiben. An der Seite des neuen, alten Parteivorsitzenden stand der Außenminister und zukünftige Kanzlerkandidat der SPD, Frank-Walter Steinmeier. Ganz ohne Krönungsmesse rief er seine eigene Kandidatur aus.


Der überraschende Rücktritt von Beck spaltete die SPD in ihrer Reaktion: Es gab jene, wie den Ministerpräsidenten Brandenburgs – vormaliger SPD-Parteichef – Matthias Platzeck, die die For- mel „Intrige? Ich kenne keine Intrige, es hat nie eine Intrige gegeben“ fortwährend wiederholten, den Blick fest nach vorne gen Bundestagwahl 2009 gerichtet. Da waren aber auch jene, wie der saarländische SPD-Chef Heiko Maas, die Aufklärung verlangten. Wie konnte es überhaupt zu einem plötzlichen Rücktritt über Nacht kommen?

Kurt Beck – politischer Außenseiter oder König Kurt?

„Kurt Beck ist machtbewusst, aber nicht machtbesessen. Ein Mann mit Prinzipien. Er ist bodenständig, ausdauernd, ehrlich, verlässlich und immer nah bei den Menschen. Diesen Wahlspruch lebt er im wahrsten Sinne des Wortes vor – und ist damit nicht nur ein politisches Vorbild.“

Dieses Selbstverständnis von Kurt Beck trägt eine Menge zum Verständnis seiner politischen Handlungen bei. Nun sind Selbst- und Fremdwahrnehmung nicht immer deckungsgleich. Über lange Jahre hatte sich Beck ein Image des Landesvaters in Rheinland-Pfalz aufgebaut und gepflegt: ein Ministerpräsident, stets nah bei de Leut‘. Seit 1994 hatte er das höchste Amt in der Landespolitik inne – 2006 war es dann soweit: Die SPD rief Beck nach Berlin, damit dieser dort das höchste Parteiamt antreten konnte. Nachdem er seit 2003 stellvertretender Bundesvorsitzender war, übernahm Kurt Beck am 10. April 2006 das Amt des Bundesvorsitzenden der SPD kommissarisch von Matthias Platzeck, der sich aus gesundheitlichen Gründen vom Vorsitz zurückziehen musste. Am 14. Mai wurde Beck auf einem außerordentlichen Parteitag in Berlin mit 95,1 Prozent in die Parteiführung gewählt. Kurz zuvor wurde Beck am 26. März 2006 als Ministerpräsident in Rhein- land-Pfalz bestätigt und übernahm so die Doppelbelastung durch die Ämter in Mainz und Berlin.

Ob als zusätzliche Machtbasis oder aus leidenschaftlicher Verbundenheit zu seiner Rolle als Landesvater, jedenfalls wurde von Vertrauten kolportiert, dass Beck nie eine vorzeitige Aufgabe des Ministerpräsidentenpostens erwogen hatte. Damit war auch die Überlegung verbunden, dass Beck als Ministerpräsident mit einer absoluten Mehrheit in Mainz im Rücken das SPD Profil deutlich stärker schärfen konnte, als wenn er als Vizekanzler in der großen Koalition eingebunden wäre. Politische Beinfreiheit war das Motiv. Darüber hinaus hatte Beck in Mainz auch noch keinen Nachfolger aufgebaut. Rein zeitlich zog er auch die Landesebene dem Willy-Brandt-Haus in Berlin vor: zwei Tage Berlin und fünf Tage Mainz – so war seine Arbeitswoche aufgeteilt. Sonntagnachmittags flog er nach Berlin, montagabends oder dienstags früh zurück nach Mainz. Dementsprechend wurde Kritik laut, er könne in Berlin nicht vollen Einsatz bringen, wenn er seine Zeit in Mainz verbringe. Gerade diese Zerrissenheit zwischen Landes- und Bundeshauptstadt hielt sein Image als Provinzpolitiker am Leben. Ob er sich so die nötige Distanz zur Berliner Politik bewahren wollte, oder künstlich Distanz zu seinem Amt als Parteichef aufbaute, stand entlang seiner ganzen Amtszeit über zur Diskussion. Darin spiegelte sich das Konfliktpotenzial der Beziehung Becks mit der Hauptstadt. Aus Mainzer Kreisen hieß es dazu: „Er hat da vieles zu Recht als unfair, hasserfüllt und ungerecht empfunden. Irgendwann geht er an die Decke.“

Diese und weitere Fallstudien finden Sie hier auf regierungsforschung.de in der Rubrik “Fallstudien

Zitationshinweis

Wenkowitsch, Julia / Döpner, Linda / Zitzler, Stephan (2016): „Intrige? Ich kenne keine Intrige, es hat nie eine Intrige gegeben“ – der erzwungene Rücktritt von Kurt Beck. Erschienen in: Regierungsforschung.de, Fälle. Online verfügbar unter: https://regierungsforschung.de/intrige-ich-kenne-keine-intrige-es-hat-nie-eine-intrige-gegeben-der-erzwungene-ruecktritt-von-kurt-beck/

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