Bogner, Alexander (Hrsg.): Ethisierung der Technik – Technisierung der Ethik. Der Ethik-Boom im Lichte der Wissenschafts- und Technikforschung.

Bogner NomosAuf den Begriff der „Ethik“ wird vornehmlich dort rekurriert, wo von wissenschaftlichen Entwicklungen, Innovationen und Fortschritten gesprochen wird.

Wissenschaft und Technik scheinen in zunehmendem Maße ethische Probleme und moralische Fragen aufzuwerfen, die mit wissenschaftlichen Termini à la „Risikodiskurs“ oder „Technikfolgenabschätzung“ nur noch ungenau erfasst werden können. Gordian Ezazi bespricht den Sammelband für Regierungsforschung.de.

Bogner, Alexander (Hrsg.): Ethisierung der Technik – Technisierung der Ethik. Der Ethik-Boom im Lichte der Wissenschafts- und Technikforschung.

 

Rezension von Gordian Ezazi

Auf den Begriff der „Ethik“ wird vornehmlich dort rekurriert, wo von wissenschaftlichen Entwicklungen, Innovationen und Fortschritten gesprochen wird. Wissenschaft und Technik scheinen in zunehmendem Maße ethische Probleme und moralische Fragen aufzuwerfen, die mit wissenschaftlichen Termini à la „Risikodiskurs“ oder „Technikfolgenabschätzung“ nur noch ungenau erfasst werden können. Undeutlich bleibt ferner, ob es sich bei diesem Rekurs um mehr handelt als um bloße Rhetorik oder ob die Ethik als Reflexionstheorie an dieser Stelle nicht doch ihr – mitunter geradezu zyklisch konstatiertes – Comeback feiert. Der Sammelband „Ethisierung der Technik – Technisierung der Ethik. Der Ethik-Boom im Lichte der Wissenschafts- und Technikforschung“ (Hrsg. Alexander Bogner) aus der Schriftenreihe „Wissenschafts- und Technikforschung“ des Nomos-Verlages, setzt mit seiner auf dem Buchrücken vermerkten Kernfrage an genau dieser Stelle an: „Was lässt sich über eine Gesellschaft sagen, die über Wissenschaft und Technik in ethisch-moralischen Bahnen streitet?“.

Bioethik und die Genese der Ethik in der Politik.

Um eben jene „Bahnen“ kreist die Mehrheit – der elf – in diesem Aufsatzband versammelten Beiträge. Eine gewichtige Grunderkenntnis ist ohnedies, dass das Konzept der „Ethik“ nicht schon a priori mit allzu viel normativen Ballast beladen werden sollte. Das geflügelte Wort des „Ethik-Booms“ (S. 7) –wahlweise auch als „Konjunktur“ (S. 8) oder „Aufwind“ (ebd.) beschrieben und bezeichnet – wird hier nun, in diesem Band, sozialwissenschaftlich geerdet: Was bedeutet es, wenn wir in Auseinandersetzungen um Wissenschaft und Technik von Ethik sprechen?

In der praktischen Politik – weniger der Politikwissenschaft selbst, in der jener Begriff der Ethik nur wenig Erwähnung und Anwendung findet – wird Ethik als ein Set an Themen interpretiert, die mit besagten Innovationen aus dem Bereich der „Biomedizin“ zusammenhängen. Verkürzt: Gen- und Biotechnologie führen zu neuen Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten im Bereich der Medizin, die wiederum existenzielle moralische Fragen aufwerfen. Diese Fragen beschäftigen sich meist mit dem Lebensanfang (Stammzelltherapie, Präimplantations-, Pränatal- und Gendiagnostik) und Lebensende (Organspende, Sterbehilfe, Hirntod). Die Politik muss diese Fragen, für die sich gemeinhin der – ebenso streitbare und vielfach unterschiedlich definierte – Begriff der Bioethik hat etablieren können, gesetzlich beantworten und befrieden. In den 90er-Jahren wurden deshalb in fast ganz Europa so genannte „Ethikkommissionen“ oder „Ethikräte“ gegründet, die „Empfehlungen für gesetzgeberisches Handeln“ – wie es in der gesetzlichen Grundlage des „Deutschen Ethikrates“ heißt – aussprechen sollen. Ethisch-moralische Fragen sind Fragen des „Gewissens“, in denen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages fernab des „Fraktionszwanges“ entscheiden dürfen. Immer öfter wird in Bundestagsdebatten auf jenen Begriffe der Ethik rekurriert, gleichsam die Forderung erhoben, es müsse eine „Ethikkommission“ eingesetzt und eine Debatte fernab des imperativen Mandates geführt werden. Auch hier stellt sich verstärkt die Frage danach, inwiefern dieser Rückgriff auf die „Ethik“ zu verstehen und wie dieser zu deuten ist. Interessant sind diese politischen Entscheidungsprozesse nicht nur aus politikwissenschaftlicher, sondern letztlich auch aus multidisziplinärer Perspektive. Gesetze werden hier verabschiedet, nicht an Forschungsethikkommissionen an Universitäten oder von Wissenschaftsorganisationen wie der Leopoldina.

Ethik und ihre Ausprägung

Der vorliegende Sammelband erörtert diese politische Perspektive nicht im Detail, fragt vielmehr ganz grundsätzlich danach, warum neue Technologien zu einem verstärkten gesellschaftlichen – nicht zwangsläufig politischen – Rückgriff auf selbige „Ethik“ führen. Keine Definition bleibt außen vor – und genau darin liegt die Stärke dieses Bandes. Ethik firmiert demnach als Diskursform (freie Bundestagsabstimmungen, Bürgerkonferenzen, lange Beratungsprozesse), als Institution und Organisation (Ethikräte und –Kommissionen), als politische Technologie (Framing) und Governance-Semantik (gut und böse, richtig und falsch).
Interessant wiewohl provokant ist in diesem Zusammenhang der Ansatz der Philosophin Kathrin Braun („Ethics in Time – Ethikberatung und Zeitlichkeit in Kommissionen zu Biomedizin und Atomtechnologie“), die besagte Ethisierungsprozesse als politisch instruierte und intendierte Verfahren interpretiert. „Ethik“ fungiert demnach als politisch bewusst gesetzter Interpretationsrahmen (Frame), dessen normative etymologische Vita de facto nur mehr wenig relevant erscheint. „Ethik“ ist also nicht das, was die Bioethik reflektiert; auch nicht das, was normativ als eine eben solche „Ethik“ zu beschreiben versucht werde (Reflexionstheorie der Moral), sondern schlicht das, was die Politik als solche bezeichne, ergo ein flexibler Signifikant (S. 114). Die Politik bestimmt deshalb schon aufgrund der von ihr gewählten Terminologie, was eine Ethikkommission, was ein Ethikrat ist. Die normative Substanz dessen, was Ethik als wissenschaftliche Disziplin zu reflektieren und als Begriff zu beschreiben trachtet, wird in diesem Rahmungsmodell von Kathrin Braun zur Gänze entkernt:
„Dabei schlage ich vor, als Ethikkommissionen solche Einrichtungen, Praktiken oder Verfahren zu fassen, in deren Bezeichnung oder Mandatsbeschreibung der Terminus ‚Ethik‘ vorkommt. Ich sehe nicht, wie und von welchem Bezugspunkt aus anders bestimmt werden könnte, ob eine Kommission eine ‚Ethikkommission‘ ist und welchen Sinn dies machen würde. Ethikkommissionen sind daher Kommissionen, die sich mit Fragen befassen, die als ‚ethische Fragen‘ gerahmt werden.“ ( S. 95 f.).

Was Ethik oder ethische Fragen sind, so Braun weiter, sei nicht nur allgemein, sondern in diesen Räten selbst ganz unterschiedlichen Interpretationen ausgesetzt und bleibe überdies weithin undeutlich. Ethik fungiert hier als „Mittel zum Zweck“, wie Armin Grundwald, Institutsleiter des Büros für Technikfolgenabschätzung im Deutschen Bundestag, anmerkt (S. 237). Brauns Argumentation folgend, wäre auch die „Ethikkommission sichere Energieversorgung“ eine Ethikkommission, insofern deren politische Einsetzung so intendiert worden sei.

Die Aufsätze von Alexander Bogner („Ethisierung oder Moralisierung? Technikkontroversen als Wertkonflikte“), Wolfgang van den Daele („Moralisierung in Technikkonflikten“) und Armin Grunwald („Ethische Aufklärung statt Moralisierung. Zur reflexiven Befassung der Technikfolgenabschätzung mit normativen Fragen“) versuchen sich gleichwohl dann doch an einer, wenn nicht inhaltlichen Fundierung, so doch begrifflichen Schärfung und Abgrenzung jener in Technikkonflikten auftauchenden Phänomene der Moralisierung (van den Daele) und Ethisierung (Bogner). Ethisierung bedeutet nicht Moralisierung; es geht also keineswegs darum, dass die Ethik die richtige, gute Lösung zu proklamieren imstande sei, sondern schlicht und pragmatisch um die Etablierung eines moralischen Konfliktrahmens zur Einführung oder Bewertung bestimmter Forschungs- oder Behandlungsmethoden. Alexander Bogner fügt an, dass es sich bei der „Ethisierung“ um eine bestimmte Governance-Semantik handele, die gleichwohl eben nicht nur im Modus der semantischen Rahmung verbleibe, sondern zu neuen Entscheidungsstrukturen führe (vergleiche hierzu auch den Aufsatz von Karen Kastenhofer: „Die Governance neuer Technowissenschaften zwischen Risiko- und Ethik-Frame“). Gerade an dieser Stelle wird die Nähe zur angesprochenen „Ethikkommissionen sichere Energieversorgung“ offenkundig: Ethisierung begleitet und/oder verändert politische Entscheidungsstrukturen. Dahinter verbergen sich keinesfalls nur edle Motive, sondern eben auch Berechnung und Kalkül. Die Begleitumstände, die Motive, sie sind nichtsdestotrotz relevant, eben auch für die Arbeit und das Selbstverständnis eines solchen Rates.

Anwendung und offene Fragen

Dort wo der konkrete Anwendungsbezug hergestellt wird, können vor allem die Essays von Nicola C. Karafyllis („Die ‚Ethisierung der Technik‘ in interkultureller perspektive: Die arabischen Golfstaaten und die arabische Welt“) und Peter Wehling („Vom Schiedsrichter zum Mitspieler? Konturen proaktiver Bioethik am Beispiel der Debatte um Neuro-Enhancement“) überzeugen. Dies unterstreicht nachdrücklich, dass die Prozesse der Ethisierung keinesfalls vor bestimmten Technologien Halt machten oder an der Grenze des Nationalstaates endeten. Das Kapitel zur „Ethik und Technikfolgenabschätzung“ fällt demgegenüber etwas ab. Die dort subsumierten Aufsätze – von Regine Kollek, Michael Decker und Armin Grundwald – mögen gänzlich überzeugen, fügen sich jedoch nicht recht in das Gesamtwerk des Bandes ein. Gerne hätte man sich an dieser Stelle ergänzende Ausführungen über jene „Ethisierung“ im Bereich der gesetzgebenden Politik, ergo in den sich wandelnden Entscheidungsstrukturen selbst, gewünscht. Doch das sind Petitessen, zumal mit Hinblick auf die hohe Qualität der Beiträge und Aktualität der aufgegriffenen Themen- und Fragestellungen. Der Begriff der „Ethisierung“ wird keiner apodiktischen Antwort oder abschließenden Definition zugeführt; er wird jedoch ganz unterschiedlichen Interpretationsansätzen zugänglich gemacht und gewinnt so als Ausgangspunkt für weiterführende Untersuchungen – zumal aus dem Bereich der Politikwissenschaft und Politischen Soziologie – an intellektueller Brisanz.

Grundsätzlich mag es sich bei der Ethik – in der Moralphilosophie und der Angewandten Ethik – um diejenige Disziplin handeln, welche die normativen Prämissen bestimmter Technologien und Handlungsmöglichkeiten reflektiert. Realiter stellt sich die moralische Wirklichkeit ein wenig anders, komplexer und weniger normativ dar. Der vorliegende Sammelband stellt für letztere Lesart einen äußerst gelungenen, ersten Beitrag dar; weitere Beiträge, besonders aus dem Bereich der Politikwissenschaft, dürfen folgen!

Weitere Literatur:

Ezazi, Gordian (2013): Ethik im politischen Alltag. Eine politikwissenschaftliche Betrachtung. Erschienen in: Regierungsforschung.de, Politikmanagement und Politikberatung. Online verfügbar unter: http://www.regierungsforschung.de/dx/public/article.html?id=195

Zitationshinweis

Ezazi, Gordian (2014): Ethik im politischen Alltag. Eine politikwissenschaftliche Betrachtung. Erschienen in: Regierungsforschung.de, Politikmanagement und Politikberatung. Online verfügbar unter: http://www.regierungsforschung.de/dx/public/article.html?id=195

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