Wählen im Schatten der Angst

Prof. Dr. Karl-Rudolf korteDemokratien sind angstfrei. Politiker haben die Aufgabe, den Bürgern die Angst zu nehmen. Staatliche Politik zeichnet sich dadurch aus, dass sie wichtige Probleme der Bürger löst. Daran zweifeln im Moment viele. Angst und Unsicherheiten breiten sich deshalb aus. Einige Politiker versuchen wiederum mit dieser Bürger-Angst in den Wahlkämpfen zu mobilisieren.

Karl-Rudolf Korte hat sich mit den Wahlen im Schatten der Angst auseinandergesetzt und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Die Politik steht in der Verantwortung und wird im rheinland-pfälzischen Wahlkampf mit einer schwierigen Aufgabe konfrontiert.

Wählen im Schatten der Angst

 

Autor

Prof. Dr. Karl‐Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg‐Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg‐Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs‐, Parteien‐ und Wahlforschung.

Dieser Beitrag wurde vorab in der Rhein Main Presse vom 27. Januar 2016 veröffentlicht.

Demokratien sind angstfrei. Politiker haben die Aufgabe, den Bürgern die Angst zu nehmen. Staatliche Politik zeichnet sich dadurch aus, dass sie wichtige Probleme der Bürger löst. Daran zweifeln im Moment viele. Angst und Unsicherheiten breiten sich deshalb aus. Einige Politiker versuchen wiederum mit dieser Bürger-Angst in den Wahlkämpfen zu mobilisieren. Doch Ministerpräsidentin in Mainz wird diejenige, die Zuversicht ausstrahlt und sich den Angst-Börsen widersetzt. Die Mainzer Krisenlotsin in Zeiten des Ereignisgewitters gewinnt mit Optimismus und einem Sicherheitsversprechen. Unsichere Wähler wählen keine unsicheren Politiker. Politik ohne eine positive Zukunftsgeschichte verliert. Bürger wählen immer Zukunftskapital.

Doch das Zeitklima fühlt sich anders an. Die Wahlen finden vordergründig im Schatten der Angst statt. Sie frisst sich gleichsam in die Gesellschaft hinein. Die Flüchtlingszahlen, das Signalereignis der Kölner Silversternacht, die Obergrenzen-Diskussion und fehlende europäische Solidarität empfinden die meisten als bedrohlich. Es sind im wörtlichen und übertragenden Sinne Grenzerfahrungen: Wir kommen gefühlt an eine Grenze. Das kann Provokation, Unruhe, aber auch Entdeckerfreude auslösen. Der Globalisierungsschub, der das deutsche Paradies seit letztem Sommer in Atem hält, beschäftigt heute jede Familie in Rheinland-Pfalz.

Doch Angst lähmt. Angst ist ein Killervirus für jede Gemeinschaft. Schlimmer noch: Angst führt zu einer Tyrannei der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Minderheiten. Denn wenn sich Angst ausbreitet, will niemand zu den Verlierern gehören und jeder zur schweigenden Masse. Gegen individuelle Angst vor Krankheit oder dem Verlust von Arbeitsplätzen ist Politik machtlos. Aber gegen die Ausbreitung von kollektiver Angst, muss Politik agieren. Das ist nicht einfach. Denn die Angst-Industrie arbeitet auf Hochtouren. Komplexe Probleme wie das Flüchtlingsthema sind undurchschaubar. Das fördert Konjunkturen des Verdachts, die sich in den sozialen Medien zu Verschwörungstheorien steigern. Schuldig sind dann immer die Politiker.

Profiteure sind Parteien am rechten und rechtspopulistischen Rand. Sie sammeln die Angst-Mitte der Gesellschaft und formen die Koalitionen der Angst. Aber auch die Parteien der Mitte spielen mit dem Thema der Angst. Wer von Staatsversagen spricht, verleugnet die Wirklichkeit des deutschen Standorts. Wer einfache und schnelle Lösungen verheißt, übersieht den derzeitigen Kontrollverlust an den Grenzen. Für jede epochale Herausforderung fehlt ein Master-Plan. Niemand hat die eine Lösung. Doch ohne Zuversicht können auch die angedachten und ausprobierten rund 30 verschiedenen Lösungsansätze zu keinem positiven Ergebnis führen.

Angst vor Fremden lässt sich ideal durch Begegnung abbauen. Politik muss deshalb systematisch Begegnungen möglich machen. Grundsätzlich lässt sich politisch mit der Angst umgehen, wenn wir rausfinden, wer wir eigentlich sind. Nur wenn wir selbst wissen, was uns Freiheit und Selbstbestimmung bedeuten, kann die Integration von Neubürgern starten. Deshalb ist es wichtig, dass im Wahlkampf für das Gesellschaftsmodell unserer Demokratie geworben wird. Demokratien gewährleisten Sicherheit in Freiheit. Die nüchterne Skepsis, ob wir die neue Herausforderung meistern, bleibt dennoch. Doch Panikstimmung hilft nur den politischen Extremen. Wähler belohnen Optimismus und Zuversicht. Jede Stimme in der Wahlkabine transportiert ein Zukunfts-Gefühl. Ministerpräsidentin in Mainz wird die Gefühlsmanagerin des Muts.

Zitationshinweis

Korte, Karl-Rudolf (2016): Wählen im Schatten der Angst, Essays, Online verfügbar unter: https://regierungsforschung.de/waehlen-im-schatten-der-angst/

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