Schwarz-Grün in Hessen: Warmlaufen für den Bund?

Dr. Niko SwitekDie schwarz-grüne Koalition in Hessen ist das erste Bündnis von CDU und Grünen in einem deutschen Flächenland und sie regiert auch in ihrem zweiten Jahr erstaunlich konflikt- und reibungslos.

Selbst die in den letzten Monaten dominierenden Debatten über Asyl- und Flüchtlingspolitik haben die ungleichen Partner bislang nicht erkennbar aus der Bahn geworfen. Zeichnet sich in Hessen ein neues Koalitionsmodell ab, dass Vorbildcharakter für die Bundesebene haben könnte?

Schwarz-Grün in Hessen:

Warmlaufen für den Bund?

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Dr. Niko Switek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft und der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Er hat in seiner Doktorarbeit zu den neuen Koalitionen der Grünen in den Bundesländern geforscht.

Dieser Beitrag wurde vorab in der Fuldaer Zeitung vom 18.01.2016 veröffentlicht.

Die schwarz-grüne Koalition in Hessen ist das erste Bündnis von CDU und Grünen in einem deutschen Flächenland und sie regiert auch in ihrem zweiten Jahr erstaunlich konflikt- und reibungslos. Selbst die in den letzten Monaten dominierenden Debatten über Asyl- und Flüchtlingspolitik haben die ungleichen Partner bislang nicht erkennbar aus der Bahn geworfen. Zeichnet sich in Hessen ein neues Koalitionsmodell ab, dass Vorbildcharakter für die Bundesebene haben könnte?

Tatsächlich fungieren die Bundesländer in Deutschland als „Testlabore“ für nicht praktizierte Regierungsbündnisse. Aufgrund ähnlicher institutioneller Ausgestaltung bei zugleich eingeschränkten Kompetenzen lassen sich auf Länderebene leichter programmatische Gemeinsamkeiten definieren. Bereits durch Sondierungen und Koalitionsverhandlungen nähern sich die Protagonisten an; im Falle einer erfolgreichen Regierungsbildung bilden die Partner in der Regierungspraxis Routinen für eine Zusammenarbeit aus. Über die Zeit wächst damit eine Art Koalitionsleitbild, dass auch gegenüber der eigenen Parteibasis und den Wählern eine Begründungspflicht abmildert. Aufbauend auf den Erfahrungen der Landesparteien wird die Kooperation in einer Bundesregierung möglich. Demnach gilt, dass es im Bund wohl keine Koalition geben wird, die nicht einen Vorläufer auf Länderebene hatte.

Auf der anderen Seite sind es gerade Besonderheiten in den Ländern, die eine Regierungsbildung ermöglichen. So unterscheiden sich beispielsweise die Landesverbände der Linkspartei in den alten und neuen Bundesländern massiv. Aber auch bei den anderen Parteien verfügen die Landesparteien über spezifische programmatische Profile, was sich bei den Grünen vor allem an der Strömungsstrukturierung festmacht. Die hessischen Grünen sind von der pragmatischen Realo-/Reformer-Strömung geprägt und verfügen nur über einen schwachen linken Flügel. Das sind hilfreiche Bedingungen für eine lagerübergreifende Zusammenarbeit mit der Union. Auf Bundesebene hingegen muss eine Partei als Ganzes mit allen Untergliederungen überzeugt werden.

Der hessische Fall verweist aber auf einen weiteren Faktor, der über rechnerische Mehrheit und programmatische Schnittmengen hinaus bei der Koalitionsbildung eine Rolle spielt: die persönlichen Beziehungen zwischen dem Spitzenpersonal der Parteien. Der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch war bei den Grünen so unbeliebt, dass eine Kooperation im Bereich des Undenkbaren lag. Erst sein Rückzug machte den Weg für das neue Bündnis frei. In diesem Sinne ist auf Bundesebene fast keine bessere Architektin für eine schwarz-grüne Zusammenarbeit vorstellbar als die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nicht nur räumte sie mit dem Atomausstieg den zentralen Spaltpilz aus dem Weg und näherte mit ihrem Mitte-Kurs die CDU insgesamt dem linken Lager an, gefühlt wird ihre Flüchtlingspolitik zurzeit von mehr Grünen- als von Unions-Anhängern gelobt. Sollte Merkel 2017 noch einmal antreten, sind die Vorzeichen zumindest hinsichtlich der personellen Kontextfaktoren günstig.

In jedem Fall werden die hessischen Ableger von CDU und Grünen im Vorfeld der nächsten Bundestagswahl gefragte Gesprächspartner sein. Die Analyse neuer Koalitionskonstellationen in den Bundesländern zeigt, dass Parteien versuchen, von solchen Experimenten zu lernen – das gilt für die föderal aufgebauten Parteiorganisation sowohl horizontal zwischen den Landesverbänden als auch vertikal zwischen Landes- und Bundesebene. Zugleich verdeutlicht die Analyse auf der anderen Seite, dass bislang nicht praktizierte Koalitionsmodelle ein höheres Konfliktpotential aufweisen, wodurch sie anfälliger für Koalitionsbrüche sind. Das galt für die ersten rot-grünen Bündnisse und auch Schwarz-Grün in Hamburg ging wie die Jamaika-Koalition im Saarland vorzeitig in die Brüche.

In diesem Punkt mag aber die bislang hohe Stabilität der Landesregierung und die Abwesenheit von tiefergehenden Konflikten in Hessen ein Indikator sein, dass ein erster Schritt der Normalisierung der ungewöhnlichen schwarz-grünen Kooperation bereits eingetreten ist.

Zitationshinweis:

Switek, Niko (2016): Schwarz-Grün in Hessen – Warmlaufen für den Bund?, Essays, Online verfügbar unter: https://regierungsforschung.de/schwarz-gruen-in-hessen-warmlaufen-fuer-den-bund/

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