Kampf um die Dose − der lange Weg zum Einwegpfand


“Die Einführung der Pfandpflicht auf Einweg-Getränkeverpackungen stabilisiert Mehrweg und stoppt den Trend zu immer mehr Wegwerfverpackungen.“ So zuversichtlich zeigte sich der Bundesumweltminister Jürgen Trittin am Rande einer Kabinettsitzung zwei Wochen nach der Einführung des Einwegpfandes zum 1. Januar 2003. Das Dosenpfand, wie das Einwegpfand umgangssprachlich genannt wurde, markiere eine Wende auf dem Getränkemarkt, so der Minister.

Die von Trittin ausgerufene Wende bei Getränkeverpackungen kam weder plötzlich, noch war sie unumstritten. Schon seit seinem Amtsantritt im Herbst 1998 engagierte sich der grüne Umweltminister für die Regulierung von Einweggetränkeverpackungen. Im Zuge dessen stand eine mögliche Novellierung der Verpackungsverordnung ganz oben auf seiner politischen Agenda. In diesen Jahren hatte sich das Engagement der rot-grünen Bundesregierung gegen Einwegverpackungen zur umstrittensten Materie nach dem Atomausstieg entwickelt. Die Planung von Maßnahmen zur Eingrenzung von Einweggetränkeverpackungen hatte weite Teile der Industrie auf den Plan gerufen, da diese negative Auswirkungen für sie gehabt hätten. Der Handel befürchtete hohe Mehrkosten, die Hersteller von Einwegverpackungen einen massiven Nachfrageeinbruch. Der starke Widerstand von weiten Teilen der Industrie führte zu einer großen Debatte, die auch die Opposition auf den Plan rief. Doch auch innerhalb des rot-grünen Lagers kam es zu Spannungen, da einzelne Landesregierungen andere Ziele als der grüne Umweltminister verfolgten. Trotz der verfahrenen Situation konnte Bundesumweltminister Trittin im Januar 2003 die Einwegpfandeinführung verkünden. Hatte der Politiker den Widerstand brechen können? Hatte der Minister seine Ziele erreicht? Was war geschehen?

Stunde null für die deutsche Verpackungspolitik?

Die Bundestagswahl 1998 brachte den Wechsel. Nach 16 Jahren waren Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und seine schwarz-gelbe Regierung aus dem Amt und eine rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder (SPD) gewählt worden. Für Bündnis 90/Die Grünen bedeutete die Wahl einen historischen Durchbruch − die erste Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. Mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) übernahmen die Grünen ein Ressort, welches für viele ihrer Kernthemen zuständig ist. Der grüne Politikwechsel sollte an dieser Stelle von Jürgen Trittin angeführt werden, dieser war als bisheriger Bundessprecher ein zentraler Player in der Partei und verfügte als ehemaliger Landesminister in Niedersachsen bereits über Regierungserfahrung.

Für die Zeit nach der Regierungsübernahme hatten die Grünen einen großen Maßnahmenkatalog in Petto, den sie mit ihrem Koalitionspartner SPD verwirklichen wollten. Geplant waren sowohl epochale Projekte, wie der Ausstieg aus der Atomenergie, als auch kleine, aber kaum weniger symbolträchtige Initiativen, wie die Bekämpfung von Verpackungsmüll. Auch zu Letzterem positionierte sich die Partei vor der Wahl klar. In ihrem „Vierjahresprogramm zur Bundestagswahl“ hieß es: „Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz soll novelliert werden, so daß der Vorrang der Abfallvermeidung auch tatsächlich durchgesetzt wird und die Standards für hochwertige Verwertung verwirklicht werden. Wir wollen die Verpackungsordnung ändern, so daß Mehrwegsysteme gesichert und ausgeweitet werden.“ So plante Bündnis 90/Die Grünen schon Monate vor der Bundestagswahl 1998 eine Novellierung der „Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen“, wie der Titel der Verpackungsverordnung vollständig lautet.

In der Koalitionsvereinbarung der neu gewählten rot-grünen Bundesregierung vom 20.10.1998 wurde dieses Ziel festgeschrieben, wenn auch die Formulierung noch allgemein gehalten war und Getränkeverpackungen nicht explizit erwähnt wurden. Im Koalitionsvertrag hieß es: „[D]ie Verpackungsverordnung mit dem System des Grünen Punktes wird ökonomisch sinnvoll umgestaltet. Zur Abfallvermeidung und Stärkung der Produktverantwortung sind vor allem ökonomische Anreize notwendig. Wo diese versagen, werden in Zusammenarbeit mit den Ländern entsprechende Instrumente entwickelt.“ Durch den Koalitionsvertrag war eine Novellierung der Verpackungsverordnung nun auf der politischen Agenda und insbesondere durch das Programm der Grünen stand eine Änderung der Mehrweg-/Einwegregelungen im Raum. Fast zeitgleich geriet die gültige Verpackungsverordnung noch aus einem weiteren Grund in den Fokus. In der von Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) 1991 aufgelegten und von der späteren Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) noch im Sommer 1998 novellierten Verordnung war in Bezug auf Getränkeverpackungen eine Mehrwegquote von 72 Prozent vorgesehen. Für den Fall der Nichteinhaltung der Mehrwegquote in zwei aufeinander folgenden Jahren sah die Verordnung als automatische Sanktion ein Einwegpfand auf die Getränkesegmente (also z.B. Bier oder Wasser) vor, in denen die Quote unterschritten worden war, falls eine Nacherhebung die Ergebnisse bestätigen sollte.

Genau dieses Szenario rückte nun näher, denn im November 1998 wurde durch eine Pressemitteilung des Bundesumweltministeriums publik, dass der in der Verpackungsverordnung geforderte Mehrweganteil von 72 Prozent im Jahr 1997 mit nur 71,35 Prozent erstmalig unterschritten worden war. Als das Bundesumweltministerium im Januar 1999 schließlich rechtsverbindlich im Bundesanzeiger bekannt gab, dass die Quote 1997 unterschritten worden war, wurde es offensichtlich, dass die Einführung eines Einwegpfandes nach der Verordnung der Vorgängerregierung aus CDU und FDP ein großes Stück näher gerückt war, auch wenn es noch auf die Zahlen des Jahres 1998 ankam. Den „Akteuren von BMU und BMWi war die unübersichtliche Situation bei einem Pflichtpfand entlang von Getränkesorten (anstatt entlang von Verpackungsarten) bewusst“. Der Einführungsmechanismus für Einwegpfand nach der gültigen Verpackungsverordnung drohte zu greifen. Die neue Spitze des Bundesumweltministeriums musste zügig handeln, wenn sie, wie vor der Wahl geplant, noch gestalterischen Einfluss auf das Einweg-/Mehrwegsystems nehmen wollte ̶ auch wenn sie ein suboptimales Einwegpfand verhindern wollte.

Autor

Lena RickenbergJulian Obholzer arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Bundestagsabgeordneten in Berlin. Er ist Absolvent des Masterprogramms „Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung“ der NRW School of Governance. Sein Forschungsinteresse liegt insbesondere im Bereich der Policy-Analyse und Regierungsforschung.

Diese und weitere Fallstudien finden Sie hier auf regierungsforschung.de in der Rubrik “Fallstudien

Zitationshinweis

Julian, Obholzer (2015): Kampf um die Dose − der lange Weg zum Einwegpfand. Erschienen in: Regierungsforschung.de, Fälle. Online verfügbar unter: https://regierungsforschung.de/kampf-um-die-dose-der-lange-weg-zum-einwegpfand/

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