Regulierung durch Algorithmen?

Was zunächst wie eine düstere Zukunft klingt, birgt durchaus Chancen und ist in weiten Teilen unseres alltäglichen Lebens bereits gern gesehene Realität: Die Steuerung durch Algorithmen. Doch welche Implikationen ergeben sich aus einer Verlagerung von politischen Entscheidungen auf mathematische Modelle?

In einem lesenswerten Essay stellt sich Evgeny Morozov diesen Fragen. Morozov ist einer der profiliertesten Netzkritiker, der vor allem mit seinem Titel „The Net Delusion – The Dark Side of Internet Freedom“ Aufmerksamkeit erregte. Seine monatliche Slate-Kolumne erscheint unter dem Titel „Silicon Democracy“ auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Morozovs systematische Analysen werfen einen kritischen Blick auf das Netz und erörtern Chancen und Gefahren einer zunehmenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutungsverlagerung ins Internet, ohne dabei einer technikfeindlichen Agenda zu folgen. Vielmehr greift er die dezidiert politischen Fragestellungen auf und beschreibt die zunehmende Entpolitisierung der Netzpolitik.

Sein Text im Guardian unter dem Titel „The rise of data and the death of politics” kritisiert den rationalistischen und auf Effizienz fixierten Problemlösungsansatz, der oftmals hinter einem Ruf nach mehr Algorithmen steht. Ein entscheidendes Problem des wachsenden Einflusses von Algorithmen für die politische Entscheidungsfindung, liegt in der Definition des gewünschten Ergebnisses. Denn Algorithmen kümmern sich weniger um den Weg, als um das Ziel einer Lösung oder wie Morozov es ausdrückt: „But the how of politics is as important as the what of politics – in fact, the former often shapes the latter“. „Algorithmic regulation“ bietet kaum Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit Form- und Wertefragen, die sich zwangsläufig mit politischen Problemstellungen ergeben: „as if the very choice of how to achieve those ‘desired outcomes’ was apolitical and didn’t force us to choose between different and often incompatible visions of communal living.”

Morozov tangiert hier ein sehr aktuelles Problem der (post-)modernen Governance-Forschung: Wie können die Wege der Entscheidungsfindung unter zunehmendem Entscheidungsstress gleichsam effizient, wie „richtig“ sein. Gerade diese normative Komponente wird dabei oftmals an den Rand gedrängt. Denn ein Primat der Formfragen ist nicht selten der Feind inhaltlicher Aspekte. Eine „algorithmic regulation“ rückt also zwangsläufig in die Nähe expertokratischer Mechanismen, die neue Formen der Legitimation evozieren (Boltanski). So argumentiert Morozov mit Agamben, dass sich die moderne Governance nicht länger die Ursachen, sondern die Auswirkungen der Politik reguliert. Dies sei zwar effektiver, doch erkläre gleichzeitig, warum eine ökonomische Liberalisierung mit einer Ausweitung gesellschaftlicher Kontrolle einhergehe.

Der Ausbau algorithmischer Regulierung hat einen direkten Einfluss auf unser tägliches (politisches) Leben. Umso erschreckender, wie wenig wir über sie wissen, wie Adrian Kreye an diesem Wochenende in der Süddeutschen Zeitung feststellte. Die Algorithmen seien „Neue Weltsprache“ doch nur eine Handvoll versteht, geschweige denn spricht sie. Geradezu folgerichtig erscheint also der Ruf nach einer Aufnahme des Programmierens in die Lehrpläne der Schulen. Nur durch ein tieferes und vor allem breiteres Wissen über die Mechanismen von Algorithmen, lässt sich konstruktive Kritik denken. Kreye verweist auf einen jungen Forschungszweig „ethischer“ Programmierung, die sich unter dem Schlagwort „Fair Play Algorithms“ am Imperial College in London mit Fragen kollektiven Verhaltens im Netz befassen.

Die noch junge Debatte um die Bedeutung von Algorithmen für die politische Praxis setzt auch die Politikwissenschaft dazu, sich mit den demokratietheoretischen Implikationen einer zunehmenden Mathematisierung der Entscheidungsgenese zu beschäftigen. Will sie nicht der Entwicklung hinterherhinken und das Geschehen deskriptiv begleiten, so wird sie sich vor allem um die Vermachtung der Schnittstelle von Programmierung und Implementation von Algorithmen kümmern müssen: Wer entscheidet welche mathematischen Formeln, mithin welcher Output gewünscht wird? Welche demokratietheoretischen Vorkenntnisse bringen die Programmierer mit? Wie lassen sich automatisierte Abläufe letztlich unter legitimatorischen Gesichtspunkten beurteilen?

Die Chancen des Internets und auch der Algorithmen nutzen zu können bedeutet für die Politikwissenschaft also sich ihnen konzeptionell und mithilfe des eigenen Handwerkszeugs zu nähern. Denn: „Technophobia is no solution!“ wie Evgeny Morozov energisch feststellt. Sein Plädoyer fordert eine Auseinandersetzung mit dem Internet und den Folgen einer Automatisierung des gesellschaftlichen Lebens. Die Last über unser Schicksal selbst zu bestimmen, so schließt er mit Stanislav Lem, können wir nicht den Algorithmen überlassen.

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  1. Räbiger

    Welche Möglichkeiten der Ausspähung und Manipulation bereits gegeben sind und angewandt werden, sind im Buch „Die Herrschaftsformel“ oder. Wie Künstliche Intelligenz uns berechnet, steuert und unser Leben verändert von Kai Schlieter aufgearbeitet und mit Fakten belegt.
    Die Steuerung der Bevölkerung könnte künftig weniger über Gesetze und politische Überzeugungsarbeit ablaufen, als über Entscheidungen nach mathematischen Modellen (algorithmische Regulation). Leider keine Utopie, sondern Wirklichkeit.

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