Über das Desaster einer Trennung

Wer will schon freiwillig so wie alle anderen sein? Unverwechselbar präsentiert sich die CSU in Europa als große Volkspartei. Sie ist regional auf Bayern begrenzt. Gleichzeitig immer mit bundespolitischem Großanspruch unterwegs. Die Fraktionsgemeinschaft im Deutschen Bundestag ist dazu der wirksame Hebel.  Im deutschen Parteienwettbewerb ist das einzigartig: Bayern in Bund. Fällt Bayern, ist alles vorbei. 

Sollte die CSU auf die Spaltung von der CDU setzen, wird sie eine Partei wie alle anderen auch. Außerdem führe eine Trennung zu hohen Verlusten im Hinblick auf die Koalitionsbildung und ließe die politische Mitte schrumpfen, analysiert Karl-Rudolf Korte.

Über das Desaster einer Trennung

Autor

Prof. Dr. Karl‐Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg‐Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg‐Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs‐, Parteien‐ und Wahlforschung.

Hinweis: Dieser Beitrag wurde vorab in der Allgemeinen Zeitung Mainz am 26.06.2018 veröffentlicht.

Wer will schon freiwillig so wie alle anderen sein? Unverwechselbar präsentiert sich die CSU in Europa als große Volkspartei. Sie ist regional auf Bayern begrenzt. Gleichzeitig immer mit bundespolitischem Großanspruch unterwegs. Die Fraktionsgemeinschaft im Deutschen Bundestag ist dazu der wirksame Hebel.  Im deutschen Parteienwettbewerb ist das einzigartig: Bayern in Bund. Fällt Bayern, ist alles vorbei. Das ist der Kern der großen Identitätserzählung einer überaus erfolgreichen Heimat- und Staatspartei. Daraus schöpft sie über Jahrzehnte die Energie, um bundespolitisch mitzumischen. Sollte die CSU auf die Spaltung von der CDU setzen, verliert sie ihre komplette Besonderheit. Sie wird zu einer Partei wie alle anderen, mit 16 Landesverbänden und einer Werte-Konkurrenz im eigenen konservativen Lager. Das kann man anstreben. Denn Parteien sind ein Abbild der Gesellschaft. Und insofern liegt das egoistische Zerstören voll im Zeittrend: Bayern zuerst!  CSU zuerst! Die Ich-Inszenierung sucht Bestätigung, keine Kritik. Ausgegrenzt werden alle, die anders denken. Regionaler und nationaler Chauvinismus kommen krawallig-schrill daher. Kompromisse und Konsens sind was für Verlierer! Jedem das Seine – digitale personalisierte Produkte – auch als Partei! Die Individualisierung von Bedürfnissen und Interessen sucht auch nach individuellen Partei-Menues.

Die Trennung von der siamesischen Schwesterpartei wäre schmerzhaft, aber modern. Überall entstehen Klein- und Ein-Themen-Parteien. In der Regel aus Wut, Protest und der Lust am Zusammenbruch. Die Unionsfamilie als Volkspartei steht keineswegs unter Denkmalschutz. Eine neue Lageeinschätzung könnte zur Konsequenz haben, dass getrennte Wege am Ende nicht nur ehrlicher sind, sondern auch die Macht für neue Koalitionen stärken. Doch das ist ein folgenreicher Trugschluss. Der von Hass begleitete Trennungsschmerz solcher Abspaltungen hält sich über eine komplette politische Generation. Auch ein völlig neues Führungspersonal würde nach der Dramatik des Knalls keineswegs in Koalitionen wieder Bündnisse eingehen. Warum tut sich die SPD so schwer mit der Linken, trotz vielfältiger inhaltlicher Übereinstimmungen?  Die Verluste wären bei der Trennung höher als die Zugewinne. Harmonieselige Wähler belohnen weder Streit noch Kanzler-Stürze.

Folgenreich wären auch die Auswirkungen auf die Qualität unserer Demokratie. Sozialer und gesellschaftlicher Friede gehörten bislang zu den deutschen Standortvorteilen. Das ist ein Verdienst der großen Volksparteien. Sie sind Konsensmaschinen, Stabilitätsanker und Sicherheitsversprechen. Sie befriedigen keine individuellen Bedürfnisse. Sie sind, wenn sie gut in Form sind, Agenturen für konzeptionelle Gesellschaftsentwicklungen. Sie garantieren im dosierten Wechsel der Regierungsmacht Stabilität und Berechenbarkeit der deutschen Politik. Wer die Volksparteien schreddert – und nichts anderes wäre die Zerlegung der Union – sollte mit rapiden Wechseln sowohl der Politik als auch der Regierungen rechnen. Die politische Mitte und das bürgerliche Lager würden insgesamt schrumpfen. Das bürgerlich-christliche Werteverständnis als Integrationsklammer der Union zerfiele. Die CSU sucht dann den radikalen national-konservativen Weg, rechts der Mitte. Die CDU steuert weiter einen weltoffenen Pragmatismus der humanitären Mitte an. Jeder wäre auf andere Bündnispartner angewiesen. Die Auswahl in der Mitte wird kleiner.

Die Union deshalb freiwillig aufgeben? Nur weil muskuläre Egomanen-Politik modern erscheint? Nur weil die Erbfolge der Nach-Seehofer-Zeit jetzt ausgefochten wird? Nur weil die Erosion der Merkel-Macht mit Händen zu greifen ist? Nur weil die Nervosität vor der Größe der AfD in Bayern die CSU selbst radikalisiert?

Zitationshinweis

Korte, Karl-Rudolf (2018): Über das Desaster einer Trennung, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online verfügbar: https://regierungsforschung.de/ueber-das-desaster-einer-trennung/

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