Marc Beise / Hans-Jürgen Jakobs: Die grüne Revolution. Aufbruch in ein neues Energiezeitalter

Die Grüne RevolutionWas ist das Narrativ der grünen Welt, das immer noch nicht zum (globalen) Allgemeingut geworden ist? Was vergeht, was wird kommen, und ist das wirklich eine Revolution, also der Umsturz von Macht- und Besitzverhältnissen, die Entwicklung einer neuen Vergesellschaftungsform, welche die brutale Dialektik von Ökonomie und Ökologie nunmehr in Einklang zu bringen vermag?

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Marc Beise / Hans-Jürgen Jakobs: Die grüne Revolution. Aufbruch in ein neues Energiezeitalter

Die Münchner Journalisten Marc Beise und Hans-Jürgen Jakobs begeben sich auf Spurensuche. Sie senden Sonden in Gegenwart und Zukunft aus. Gemeinsam leiten die beiden Autoren die Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung und haben dazu als Herausgeber des vorliegenden Buchs den geballten humanen Sachverstand ihres Blatts mobilisiert.

Marc Beise / Hans-Jürgen Jakobs:

Die grüne Revolution. Aufbruch in ein neues Energiezeitalter.

Süddeutsche Zeitung Edition 2011, 270 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-86615-880-1

Rezension von Jürgen Turek

Die desaströse Kraftwerkshavarie in Fukushima und die Energiewende in Deutschland sind Meilensteine für tektonische Verschiebungen in der Industriekultur in der westlichen Welt. Sie sind Zeichen des endgültigen Abschieds von den Paradigmen der Industriegesellschaft alter Provenienz. Sie demolierten endgültig das Image einer über 150 Jahre fest etablierten industriell geprägten Lebensart. Der atomare dritte Schock am 11. März 2011 in Japan – nach der Kernschmelze im US-Kernkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg 1979 und der Explosion des Reaktors in Tschernobyl 1986 – zeigte ultimativ die Gefährlichkeit der Nuklearenergie auf: mit katastrophalen Folgen für den Menschen und seine von ihm tyrannisierte Umwelt. Zwischen 1940 und 2011 kamen viele andere, nicht weniger Besorgnis erregende Zwischenfälle in der Sowjetunion, den USA, Südamerika  oder Europa hinzu.

Dieser Umstand korrespondiert mit den Folgen des globalen Klimawandels und dem globalen Bevölkerungswachstum. Der Einsatz fossiler Brennstoffe und der Ausstoß von CO2 sind die Treiber einer weltweiten grünen Revolution. Immer mehr wird klar: das fossile Zeitalter verursacht größere Kosten als eine langfristige ökologische Energiewende durch den Einsatz erneuerbarer Energien. Hinzu kommt das prognostizierte Wachstum der Weltbevölkerung auf fast 10 Milliarden Menschen bis 2050 – Zahlen, die klare Erwartungen an den steigenden Energiehunger aufkommen lassen. Ökonomische und demographische Gründe determinieren einen Paradigmenwechsel mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit der Industriegesellschaft. Auch wenn dieser Wechsel noch durch industriepolitische Widerborstigkeiten von Lobbyisten torpediert zu werden scheint: er zeichnete sich bereits seit Ende der 1980er Jahre mit dem Bericht des ‚Club of Rome’ zu den Grenzen des Wachstums ab. Obwohl der Bericht in seinen Schlussfolgerungen und Prognosen nicht gänzlich richtig lag, erwies sich schließlich die Notwendigkeit einer Ökobilanz für die Industriegesellschaft als richtig – und regte Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre eine wissenschaftliche und politische Befassung mit diesem Thema unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit an (vgl. exemplarisch Scheer 2002; Heinberg 2004). Befeuert vom Brundtland-Report 1987 und dem folgenden Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro entwickelte sich ein Mainstream, der sich ernsthaft und politisch zunehmend kraftvoll für eine Entwicklung einsetzte, welche die „Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“. Neben der industriellen Bedeutung eines derartigen Unterfangens nahm in der Folge auch das Interesse für die machtpolitischen Implikationen (vgl. etwa Hennicke/Müller 2005) sowie für die wirtschaftspolitischen Konsequenzen zu. Das Bild von nachhaltiger Entwicklung und Generationengerechtigkeit wurde so in seiner Plausibilität zunächst zu einem beschlossenen sozialen Entwicklungspfad – und dann zu einem politisch scharfen Schwert.

Die grüne Revolution gewinnt an Statur

Was ist das Narrativ der grünen Welt, das immer noch nicht zum (globalen) Allgemeingut geworden ist? Was vergeht, was wird kommen, und ist das wirklich eine Revolution, also der Umsturz von Macht- und Besitzverhältnissen, die Entwicklung einer neuen Vergesellschaftungsform, welche die brutale Dialektik von Ökonomie und Ökologie nunmehr in Einklang zu bringen vermag? Die Münchner Journalisten Marc Beise und Hans-Jürgen Jakobs begeben sich auf Spurensuche. Sie senden Sonden in Gegenwart und Zukunft aus. Gemeinsam leiten die beiden Autoren die Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung und haben dazu als Herausgeber des vorliegenden Buchs den geballten humanen Sachverstand ihres Blatts mobilisiert. Die Truppe will Antworten geben auf die Implikationen der grünen Revolution. Und vorab gesagt, das Konzert des Ensembles unter seinen zwei Dirigenten klingt bemerkenswert.

Nichts weniger als die Paradigmen der Industriegesellschaft stehen zur Disposition, also die prägenden Elemente des Industriezeitalters: dem Primat der atomaren und fossilen Energien, die fossil befeuerte Mobilität, der ökologische Nulltarif industrieller Produktion, die Robustheit von industriell geprägten Arbeitsplätzen  und damit nicht zuletzt die Naivität des Vertrauens in die Dauerhaftigkeit des industriellen Zeitalters. Dem widmet sich das Team von Marc Beise und Hans-Jürgen Jakobs im Rahmen eines wundervoll editierten Readers zur grünen Revolution. Hier wird exakt recherchiert, klar beschrieben, dezidiert hingewiesen, sorgfältig aufgeklärt. Und dies in einer traumhaften Art und Weise, die Reportage, Interview und eine faszinierende Bebilderung zu einem Gesamtkunstwerk des Verstehens verknüpft. Da entstehen Bilder und Landschaften einer neuen Wirtschaftswelt, die sich nicht auf Kontroversen um prozentuelle Anteile im Energiemix, Abgaben oder Umweltzertifikate beschränken, so wichtig diese im Einzelfall auch sind. Die Wirtschaftsredaktion der SZ schwärmte dabei weltweit aus. Redakteure reisten durch Europa, Brasilien, die USA, China, Bangladesch.

So lernt man das Projekt Desertec kennen, das Solarstrom, gewonnen in Südeuropa und Nordafrika, in einem gigantischen Verbundprojekt für die Energieversorgung Europas generieren wird. Strom aus der Wüste, das ist für SZ-Redakteur Markus Balser das Apollo-Projekt dieses Jahrhunderts. Aber auch Wasserkraftwerke etwa in Schwellenländern wie Brasilien haben ein enormes Potenzial: so liefert zum Beispiel das brasilianische Kraftwerk in Itaipu im Süden des Landes so viel Strom wie 15 Atomkraftwerke und befriedigt damit immerhin 90 % des Strombedarfs von Paraguay und 20 % desjenigen von Brasilien. Die Energiewende führt zu einem anderen Bild der zukünftigen Wirtschaft, in der das Energieinternet wertvolle Ressourcen einsparen wird, wo die Mobilität mehr auf Strom oder Gas setzen muss und in der Emissionsrechte zu echten „Rauchzeichen in der Bilanz von Unternehmen“ führen werden. Die gesamte Landwirtschaft gerät unter dem Druck nachhaltiger und verbrauchergerechter Produktionsformen ins Rutschen.

Die Mannschaft um Marc Beise und Hans-Jürgen Jakobs zeigt auf, wie das individuelle Verhalten mit der grünen Revolution korrespondieren muss und wird. Und wie urbanes Leben in Zukunft aussehen kann. So beschreibt Alexandra Borchardt die städtischen Zentren der Zukunft; Markus Balser und Andrian Kreye werfen die Frage auf, wie die Begriffe von Wachstum, Wohlstand und Konsum neu zu definieren sind in dieser Ökonomie, die das Fundament einer postindustriellen Gesellschaft sein wird. Der Band wirft auch einem Blick auf die grüne Revolution in anderen Staaten der Welt. Nikolaus Piper zeigt die Spaltung Amerikas durch eine fast schon ideologisch geprägte Ökodiskussion auf, wo viele die Klimadebatte für eine schlimme Verschwörung halten. In China, so weiß Henrik Bork zu berichten, wächst der Widerstand gegen die skrupellose Verschmutzung und Vergiftung des Landes und auch dort entwickelt sich sukzessive ein Gespür für die volkswirtschaftlichen Chancen einer differenzierten Ökowirtschaft. Interessant sind die Bemühungen Südamerikas oder Afrikas, wo angesichts von Kahlschlag, Landverlust oder Bodenerosion das Gefühl für Nachhaltigkeit geradezu zwangsweise wächst.

Abschließend gehen die Autoren der Frage nach, wie die Revolution praktisch funktioniert, wie sie im Alltag funktioniert und umgesetzt wird und, nun ja, die wichtigste Frage, wer die Gewinner und Verlierer der Revolution sind. Ein Blick vom Norden bis zum Süden der Republik zeigt sowohl aus der Vogelperspektive als auch von den Graswurzeln auf, dass und wie die Energiewende möglich ist. Aber deutlich wird auch, dass ein Energiemix, der alte und neue Energien gleichermaßen dauerhaft integrieren will, wenig Sinn macht. So wird, und dies hat der Atomausstieg ja bereits gezeigt, der grüne Umbau zu einem Verdrängungswettbewerb führen, der die deutsche Wirtschaft nach Auffassung von Markus Balser in Gewinner und Verlierer spalten werde, so stark wie nie zuvor in der von Schwerindustrie, Maschinenbau, Chemie-, Auto- und Atomwirtschaft beatmeten Industriegeschichte Deutschlands.

Gibt es ein ‚Happy End’ für die grüne Revolution?

Die grüne Revolution ist die dritte industrielle Revolution, die von neuen Energien geprägt ist (Vgl. grundlegend Rifkin 2011). Im 19. Jahrhundert brachen Kohle und Dampfmaschine die Vorherrschaft der Agrarwirtschaft, im 20. Jahrhundert befeuerten Öl und Motor die Industriegesellschaft. Sie läuft ab vor dem Hintergrund einer beispiellosen Ausnutzung von energetischen und natürlichen Rohstoffen sowie einer gnadenlosen Ausbeutung der Natur im 20. Jahrhundert, die keine Fortsetzung finden kann und darf. So ist der Paradigmenwechsel ohne Alternative, der aber Schmerzen und Umstellungszumutungen realisiert. Gibt es also das Happy End der grünen Revolution und wenn ja, wie? Markus Balser und Alexandra Borchardt weisen auf die zentralen Voraussetzungen hin, damit der Wandel gelingt:

  1. der ökologische Umbau muss den reichen aber auch den sich entwickelnden Volkswirtschaften als komplexe Herausforderung politisch und technisch gelingen und das Verlieren innerhalb dieser Revolution braucht eine belastbare Kompensation;
  2. in Marktwirtschaften kann er nur Erfolg haben, wenn es Gewinn verspricht, Ressourcen zu schonen und entsprechend zu produzieren. Dies fordert den Staat als regulierende und führende Instanz heraus. Er muss Standards und Incentives setzen, die Investoren zu grünem Engagement bewegen.

Bei alldem aber ist eines noch wichtiger: die Akzeptanz beim Bürger. Sie müssen die grüne Welt begreifen und annehmen. In Demokratien wird ihre Realisation nur nachhaltig sein, wenn der Staat führt, die Wirtschaft den Wandel umsetzt und der Bürger das Projekt durch sein Konsum- und Verbrauchsverhalten, seine eigenen Investitionsentscheidungen und seine Grundüberzeugungen trägt. Dies führt das Buch als Grundvoraussetzung eindrucksvoll aus. Und konstruiert in ruhigem Fluss dann Bild für Bild anschaulich und spannend das Narrativ der grünen Welt.

Literatur

  • Beise, Marc / Jakobs, Hans-Jürgen (2011): Die Zukunft der Arbeit, München.
  • Heinberg, Richard (2004): The Party’s Over. Das Ende der Ölvorräte und die Zukunft der industrialisierten Welt. Mit einem Nachwort von Hans-Peter Dürr, München
  • Hennicke, Peter / Müller, Michael (2005): Weltmacht Energie. Herausforderungen für Demokratie und Wohlstand, Stuttgart.
  • Rifkin, Jeremy (2011): Die dritte industrielle Revolution. Die Zukunft der Wirtschaft nach dem Atomzeitalter, Frankfurt/ M..
  • Scheer, Hermann (2002): Solare Weltwirtschaft. Strategie für die ökologische Moderne, 5. aktualisierte Aufl., München.
  • UN (United Nations General Assembly) (1987): Report of the World Commission on Environment and Development„Our Common Future“. Verfügbar unter: http://www.bne-portal.de/coremedia/generator/unesco/de/Downloads/Hintergrundmaterial__international/Brundtlandbericht.pdf (englische Fassung).

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