It’s the education, stupid! Warum die SPD die Landtagswahl in NRW gegen die CDU verloren hat

Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2017 liegt noch nicht lange zurück. CDU und FDP befinden sich in Koalitionsverhandlungen und die SPD ist noch dabei, das Ergebnis vom 14. Mai zu verdauen. Die alte „Weisheit“ – „die Opposition gewinnt keine Wahlen, die Regierung verliert sie“ – trifft im Fall der Landtagswahl in NRW 2017 scheinbar nur allzu deutlich zu. 

Warum die SPD gegen die CDU verloren hat und welche Rolle die Spitzenkandidaten Hannelore Kraft und Armin Laschet dabei gespielt haben, haben Prof. Dr. Andreas Blätte, Prof. Dr. Susanne Pickel und Dr. Toralf Stark analysiert.

It’s the education, stupid!

Warum die SPD die Landtagswahl in NRW gegen die CDU verloren hat

Autoren

Prof. Dr. Andreas Blätte ist Professor für Public Policy und Landespolitik an der Universität Duisburg-Essen und geschäftsführender Direktor des Instituts für Politikwissenschaft. Zuvor war er stellvertretender (interimistischer) Direktor der Erfurt School of Public Policy (ESP) der Universität Erfurt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der Landespolitik von Nordrhein-Westfalen und in der bundesländervergleichenden Politikforschung, sowie der politischen Steuerung und Governance im Mehrebenensystem. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Forschungsinteressen liegt in Politikbereichen mit Querschnittscharakter, insbesondere der Migrations- und Integrationspolitik.

Prof. Dr. Susanne Pickel ist Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Zuvor war sie wissenschaftliche Assistentin und Vertretungsprofessorin an der Universität Greifswald. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf politischer Kultur- und Demokratieforschung, Wahlforschung, Responsivitätsforschung und Forschung zu Transitional Justice. Sie widmet sich zudem den Methoden der Vergleichenden Politikwissenschaft.

 

Dr. Toralf Stark ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. In seiner Dissertationsschrift „Determinanten politischen Verhaltens. (Un)konventionelle Partizipation und verhaltensprägende Einstellungen.“ beschäftigte er sich mit dem sich wandelnden Partizipationsverhalten in sieben westlichen Demokratien. Seine weiteren Forschungsschwerpunkte liegen in der demokratischen Repräsentations- und Responsivitätsforschung, der politischen Kultur- und Einstellungsforschung und den Methoden der vergleichenden Politikwissenschaft.

Je näher die Bundestagswahlen rücken, desto umfassender werden Landtagswahlen als Gradmesser für die Stimmungslage der gesamtdeutschen Wahlbevölkerung verstanden. Speziell im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW ist es bei einer Wahl nahezu unvermeidlich, dass die politischen Assoziationen nicht nur in Düsseldorf, sondern unmittelbar auch für Berlin gelten. Landtagswahlen in NRW als „kleine Bundestagswahlen“ zu stilisieren, birgt allerdings immer die Gefahr, dass in der überregionalen Berichterstattung die Wirkung der Spitzenkandidaten der Bundesparteien und ihr Einfluss auf die Wahlentscheidung überschätzt werdenwird. Oftmals geraten auch landesspezifische Themen aus dem Blick, welche die Wähler weit mehr interessieren als bundespolitische Implikationen und Gemengelagen. Die Landtagswahl 2017 in NRW ist eine solche Wahl. Hier wurde der Einfluss der Bundespolitik über- und die Bedeutung der landespolitischen Interessen der Wähler unterschätzt.

Die SPD musste mit 31,2% der Wählerstimmen einen Verlust von 7,9%-Punkten hinnehmen und verlor die Landtagswahl, obwohl die CDU mit 33,0% (und einem Zugewinn von 6,7%-Punkten) keineswegs ein wirklich gutes Ergebnis erzielte. Tatsächlich schnitt die CDU seit 1947 nur 2012 schlechter ab. Der Zugewinn von 6,7% kompensiert größtenteils die Verluste der herben CDU-Wahlniederlage von 2012. Zwischen 1954 und 2005 erhielt die erfolgreichste Partei stets mindestens knapp 40% der Wählerstimmen. Nur 2010 waren es weniger, Hannelore Kraft bildete eine Minderheitsregierung.

Quelle: http://wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-05-14-LT-DE-NW/index.shtml

In dieser Legislaturperiode entstanden die lange Zeit ausgezeichneten persönlichen Beliebtheitswerte der scheidenden Ministerpräsidentin, auf welche die SPD-Kampagne ausgerichtet war. Bei der Wahl vom 14. Mai diesen Jahres war nun der Einbruch der SPD in der Wählergunst derart deutlich und die Stimmengewinne der FDP so massiv, dass der geringste Stimmenanteil einer Siegerpartei seit Bestehen des Bundeslandes NRW dafür ausreicht, dass die CDU als Verhandlungsführerin Koalitionsgespräche zu Schwarz-Gelb als Zweierkoalition aufnehmen kann.

Das Wahlergebnis und die Renaissance von Schwarz-Gelb sind überraschend. Allerdings ist die Erklärung dieses Wahlergebnisses kein Hexenwerk. Es lässt sich anhand des klassischen Modells des Wahlverhaltens gut begreiflich machen:

Quelle: eigene Zusammenstellung

Der Fixpunkt stabilen Wahlverhaltens sind die Stammwähler – Personen mit einer engen (psychologischen) Bindung an „ihre Partei“ –  die oft stark auf ihrer sozialen Verankerung in der Gesellschaft beruht (z.B. Arbeiter wählen vorwiegend die SPD). Sie haben jahrzehntelang für einen relativ stabilen Grundstock an Wählerstimmen in Deutschland gesorgt. Diese Gruppe unterliegt jedoch seit einiger Zeit gleich zwei Erosionsprozessen: Zum einen nimmt die Zahl der Wähler mit einer Parteiidentifikation (PID) ab. Wähler, die sich noch zu einer gesellschaftlichen Gruppe zählen, die eine bestimmte Partei unterstützt, werden insgesamt seit Jahrzehnten immer weniger (sog. sektorales dealignment). Das Wahlverhalten wird immer stärker von individuellen Interessen geprägt. Zudem verringert sich die Gruppengröße der traditionell an die SPD gebundenen Gesellschaftsschichten: Die Gruppe der Arbeiter wird immer kleiner (sog. ökologisches dealignment). Da hilft es auch nicht, dass sich viele Arbeiter noch immer stark an die SPD gebun den fühlen.

Quelle: Horst Kahrs/Benjamin-Immanuel Hoff (2017): 25

Demgegenüber nimmt der Anteil an Angestellten, Beamten, Selbständigen und Rentnern stetig zu. Sie entsprechen aber nicht dem „klassischen“ Klientel der SPD. Die Unterstützung der Angestellten muss sie sich mit der CDU teilen. Die Rentner neigen – zumindest bei dieser Landtagswahl – stärker der CDU zu, die Beamten sowieso und die Selbständigen wählen ebenfalls eher FDP oder CDU. Entsprechend befindet sich die SPD unter dem Druck eines gesellschaftlichen Wandels und ist gezwungen, viele verschiedene Bevölkerungsgruppen anzusprechen, um Wahlergebnisse zu erzielen, die sie in Regierungsverantwortung bringen können.

Gleich zwei stabilisierende Faktoren des Wahlverhaltens brechen also auf: Soziale Schichten bzw. Milieus mit Bindung an eine bestimmte Partei schwinden. Zusätzlich nimmt die individuelle, stabile Parteineigung der Wähler ab. Wo sind also Wähler für die SPD zu gewinnen? Ein Reservoir möglicher (neuer) Wähler bilden Angestellte, im Dienstleistungssektor, Beschäftigte und Arbeiter im Ruhestand. Diese Menschen, mit dem Bedürfnis nach sozialer Sicherheit suchen Halt bei der SPD. Sind sie aber frustriert und fühlen sich abstiegsbedroht, so landen sie offenbar in nennenswerter Anzahl bei der AfD (interaktiv.rp-online.de/hochburgen).1

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Wahlkreisergebnisse. Quelle der Wahlkreiskarte: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Wahlkreise_NRW_2017.svg.

 

So erklärt sich, warum unter den klassischen SPD-Hochburgen im Ruhrgebiet bei dieser Landtagswahl auch Wahlkreise mit den besten Ergebnissen für die AfD waren. Dies muss ein dramatischer Befund für die Landtagswahl 2017 sein. Die SPD hatte bei der Landtagswahl ein AfD-Problem.

Wahlsendungen sind auf die Wahlkampfführung der Parteien und ihre Kandidaten fokussiert und vermitteln den Eindruck, die langfristigen Aspekte des Wahlverhaltens seien nicht so wichtig. Die Spitzenkandidaten stehen ganz und gar im Vordergrund: Ob man diese gut oder weniger gut, kompetent oder weniger kompetent, nett oder weniger nett findet. Gerade die Etablierung von entsprechenden Kandidatenduellen im Fernsehen entspricht dieser Annahme. Tatsächlich gibt es ja auch immer mehr ungebundene Wähler, die möglicherweise genau auf solche Entscheidungsgrundlagen warten.

Wonach richtet sich aber der ungebundene Wähler auf der Suche nach politischer Vertretung wirklich?

Quelle: wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-05-14-LT-DE-NW/umfrage-aktuellethemen.shtml

Fast langweilig und ganz konform mit den gängigen Analysen der klassischen Wahlforschung, und entgegen einer weit verbreiteten Annahme der Amerikanisierung bzw. Personalisierung von Wahlverhalten, übernimmt 2017 in NRW die Entscheidung nach Sachfragen die Regie: Die Wähler stimmten für diejenige Partei, der sie die Lösungsvorschläge auf die von den Bürgern als zentral wahrgenommenen Probleme des Landes am ehesten „abkauften“. Die Problemlösungskompetenzen der Parteien, nicht die Kandidaten standen im Fokus der Wahlentscheidung.

Quelle: wahltool.zdf.de/slideshow/2017-05-14-LT-DE-NW.html

Genau hier kann das zentrale Problem des Landtagswahlkampfs der NRW-SPD von 2017 identifiziert werden. Die SPD hat 2017 auf das falsche Pferd gesetzt. Hintergrund der Wahlkampagne der NRW-SPD in 2017 war folgende strategische Einschätzung: In 2016 und im ersten Quartal 2017 war die politische Unübersichtlichkeit angesichts neuer Kriege, der Wahl des amerikanischen Präsidenten Trump und des nahezu unaufhaltsam erscheinenden Vormarschs der Rechtspopulisten geradezu überwältigend. Hannelore Kraft sollte als ruhender Pol in unsicheren Zeiten fungieren, gute Beliebtheitswerte sprachen dafür. Doch nach den französischen Präsidentschaftswahlen machte sich ein Gefühl der Entwarnung breit. Le Pen war geschlagen, Macron französischer Präsident. Die Prämissen für die SPD-Strategie waren dadurch nicht mehr erfüllt. In der letzten Wahlkampfphase rückten die landespolitischen Themen in den Vordergrund. Doch den thematischen Rahmen, worüber dann gesprochen wurde, hatten die Oppositionsparteien zuvor durch Wiederholung des immer Gleichen längst definiert: Infrastruktur und Stau, innere Sicherheit und Einbrüche, Bildung.

Die SPD hat es versäumt, im Wahlkampf diejenigen Themen zu setzen, für die sie als kompetent wahrgenommen wird – die soziale Gerechtigkeit. Stattdessen fokussierte sie auf den Bereich der Bildung. Dies war zwar die wichtigste politische Problematik für die Nordrhein-Westfalen, aber die Konzentration auf dieses Thema erwies sich deshalb als schwerwiegender Fehler, weil der SPD für dieses Themenfeld in der Vergangenheit seitens der Wähler schon sehr häufig weniger Kompetenz zugesprochen wurde als der CDU. Die Wahlforschung nennt diese Sachfrage ein ‚Valenzissue‘, also einen Politikbereich, über dessen Verbesserung man nicht unterschiedlicher Meinung sein kann.  Man kann sich nur darüber streiten, wie diese Verbesserung zu erreichen ist. Alle Parteien, CDU, SPD, Grüne, FDP und Linke, sogar die AfD, wollen die Bildung verbessern. Für den Wahlausgang ist jedoch entscheidend, welchen Lösungsweg die Wähler als zielführender ansehen. Und gerade bei diesem Thema gelang der SPD keine wirklich überzeugende Lösung. Die Inklusion hat eine Vielzahl von Managementproblemen in den einzelnen Schulen verursacht. Die Verantwortung hierfür lag zwar im Geschäftsbereich des grün geführten Schulministeriums, der Letztverantwortung kann sich eine Ministerpräsidentin jedoch nicht entziehen.

Tatsächlich haben die Wähler in NRW zunächst danach entschieden, wem sie eine gute Bildungspolitik zutrauen. 70% der zwischen dem 9.5.2017 und 11.5.2017 Befragten (Tagesschau) waren jedoch mit der Bildungspolitik der rot-grünen Koalition unzufrieden (nur 4% der Wähler sprachen den Grünen als Ressortverantwortlichen eine Kompetenz in der Bildungspolitik zu; ZDF).

Quelle: Horst Kahrs/Benjamin-Immanuel Hoff (2017): 12

Bereits im April 2017 zeigte eine Vorwahlbefragung von Infratest dimap, die große Unzufriedenheit der Wähler mit dem zentralen landespolitischen Thema dieser Wahl – der Schul- und Bildungspolitik.2

Quelle: wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-05-14-LT-DE-NW/umfrage-aktuellethemen.shtml

Anstatt pauschal die Gültigkeit der Meinungs- und Einstellungsforschung zu negieren, hätte ein Blick allein auf diese Unmutsäußerungen der Wähler schon die Erkenntnis im Wahlkampfteam der SPD fördern können, dass a) eine starke Betonung der Maxime Formel „Wir lassen kein Kind zurück“ die Wahrnehmung der Management-Schwierigkeiten nicht verhindern kann.

Vor allem da der Slogan von den Wählern eher als Aussage zur Bildungspolitik gedeutet wurde, denn als Aussage zu sozialer Gerechtigkeit – wie man ihn auch verstehen könnte.

Quelle: http://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/landtagswahl/index.html

Des Weiteren wäre durchaus zu erkennen gewesen, dass b) die SPD in den zentralen Themen des Wahlkampfes (Bildung, Investitionen in Infrastruktur, innere Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und Wirtschaft) nur für ein Thema kompetenter als die CDU angesehen wird – eben soziale Gerechtigkeit.

So kann es nicht verwundern, dass der Hauptgrund für viele Wähler, nicht für die SPD, sondern für die CDU zu stimmen, in den Hauptthemen des Wahlkampfes und in der wahrgenommenen Performanzschwäche der Regierung bzw. der SPD lag. Sie konnte in den wichtigsten Themen nicht überzeugen, offenbar oftmals nicht einmal in ihrem Kernkompetenzbereich soziale Gerechtigkeit. Der spielte aber im Wahlkampf der SPD auch nur eine untergeordnete Rolle.

Quelle: wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-05-14-LT-DE-NW/umfrage-aktuellethemen.shtml

Bleiben die Kandidaten… Und hier zeigt sich nun, dass den Kandidaten jedenfalls bei der NRW-Wahl nur eine nachgeordnete Bedeutung für die Wahlentscheidung zwischen Parteien zukam.

Hannelore Kraft hatte eigentlich eine hervorragende Ausgangslage für eine erfolgreiche Kandidatur: Die Wähler trauten ihr mehr Sachverstand als Armin Laschet zu, sie glaubten, sie bringe NRW besser voran, sie wirkte sympathischer und glaubwürdiger.

Quelle: wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-05-14-LT-DE-NW/umfrage-aktuellethemen.shtml

Allerdings divergierte die positive Sicht auf die Ministerpräsidentin in den Meinungsumfragen und eine skeptische Medienberichterstattung. Ihre Weigerung, eine stärkere bundespolitische Rolle zu übernehmen, die Übergabe der Koordination der SPD-geführten Bundesländer („A-Länder“) im Bundesrat an Niedersachsen, ihr Agieren in der „Funkloch-Affäre“, Berichte über eine missratene Pressekonferenz, bei der sie sich nicht über die Pläne der SPD für die nächste Legislaturperiode äußern konnte, ergaben ein skeptisches mediales Meinungsbild, in dem über eine Amtsmüdigkeit der Ministerpräsidentin spekuliert wurde. Dies hat sich zum Teil erstaunlich langsam, doch im Ergebnis schleichend auf die Meinungsumfragen übertragen. Der Abstand ihrer Beliebtheitswerte zu Armin Laschet schrumpfte seit Mitte 2015 beständig und war am Ende nicht groß genug, um als Kandidateneffekt die wahrgenommene Performanzschwäche der Regierungskoalition und der SPD auch nur im Mindesten auszugleichen. Die Zufriedenheitswerte brachen in den letzten zwei Monaten vor der Wahl noch einmal ein. Der Auftritt von Hannelore Kraft im Duell mit Armin Laschet war zwar souverän. Doch die Ausrichtung der SPD-Kampagne auf Wohlfühl-Effekte brachte zu wenig inhaltliche Akzente, als dass sie eine Antwort auf den hämmernden Wahlkampf im Endspurt der Opposition dargestellt hätte. Eine Katastrophe angesichts einer Wahlentscheidung, die zu großen Teilen auf einer retrospektiven Bewertung des Regierungshandelns und nur zum kleineren Teil auf einer prospektiven Hoffnung auf Besserung beruht.

Also doch ein Kandidateneffekt? In einer Nachwahlbefragung von Infratest dimap zeigt sich, dass der Kandidat Armin Laschet kaum eine Rolle für die Wahl der CDU gespielt hat. Er hat dieser Wahlentscheidung durch die Reduktion des (wenn auch schwachen) Kandidateneffektes aber auch nicht entgegengewirkt. Von einem echten „Amtsbonus“ für Hannelore Kraft konnte kaum mehr die Rede sein. Vielmehr scheinen sich die Wähler wegen Angela Merkel für die CDU entschieden zu haben. Hannelore Kraft hingegen wird zwar als besorgt um NRW, aber auch als wenig konkret in ihren Aussagen wahrgenommen. Nicht zuletzt das Festhalten an der Person Ralf Jäger als Innenminister hat ihr offenbar nachhaltig geschadet.

Quelle: Horst Kahrs/Benjamin-Immanuel Hoff 2017: 20

Die Projektion auf die Zukunft, die Erwartung an die Politik einer künftigen Landesregierung, kann aber dann ein starker Faktor der Wahlentscheidung sein, wenn es einer Partei gelingt, ihre Anhänger stark zu mobilisieren. Hier hat die CDU einfach vieles besser gemacht als die SPD. Es gelang der Partei um Armin Laschet ihre Anhänger flächendeckend, aber vor allem in den Hochburgen, wo die Tendenz zur CDU groß ist und die Wähler leicht vom Sofa in das Wahllokal zu locken sind, diese zur Abgabe ihrer Stimme zu bewegen. Ein neues Instrument der Wählermobilisierung war die Unterstützung der CDU-Kampagne durch die App „connect17“, die den Wahlkämpfern angibt, in welchen Straßenzügen die größten Chancen bestehen, latente Wähler zur tatsächlichen Stimmabgabe zu gewinnen. Der Haustürwahlkampf wirkt nach innen auf das Selbstbewusstsein der Partei und stimuliert eine positive Berichterstattung über das innovative Potential der Kampagne. Diese Strategie erwies sich als sehr erfolgreich. In die Hände der CDU hat gespielt, dass SPD-Hochburgen ein schwieriges Terrain für eine solche Strategie sind: Die Wahlbeteiligung ist dort im Durchschnitt deutlich geringer, die Lebensverhältnisse sind weniger gesichert, die Verdrossenheit mit Parteien und Politikern höher.

Wahlbeteiligung
Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Wahlkreisergebnisse ) Quelle der Wahlkreiskarte: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Wahlkreise_NRW_2017.svg.

 

Den Genossen um Hannelore Kraft gelang es deutlich weniger als der CDU, unmotivierte (ehemalige) SPD-Wähler an die Urne zu bewegen.

Quelle: wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-05-14-LT-DE-NW/analyse-wanderung.shtml

Und wenn sie gingen, dann entschieden sich viele für die Konkurrenz, vor allem für die CDU. Somit konnte die SPD auch von der deutlich höheren Wahlbeteiligung nicht profitieren, die normalerweise die großen Parteien stärkt, obwohl viele ehemalige Nicht-Wähler sich offenbar aus langfristiger Bindung heraus für die SPD entschieden. Einfach gesagt: Die CDU war der Mobilisierungsgewinner.

Quelle: wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-05-14-LT-DE-NW/analyse-wanderung.shtml

Die SPD hat die Landtagswahl in NRW verloren, weil die zugeschriebene Sachkompetenz in den Kernthemen zu schwach war, es ihr nicht gelang, die eigenen Klientel hinreichend zu mobilisieren und auf einen Kandidateneffekt vertraute, der zur erfolgreichen Wiederwahl einfach zu gering ausfiel. Die CDU hat das Vertrauen in die Management-Kompetenz der rot-grünen Regierung erfolgreich angegriffen. Wie die Versprechen nach mehr Lehrer, mehr Polizisten und besserer Infrastruktur erfüllt werden können, musste und konnte sie angesichts der Unzufriedenheit mit dem Regierungshandwerk nicht beantworten. Die Dramaturgie der Kampagne, den Wählern zu vermitteln, NRW sei in allzu vielen Bereichen Schlusslicht, die im letzten Moment mit dem ins positive gewendeten Versprechen abgerundet wurde, mit der CDU und Armin Laschet würde NRW „wieder spitze“ ging auf. Die alte „Weisheit“ – „die Opposition gewinnt keine Wahlen, die Regierung verliert sie“ – trifft im Fall der Landtagswahl in NRW 2017 nur allzu deutlich zu.

Zitationshinweis

Blätte, Andreas/ Pickel, Susanne/ Stark, Toralf (2017): It’s the education, stupid! Warum die SPD die Landtagswahl in NRW gegen die CDU verloren hat, Essay,  Erschienen auf: regierungsforschung.de, Online verfügbar unter: https://regierungsforschung.de/its-the-education-stupid-warum-die-spd-die-landtagswahl-in-nrw-gegen-die-cdu-verloren-hat/

  1. Hier bestätigt sich einschlägige Forschung zur sozialen Ungleichheit der Wahlbeteiligung (Roßteutscher, Sigrid und Armin Schäfer. 2016. Asymmetrische Mobilisierung: Wahlkampf und ungleiche Wahlbeteiligung. PVS 3, S. 455-483): SPD-Hochburgen sind zugleich Nichtwahl-Hochburgen. In Niedrigwahlgebieten hat die AfD eine gute Chance auf hohe Stimmenanteile, da sie die Hauptthemen der sozial Benachteiligten anspricht. Bislang fehlt allerdings der Beleg, dass sie sich auch wirklich um deren Anliegen kümmert. []
  2. Die Daten wurden entnommen aus Horst Kahrs/Benjamin-Immanuel Hoff (2017): Die Wahl zum 17. Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen am 14. Mai 2017. Wahlnachtbericht und erste Analyse. Rosa Luxemburg Stiftung. []

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