Steinmeier als Kanzlermacher: Regierungsbildung in der Patt-Republik

Am kommenden Sonntag kommt die Bundesversammlung in Berlin zusammen und wählt einen neuen Bundespräsidenten. Als sicher gilt: Frank-Walter Steinmeier wird als neuer Bundespräsident aus dieser Wahl hervorgehen. Ihm könnte in dieser Rolle nach der Bundestagswahl im September 2017 eine besondere Rolle zukommen.

Käme es zu instabilen Mehrheiten und ergebnislosen Sondierungsverhandlungen der Parteien, verfügte er als Staatsoberhaupt über harte Reservemacht für eine solche politische Krisensituation. Wie diese zum Ausdruck kommen könnte und welche Folgen dies für die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2017 hätte, erläutert Karl-Rudolf Korte in seinem Essay zur Bundespräsidentenwahl.

Steinmeier als Kanzlermacher:

Regierungsbildung in der Patt-Republik

Autor

Prof. Dr. Karl‐Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg‐Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg‐Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs‐, Parteien‐ und Wahlforschung.

Hinweis: Dieser Beitrag wurde am 09. Februar 2017 in der Allgemeinen Zeitung veröffentlicht.

Rheinland-Pfalz schickt 31 Delegierte nach Berlin. Die Wahlfrauen und Wahlmänner aus sechs Parteien sind bei der Wahl des neuen Bundespräsidenten am kommenden Sonntag dabei. Die Steinmeier-Wahl wird überraschungsfrei. Ganz anders sieht es bei der Wahl des kommenden Bundeskanzlers aus. Steinmeier kann aber daran durchaus maßgeblich beteiligt sein. Am Abend des 24. September 2017 werden wir zwar wissen, wie die Deutschen gewählt haben. Allerdings heißt das noch lange nicht, dass wir auch wissen, wer der nächste Bundeskanzler sein wird. Gut möglich, dass jenseits einer Großen Koalition – geführt von schwarz oder rot  – niemand über eine Kanzler-Mehrheit in einem Sechs-Parteien-Parlament verfügt. Wer hätte von den Wahlsiegern genügend Autorität, um originelle neue Koalitionsbildungen anzustoßen?

Die bisherige Bundesregierung bliebe auch nach der Konstituierung des 19. Deutschen Bundestages auf Ersuchen des Bundespräsidenten geschäftsführend im Amt – zeitlich unbegrenzt. Dann schlägt die Stunde des Bundespräsidenten. Er verfügt als Staatsoberhaupt über harte Reservemacht für politische Krisensituationen. Der Bundespräsident könnte zum Kanzlermacher bei politisch instabilen Mehrheiten werden.  Seine „Hard Power“ findet sich in Artikel 63 des Grundgesetzes. Er hat das Vorschlagsrecht für die Kanzlerwahl im ersten Wahlgang. Er ist verfassungsrechtlich weder personell noch zeitlich an die Person des vermeintlichen Wahlsiegers  gebunden.

Auch nach weiteren erfolglosen Wahlgängen ohne absolute Mehrheit – nach Ablauf der 14 Tages Frist – kann der Bundespräsident entscheiden, ob er einen mit einfacher Mehrheit gewählten Minderheitskanzler benennt oder den Bundestag auflöst. Bundespräsident Herzog spielte beispielsweise mit dem Gedanken, sein Vorschlagsrecht 1998 offensiv für einen unverbrauchten Alternativkandidaten zu nutzen, falls eine von der PDS (Linke) geduldete rot-grüne Mehrheit zustande gekommen wäre.

In der jetzigen Patt-Republik mit einem asymmetrischen changierenden Sechs-Parteien-System wachsen dem Bundespräsidenten als Ausweg-Stifter somit ganz neue Möglichkeiten zu.  Es könnte zum präsidentiellen Entscheidungshandeln in Krisenzeiten kommen, wenn die Sondierungsverhandlungen der Parteien auch nach Monaten zu keinem Ergebnis führen. Er wird nur einen „Kanzlerkandidaten“ vorschlagen, bei dem er durch nicht-öffentliche Vorsondierungen sicher ist, dass er eine Mehrheit organisieren kann. Der Kandidat braucht kein Mandat im Bundestag und er muss keinesfalls der stärksten Fraktion angehören. Die Autorität des Bundespräsidenten entlastet die Parteispitzen von ihren einstigen Koalitionsversprechen. Koalitions-Lotterien verflüssigen ohnehin die Lager-Sehnsucht der Partei-Strategen auf dem bunten Koalitionsmarkt.

Dann kommt es auf die Parteivorsitzenden an, weniger auf Programme und Lageridentitäten. Koalitionspartner müssen keine Freunde sein, aber sie brauchen gegenseitiges Vertrauen, Verlässlichkeit, Wertschätzung, Integrität, Respekt. Insofern gründet so ein Koalitions-Kontext nicht primär auf gemeinsamen Interessen und Ideen, sondern auf Personen, die sich trauen können und deshalb eine gemeinsame politische Zukunft anstreben.

Auch  eine Minderheitsregierung unter Führung der SPD – eventuell durchaus mit einem kleineren Partner – bleibt als Option. Für eine Minderheitsregierung müsste gewissermaßen der Bundespräsident die Schirmherrschaft übernehmen. Ob er eine Minderheitsregierung ernennt oder Neuwahlen ansetzt, ist einzig und allein seine Entscheidung. Schulz könnte von der Linken toleriert, aber nicht mitgewählt werden  (Enthaltung in einem Wahlgang mit einfacher Mehrheit; Art. 63 Abs.4 GG). Es käme einer kommunikativen Meisterleistung gleich, so eine Minderheitsregierung als Ausweg aus einer Regierungskrise zu präsentieren. Schulz müsste in so einem Modell präsidial ad hoc Themen-Mehrheiten im parlamentarischen System organisieren. In Düsseldorf funktionierte dies über zwei Jahre lang. Im Bund könnte das frühzeitiger beendet sein. Über eine staatstragend-fingierte Vertrauensfrage könnte dann die SPD erneut den Bundestag vorzeitig auflösen lassen, Neuwahlen erzwingen  und aus dem Kanzleramt heraus Wahlkampf betreiben. Die SPD ginge vermutlich  aus so einer Konstellation stärker hervor als nach einer Regierungsbeteiligung in einer Großen Koalition.

Bundespräsident Steinmeier ist parteipolitisch extrem erfahren, um in instabilen Zeiten eines Vielparteien-Parlaments neue Formeln der Macht mit zu entwickeln. Die Bundesversammlung am Sonntag strahlt  deutlich in Richtung Bundestagswahl.

Zitationshinweis

Korte, Karl-Rudolf (2017): Steinmeier als Kanzlermacher. Regierungsbildung in der Patt-Republik, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de, Online verfügbar auf: https://regierungsforschung.de/steinmeier-als-kanzlermacher-regierungsbildung-in-der-patt-republik/

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