Schengen im Patt: Zwischen nationalen Reflexen und notwendiger Reform

Welches sind die aktuellen und strukturellen Probleme des Schengen-Raums und warum ist eine Reform zur Lösung dieser Probleme politisch unwahrscheinlich? Dieser Frage geht Daniel Schade, Assistant Professor für European Union Studies an der Universität Leiden, in seinem Essay nach. Er erläutert umfassend, wie der Schengen-Raum funktioniert und welche Spannungen ihm zugrunde liegen, wie die politische Frage der Schengen-Mitgliedschaft einzuordnen ist und welche Kernproblematik dem, so Daniel Schade, immer hohler werdenden Versprechen der offenen Binnengrenzen zugrunde liegt.

Die offenen Binnengrenzen innerhalb der Europäischen Union sind eine der sichtbarsten Errungenschaften der europäischen Integration. Ermöglicht werden sie durch den sogenannten Schengen-Raum und die ihm zugrunde liegende Gesetzgebung. Im Normalfall ist der Schengen-Raum nur durch die weitgehende Unsichtbarkeit der europäischen Grenzen erfahrbar. In den letzten Jahren können Reisende jedoch vermehrt in eigentlich längst abgeschafft geglaubte Grenzkontrollen geraten – und müssen so erleben, wie wichtig die Innovation Schengen für das europäische Zusammenwachen über Grenzen hinweg ist.

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Differenzierte Integration – Wegbereiter für ehrgeizige EU-Reformen?

© Thomas Winzen

Kann das Instrument der differenzierten Integration ein Weg zur Einigung sein, wenn die Verhandlungen an der Notwendigkeit zu scheitern drohen, alle 27 EU-Mitgliedstaaten ins Boot zu holen? Dieser Frage geht Prof. Dr. Thomas Winzen von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf nach und diskutiert dabei die Bedingungen und Möglichkeiten, Differenzierung zur Förderung von Reformen einzusetzen – mit einem kritischen Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen Nützlichkeit und Praktikabilität sowie der tatsächlichen Anwendung des Instruments.

Institutionelle Reform und Erweiterung stehen wieder auf der Tagesordnung der EU. Doch die Reformvorschläge erfordern Änderungen der EU-Verträge und sind höchst umstritten. Noch nie gab es eine so schwierige Gruppe von Beitrittskandidaten. Es ist alles andere als sicher, dass die 27 Mitgliedstaaten, die die Vertragsänderungen beschließen und ratifizieren müssen, eine gemeinsame Basis finden werden.

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Die Programmatik der Ampelparteien in der Analyse

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen beschreibt die Ampelkoalition als permanenten Krisenlotsen, der die moderne Fähigkeit mitzubringen vermag, das jeweils Unwahrscheinliche zu managen. Wie letztlich drei Unterschiede der Parteien als „Problemlösungsagenturen“ zu einem Ergebnis führen, bleibt weiterhin zu beobachten, während das beim transcript Verlag erschienene Buch von Pola Lehmann, Theres Matthieß, Sven Regel und Bernhard Weßels – “Die Ampelkoalition. Wie wird aus unterschiedlichen Zielen ein gemeinsames Regierungsprogramm?” – alle darin bestärkt, die Parteien weiterhin als unverzichtbaren Bestandteil moderner Willensbildung zu feiern.

Die Parteien der Zitrus-Koalition – aus Grünen und FDP – suchten sich nach dem Kanzler-Casting einen schwarzen – Union – oder roten – SPD – Partner! Das Insta-Foto von Baerbock, Habeck, Lindner und Wissing  gehört zur Erinnerung an den Start der Berliner Ampel. Erstmals suchten sich die kleineren Partner zusammen den etwas größeren Partner. Dem Ungewöhnlichen auf der Spur sind die Autoren des hier zu besprechenden Buches. Sie vermessen mit quantitativen Verfahren inhaltsanalytisch eine Wegstrecke: Von den Wahlprogrammen zum Koalitionsvertrag.

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“Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt” – Wahlen, Vertrauen und koalitionäre Farbenspiele

Am 12. Februar 2023 fand die Wiederholungswahl zum 19. Abgeordnetenhaus von Berlin statt. Dr. Julia Reuschenbach von der Arbeitsstelle für Politische Soziologe der Bundesrepublik Deutschland am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin wirft einen Blick auf die Charakteristika einer Wiederholungswahl, die Phase des Wahlkampfs in Berlin sowie die politischen Themen im Vorfeld der Wiederholungswahl. Die Analyse der „koalitionären Farbenspiele” und das vorläufige Fazit zur Wiederholungswahl lassen mit Spannung erwarten, wie die noch laufenden Koalitionsverhandlungen ausgehen werden – und welche Bündnisse angesichts neuer Konstellationen bei der nächsten Wahl möglich sein werden, so Julia Reuschenbach.

Die Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus (AGH) und den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen vom 12. Februar 2023 war gleich in mehrfacher Hinsicht ein besonderes Ereignis. Dies ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass schon die vollständige Wiederholung der Wahl – basierend auf einem entsprechenden Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs – ein Novum darstellte. Daneben wurde die Wahlwiederholung einmal mehr zur Projektionsfläche landesweiter Debatten über die vermeintliche Dysfunktionalität der Hauptstadt und der Berliner Landesverwaltung im Besonderen.

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Schon viel zu berichten, aber auch noch ein weiter Weg voraus: Die Krise der Rechtsstaatlichkeit in der EU

© Joanna Scheffel

Der politische Diskurs über den Verfall der Rechtsstaatlichkeit – einem der zentralen Grundwerte der Europäischen Union – prägt zentrale rechtliche Entwicklungen auf EU-Ebene und könnte, so László Detre vom Ungarischen Helsinki-Komitee und dem Forum Transregionale Studien in Berlin, auch die Zukunft der europäischen Integration bestimmen. Mit Blick auf die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit, politische Schutzinstrumente und mögliche Wege, die die EU einschlagen könnte, analysiert und diskutiert László Detre vergangene, gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen zur Krise der Rechtsstaatlichkeit in der EU.

In Artikel 2 des EU-Vertrags (EUV) ist die Rechtsstaatlichkeit als einer der Grundwerte der Euro-päischen Union verankert, der allen Mitgliedstaaten gemeinsam ist – oder sein sollte. Die theoreti-sche Debatte über die Rechtsstaatlichkeit wird bereits seit langem geführt. Und auch wenn einige Politiker:innen dies in Frage stellen, besteht in Europa ein Konsens über die Kernelemente und die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips, obwohl sich dessen Ausprägungen im Einzelnen von Mitglied-staat zu Mitgliedstaat unterscheiden können.

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Über die kommunikative Wucht von Regierungserklärungen

Wer sich systematisch über das politische Instrument der Regierungserklärung informieren will, findet im Handbuch Politische Rhetorik von Armin Burkhardt – erschienen beim Walter de Gruyter Verlag – viele Antworten, so Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. In über 50 Beiträgen von der Geschichte bis zu internationalen Aspekten der politischen Kommunikation wird ein wichtiger Wissensstand dokumentiert. Es wird schnell erkennbar: Sprachgewinn ist Machtgewinn in der politischen Auseinandersetzung.

,,Das Wort hat der Herr Bundeskanzler” – mit diesem Satz erteilt der Bundestagspräsident im Plenum des Deutschen Bundestages dem Bundeskanzler das Wort, der daraufhin seine Regierungserklärung abgibt. An dieser standardisierten Formulierung hat sich seit der ersten Regierungserklärung von Bundeskanzler Konrad Adenauer nichts verändert. Der Redner kann sich nach dieser Einführung der vollen Aufmerksamkeit der Abgeordneten sicher sein. Regierungserklärungen gehören zum Alltag einer parlamentarischen Demokratie.

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Mehr Demokratie durch mehr Mehrheitsentscheide

Julian Plottka von der Universität Passau und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn befasst sich im neuen Beitrag des Schwerpunktes „Überstaatliches Regieren zwischen Diplomatie und Demokratie – aktuelle Debatten um die Reform der EU“ mit dem Zusammenhang zwischen der Abschaffung nationaler Vetorechte und der Legitimität der EU.  Dabei werden die Output-Legitimation und das „andere Demokratiedefizit“ der EU, die Transparenz des Rates der EU und die Wirksamkeit des Vetos zur Durchsetzung nationaler Interessen ausführlich diskutiert und erörtert. In der Frage des Übergangs zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen auf europäischer Ebene bahnt sich, so Julian Plottka, ein Treppenwitz an.

Nicht erst seit die Ukraine und Moldau im Jahr 2022 eine EU-Beitrittsperspektive erhalten haben, steht die Frage nach der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union im Zentrum ihrer Reformdebatte. Wie lassen sich ein „geopolitisches Europa“ im Äußeren und die notwendige Transformation im Inneren mit 27 oder mehr Mitgliedstaaten und wachsender Entscheidungskomplexität erreichen?

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Regieren in der Transformationsgesellschaft

© Jonas Heidebrecht

Die Kooperationsveranstaltung „Regieren in der Transformationsgesellschaft“ der NRW School of Governance und des Instituts der deutschen Wirtschaft widmete sich drei Transformationsclustern: Demographie/Diversität, Digitalisierung und Daseinsvorsorge/Dekarbonisierung. Entlang eines interdisziplinären Zugangs wurden die Teilnehmenden dazu angeregt, den Fallstricken des Transformationsmanagements nachzuspüren und gemeinsam mit Expert:innen erste Lösungsansätze zu skizzieren und zu diskutieren. Dr. Matthias Diermeier, Arno von Schuckmann und Philipp Richter zeichnen den Ablauf, die Ergebnisse und die erarbeiteten Impulse aus der Perspektive politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen nach.

Aus den Themen Daseinsvorsorge/Dekarbonisierung, Digitalisierung und demographischer Wandel/Diversität ergeben sich für Gesellschaft und Wirtschaft erhebliche Wandlungsbedarfe. Die gleichzeitige Bewältigung der unterschiedlichen Transformationen stellte sich schon in politisch ruhigeren Zeiten als äußerst herausfordernd dar.

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Die angekratzte Rechtsgemeinschaft

© Bogdan Hinrichs

Die Frage des Vorrangs des Europarechts hat sich in den letzten Jahren durch eine Reihe von Urteilen – unter anderem in Deutschland und Polen – zugespitzt und wird zunehmend nicht nur aus juristischer, sondern auch aus politischer Perspektive diskutiert. Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht an der universitären Fakultät Rechtswissenschaften der BSP Business and Law School Berlin, beschäftigt sich im folgenden Essay mit der Frage, wie diese „Vorrangkrise“ vor dem Hintergrund der Entwicklungen der letzten Jahre mittel- und langfristig überwunden werden kann.

In einem supranationalen Verbund von 27 Mitgliedstaaten sind Integrationskrisen und -rückschläge ebenso erwartbar wie nicht prinzipiell bedrohlich. Rückblickend ist die Europäische Union aus vielen solcher Krisen gestärkt hervorgegangen. Es wäre eher verwunderlich, wenn grundlegende Fragen der europäischen Integration stets harmonisch und ohne größere Konflikte gelöst würden.

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„Es ist die Aufgabe des Bundestages, die Regierung zu kontrollieren und dafür ist das Fragerecht eines des wesentlichen Instrumente.“ – Kurzinterview mit Konstantin Kuhle

© Munir Werner

Konstantin Kuhle ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und dort seit 2021 stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion. Im März 2022 wurde er zum Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes gewählt. Außerdem ist er seit 2018 Generalsekretär der FDP Niedersachsen.


Arnim Grothe und Yannick Peters von der NRW School of Governance fragen Konstantin Kuhle unter anderem nach seinen Einschätzungen zur Innenpolitik und den Konsequenzen seiner erfolgreichen Verfassungsklage im Dezember letzten Jahres. Konstantin Kuhle stand den Masterstudierenden der Vorlesung „Medien und Politik“ (Master Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung an der NRW School of Governance) von Dr. Kristina Weissenbach in einem rund einstündigen Austausch – welcher in dem vorliegenden Kurzinterview mündete – Rede und Antwort, um insbesondere zum Thema Social Media, aber auch zu den im Kurzinterview dominierenden Aspekten, Einblicke in die Politikpraxis zu geben und zu diskutieren. 

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