Merkel in der Automatismus-Falle? Die Auswahl des EU-Kommissionspräsidenten nach der Europawahl 2014


Für die europäischen Spitzenpolitiker waren es lange Tage und Nächte nach der Europawahl am 25. Mai 2014. Die Verkündung des Ergebnisses setzte den Rahmen für das politische Ringen um den Spitzenposten in Brüssel: das Amt des Kommissionspräsidenten. Die Besonderheit der Europawahl 2014 war, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union Spitzenkandidaten der jeweiligen Parteienfamilien für das Amt des Kommissionspräsidenten antraten.

Dieses historische Novum auf dem Weg zu einer stärker politisierten Europäischen Union war im Nachgang der Wahl jedoch keineswegs unumstritten. Auf der einen Seite kämpften die Unterstützer dieser politischen Neuerung, durch die der Spitzenkandidat der stärksten Partei Zugriff auf das Amt des Kommissionspräsidenten bekommen sollte. Auf der anderen Seite agierten diejenigen, die die Nominierung eines eigenen, dem Rat der Europäischen Union – und somit letztlich den Staats- und Regierungschef – genehmen Kandidaten zu verteidigen suchten. Wer sollte den Kampf um das Prozedere gewinnen?

Nach der Wahl war schnell klar, dass die Stimmenverteilung zumindest zwischen den Parteienfamilien zu einem eindeutigen politischen Ergebnis geführt hatte: Wenn ein Spitzenkandidat nächster Kommissionspräsident werden sollte, dann Jean-Claude Juncker (EVP) und nicht Martin Schulz (S&D). Zwar hatte die EVP mit einem Ergebnis von europaweit 29,43% einen Verlust von 6% zu beklagen, gegenüber der S&D mit 25,43% war sie jedoch weiterhin stärkste Kraft. Gesetzt war Juncker trotz dieses Ergebnisses keineswegs. An der Frage, ob Jean-Claude Juncker Zugriff auf das Amt bekommt, sollte sich schließlich ein europäischer Machtkampf par excellence entzünden.

Bei dieser Frage stand nicht nur aus deutscher Perspektive die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Mittelpunkt, die ihr politisches Gewicht jedoch in der Frage der Spitzenkandidaten bis dato nicht in die Waagschale geworfen hatte. Sowohl die politischen Akteure der Brüsseler Institutionen als auch die Regierungen der anderen Mitgliedstaaten erwarteten eine politische Stellungnahme der Kanzlerin. Das einzige, was von Angela Merkel jedoch zu vernehmen war, bestand in der schon vor der Wahl oftmals wiederholten Aussage, dass es keinen Automatismus bei der Besetzung des Kommissionspräsidenten mit einem Spitzenkandidaten geben würde. Dabei verband sich mit eben dieser Frage eine enorme politische Sprengkraft, denn sowohl Juncker als auch Schulz konnten als durchsetzungsstarke Politiker gelten, die für die Staats und Regierungschefs sicherlich zu Weilen unangenehmere Gesprächspartner als Manuel Barroso, der aus dem Amt scheidende Präsident der Kommission, abgeben würden. Beide Spitzenkandidaten genossen zudem einen Ruf als Integrationisten, die sich für weitere Kompetenzverlagerungen auf die europäische Ebene stark machten und den Einfluss der einzelnen Nationalstaaten begrenzen wollten. Nicht nur für einige osteuropäische Regierungen stieß dies auf Vorbehalte, insbesondere David Cameron äußerte als bekennender Skeptiker – nicht zuletzt aus innenpolitischen Gründen – der ever closing union sein Missfallen an den Personalien.

Autor

Felix Schenuit ist Masterstudent an der NRW School of Governance im Studiengang „Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung“. Seine thematischen Schwerpunkte sind internationale Energie- und Klimapolitik und European Public Policy. Seit September 2014 arbeitete er für ein Jahr am Jean Monnet Lehrstuhl für Europäische Integration und Europapolitik an der Universität Duisburg-Essen. Zurzeit arbeitet er als studentischer Mitarbeiter in der Stiftung Wissenschaft und Politik in dem
Projekt “Making the international trading system work for climate change”.

Diese und weitere Fallstudien finden Sie hier auf regierungsforschung.de in der Rubrik “Fallstudien

Zitationshinweis

Schenuit, Felix (2016): Merkel in der Automatismus-Falle? Die Auswahl des EU-Kommissionspräsidenten nach der Europawahl 2014. Erschienen in: Regierungsforschung.de, Fälle. Online verfügbar unter: https://regierungsforschung.de/merkel-in-der-automatismus-falle-die-auswahl-des-eu-kommissionspraesidenten-nach-der-europawahl-2014/

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