30 Jahre nach der Deutschen Einheit

Wie erinnern wir uns an die DDR und die deutsche Teilung und wie arbeiten wir die SED-Diktatur und das Leben in der DDR auf? Julia Reuschenbach von der Stiftung Berliner Mauer analysiert die geschichtspolitischen Debatten anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der deutschen Einheit. Dabei wirft sie einen kritischen Blick auf wichtige Meilensteine, die die Aufarbeitung der DDR-Geschichte prägen. In diesem Zusammenhang spielte oft die SED-Diktatur eine Rolle und kam das alltägliche Leben normaler DDR-Bürgerinnen und Bürger häufig zu kurz. 

Mal wieder ein Jubiläum oder schon wieder ein Jahrestag – so launig könnte man sich dem 30-jährigen Jubiläum der Deutschen Einheit widmen. Wie schon 2000 und 2010 werden Feste gefeiert, Bücher geschrieben, Veranstaltungen initiiert. All das geschieht in diesem Jahr im besonderen Rahmen der weiterhin gegenwärtigen Covid-19-Pandemie. Wie steht es 30 Jahre, also gut eine Generation, nach dem 3. Oktober 1990 um die vielbeschworene „innere Einheit“? Sind Teilungsspuren zwischen Ost und West weiterhin sichtbar und spürbar? Wie sehr setzen sich Ost- und Westdeutschland jeweils mit der Erinnerung an die deutsche Wiedervereinigung auseinander? Bringen öffentliche Museen, Gedenkstätten und Erinnerungsorte Ost und West zusammen und ermöglichen einen gemeinsamen Blick auf die Zeit der Teilung und die daran anschließende Transformation?

30 Jahre nach der Deutschen Einheit

Ein Blick in die geschichtspolitischen Debatten und Wegmarken der Aufarbeitung der SED-Diktatur

Autorin

Julia Reuschenbach lehrt als Lehrbeauftragte am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Erinnerungskultur und Geschichtspolitik sowie Fragen der politischen Kultur und des politischen Systems Deutschlands seit 1945. Gegenwärtig arbeitet sie an ihrer Dissertation zu Parteien als geschichtspolitischen Akteuren. Frau Reuschenbach ist seit Juni 2020 als wissenschaftliche Referentin der Direktion der Stiftung Berliner Mauer tätig und arbeitete zuvor als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Theorie, Ideen- und Zeitgeschichte von Prof. Dr. Tilman Mayer an der Universität Bonn, mit dem sie gemeinsam den berufsbegleitenden Masterstudiengang Politisch-Historische Studien aufbaute.

Einleitung

Mal wieder ein Jubiläum oder schon wieder ein Jahrestag – so launig könnte man sich dem 30-jährigen Jubiläum der Deutschen Einheit widmen. Wie schon 2000 und 2010 werden Feste gefeiert, Bücher geschrieben, Veranstaltungen initiiert. All das geschieht in diesem Jahr im besonderen Rahmen der weiterhin gegenwärtigen Covid-19-Pandemie. Wie steht es 30 Jahre, also gut eine Generation, nach dem 3. Oktober 1990 um die vielbeschworene „innere Einheit“? Sind Teilungsspuren zwischen Ost und West weiterhin sichtbar und spürbar? Wie sehr setzen sich Ost- und Westdeutschland jeweils mit der Erinnerung an die deutsche Wiedervereinigung auseinander? Bringen öffentliche Museen, Gedenkstätten und Erinnerungsorte Ost und West zusammen und ermöglichen einen gemeinsamen Blick auf die Zeit der Teilung und die daran anschließende Transformation? Anhand dieser Fragen möchte der vorliegende Beitrag den Wegmarken der Aufarbeitung der SED-Diktatur seit 1989/90 nachspüren und einige Thesen für die Zukunftsperspektiven der Aufarbeitung formulieren.

Wenn von Aufarbeitung die Rede ist, so sind zumeist unterschiedliche politische und gesellschaftliche Bereiche gemeint. Häufig steht an erster Stelle die juristische Aufarbeitung. Verantwortliche sollen benannt und Schuldige bestraft werden. Davon unterschieden werden muss Aufarbeitung in weiteren gesellschaftlichen, öffentlichen und wissenschaftlichen Dimensionen (Wentker 2010: 134). In dem hier vorliegenden Beitrag steht die öffentliche Aufarbeitung im Fokus der Betrachtung. Anhand geschichtspolitischer Aktivitäten werden zentrale Wegmarken der öffentlichen Aufarbeitung und des öffentlichen Umgangs mit der DDR-Geschichte beleuchtet. Einen besonderen Stellenwert nehmen dabei die öffentliche Präsentation und Darstellung der DDR-Geschichte in Museen, Gedenkstätten und anderen Institutionen ein. Museen und Gedenkstätten heben einzelne Aspekte besonders hervor und entfalten durch diese Betonung „eine verbindliche Wirkung zwischen der Politik und der Gesellschaft […]“ (Heß 2017: 104). Zugleich spiegelt sich darin bereits, dass Gesellschaft, Öffentlichkeit und Wissenschaft in Aufarbeitungsdiskursen nicht trennscharf voneinander zu unterscheiden sind. Möglich ist es jedoch, geschichtspolitisches Handeln genauer zu definieren und damit eine Eingrenzung zu ermöglichen.

Verortung innerhalb der Politikwissenschaft und im politischen System

„Würde man die Geschichtspolitik einer bestimmten Teildisziplin der Politikwissenschaft zuordnen wollen, so käme man mit der klassischen Trias aus Regierungslehre, Internationalen Beziehungen und Politischer Theorie/Ideengeschichte nicht sonderlich weit. Geschichtspolitische Themen berühren staatliche Steuerungsmechanismen in unterschiedlichen Regimetypen, sie können Teil der Beziehungen von Akteuren im Internationalen System sein und sie verweisen auf Grundfragen der politischen Herrschaft ebenso wie auf den normativen Unterbau eines Gemeinwesens. Mit anderen Worten: Es handelt sich um ein Querschnittsthema, das in allen Teilbereichen der Politikwissenschaft zur Anwendung kommt und im Rahmen des klassischen Fächerkanons wohl am ehesten der politischen Kulturforschung zugeordnet werden kann“ (Becker/Hill 2017: 44).

Diese Beschreibung zeigt zugleich, dass Geschichtspolitik in vielfältige gesellschaftliche Bereiche wirkt. Für Politikerinnen und Politiker stellt Geschichte damit eine wichtige Ressource im politischen Alltag dar. Somit kann „der Politik […] das öffentlich vorherrschende Bild von Geschichte nur um den Preis eigener Horizontverengung gleichgültig sein. Denn solche ‚gefestigten Vorstellungen und Deutungen der Vergangenheit‘, denen ein Teil der Bevölkerung Gültigkeit zuschreibt, sind ‚faktenarm, hochselektiv, aber urteilsfreudig und gefühlsstark‘ und damit eine wichtige politische Einflussgröße“ (Schmid 2009: 55). Geschichtspolitik kann damit als eigenes Politikfeld ausgewiesen werden, welches in unterschiedlicher Intensität hervortritt und öffentliche Beachtung erfährt. Die in diesem Bereich verankerten Themen sind vielfältig: Fragen der politischen Bildung, der Gestaltung von Lehrplänen und Schulunterricht, die Einrichtung öffentlicher Gedenkstätten, Museen und Erinnerungsorte bis hin zu materiell-rechtlichen Regelungen in Form von Verordnungen und Gesetzen, etwa zu Entschädigungsfragen oder zu Fördermöglichkeiten für Aufarbeitungsinitiativen in Bund und Ländern.

Gerade zu bedeutsamen Jahrestagen, so etwa im vergangenen Jahr zu „30 Jahre Mauerfall“ oder nun zu „30 Jahre Deutsche Einheit“ rücken die Themen und das politische Handeln in diesem Bereich stärker in den Vordergrund. „Geschichtspolitik sollen [vor diesem Hintergrund] jene Diskurse und Handlungen heißen, mit denen die Deutung von Geschichte als gegenwärtige öffentliche Repräsentationen einer kollektiv relevanten Vergangenheit zu politischen Zwecken betrieben wird“ (Schmid 2008: 78).

„Andererseits ist Geschichtspolitik eine Aufgabe mit politisch-pädagogischem Charakter: Diskussionen um die Deutungen historischer Ereignisse sind wichtig, um ein pluralistisches Bild der Vergangenheit zu fördern und Geschichte nicht einseitig festzuschreiben. Auch deshalb sollte Geschichtspolitik nicht einseitig negativ verstanden werden. Die politische Instrumentalisierung von Vergangenheit zu Legitimationszwecken kann durchaus einen kritischen und differenzierten Charakter aufweisen, aber eben auch dogmatisch absolut und rechtfertigend wirken“ (Heß 2017: 103f.).

Die öffentlichen Debatten und Kontroversen um den Umgang mit der DDR-Geschichte und die Aufarbeitung der SED-Diktatur stellen ein eindrucksvolles Panorama dieser Definition von Geschichtspolitik dar. Gerade in den ersten Jahren nach dem Fall der Mauer wurde um öffentliche Deutungen intensiv und mit harten Bandagen gerungen. Spätere Debatten ab circa 2010 wurden zwar weniger emotional geführt, stellten aber dennoch weiterhin Fragen nach der inhaltlichen Gewichtung von Themen, etwa des Alltagslebens in der DDR. Sie diskutierten Relationen, Vergleichsmöglichkeiten und Gleichsetzungsgefahren, etwa gegenüber der Aufarbeitung der NS-Diktatur, und warfen zugleich neue Fragen auf, so etwa nach der Berücksichtigung marginalisierter Stimmen und Positionen in wissenschaftlichen Forschungsprozessen oder im Rahmen von Bildungs- und Vermittlungsangeboten. Doch der Reihe nach.

Öffentliche Erinnerung nach 1989

„Versteht man öffentliche Erinnerungen als politische Konstruktionen vergangener Ereignisse unter gegenwärtigen Bedingungen, können sie zu Legitimationszwecken eingesetzt werden. Politische Akteure versuchen, Erinnerungen im Sinne ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz zu beeinflussen, um eine Legitimitätsgrundlage für ihr Handeln zu konstruieren“ (Heß 2017: 101). „Insbesondere nach einem Systemwechsel, wie er zu Beginn der 1990er Jahre im Osten Deutschlands stattgefunden hat, ist das neue System in der Pflicht, sich zu legitimieren, und vor allem, sich vom Vorgängersystem zu unterscheiden. Eine Abgrenzung, gar Delegitimierung der alten politischen Ordnung, kann hier entweder durch ‚Vergessen und Vergeben‘ oder durch ‚Erinnern und Bestrafen‘ erfolgen“ (Heß 2017: 103).

Mit der friedlichen Revolution 1989 und der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 sind bis heute spürbare einschneidende Veränderungen in zahlreichen Politikfeldern und Gesellschaftsbereichen verbunden. Auch die Kulturpolitik stand 1989 vor besonderen Herausforderungen. Mit den Verhandlungen zum Einigungsvertrag offenbarte sich ein Dilemma: In Ravensbrück, Sachsenhausen und Buchenwald hatte die SED-Regierung Ende der 1950er Jahre Nationale Mahn- und Gedenkstätten eingerichtet. Die beiden letzteren Stätten bestanden dabei an Orten, die heute als „Orte doppelter Vergangenheit“ bezeichnet werden, also im Nationalsozialismus als Lager eingerichtet wurden und nach 1945 als sowjetische Speziallager in der sowjetischen Besatzungszone dienten. Diese „Tempel des Antifaschismus“ (Reuschenbach 2015: 1) wurden von der SED-Regierung in erster Linie einer Huldigung des staatlich propagierten Antifaschismus und keinesfalls einer differenzierten Gedenk- und Erinnerungskultur hinsichtlich der Historie dieser Orte gewidmet. Nach Gründung der beiden deutschen Staaten und Schließung der Speziallager, etablierten sie sich bereits in den frühen 1960er Jahren unter großem geschichtspolitischem Aufwand als nationale Wallfahrtsstätten zur verstärkten Legitimierung des staatlichen Gründungsmythos (Reuschenbach 2015).

Bereits 1990 herrschte Einigkeit darüber, dass diese Orte einer umfassenden Umgestaltung bedürften, um ihre historischen Zeitschichten sichtbar zu machen und ein angemessenes Gedenken an die zahlreichen Opfer zu ermöglichen. Zugleich erschien es unzweifelhaft, dass die jeweiligen Sitzländer der Gedenkstätten finanziell nicht in der Lage sein würden, diesen Umgestaltungsprozess alleine zu tragen. Daneben thematisierten bereits im Frühjahr 1990 einige ostdeutsche Tageszeitungen die Opfer sowjetischer Speziallager, was starke Reaktionen provozierte und sogar dem sowjetischen Innenministerium eine Erklärung abnötigte (Wentker 2010: 135f.).

So geriet der Bund in eine (kultur-)föderalistische Problemlage: Kulturpolitik, so will es das Grundgesetz, ist Aufgabenbereich der Länder. Der Bund war bis dahin und sollte auch künftig hier nicht weitreichend gestaltend tätig werden. In der gesamtgesellschaftlichen Situation des Umbruchs 1989/1990 wurde schlussendlich in Art. 35 des Einigungsvertrages eine Mitfinanzierungsmöglichkeit durch den Bund – für bisher zentral geführte Kultureinrichtungen – ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Diese Festlegung stellte ein Novum dar, hatte sich die Bundesrepublik bis dahin doch jeder Förderung, etwa von NS-Gedenkstätten, mit dem Verweis auf die Kulturhoheit der Länder entzogen. Zugleich lag und liegt bis heute „in diesem – historisch und verfassungsrechtlich begründeten – Kulturauftrag ein Kern ihrer [der Länder, Anm. d. Verf.] Eigenstaatlichkeit.“ (Hütter 2012: 695). So war es nunmehr eine logische Konsequenz, dass sehr bald erste Diskussionen darüber ausbrachen, wie weit die Bundesfinanzierung reichen und welche Orte sie umfassen dürfe, wie das Verhältnis zu Gedenkorten der NS-Diktatur im Allgemeinen und zu Gedenkorten in Westdeutschland im Speziellen zu gestalten sei. Bereits hier zeigten sich Konfliktlinien, die die Aufarbeitung der SED-Diktatur in den folgenden Jahrzehnten beständig begleiten sollten. Im März 1993 stimmte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages der „Gesamtkonzeption zur Beteiligung des Bundes an Gedenkstätten der Bundesrepublik Deutschland“ (BT-Drs. 13/8486) mit folgender Maßgabe zu:

„(1) Die finanzielle Beteiligung des Bundes wird auf die Einrichtungen in den neuen Bundesländern beschränkt. (2) Bei den Investitionskosten kann sich der Bund grundsätzlich höchstens zu 50 v. H. beteiligen; die Beteiligung der Länder an den Betriebskosten soll mindestens 50 v. H. – nach Möglichkeit mehr – betragen. (3) Nach Ablauf von zehn Jahren ist die Beteiligung des Bundes an den geförderten Einrichtungen zu überprüfen. (4) Der Haushaltsausschuß bittet die Bundesregierung, nach Vorliegen der Stellungnahme der Sachverständigen eine Liste der zu fördernden Einrichtungen vorzulegen. Nach diesen Grundsätzen fördert der Bund zum Gedenken an die Opfer der NS-Diktatur, des Stalinismus sowie des SED-Regimes:

  • die Stiftung Gedenkstätte Buchenwald (KZ und sowjetisches Speziallager) ohne den Stiftungsteil Gedenkstätte Mittelbau-Dora,
  • die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten (KZ und sowjetisches Speziallager Sachsenhausen sowie KZ Ravensbrück) ohne den Stiftungsteil Gedenkstätte Zuchthaus Brandenburg,
  • die Stiftung Topographie des Terrors (Dokumentation NS-Unrecht),
  • die Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand (mit Gedenkstätte Plötzensee),
  • „Erinnern für die Zukunft – Trägerverein des Hauses der Wannsee-Konferenz e.V.” (Gedenk- und Bildungsstätte zum Völkermord an den Juden Europas),
  • die Stiftung Sächsische Gedenkstätten (Dokumentations- und Informationszentrum Torgau – Wehrmachtsgefängnisse und sowjetisches Speziallager, Gedenkstätte Bautzen – zur Erinnerung an die Opfer politischer Justiz in den Bautzener Gefängnissen I und II) ohne die Stiftungsteile Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain und Gedenkstätte Münchner Platz in Dresden,
  • die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen (sowjetisches Speziallager, ehemalige zentrale Haftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR),
  • „Deutsch-Deutsches Museum Mödlareuth e.V.” (innerdeutsche Grenzsperranlagen).

Ferner werden das geplante Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die Gedenkstätte Berliner Mauer im Rahmen der investiven Maßnahmen gefördert.“ (BT-Drs. 13/8486: 3)

Diesmal alles richtigmachen

Parallel zu den Diskussionen über den Umgang mit den früheren Nationalen Mahn- und Gedenkstätten, beschäftigten zwei weitere Themen die staatlichen Aufarbeitungsakteure der frühen 1990er Jahre. Während der Beschluss zur Einsetzung einer Enquete-Kommission des Bundestags im Jahr 1992 fraktionsübergreifend getragen und zügig umgesetzt wurde, ging die Gründung der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) mit vielfältigen Diskussionen einher. In der Besetzung der früheren Stasi-Zentrale im Berliner Bezirk Lichtenberg durch Angehörige der DDR-Oppositionsbewegungen zeigte sich ein wesentliches Motiv (nicht nur) der Aufarbeitung der SED-Diktatur: zivilgesellschaftliches Engagement.

„Die Bürgerkomitees, die Letzteres [die nahezu flächendeckende Überwachung der Gesellschaft durch die Staatssicherheit, Anm. d. Verf.] öffentlich machten […], beförderten [so] auch die Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit. Diese war folglich »stasi-dominiert« und – nicht zuletzt aufgrund ihrer Medialisierung – personalisiert. Das kam der Spitze des Partei- und Staatsapparats entgegen, hatte man doch einen scheinbar Alleinschuldigen gefunden, hinter dem man sich verstecken konnte. Indem die DDR-Regierung damals Alexander Schalck-Golodkowski auffliegen ließ, förderte sie diese Richtung der Diskussion“ (Wentker 2010: 135).

Die westdeutsche Regierung unter Bundeskanzler Kohl befürchtete zugleich, dass die Enthüllungen und Debatten um die Mitarbeiter und Machenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) die gesellschaftliche Stimmung aufheizen und aufwühlen – ein Zustand, der angesichts der vielfältigen gesamtpolitischen Herausforderungen der Zeit äußert ungewollt erschien (Neubert 2010: 182f.). Doch der Druck der Straße war schlussendlich größer. Die Forderungen nach Aufklärung, Aktenerhalt, Möglichkeiten der Einsichtnahme und der Bestrafung von Schuldigen, die nach den Volkskammerwahlen im März 1990 durchaus bereits als eine gesamtdeutsche Debatte geführt wurde (Wenkter 2010: 136), fanden bundespolitisches Gehör und wurden in der Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und der Einrichtung der BStU institutionalisiert. (Becker 2013; Wentker 1995).

„Das StUG legte als Prinzipien fest, dass 1. dem Bürger Zugang zu den vom MfS gespeicherten Informationen und damit Aufklärung über dessen Einfluss auf sein Schicksal gewähren müsse; 2. der Schutz der Persönlichkeitsrechte des Bürgers vor fremder Nutzung dieser Informationen gewährleistet sein sollte; 3. die historische, politische und juristische Aufarbeitung der MfS-Tätigkeit ermöglicht würde und 4. den öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen die erforderlichen Informationen für Überprüfen, einschließlich eigener Forschungen, zu geben seien“ (Neubert 2010: 183).

Gleichsam jedoch zeigte sich damit recht schnell eine Verengung der Aufarbeitungsdiskurse der frühen 1990er Jahre: Eine Stasi-Enthüllungsstory jagte die nächste und so festigte sich der Eindruck, die Eigenmächtigkeiten und Aktivitäten des MfS machten den Hauptanteil des diktatorischen Systems der SED-Diktatur aus. Gegen diese, später auch durch intensive Forschungen in Politik- und Geschichtswissenschaft widerlegte Annahme richtete sich sodann auch die Einrichtung der bereits erwähnten ersten Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag. Sie stellte zudem den Versuch dar, Ideen und Überlegungen zu einer Wahrheitskommission oder einer Art Tribunal, die vor allem bei prominenten Bürgerrechtlern stark verbreitet waren, zu begegnen (ausführlich Wentker 2010: 137).

Ein „gesamtdeutsches Pilotprojekt“

„Das Interesse der Ostdeutschen an der Aufarbeitung der SED-Diktatur war von Anfang an ambivalent und gespalten. Insofern sich Vergangenheitsbewältigung als das Eintrittsbillet der Ostdeutschen in die Bundesrepublik darstellte, ist im Sinne von Aufklärung – aber auch Selbstaufklärung das meiste geschehen. Dafür hat sich das Interesse im Laufe der Zeit verschoben, von den politisch-historischen Fakten und Deutungen zu den lebensgeschichtlichen, kulturellen Erinnerungen bei der älteren Generation und zu einer Überlieferung, die auch den jüngeren, in Ostdeutschland Bleibenden die Besonderheiten ihrer Lage erklärt oder verklärt“ (Misselwitz 2005: 46).

Was hier Misselwitz 2005 als Fazit der bisherigen Aufarbeitungsaktivitäten formuliert, lässt sich bereits an der Arbeit der ersten Enquete-Kommission erahnen. Unter dem Titel „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur“ traten ab 1992 Abgeordnete aller Fraktionen des Deutschen Bundestages und von ihnen benannte Sachverständige zusammen, um anhand zahlreicher Themenbereiche die Aufarbeitung der SED-Diktatur zu befördern. Anders als in den vorherigen Jahrzehnten, in denen die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur und Verbrechen zumindest teils nur schleppend voranging und vor allem erst ab den späten 1960er Jahren zunehmend Aufwind erlebte, schien es nun als wolle man bloß „alles richtigmachen“ (Wentker 2010: 137). Noch deutlicher wurde der Historiker Martin Sabrow mit dem Hinweis, dass „ein wahrer Aufarbeitungsfuror nach 1989 an die Stelle des partiellen Schweigekonsenses nach 1945 [trat]“ (Sabrow 2015: 19). Und auch Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, bezeichnete diese erste Kommission sehr treffend als ein „gesamtdeutsches Pilotprojekt“ (Hütter 2012: 701).

„Das Einsetzungsverfahren von 1992 war von der historischen Neuheit und Einmaligkeit der Situation geprägt: Die staatliche Vereinigung lag erst eineinhalb Jahre zurück; ein »Fachausschuß«, der den Auftrag hätte formulieren können, stand nicht zur Verfügung; jede Fraktion /Gruppe wollte die Kommission und agiert zunächst auf eigene Faust, bevor sich alle Fraktionen und die Gruppe Bündnis 90/Die Grünen – die PDS/Linke Liste blieb ausgenommen – auf den gemeinsamen (formalen) Einsetzungsantrag verständigten“ (Janßen 1999: 333).

Erstmals setzte sich eine Enquete-Kommission mit einem historischen Gegenstand auseinander. Dies geschah entgegen der üblicherweise auf die Zukunft und künftige politische Problemfelder gerichteten Tätigkeit von Enquete-Kommissionen. Zumindest mit Blick auf die Hinzuziehung der Sachverständigen lief dieses Vorgehen auch der unter Zeithistorikern schon seit Barbara Tuchman weitverbreitete Grundannahme zuwider, man müsse die Geschichte zunächst einmal erkalten lassen, um sie aus vielfältigen Perspektiven und möglichst objektiv zu erforschen. Entsprechend wurden die jahrelangen Aktivitäten der Kommission, ihre Anhörungen, Vor-Ort-Termine, Fachgespräche und die Vergabe von Gutachten, zumindest in der Fachöffentlichkeit und gelegentlich auch in den Medien interessiert beobachtet. Unbestritten schien, dass Mitwirkende des Gremiums in den kommenden Monaten und Jahren das öffentliche Geschichtsbild über die DDR maßgeblich mitgestalten und beeinflussen würden.  Sie prägen damit das öffentliche Vergangenheitsbild einer noch jungen gesellschaftlichen Erfahrung.

„Die Kommission 12. Wahlperiode war insofern eine »historische« Kommission, als sie sich nahezu ausschließlich mit der Geschichte des SED-Staates und der Deutschlandpolitik befaßte. Ihr historisches Interesse war jedoch nicht fachlicher, sondern politischer Natur. Ihre politische Absicht war es, die SED-Diktatur durch Aufklärung nach den Normen und Maßstäben der liberalen Demokratie zu delegitimieren, den Opfern Genugtuung widerfahren zu lassen, demokratisches Bewußtsein, den »antitotalitären Konsens«, zu fördern, bei den Westdeutschen tieferes Verständnis für die DDR-Wirklichkeit und die ihr jahrzehntelang Unterworfenen zu wecken und so, gewissermaßen durch Aufklärung nach allen Seiten, zur inneren Verständigung und Versöhnung beizutragen. Dieser Impetus, wenn auch modifiziert, hielt sich bis 1998 durch, ablesbar an der mit großer Energie konsensual betriebenen und am Ende erfolgreichen Initiative der Kommission, über ihre Existenz hinaus ihr Anliegen »Aufarbeitung als gesellschaftlicher Prozeß« in Gestalt einer öffentlich-rechtlichen Bundesstiftung fortzuführen” (Jansen 1999: 334).

In dieser Beschreibung wird der Legitimations- und Abgrenzungsbedarf des neuen Systems offenbar, der in aller Regel eine wesentliche geschichtspolitische Komponente nach großen gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen darstellt. Es gilt früh Deutungshoheiten zu erobern und Narrative in der öffentlichen Geschichtsvermittlung und -erzählung zu etablieren und zu festigen. Interessant und lohnenswert ist ein paralleler Blick auf die Aktivitäten innerhalb der Politik- und Geschichtswissenschaft. Bereits 1990 sind DDR-Archive geöffnet worden und ermöglichten einen regelrechten „Forschungsboom“ (Wentker 2010: 139).

„Welche Goldgräberstimmung damals herrschte, zeigt eine im Dezember 1993 im Auftrag der Enquetekommission zusammengestellte Übersicht, die bereits 759 laufende Forschungsprojekte zur DDR-Geschichte auflistete. Dass durch die Öffnung der DDR-Archive bei gleichzeitiger Beibehaltung der 30-Jahres-Sperrfrist für westdeutsche Archivalien eine Schieflage nicht nur beim Zugang zu Akten zu zentralen Themen der deutsch-deutschen Geschichte, sondern auch in der Forschung entstand, ist bereits früh erkannt worden. Den Forderungen, im Gegenzug auch die Bestände westdeutscher Archive unter Aufhebung der Sperrfristen zugänglich zu machen, wurde jedoch nicht entsprochen“ (Wentker 2010: 139).

Wenngleich dieser Exkurs hier aus Platzgründen nicht vertieft werden kann, sei darauf verwiesen, dass dies bis heute ein Problem der wissenschaftlichen Forschung darstellt. Es bleibt spannend zu sehen, wie nun 30 Jahre später das Auslaufen erster Sperrfristen, die Quantität und Qualität der wissenschaftlichen Forschungen der kommenden Jahre beeinflussen werden.

Doch zurück zur Arbeit der Enquete-Kommission: Blickt man auf die genaue Zusammensetzung der Kommission, waren parteipolitisch unter den Abgeordneten diejenigen mit „DDR-Vergangenheit“ in der Überzahl, zugleich stammten die berufenen Sachverständigen mehrheitlich aus dem Westen (Jansen 1999: 331). Es war der Versuch, ostdeutsche Perspektiven derjenigen mit DDR-Sozialisation intensiv in die Arbeit einzubeziehen. Zugleich war das öffentliche Interesse, gerade der früheren DDR-Bevölkerung, gemessen an der Breite und des Anspruchs des formulierten Auftrags der Kommission, sehr überschaubar. Die Menschen hatten andere meist alltags- und gegenwartsbezogene Sorgen und Nöte. Es blieb wenig Zeit, für die historische Betrachtung und Reflexion der eigenen Erfahrungen und Sozialisation der letzten Jahrzehnte.

Die wissenschaftliche Einordnung der mehrjährigen Kommissionsarbeit gelingt heute recht eindeutig: 18 Bände liefern ein beeindruckendes Panorama intensiver Diskussionen, in denen vor allem deutschlandpolitische Konzeptionen seit den 1970er Jahren parteipolitische Debatten und Ränkespiele auslösen (ausführlich Wentker 2010: 138). Fernab dessen gelang es der Kommission unter Leitung des CDU-Abgeordneten Rainer Eppelmann, eine detailreiche und anspruchsvolle Auseinandersetzung mit der noch qualmenden DDR-Geschichte vorzunehmen. Fatal wirkt heute das bereits dieser ersten Kommission innewohnende delegitimierende Moment:

„Bei allen Kontroversen im Einzelnen schälte sich insgesamt das Narrativ einer ostdeutschen Niedergangsgeschichte heraus, gegenüber der – mehr implizit als explizit – die westdeutsche Erfolgsgeschichte umso heller strahlt“ (Wentker 2010: 138).

Erscheint dieser Befund im zeitgenössischen Kontext wenig verwunderlich, so kennzeichnet er doch eine bis heute nicht in Gänze gefüllte Leerstelle der Aufarbeitung der SED-Diktatur. Sie besteht in der mangelnden Berücksichtigung der gesellschaftlichen, familiären und alltagsbezogenen Erfahrungen und (Lebens-)Leistungen der früheren DDR-Bürgerinnen und Bürger. Es war im Rahmen der Kommissionsarbeit unabdingbar notwendig, Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler einzubinden, deren Stimmen zu hören und aufzugreifen und auf diese Weise die Schicksale und das Leid der Diktaturerfahrung sichtbar werden zu lassen. Zugleich wurden damit bereits in den frühen 1990er Jahren andere Teile der früheren DDR-Bevölkerung ausgeklammert. Die Kommission verzichtete auf die Anhörung ehemaliger Funktionsträger und -kader, in erster Linie um die Opfer der SED-Diktatur in den Mittelpunkt der Kommissionsarbeit zu stellen. Daneben entstand jedoch „die zunehmende Einsicht, daß die politikwissenschaftliche und zeithistorische Bearbeitung des Themas ihr Publikum in den östlichen Bundesländern verfehle, da sie das gelebte und erfahrene Leben der Menschen nicht hinreichend widerspiegele und somit vielfach als Fremdbeurteilung wahrgenommen werden.“ (Jansen 1999: 335). Diskussionen über die gesellschaftliche Verankerung der Diktatur, über das Alltagsleben fanden in dieser Zeit kaum statt und werden erst viele Jahre später, 2006 mit den Diskussionen um die sog. „Sabrow-Kommission“ öffentlich stärker wahrnehmbar. Bis dahin wurde gerade Rolle des Alltagslebens mehrheitlich „als ein von Anpassungs- und Repressionsdruck geprägtes ‚Überleben‘ unter Diktaturbedingungen ausgeleuchtet“ (Gaubert 2019: 57). Und dies obwohl die Kommission abschließend in einer Art von Selbstkritik vor einer „allzu verständnislose[n], unsensible[n] ‚Vergangenheitsbewältigung‘, die angesichts der ungleichen Betroffenheit in Ost und West letztlich sogar geeignet wäre, zu einer Wiederbelebung gegenseitiger Vorurteile beizutragen“ warnte (Gaubert 2019: 60). Damit sind zwei wunde Punkte angesprochen: Die mangelnde Repräsentation der Breite der DDR-Bevölkerung im Rahmen der Kommissionarbeit und die Gefahr einer (westdeutschen) abwertenden Sicht auf das Leben in der DDR insgesamt, ausgelöst durch das beschriebene Narrativ eines Überlebens in Diktaturbedingungen hinsichtlich aller Bereiche des täglichen Lebens.

So formulierte die Kommission bereits in dieser Botschaft einen zentralen Aspekt des Auftrags einer zu diesem Zeitpunkt bereits geplanten Folgekommission in der 13. Wahlperiode: Die Untersuchung und Diskussion des öffentlichen Umgangs mit der DDR-Geschichte in Museen und Gedenkstätten und die Entwicklung zugehöriger politischer Handlungsempfehlungen, um den bis dahin gebildeten Minimal-Kompromiss einer auf zehn Jahr begrenzten Förderung, die zugleich die Sitzländer der jeweiligen Orte als hälftigen Finanzier mit in die Pflicht nimmt, abzulösen und weiterzuentwickeln.

Dieser Themenbereich konnte in der auf die Dauer der Legislaturperiode festgelegten Kommission nicht diskutiert und bearbeitet werden. So sollte eine weitere Kommission nun vor allem die Folgen der SED-Diktatur näher untersuchen.

Überwindung der Folgen der SED-Diktatur

Die zweite Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ konstituierte sich 1995. Viele Mitglieder, sowohl auf Seiten der Abgeordneten als auch auf Seiten der Sachverständigen, blieben aus der ersten Kommission an Bord. War es in der ersten Kommission, so etwa das Fazit der Abgeordneten und Sachverständigen der SPD, nicht gelungen, die zahlreichen Aufarbeitungsinitiativen zu vernetzen und deren Zukunft zu sichern, sollte diese Aufgabe nunmehr im Vordergrund der Kommissionsarbeit stehen. Die Zusammensetzung der Kommission offenbarte indes erneut verschiedene Probleme. Wie schon zuvor stammten die Sachverständigen mehrheitlich aus Westdeutschland, die entsandten Abgeordneten mehrheitlich aus dem Osten. Was gut gedacht war, wirkte sich in der praktischen Arbeit der Kommission nicht unbedingt fruchtbar aus. Das von Gaubert geschilderte Beispiel zur SPD verdeutlicht den Spagat zwischen den westdeutschen wissenschaftlichen Sachverständigen und den mehrheitlich ostdeutschen Abgeordneten mit Oppositionsbiographie:

„Vor allem die Sachverständigen der SPD zielten mit ihren vorgestellten Fragestellungen und Konzepten auf ein komplexeres Verständnis der alltäglichen Herrschaftspraxis und der unterschiedlichen Beteiligungsformen- und Handlungsmotivationen der Mehrheitsbevölkerung. Nicht selten reagieren gerade die ostdeutschen Kommissionsmitglieder mit Amüsement, Unverständnis und teils sogar mit Ärger auf diese in ihren Augen unnötig weit gefassten und von übertriebener Einfühlsamkeit geprägten Erkenntnisinteressen“ (Gaubert 2019: 65).

Damit ist erkennbar, was Debatten um die Aufarbeitung der SED-Diktatur bis heute prägt: Die Frage danach, inwieweit die damaligen ostdeutschen Repräsentanten innerhalb der Kommission und in Teilen bis in heutige Diskussionen und Debatten tatsächlich die DDR-Bevölkerung repräsentieren. So lässt sich zumindest vermuten, dass die intensive und jahrelange Arbeit der Enquete-Kommissionen zum einen von der Mehrheit der früheren DDR-Bevölkerung nur bedingt wahrgenommen und als bedeutsam empfunden wurde und zum anderen die westdeutsche Bevölkerung aus mangelnder gesamtgesellschaftlicher Perspektive ebenfalls wenig Anteil der Arbeit der Kommission nahm.

In zwei Punkten gelang es jedoch der zweite Enquete-Kommission politische Empfehlungen zu formulieren, die sich bis in die Gegenwart auswirken. Die Vernetzung der Aufarbeitungsinitiativen wurde über den Vorschlag zur Schaffung einer Stiftung angestrebt. Ein Vorhaben „[…] das man nur gemeinsam – jeder gegen Widerstände in der eigenen Fraktion – durchsetzen konnte: [eine] Stiftung zur Weiterführung des gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitungsprozesses. Sie bildete das zentrale gemeinsame Anliegen der Kommission in der 13. Wahlperiode“ (Jansen 1999: 340). Erst jüngst im September 2020 wurde die heute erfolgreiche Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, angesiedelt in der Zuständigkeit der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, im Regierungsentwurf zum Haushalt 2021 mit einem Budget von rund 6 Millionen Euro bedacht. Dass die Stiftung heute vielfältige Initiativen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit Projektförderungen unterstützt, Promotionsstipendien vergeben kann oder Schwerpunktthemen mit Förderprogrammen versieht, ist Auswuchs des Vorschlages aus der zweiten Enquete-Kommission.

Mit dem Beginn der Arbeit dieser zweiten Enquete-Kommission wurde der Arbeitsauftrag qua Titel gegenwarts- und schlussendlich auch zukunftsbezogener ausgerichtet und kam damit den üblichen Funktionen einer Enquete-Kommission im politischen System wieder näher.

Anders als in der ersten Kommission stand nun die Vergleichbarkeit von NS-Diktatur und SED-Diktatur im Fokus der intensiven und leidenschaftlichen Diskussionen. Vor der Hintergrundfolie inhaltlicher Vergleichbarkeiten und der Definition von Singularitäten ging es auch immer um die Frage nach gleichwertigen Förderaktivitäten des Bundes für Museen und Gedenkstätten in Erinnerung der beiden Diktaturen. Innerhalb der Kommissionsarbeit dominierten totalitarimustheoretische Diskussionen, die insbesondere von den berufenen Sachverständigen mit großer Intensität geführt wurden.

„Für die mit der Beratung befasste Berichterstattergruppe „Gedenkstätten“ unter der Leitung von Siegfried Vergin war es selbstverständlich, dass eine Konzeption nicht [wie bisher, Anm. d. Verf.] auf die neu errichteten Gedenkstätten beschränkt werden dürfe, die an Verfolgung und Widerstand in der DDR erinnern, sondern auch die Gedenkstätten einbeziehen müsse, die der Dokumentation der NS-Verbrechen dienen. In den Diskussionen spielte eine große Bedeutung, dass in Buchenwald, Sachsenhausen und weiteren Lager- und Haftstätten sowohl vor als auch nach 1945 Menschen in großer Zahl zu Tode kamen. Durch die Nachnutzung der nationalsozialistischen Konzentrationslager als NKWD-Speziallager wurden diese zu „Orten mit doppelter Vergangenheit“. Von daher befürwortete die zur Aufarbeitung des DDR-Erbes eingesetzte Enquetekommission die Beteiligung des Bundes „an Gedenkstätten in ganz Deutschland“, sofern gewissen Kriterien erfüllt seien  (Garbe 2005: 77).

„Zwischen 1992 und 1998 sind […] über 600 Personen vor der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zu Wort gekommen, wurden von ihr angehört oder befragt“ (Jansen 1999: 332). Gerade der Abschlussbericht der zweiten Enquete-Kommission gibt bis heute eindrucksvoll Aufschluss darüber, wie sehr alle Beteiligten 1998 ahnten, wie viele Schritte zum Ziel der „inneren Einheit“ noch zurückzulegen sein würden (BT-Drs. 13/11000).

„Betrachtet man [daneben] den mittlerweile selbst zur Geschichte gewordenen Werdegang der Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland, so zeigt sich, dass die verschiedenen Entwicklungsphasen in enger Korrelation mit den jeweiligen politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen und den vorherrschenden Diskursen standen, insbesondere dem der innerdeutschen Systemauseinandersetzung und nach 1989 dem Identitätsdiskurs des vereinigten Deutschlands“ (Garbe 2005: 59).

Dies wird mit einem Blick auf die Entstehung der bis heute gültigen Gedenkstättenkonzeption des Bundes besonders deutlich.

Zur Genese der Gedenkstättenkonzeption des Bundes

Nach mehrjähriger Arbeit der Enquete-Kommission und einem Regierungswechsel zu Rot-Grün im Jahr 1998, wurde „am 27. Juli 1999 im Bundestag die zweite Gedenkstättenkonzeption vorgelegt: Wesentliche Neuerungen waren die Aufhebung der Befristung der Förderung und die ausschließliche Förderung von Gedenkstätten in den neuen Bundesländern, um ‚die prinzipielle Gleichrangigkeit der Gedenkstättenarbeit in Ost und West‘ (BT-DRs. 14/1569: 4) zu betonen“ (Heß 2017: 108).

Hatte man bisher hinsichtlich der Gedenkstätten die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes nicht durchsetzen können und sich lediglich auf eine zehnjährige Befristung und nur wenigen Einrichtungen in Berlin und Ostdeutschland zugutekommende Förderung einigen können, markiert das Konzept einen großen Schritt hin zur Professionalisierung der bundespolitischen Gedenkstättenförderung. Die 1999 vorgelegte nachhaltigere und erheblich ausgeweitete Förderkonzeption ist ohne die Arbeit der beiden Enquete-Kommissionen kaum vorstellbar. Die Konzeption „legte […] den Grundstein für eine an festen Qualitätskriterien orientierte finanzielle Förderung […] in Ost- und Westdeutschland“ (Hütter 2012: 710).

Auch die Entwicklung der Gedenkstättenkonzeption wurde von geschichtspolitischen Rahmenbedingungen begleitet, zu denen in erster Linie die Bundestagswahl 1998 zählt. Mit dem Amtsantritt der rot-grünen Regierungskoalition im Herbst 1998 schuf Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bundeskanzleramt das Amt des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM). „Erstmals [liegt] nun die Zuständigkeit für die Betreuung von Gedenkstätten und für die politische Aufarbeitung der SED-Diktatur in den Händen einer Behörde vereint“ (Gaubert 2019: 68). Entgegen der naheliegenden Vermutung, dass die Schaffung dieser Zuständigkeiten und die Verabschiedung der Gedenkstättenkonzeption die öffentlichen und politischen Debatten beruhigt und befriedet, entbrannte bereits Anfang der 2000er anhand eines Antrags der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine neuerliche Diskussion um die Aufarbeitung der SED-Diktatur (BT-Drs. 15/1874; BT-Drs. 15/3048). Gleich zwei Mal legte die Unionsfraktion Anträge zur Modifizierung der Gedenkstättenkonzeption vor, die verheerende öffentliche Reaktionen erzeugten. Opferverbände protestierten und meldeten sich mit Stellungnahmen zu Wort. Träger von Gedenkstätten und Museen rebellierten und warfen den Verfassern des Papiers eine Gleichsetzung der NS- Diktatur und der SED-Diktatur vor und damit eine indiskutable Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus. (AG der KZ-Gedenkstätten 2004). Die Jahre 2003 und 2004 waren damit von einem partei- und geschichtspolitischen Schlagabtausch geprägt.

Wenn in einigen Jahren die Akten aus dieser Zeit zugänglich sind, wird man hoffentlich erfahren, warum die Unionsfraktion mit ihren Anträgen die gerade in der zweiten Enquete-Kommission ausgehandelten Kompromisse so frühzeitig wieder infrage stellte und welche geschichtspolitischen Hoffnungen sie mit diesem Vorgehen verband.

Alltag in der Diktatur

In Reaktion auf die Debatten um die Anträge der Unionsfraktion trat 2005 Christina Weiss (SPD) als BKM die Flucht nach vorne an. Sie setzte eine Expertenkommission ein, die unter dem Vorsitz des Historikers Martin Sabrow das Konzept für einen dezentralen Geschichtsverbund zur Aufarbeitung der SED-Diktatur entwickeln sollte. Den Kommissionsmitgliedern kam bei ihrer Arbeit lediglich ein Beraterstatus zu, sodass auch ihre Empfehlungen lediglich Vorschlagscharakter gegenüber der Bundesbeauftragten haben (Wentker 2010: 146). Fortwährend begleiteten parteitaktische und (geschichts-)politische Rahmenbedingungen den Prozess. Bei Einsetzung der Kommission befand sich das politische Berlin gedanklich bereits auf dem Weg in die im Herbst 2005 anstehende nächste Bundestagswahl. Hatte die BKM gehofft, die Kommissionergebnisse vor Ende der Legislaturperiode zu erhalten, war bei deren Präsentation bereits Bernd Neumann (CDU) als BKM der neuen schwarz-gelben Regierungskoalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel im Amt. Die von der Sabrow-Kommission vorgestellten Empfehlungen, in denen die stärkere Berücksichtigung des Alltagslebens in der DDR als besonderer Aspekt betont wurde, stießen bei Neumann keineswegs auf positive Resonanz. Im Kommissionspapier plädierte man dafür, auch die Bindungskräfte der untergegangenen Diktatur in den Blick zu nehmen.

„Eine historische Aufarbeitung, die die Interaktion von Herrschaft und Gesellschaft übergeht und die entstehenden und erodierenden Bindungskräfte der DDR in ihren jeweiligen Entwicklungsstadien (und damit den lebensweltlichen Rang und Identifikationswert des Alltags) ignorierte, wäre verfehlt und nach Überzeugung der Kommission unvollständig. Darüber hinaus würde sie die Selbstwahrnehmung breiter Schichten der früheren DDR-Bevölkerung und ihrer nachwachsenden Generationen nicht angemessen erfassen und den erinnerenden Umgang mit dem Leben in der Diktatur den unkritischen Sammlungen zur DDR-Alltagskultur überlassen, deren mediale und museale Konjunktur in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat“ (Sabrow 2007: 34).

Am Ende zeigte sich jedoch, dass gerade dieses „Werben für das integrative Potenzial einer musealen Auseinandersetzung mit dem DDR-Alltag die Gefahr [birgt], als Fundamentalkritik an der bisherigen Aufarbeitung missverstanden zu werden“ (Gaubert 2019: 70). Wie bereits anhand der Zusammensetzung der Enquete-Kommission dargelegt, trat auch hier mit Blick auf die ehemalige DDR-Bevölkerung das Spannungsfeld „zwischen den Alltagserfahrungen wohl der Mehrheit auf der einen Seite und den Repressionserfahrungen einer Minderheit auf der anderen Seite“ (Faulenbach 2007: 18) deutlich hervor. Eine auch heute, knapp 15 Jahre später, bedeutsame Diskussionslinie der Aufarbeitung der SED-Diktatur. Sie ist zugleich Grundlage der gerade in den frühen 2000er Jahren diskutierten Sorge über Ostalgietendenzen und Verklärungen der DDR-Geschichte, zugleich aber auch Auswuchs der Frustration über die in Teilen pauschale Entwertung individueller Lebensleistungen, die mit der Deutung der DDR-Geschichte nach 1989/90 einherging. Denn natürlich stellt die Einberufung solcher Kommission, die Berufung bestimmter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diese und die Formulierung zu bearbeitender Aufträge dezidiert geschichtspolitisches Handeln dar.

In der 2008 veröffentlichten Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption wurde das Thema Alltag in der DDR aufgegriffen, jedoch eng kontextualisiert und verbunden mit dem Ziel, gerade durch die Thematisierung des Alltagslebens einer Verklärung und Verharmlosung der SED-Diktatur und den festgestellten Ostalgietendenzen entschieden entgegenzuwirken.

„Dazu ist das alltägliche Leben notwendigerweise im Kontext der Diktatur darzustellen. Es muss deutlich werden, dass die Menschen in der DDR einer umfassenden staatlichen Kontrolle unterlagen und einem massiven Anpassungsdruck ausgesetzt waren, ebenso wie die Diktatur ihre Macht auch aus der Mitmachbereitschaft der Gesellschaft schöpfte. Die Instrumente und Mechanismen, derer sich die SED bediente, um die gesamte Gesellschaft und das Leben der Menschen in all seinen Bereichen ideologisch zu durchdringen, sollen benannt werden – von der Kinderkrippe über die Schule und die Universität bis hin zur Arbeitswelt und zur Freizeitgestaltung. Zugleich muss dokumentiert werden, wie und wo sich Menschen in der DDR dem Zugriff der Partei zu entziehen suchten“ (BT-Drs. 16/9875: 9).

Gaubert attestiert diesen Ausführungen als eine Art „Anleitung zum Umgang mit einem offenbar noch immer für hochsensibel befundenen erinnerungskulturellen Gefahrgut“ zu dienen (Gaubert 2019: 83).

Diese hier vor allem anhand der zahlreichen eingesetzten (politischen) Kommissionen beschriebenen Aushandlungsprozesse darüber, wer und was im vereinigten Deutschland gültig und richtig ist, „verweis[en] darauf, dass es bei Vorgängen sozialen Erinnerns und Vergessens […] immer auch um die Verhandlung von Macht geht, bei der ‚Gewinner‘ und ‚Verlierer‘ materiell wie symbolisch produziert werden.“ (Leonhard et. al. 2017: 5). Hatte man sich der musealen und öffentlichen Repräsentation des Alltagslebens in der DDR über Jahre unter Verweis auf Weichzeichnungs- und Ostalgietendenzen gänzlich entgegengestellt, ist heute insbesondere die Ausstellung „Alltag in der DDR“, die durch die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in der Berliner Kulturbrauerei gezeigt wird, Abbild dieser inhaltlichen Setzungen aus 2008.

Öffentliche und kommerzielle Geschichte und der Sonderfall Berlin

„Neben der Etablierung einer neuen auf die SED-Diktatur ausgerichteten Erinnerungslandschaft, in der Orte „gesichert“ und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, gab es eine genau gegenteilige Entwicklung. Hier wurden Orte mit hohem Symbolwert innerhalb kürzester Zeit als materielle Hinterlassenschaften und historische Substanzen getilgt. Das berühmteste und jüngste Beispiel hierfür ist die Schleifung der Berliner Mauer, an die bereits zehn Jahre nach dem Mauerfall nichts mehr im Berliner Stadtbild erinnerte“ (Kaminsky 2005: 102).

Es ist nicht außergewöhnlich, dass sich angelegt an eine Strategie des Vergessens, Staaten der Symbole ihrer diktatorischen Vergangenheit entledigen. So war auch die Berliner Mauer für viele nach ihrem Fall 1989 ein Schandfleck in der Stadt, der im besten Falle schnellstmöglich verschwinden müsse. Politisch erhalten solche Vorgehensweisen nicht selten Unterstützung und Zuspruch. In ihnen steckt das Motiv des Neuanfangs, des Bruchs mit der Vergangenheit und der Blick in eine neue Zukunft. Für Berlin kann man sich zugleich des Eindrucks nicht erwehren, dass es teils nicht schnell genug gehen konnte, Grundstücke zu veräußern, Bauland zu schaffen und Flächen in der Stadt neu zu ordnen. Nur wenige, etwa der Westberliner Pfarrer Manfred Fischer mit seiner Gemeinde direkt an der Bernauer Straße, setzten sich in dieser Zeit für den sichtbaren Erhalt der Spuren der Mauer und der Grenzanlagen ein. Dem Berliner Senat gelang bis in die 2000er Jahre geschichtspolitisch und erinnerungspolitisch kein großer Wurf. Trotz der Rolle Berlin als Brennglas der Geschichte von Teilung und Einheit, schienen die Fragen der Zukunft woanders zu liegen. In der Gegenwart warteten dringendere Fragen, als die nach einem stadtweiten und womöglich auf die bundespolitischen Gedenkaktivitäten ausstrahlenden Konzept zur Erinnerung an die deutsche Teilung. Zugleich wuchs der „Mauertourismus“ in Berlin früh und schnell spürbar an. Schon in den späten 1990er Jahren pilgerten tausende Menschen zu den nur noch im schlechten Zustand erhaltenen Kunstwerken der East Side Gallery, dem bis heute längsten noch erhaltenen Stück der Berliner Mauer. Orte wie der Checkpoint Charlie zogen Menschen aus aller Welt an, die auf der Suche sind nach den Spuren der weltbekannten Berliner Mauer und des Kalten Krieges. Heute ahnt man, was Sybille Frank schon 2012 formuliert: „Wenn sich die öffentliche Hand der von Heritage-Touristinnen nachgefragten Themen nicht annimmt, so tun dies private Anbieter, wie der […] Fall des privaten DDR-Museums an der Berliner Museumsinsel zeigt.“ (Frank 2012: 4).

Fernab der öffentlichen Institutionen und in Ermangelung geschichtspolitischer Konzepte, wurden so sogar bereits zu Zeiten der deutschen Teilung private Museen und Gedenkstätten etabliert. Die mehrheitlich kommerziell ausgerichteten Häuser sind in Berlin bis heute im Stadtbild und im touristischen Kanon der Stadt fest verankert. Auch andernorts in Ostdeutschland finden sich bis heute private Museen, die sich vor allem dem Alltagsleben in der DDR widmen:

„Neben den öffentlich geförderten Museen sind seit den 1990er Jahren mehrere private Einrichtungen zur Musealisierung der alltäglichen DDR-Geschichte entstanden. Dazu zählen beispielsweise […] das „nOstalgie-Museum“ auf dem Domstiftsgut Mötzow in der Nähe von Brandenburg an der Havel, das „DDR-Museum Zeitreise“ in Radebeul, das „Museum für DDR-Produkte“ in Erfurt [oder] die Museumsbaracke „Olle DDR“ in Apolda […]. Sie alle zeichnen sich vor allem durch eine umfassende Sammlung an Konsumgegenständen aus der DDR aus. Ein politik-, gesellschafts- oder kulturgeschichtliches Konzept lässt sich kaum feststellen. Vielmehr zielen diese Museen darauf, durch die Präsentation der Gebrauchsgüter ‚Interessantes und Wissenswertes über das alltägliche Leben der Menschen in der DDR‘ zu vermitteln. Darüber hinaus gibt es aber auch drei private Einrichtungen, die laut eigener Aussage das Leben im totalitären System der DDR verdeutlichen wollen: das „DDR-Geschichtsmuseum im Dokumentationszentrum“ Perleberg, die Sammlung „Gegen das Vergessen“ in Pforzheim sowie das „DDR-Museum“ in Berlin. […] Die Ausstellungen verharren – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen – auf einer relativ oberflächlichen historischen Ebene“ (Zündorf 2012: 99f.). 

Was in der Gedenkstättenkonzeption für die öffentlich-finanzierte Erinnerung vorgegeben ist, gelingt in diesen Häusern kaum: Die Einordnung des Alltagslebens in die repressiven Strukturen der DDR. Dies trifft auch auf andere in Berlin existierende, privat geführte Häuser zu, so etwa das „Mauermuseum“ am früheren Checkpoint Charlie. „Schon 1963 eröffnete auf der westlichen Seite des Kontrollpunkts das Museum Haus am Checkpoint Charlie seine Türen. Es dokumentierte die Geschichte der Mauer sowie Fluchtschicksale und entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem der meistbesuchten Museen West-Berlins.“ (Frank 2012: 1). Es ist ein Paradox der politischen Aufarbeitungsaktivitäten, dass gerade die streitbare, größtenteils unwissenschaftlich durchgeführte Arbeit dieses Mauermuseums wichtige Impulse zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit dem Gedenken, gerade dem Mauergedenken, in der öffentlichen Hand ausgelöst hat. So geriet der Berliner Senat durch eine in den Jahren 2004/2005 öffentlich intensiv und äußerst kontrovers diskutierte und mit über 1000 Holzkreuzen gestaltete Gedenk-Aktion des Mauermuseums unter Druck und veröffentlichte kurze Zeit später erstmals ein eigenes umfangreiches Konzept zum berlinweiten Mauergedenken. Das Konzept sah dezentrale Strukturen vor und hob einige Orte, etwa die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße, hervor und befürwortete einen Ausbau dieser Gedenklandschaft – auch fernab der touristischen Hotspots etwa rund um das Brandenburger Tor (Berliner Senat 2006).

In den vergangenen Jahren sind neue kommerzielle Angebote hinzukommen, die der öffentlichen und institutionalisierten Erinnerung Konkurrenz bereiten: Das schon erwähnte DDR-Museum im Berliner Nikolaiviertel, das „Wall Museum“ in unmittelbarer Nähe zur East Side Gallery oder die erst vor Kurzem in 2020 eröffnete Ausstellung „The Wall“ an der Leipziger Straße in direkter Nähe zum Potsdamer Platz. Die beständige Existenz und das stete Anwachsen dieser kommerziellen Angebote kann zweifelsohne als Beleg für das große öffentliche Interesse an der Geschichte der DDR und der Aufarbeitung der SED-Diktatur dienen. Diese Entwicklung ist zugleich Beweis dafür, dass der öffentliche Umgang mit Geschichte sich landes- wie bundespolitisch immer wieder als wichtiges Politikfeld erweist. Die Erfahrungen der Einrichtungen zur NS-Aufarbeitung zeigen: Je weiter die Geschichte in die Vergangenheit rückt, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sterben, desto mehr Aufmerksamkeit erhalten öffentliche Präsentationen von Geschichte in Museen, Gedenkstätten und Medien.

Zentrale Diskussionslinien der Aufarbeitung

Weder die Aufarbeitung der NS-Diktatur, noch die der SED-Diktatur sind ohne das zivilgesellschaftliche Engagement von so vielen Menschen vorstellbar. Sie legten schon in den Monaten des Umbruchs 1989/90 den Grundstein und das Fundament der beginnenden Aufarbeitung: Gedenkstätten wurden eingerichtet, Ehrenamtliche engagierten sich, Zeugnisse der Vergangenheit und der Verbrechen wurden gesichtet und gesichert, Erlebnisse aufgeschrieben und in Wort, Ton und Bild festgehalten. Politisch bestand in den frühen 1990er Jahren das Bedürfnis die sichtbaren Spuren der SED-Diktatur zu tilgen und das System auch im Rahmen geschichtspolitischer Aufarbeitungsaktivitäten zu diskreditieren.

Die Zusammensetzung der Enquete-Kommissionen offenbart, was bis heute als Dilemma der Aufarbeitung der SED-Diktatur beschrieben werden muss: Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler und Oppositionelle sprechen nicht für die Mehrheit der früheren DDR-Bevölkerung. Es schlägt fehl daraus abzuleiten, dass alle anderen das Leben in der DDR und deren politisches System unterstützt und positiv bewertet hätten. Vielmehr tritt eine Repräsentationslücke gegenüber all jenen auf, die sich in ihrem Leben in der DDR ins Private zurückzogen, Auffälligkeiten vermieden, auf diese Weise ein Anecken verhinderten und damit zugleich die Erfahrung eines in weiten Teilen politisch unbehelligten und nicht von Repression geprägten Alltags machten. Die Komplexität der dahinterliegenden Fragen danach, was die DDR als Diktatur kennzeichnete, wie weit das diktatorisch-repressive System in den Alltag des Einzelnen hineinwirken konnte, werden bis heute wissenschaftlich intensiv diskutiert.

„Bemerkenswert waren [dabei] auch die Versuche der 1990er-Jahre, die DDR ‚auf den Begriff‘ zu bringen. Vor allem um von der verpönten Charakterisierung ‚totalitär‘ wegzukommen, wurde die DDR wahlweise als ‚moderne Diktatur‘, als ‚Fürsorgediktatur‘ und sogar als ‚Konsensdiktatur‘ bezeichnet, und die DDR-Gesellschaft als ‚entdifferenziert‘, ‚durchherrscht‘ oder als ‚konstitutiv widersprüchlich‘. Doch letztlich dienten solche Begriffsbildungen ‚eher der schnellen Etikettierung als der analytischen Durchdringung‘ und brachten die Forschung nicht recht weiter“ (Wentker 2010: 141).

Vielversprechender scheint indes, wie es etwa der Historiker Martin Sabrow tut, stärker der Frage nachzugehen, auf welche Weise die DDR erinnert wird. Er hat hierfür die Begriffe des „Diktaturgedächtnis“, des „Arrangementgedächtnis“ und des „Fortschrittsgedächtnis“ geprägt (Sabrow 2009). Sie zeigen die prägenden Narrative auf, die den öffentlichen Umgang und die öffentliche Erinnerung an die DDR bestimmen.

Ein weiteres Dilemma des fortwährenden Umgangs mit der DDR-Geschichte liegt in ihrem schlaglichtartigen Auftauchen in öffentlichen Diskursen.

„Jenseits von Skandalisierung und Ostalgie begegnet DDR-Geschichte uns in den Medien vor allen anlässlich von Jahrestagen zentraler Ereignisse, die nicht nur für die DDR, sondern auch für die Bundesrepublik von herausragender Bedeutung waren. Beginnend mit 1999, als man der Gründung der beiden deutschen Staaten und dem Fall der Mauer zehn Jahre zuvor gedachte, folgten als weitere Gedenkjahre 2001 (vierzig Jahre Mauerbau), 2003 (fünfzig Jahre Volksaufstand in der DDR), und 2009 – das Groß-Gedächtnisjahr […]. Die Jahrestage haben mit Blick auf [das] Thema zwei Seiten: Zum einen gerät dadurch zum Glück auch die DDR wieder in den Fokus der Mediengesellschaft, zum anderen besteht die Gefahr, dass die mediale Aufmerksamkeit zur Instrumentalisierung genutzt wird“ (Wentker 2010: 143).

Nicht nur anhand der Aufarbeitung der SED-Diktatur wird diese Art von Jahrestagsaktionismus gerade in der Geschichtswissenschaft kritisch diskutiert. Eine nachhaltige Auseinandersetzung und Aufarbeitung können auf diese Weise nicht etabliert werden. Während die öffentliche Erinnerung an die DDR und die damit verbundene Aufarbeitung der SED-Diktatur inzwischen breit ausdifferenziert ist, steht es um die Vermittlung des Themas zumindest in schulischen und hochschulischen Bildungskontexten beispielsweise deutlich schlechter. Wie sich Museen und Gedenkstätten zu diesem Thema weit überwiegend in Ostdeutschland und entlang der früheren innerdeutschen Grenze finden, wird die DDR-Geschichte auch in schulischen Lehrplänen und in der Hochschullehre weit überwiegend nur in Berlin und Ostdeutschland berücksichtigt. Die Studien von Peer Pasternack und Ulrich Arnswald haben eindrucksvoll gezeigt, dass das Thema in Nord-, West- und Süddeutschland bis heute kaum bis keine Relevanz hat. Auch darin liegt 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ein Defizit im Umgang mit der DDR-Geschichte (Pasternack 2001; Arnswald 2004).

„Die andere Seite der medialen Aufmerksamkeit [gilt] der sogenannten ‚Ostalgie‘, die [etwa] durch die ‚Ostalgieshows‘ 2003 im Fernsehen ihren Höhepunkt erfuhr. Hier ging und geht es gerade nicht um Skandalisierung, sondern vielmehr um die rührselige Erinnerung an den vergangenen, angeblich politikfreien Alltag in der DDR. Die Medien stießen damit in eine Lücke, die die Geschichtswissenschaft und die darauf basierenden medialen Erzeugnisse gelassen hatten: Denn diese hatten die ‚Nahbereiche‘ des menschlichen Lebens ausgespart“ (Wentker 2010, S.142 f.). 

In dieser mangelnden Berücksichtigung dieser Erfahrungen und Erzählungen liegt gerade in den 2000er Jahren ein Versäumnis der Aufarbeitungsdiskurse.

Geteilte Erinnerung und Chancen für die Zukunft

Im Folgenden soll abschließend der Versuch unternommen werden, die zentralen Erkenntnisse der hier diskutierten geschichtspolitischen Debatten und Aufarbeitungsdiskurse in sieben Herausforderungen und Chancen für Gegenwart und Zukunft zu formulieren. Die erste Phase der Aufarbeitung der SED-Diktatur bis Ender der 1990er Jahre wurde bestimmt von der Entwicklung des

„Narrativ[s] einer ostdeutschen Niedergangsgeschichte, neben der die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik eine geradezu übergebührliche Strahlkraft gewinnt. Der Bundesrepublik [wird] im Prozess der DDR-Aufarbeitung indirekt eine äußerst positive Evaluierung zuteil, da sich die Enquete-Kommission[en] in ihrer Beurteilung der DDR-Vergangenheit stets implizit auf das weitestgehend unhinterfragt für normgebend befundene westliche Referenzmodell [beziehen]“ (Gaubert 2019: 66f.).

So sollen Chancen und Herausforderungen der Zukunft vor allem vor diesem Hintergrund gedacht werden.

(1) 30 Jahre nach der Wiedervereinigung diskutieren wir nicht zuletzt seit dem Auftreten von Phänomenen wie Pegida oder dem starken Abschneiden der AfD im Rahmen ostdeutscher Landtagswahlen wieder verstärkt über das Zusammenwachsen von Ost und West und über weiterhin existierende Spuren der deutschen Teilung. Zugleich geschieht dies insbesondere im Kontext von Jahres- und Gedenktagen.

Bereits „[zu] früheren Jubiläen stand das Trennende und Misslinge der Einheit im Vordergrund des gesellschaftlichen und medialen Diskurses. In den neunziger Jahren hieß das zentrale Schlagwort »Vereinigungskrise«. Zum 15. und zum 20. Jahrestag ginge es um das Versagen der Treuhand und den grauen Schleier über den von Helmut Kohl prophezeiten »blühenden Landschaften«. Es stand mehr das Trennende als das Vereinende im Vordergrund; die Einheit wurde als Belastung und Belästigung diskutiert. Wenn die Zeichen nicht trügen, ist diese Zeit vorbei: Die Einheit hat an Pathos verloren, aber auch an Empörungskraft; sie wird dem Anschein nach 2015 pragmatischer als andauernde Unterschiedlichkeit in der Gemeinsamkeit diskutiert […]. Euphorie und Enttäuschung haben im pragmatischen Arrangement zusammengefunden […]. Nach wie vor hinken das Institutionenvertrauen und die Systemakzeptanz in Ostdeutschland deutlich hinter den westdeutschen Werten her, aber der Abstand in der Identifikation mit der bundesdeutschen Ordnung ist kontinuierlich geringer geworden […]“ (Sabrow 2015: 19f.).

Es stellt eine Herausforderung und eine Chance zugleich dar, diese Diskurse nicht mehr mit der Einteilung in Ost und West zu führen, sondern vielmehr querliegende Konfliktlinien (Stadt vs. Land / Einkommensunterschiede / Demokratieskepsis) in das Zentrum der Debatte zu stellen, die ein gesamtdeutsches Thema darstellen und mit der Unterscheidung in Ost und West nicht ausreichend erklärt sind (Leonhard et. al 2017: 4).

(2) Es besteht nach wie vor Grund zu der Annahme, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur mehrheitlich als ein ostdeutsches Thema (und Problem) angesehen wird – gerade aus Sicht westdeutscher Bürgerinnen und Bürger. Diese Vorstellung gilt es aufzubrechen und die Aufarbeitung deutlich stärker als bisher als gesamtdeutsches Thema und gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verankern. Möglichkeiten dazu bieten unter anderem die Kontextualisierung in auch im Westen stärker wahrgenommene Diskurse, wie etwa die internationale Dimension der deutschen Teilung, aber auch die Darstellung der Potenziale und Entwicklungen Deutschlands, die erst durch die deutsche Einheit möglich wurden. „[Bei der Berücksichtigung des Themas in Lehrplänen etwa, Anm. d. Verf.] bietet überdies die Diskussion des Begriffspaars ‚Demokratie und Diktatur‘ auch in der Gegenwart zahlreiche Anknüpfungspunkte, die es ermöglichen aus einer Beschäftigung mit der SED-Diktatur auch übergeordnete Fragen zu den Mechanismen, Funktionsweisen und Stabilitätskriterien von Diktaturen zu stellen“ (Reuschenbach 2018: 464). So bleiben diese Fragen keine ostdeutschen Fragen, sondern bieten vielmehr ein Blick durch die gesamtdeutsche Brille auf die gegenwärtige Renaissance autokratischer Systeme und Tendenzen in der Welt, etwa in Belarus, der Türkei oder Russland.

(3) Nicht nur anhand der Aufarbeitung der SED-Diktatur lässt sich eindrucksvoll aufzeigen, dass in der deutschen Erinnerungskultur positive Erinnerungsmomente in der Minderheit sind. Es ist eine Chance der DDR-Aufarbeitung, positive Aspekte der Demokratiegeschichte stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Dies betrifft etwa die Stärkung des 3. Oktober als gesamtdeutschen Feiertag und die stärkere Berücksichtigung des demokratischen Aufbruchs mit der friedlichen Revolution von 1989/90 in Schulen, Hochschulen und anderen Bildungskontexten. Dazu zählt auch Erfolge zu benennen, die politisch, wirtschaftlich oder auch im Bereich von Innovationen in Ostdeutschland und gesamtdeutsch erreicht wurden und diese auch in Bildungs- und Vermittlungskontexten zu transportieren. Schon 2012 wies Alfons Kenkmann zurecht darauf hin, dass „die zwischen den Generationen zu konstatierende Kluft zwischen individuellen Erfahrungshorizonten ehemaliger DDR-Bürger und öffentlich artikulierten Deutungsmustern über die DDR-Geschichte ein wirkungsmächtiger Befund [bleibt]. Politisch-ideologische Ressentiments entfalten auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung eine mentale Nachwirkung, die von der politischen Bildung aufgegriffen werden muss“ (Kenkmann 2012: 243).

„Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich die Zeitzeugen in den öffentlichen Erinnerungen an die DDR nicht wiederfinden und so ebenfalls in einer homogen-unkritischen Verteidigung ihrer Lebensgeschichte verharren, deren Anerkennung und Würdigung sie in der Öffentlichkeit vermissen“ (Heß 2017: 120).

(4) 30 Jahre nach der Deutschen Einheit bietet auch eine ehrliche Form der Selbstkritik Gelegenheit zur Annäherung. Die derzeit laufende wissenschaftliche Erforschung der Geschichte der Treuhand etwa, erfordert je nach Ergebnissen auch politische Eingeständnisse des Scheiterns oder missglückter politischer Versuche im ersten Zusammenwachsen nach 1990. Zugleich zählt dazu ebenfalls, den tiefgreifenden Umbruch in Ostdeutschland ernst zu nehmen und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie weitreichend, in alle gesellschaftlichen und privaten Lebensbereiche hineinwirkend dieser in kürzester Zeit für zahlreiche Menschen stattgefunden hat. Jüngst liefert etwa ein Forschungsprojekt eines Teams von Historikerinnen und Historikern des Potsdamer Zentrum für Zeitgeschichtliche Forschung (ZZF) anschauliche Einblicke in diese Fragen (Brückweh et. al. 2020). Auch das jüngst erschienene Jahrbuch Deutsche Einheit (Böick et. al. 2020) zeugt davon, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese kritischen Fragen aufgreifen und Themen der Transformation häufiger und intensiver in den Blick nehmen.

(5) Was die Enquete-Kommissionen der 1990er Jahren leisteten, sollte heute in einer weiteren Kommissionsarbeit fortgesetzt und aktualisiert werden. Spuren der Transformation werden derzeit in vielen einzelnen Forschungsvorhaben (BMBF 2018) und gerade auch in belletristischer Form diskutiert. Hier könnten Bund und Länder politische Akzente setzen, indem in gesamtdeutscher Perspektive dauerhaft und über gegenwärtige Forschungsinitiativen hinaus, mit Blick auf ost- wie westdeutsche politische und gesellschaftliche Verhaltensweisen, neue Diskurse initiiert werden. Ost und West einende Themen, etwa Proteste für mehr Klimaschutz oder gegen Rechtsextremismus, gilt es stärker zu betonen und nicht immer nur auf Trennendes zwischen Ost und West zu verweisen.

(6) Es ist an der Zeit, die Gedenkstättenkonzeption des Bundes endlich fortzuschreiben und zu aktualisieren (Reuschenbach 2017: 219). Hierbei sollten Orte der Demokratiegeschichte (gerade auch mit Blick auf die Aufarbeitung der SED-Diktatur) eine stärkere Verankerung und Aufwertung erfahren. Dies gilt gerade für das seit nunmehr fast 30 Jahren geplante Freiheits- und Einheitsdenkmal, dessen Bau nach langen Kontroversen im Frühjahr 2020 begonnen wurde. „[Das Denkmal] würde die Wertschätzung derer ermöglichen, die sich in den letzten Jahren und Monaten der DDR für Demokratie und gegen das politische System engagiert haben. […] (Reuschenbach 2018: 459). Zugleich kann es dauerhaften Erfolg im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitung nur dann erfahren, wenn es als auch als gesamtgesellschaftlicher Ort etabliert wird. Um eine gesamtdeutsche Akzeptanz und Verankerung zu ermöglichen, braucht es positive geschichtspolitische Konzepte. Der für das Haushaltsjahr 2021 für die Orte der Demokratiegeschichte anvisierten Mittelaufwuchs bei der BKM ist ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung (BKM 2020).

(7) Der parteipolitischen Vereinnahmung geschichtlicher Motive gilt es entschieden gegenzutreten. Versuchen dieser Art, etwa die von der AfD versuchte Umdeutung der Formel „Vollende die Wende“ in Bundestags- und Landtagswahlkämpfen der letzten Jahre muss von den anderen demokratischen Parteien stärker widersprochen werden. Das geschichtspolitische Gefahrenpotenzial ist groß, wenn Einzelne die Deutungshoheit über diese demokratischen Elemente der deutschen Einheit versuchen zu erringen und diese Versuche zugleich von anderen zu lange oder zu leise unwidersprochen bleiben.

Bis heute ist nicht gelungen und stellt damit schlussendlich eine fortwährende Aufgabe dar, was Thomas Ahbe schon 2005 diagnostizierte:

„Zwischen dem Gros ostdeutscher Erfahrungen und der oftmals als westdeutsch geprägt empfundenen öffentlichen Aufarbeitung der DDR in Politik und Medien [gibt] es eine Kommunikationslücke, die gerade das Leben in der DDR, welches nicht primär von Repressionserfahrungen und persönlicher Verfolgung geprägt gewesen sei, nicht zu erfassen vermag. Demnach fehlt es, – jedenfalls im Bereich von Politik und Medien – größtenteils an Erinnerungen, die zwischen der öffentlichen und privaten Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit zu vermitteln vermögen. Solche Erinnerungen müssten an die ‚Erfahrungen und Stimmungen‘ auch derjenigen anknüpfen können, die sich persönlich nicht unterdrückt oder eingeengt fühlten. […] Einerseits muss ein solches differenzierteres Erinnerungsbild der DDR natürlich auch das aufzeigen, von dem einige Zeitzeugen nichts wussten bzw. nichts wissen konnten, aber wovon sie heute wissen müssen (beispielsweise die Funktion der von der SED gesteuerten Justiz). In diesem dürfen unhinterfragt positive Erinnerungen an die DDR nicht einfach als das authentische Bild hingenommen werden“ (Heß 2017: 119f.).

Quellen

Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland (4.6.2004): Stellungnahme zum Antrag von Abgeordneten der CDU/CSU zur „Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland – Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen (BT-Drs. 15/3048), Berlin: https://www.hsozkult.de/debate/id/diskussionen-490 (Stand 14.9.2020).

Bundesministerium für Bildung und Forschung (12.6.2018): Pressemitteilung 048/2018. Wissenslücken über die DDR schließen. Berlin: https://www.bmbf.de/de/wissensluecken-ueber-die-ddr-schliessen-6346.html (Stand 14.9.2020).

Bundebeauftragte für Kultur und Medien (23.9.2020): Bund plant deutlich höhere Ausgaben für Kultur und Medien – Kulturstaatsministerin Grütters: „Investieren in Demokratievermittlung und Verständigungskultur“. Pressemitteilung 341. Berlin: https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/aktuelles/bund-plant-deutlich-hoehere-ausgaben-fuer-kultur-und-medien-kulturstaatsministerin-gruetters-investieren-in-demokratievermittlung-und-verstaendigungskultur–1790380 (Stand 24.9.2020).

Deutscher Bundestag (5.9.1997): BT-Drs. 13/8486. Unterrichtung durch die Bundesregierung. Bericht der Bundesregierung über die Beteiligung des Bundes an Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/13/084/1308486.pdf (Stand 14.9.2020).

Deutscher Bundestag (10.6.1998): BT-Drs. 13/11000. Schlußbericht der Enquete-Komission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“. Berlin: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/110/1311000.pdf (Stand 14.9.2020).

Deutscher Bundestag (27.7.1999): BT-Drs. 14/1569. Unterrichtung der Bundesregierung. Konzeption der künftigen Gedenkstättenförderung des Bundes und Bericht der Bundesregierung über die Beteiligung des Bundes an Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/015/1401569.pdf (Stand 14.9.2020).

Deutscher Bundestag (19.6.2008): BT-Drs. 16/9875, Unterrichtung durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen. Berlin: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/098/1609875.pdf (Stand: 30.9.2020).

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Zitationshinweis:

Reuschenbach, Julia (2020): 30 Jahre nach der Deutschen Einheit, Ein Blick in die geschichtspolitischen Debatten und Wegmarken der Aufarbeitung der SED-Diktatur, Forschungspapier, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/30-jahre-nach-der-deutschen-einheit/

 

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