Bürgermeisterwahlen in NRW 2020

Dr. David H. Gehne, der am Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung an der Ruhr-Universität Bochum forscht, wirft einen Blick auf die Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen. 2020 fanden die Bürgermeisterwahlen und die Stichwahlen unter den Bedingungen der Corona-Pandemie statt. Trotz dieser bisher einzigartigen Umstände lassen sich bei der Auswertung der Ergebnisse keine besonders großen Veränderungen im Vergleich zu 2014/2015 feststellen.

Die längste Wahlperiode des Rates in NRW seit der Gebietsreform 1975 ging zu Ende: Am 13.09.2020 fanden nach sechs Jahren Wahlen der Vertretungen statt, in 380 Städten und Gemeinden wieder gekoppelt mit der Direktwahl der (Ober-) Bürgermeister. Der Landtag hat 2011 mit rot-grüner Mehrheit beschlossen, dass Bürgermeister- und Ratswahlen ab 2020 wieder am gleichen Termin stattfinden sollen. Damit wurde eine Entscheidung zur Entkoppelung der Wahlen der Vorgängerregierung aus CDU und FDP wieder rückgängig gemacht. Seit der Einführung 1999 ist dies die fünfte Runde der Direktwahlen.

Bürgermeisterwahlen in NRW 2020

Mehr Kontinuität als Wandel bei der Corona-Wahl

Autor

Dr. David H. Gehne ist Geschäftsführer des Zentrums für interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR) an der Ruhr-Universität Bochum und Experte für Bürgermeisterwahlen.

Einleitung und Rahmenbedingungen

Die längste Wahlperiode des Rates in NRW seit der Gebietsreform 1975 ging zu Ende: Am 13.09.2020 fanden nach sechs Jahren Wahlen der Vertretungen statt, in 380 Städten und Gemeinden wieder gekoppelt mit der Direktwahl der (Ober-) Bürgermeister.1 Der Landtag hat 2011 mit rot-grüner Mehrheit beschlossen, dass Bürgermeister- und Ratswahlen ab 2020 wieder am gleichen Termin stattfinden sollen. Damit wurde eine Entscheidung zur Entkoppelung der Wahlen der Vorgängerregierung aus CDU und FDP wieder rückgängig gemacht (Korte 2020, 32). Seit der Einführung 1999 ist dies die fünfte Runde der Direktwahlen, wenn man die geteilte Wahl 2014/2015 als einen Wahlgang ansieht. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20.12.2019 fanden dieses Jahr am 27.09.2020 auch wieder Stichwahlen statt, wenn im ersten Wahlgang kein Kandidierender die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen erreicht.

Abbildung 1: Institutionelle Rahmenbedingungen bei Rats- und Bürgermeisterwahlen in NRW; Quelle: Eigene Darstellung.

Die institutionellen Rahmenbedingungen bei Kommunalwahlen in NRW wurden in den letzten 20 Jahren immer wieder vom Gesetzgeber umgestaltet. Allerdings hat der Verfassungsgerichtshof des Landes NRW ebenfalls mehrmals per Urteil eingegriffen und Regelungen korrigiert, insbesondere die Versuche, nach 1999 wieder eine Sperrklausel bei den Ratswahlen einzuführen, scheiterten regelmäßig in Münster (Gehne 2008, 114; Bogumil et. al. 2015; Grohs et. al. 2019, 6).

Hinsichtlich der institutionellen Rahmenbedingungen stellen die Wahlen 2009 und 2015 Sonderfälle dar, wie Abbildung 1 entnommen werden kann. 2009 waren die Wahlen zwar gekoppelt, es wurde bei den Bürgermeisterwahlen aber die relative Mehrheitswahl als Entscheidungsregel angewendet, d.h. es gewann der Kandidierende mit den meisten Stimmen. 2015 gab es zwar wieder die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang und falls nötig Stichwahlen, aber die Bürgermeisterwahlen waren nicht mit der Ratswahl gekoppelt. Diese institutionellen Regelungen haben nach bisherigen Forschungen Einfluss auf die Anzahl der Kandidierenden und somit das Angebot im ersten Wahlgang (Gehne 2008, 280).

Die Kommunalwahlen fanden auch erstmals in der Geschichte des Landes während einer Pandemie statt. Als Folge waren Wahlkampfaktivitäten im Vergleich zu früheren Wahlen nur eingeschränkt möglich. Dies betraf weniger die Online-Formate als die persönlichen Begegnungen an der Haustür oder in den Fußgängerzonen, die reduziert werden mussten bzw. mit Maske und auf Abstand nicht die Bedeutung entfalten konnten, die sie sonst im Kommunalwahlkampf haben. Die Briefwahl gewann stark an Bedeutung, 2020 gaben 42,8 % aller Wählenden ihre Stimme per Brief ab (2014: 25,6 %). Die Wahlbeteiligung stieg 2020 aber nur leicht von 49,9 % 2014 auf 51,9 % 2020 an. Die Zunahme der Briefwahl führte also vermutlich nicht zu einer Aktivierung der Wählerschaft für die Kommunalwahl.

Die folgenden Auswertungen basieren auf den Veröffentlichungen des Landeswahlleiters NRW2 in Verbindung mit vom Autor erhobenen Längsschnittdaten zu Bürgermeisterwahlen in NRW (Gehne 2008). Da es in diesem Text in erster Linie um erste Trends der Entwicklung der Bürgerwahlen 2020 geht und nicht um Aspekte des Kandidatenangebotes oder der Stimmenverteilung, werden die Ergebnisse 2020 mit den zusammengefassten Ergebnissen 2014/2015 verglichen, obwohl wie oben ausgeführt die Wahlen 2014 und 2015 geteilt waren und nur die Wahl 2014 wie auch 2020 mit der Ratswahl gekoppelt war.

Bürgermeisterwahlen 2020 in NRW – CDU stärkste Kraft bei den Bürgermeistern

In Abbildung 2 werden der Übersichtlichkeit halber Kandidierende der SPD oder CDU zugeordnet, auch wenn sie außer von diesen Parteien noch zusätzlich von anderen Parteien und Wählergruppen nominiert wurden (Mehrfachnominierungen). Die CDU bleibt auch nach der Wahl 2020 die dominierende Kommunalpartei in NRW. Von der CDU nominierte Kandidierende konnten 175 Bürgermeisterwahlen3 gewinnen (46,1 %). Auf dem zweiten Platz liegt die SPD mit 103 (27,1 %), gefolgt von den Einzelbewerbern, die von keiner Partei oder Wählergruppe aufgestellt wurden, mit 71 Posten (18.7 %). Die Sonstigen stellen in Zukunft 31 Bürgermeister, darunter 10 von den Grünen und 11 von den Wählergruppen nominierte Wahlsieger.

Abbildung 2: Bürgermeister NRW 2020 nach Nominierungsgruppen; Quelle: Eigene Darstellung, Daten des Wahlleiters NRW
Anmerkung: Bei SPD und CDU sind Kandidierende mit Mehrfachnominierungen enthalten.

Mehrfachnominierungen haben seit ihrer Einführung zur Bürgermeisterwahl 2009 an Bedeutung für die Wahlsieger gewonnen. Waren 2009 noch 30 Bürgermeister von mehreren Parteien und Wählergruppen nominiert worden (Korte 2020, 33), waren 2020 bereits 53 Bürgermeister gewählt worden, die von bis zu vier Parteien und Wählergruppen nominiert worden waren. Es gab 22 Mehrfachnominierung unter Beteiligung der CDU, 23 unter Beteiligung der SPD und 8 unter Beteiligung von SPD und CDU.

Wie Abbildung 3 zeigt, verliert im Vergleich zu den Wahlergebnissen 2014/2015 vor allem die CDU aber an Posten und stellt 2020 -6,4 Prozentpunkte (PP) weniger Bürgermeister als noch 2014/2015, die SPD 1,8 PP weniger. Einzelbewerber (+ 4,3 PP) und Sonstige (+3,9 PP) gewinnen dazu (vgl. Abb. 2).

Abbildung 3: Anteil der Nominierungsgruppen 2014/2015 und 2020 im Vergleich; Quelle: Eigene Darstellung, Daten des Wahlleiters NRW
Anmerkung: Kommunen mit Bürgermeisterwahlen 2020 (n=380) und 2014/2015 (n=374).

Im Vergleich der Gemeindegrößenklassen zeigt sich, dass nur in Kommunen über 100.000 Einwohner die SPD die größte Gruppe an Bürgermeistern stellt (48,28 %), die CDU aber in allen anderen Gemeindegrößenklassen. In Gemeinden unter 20.000 Einwohner liegt der Anteil der Einzelbewerber deutlich über dem der SPD-nominierten Bürgermeister.

Abbildung 4: Bürgermeister NRW 2020 nach Nominierungsgruppen und Gemeindegrößenklassen (in%); Quelle: Eigene Darstellung, Daten des Wahlleiters NRW
Anmerkung: Bei SPD und CDU sind Kandidierende mit Mehrfachnominierungen enthalten.

Der steigende Anteil der Sonstigen weist darauf hin, dass das Bild insgesamt gesehen bunter geworden ist. Selbst in den Großstädten über 100.000 Einwohner gibt es in Zukunft zwei Oberbürgermeisterinnen der Grünen (Bonn und Aachen) und einen von einer Wählergruppe nominierten Bürgermeister in Gütersloh.

Ein bisher für die Bürgermeisterwahlergebnisse in NRW sehr prägender Faktor war der Amtsbonus, also der Anteil der kandidierenden Bürgermeister einer Nominierungsgruppe, die wiedergewählt wurden. Insgesamt gesehen traten 2020 in knapp einem Drittel der Städte und Gemeinden keine Amtsinhaber zur Wahl an, sodass man hier von einer anderen Wettbewerbssituation im Wahlkampf sowie einem etwas offeneren Wahlausgang ausgehen konnte. In Fällen mit kandidierendem Amtsinhaber blieben die Wiederwahlquoten aber 2020 auf hohem Niveau, wenn auch Veränderungen zur letzten Wahl feststellbar sind.

Abbildung 5: Amtsbonus: Wiederwahlquote der kandidierenden Amtsinhaber von SPD, CDU und Einzelbewerbern 2020 und 2014/2015 im Vergleich; Quelle: Eigene Darstellung, Daten des Wahlleiters NRW

Auch 2020 wurden ungefähr 85 % der kandidierenden CDU-Bürgermeister, 80 % der SPD-Bürgermeister und 75 % der Bürgermeister, die als Einzelbewerber antraten, wiedergewählt (vgl. auch Holtkamp/Garske 2020). Allerdings sanken die Wiederwahlquoten bei SPD und EB um gute 3 PP. Aber gerade das Beispiel der SPD-Bürgermeister zeigt, dass sich Amtsinhaber auch gut vom Trend ihrer Partei lösen können, die bei der Ratswahl im Landesergebnis 7 PP einbüßte und damit zu den Verlierern dieser Wahl gezählt werden musste.

Vor der Wahl 2020 war die Stichwahl besonders umstritten. 2020 wurden 30,8 % der Bürgermeister in einer Stichwahl gewählt, 2014/2015 waren es noch 21,7 %, sodass dieser Anteil deutlich zugenommen hat. In Tabelle 1 wird ausgehend vom Profil der Wahlsieger der Anteil an Stichwahlen ausgewiesen. In den Nominierungsgruppen wird jeweils nach Amtsinhaberkandidatur (Bm) und Wahlsieger ohne Amtsbonus unterschieden.

Tabelle 1: Bürgermeister (Nominierungsgruppen und Amtskandidaturen) und Stichwahl 2020 (in %); Quelle: Eigene Darstellung, Daten des Wahlleiters NRW
Anmerkung: Bei SPD und CDU sind Kandidierende mit Mehrfachnominierungen enthalten

Bei allen Nominierungsgruppen lässt sich ein ähnlicher Effekt beobachten: Amtsinhaber mussten bei Wahlsiegen seltener in Stichwahlen als Kandidierende ohne Amtsbonus, auch wenn beispielsweise der Anteil der in der Stichwahl wiedergewählten SPD-Bürgermeister mit 25,93% deutlich höher war als bei CDU Bürgermeistern (9,8%). Neue SPD-Bürgermeister, Einzelbewerber und Sonstige ohne Amtsbonus wurden dagegen überwiegend in den Stichwahlen gewählt. Dieser Effekt ist allerdings nicht neu (Gehne 2008, 210).

Fazit – Mehr Kontinuität als Wandel bei der Corona-Wahl 2020

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich trotz der besonderen Umstände dieser Wahl an den Gemeindespitzen keine besonders großen Veränderungen im Vergleich zu 2014/2015 ergeben haben. In der Gesamtbetrachtung der Bürgermeisterwahlen heben sich die am Wahlabend sehr präsenten großen Siege in einzelnen Städten sowie die herben Schlappen an anderer Stelle oft auf. Die CDU stellt zwar weiterhin mit Abstand die meisten Bürgermeister in NRW, aber das Bild ist im Laufe der Jahre bunter geworden. 2020 steigen die Anteile der Sonstigen und Einzelbewerber leicht an, sodass mittlerweile über ein Viertel aller Amtsinhaber nicht mehr von einer der beiden größeren Parteien nominiert worden war. Außerdem ließ sich eine Zunahme der Bedeutung von Mehrfachnominierung für die Wahlsieger feststellen. Die SPD kann sich entgegen des Trends der letzten Jahre in Land und Bund und trotz der landesweiten Verluste bei den Ratswahlen in vielen Rathäusern behaupten. Der Amtsbonus ist ein bestimmender Faktor für den Wahlausgang in NRW und die Abwahl von Amtsinhabern bleibt eher die Ausnahme als die Regel. Die Vermutung, dass in Zeiten von Corona der Amtsbonus aufgrund der bedeutenden Rolle der kommunalen Exekutive in der Pandemiebekämpfung noch stärker durchschlägt, kann auf dieser Basis aber nicht bestätigt werden.

Literatur und Quellen

Bogumil, Jörg/Gehne, David H./Garske, Benjamin/Seuberlich, Marc/Hafner, Jonas 2015: Auswirkung der Aufhebung der kommunalen Sperrklausel auf das kommunalpolitische Entscheidungssystem in NRW. ZEFIR-Forschungsberichte Band 9. Bochum.

Gehne, David H. 2008: Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen. Wiesbaden.

Grohs, Stephan/ Beinborn, Niclas/ Ullrich, Nicolas/ Zabler, Steffen 2019: Untersuchung der Arbeitsweise von Räten und Kreistagen in Nordrhein-Westfalen mit Blick auf deren Funktionsfähigkeit. Wissenschaftliches Gutachten im Auftrag des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen. Speyer.

Holtkamp, Lars/Garske, Benjamin 2020: Der Einfluss von Amtsinhaberkandidaturen und des parteipolitischen Hintergrundes auf die Direktwahl des (Ober-) Bürgermeisters – Eine vergleichende Analyse bundesdeutscher (Ober-) Bürgermeisterwahlen, in: Egner, Björn/Sack, Detlef (Hrsg): Neue Koalitionen, alte Probleme. Wiesbaden, 37-58.

Korte, Karl-Rudolf 2020: Wahlen in Nordrhein-Westfalen. 5., überarbeitet und aktualisierte Auflage, Frankfurt a. M.

Zitationshinweis:

Gehne, David H. (2020): Bürgermeisterwahlen in NRW 2020, Mehr Kontinuität als Wandel bei der Corona-Wahl, Kurzanalyse, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/buergermeisterwahlen-in-nrw-2020/

This work by David H. Gehne is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. In diesem Beitrag wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum benutzt. Damit sind jedoch stets alle Geschlechter gemeint. []
  2. https://www.wahlergebnisse.nrw/kommunalwahlen/2020/index.shtml (15.12.2020). []
  3. Wenn im Weiteren Bürgermeister erwähnt werden, sind Oberbürgermeister mitgemeint. []

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