Chantal Mouffe: Agonistik. Die Welt politisch denken

Chantal Mouffe Agonistik suhrkamp Rezension Gordian EzaziDer in sechs kurze Kapitel unterteilte Essayband „Agonistik. Die Welt politisch denken“ resümiert die Kernthesen Mouffes und wird im Anhang durch ein instruktives Interview mit dieser ergänzt („Und jetzt, Frau Mouffe? Chantal Mouffe im Gespräch mit Elke Wagner“).

Wer auf der Suche nach einer umfassenderen Einführung in das theoretische Gedankengebäude der „agonalen Demokratietheorie“ ist, wird gleichwohl eher in dem 2007 auf Deutsch erschienenen Buch „Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion“ fündig werden.

 

Chantal Mouffe: Agonistik. Die Welt politisch denken.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2014, 214 Seiten, ISBN: 978-3-518-12677-6, Preis: 16,00€

Autor

Gordian-Ezazi1Gordian Ezazi, M.A., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der NRW School of Governance/Universität Duisburg-Essen. In seiner Promotion beschäftigt sich Gordian Ezazi mit dem Deutschen Ethikrat, dessen Arbeitsweise und Wir-ken in politischen Entscheidungsprozessen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Politischen Sozio-logie, Politischen Theorie und den anwendungsorientierten Bereichsethiken.

In ihrem Oeuvre konzipiert die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe bereits seit vielen Jahrzehnten das demokratische Ideal der agonalen Politik, demzufolge gesellschaftlich-politische Konflikte institutionell, bei Mouffe immer auch in den Bahnen des demokratisch verfassten Verfassungsstaates, abgebildet und argumentativ ausgetragen werden sollen. Mouffe wendet sich gegen jenen von der liberalen bzw. linksliberalen Theorieschule heraufbeschwore-nen „universellen, vernunftbasierten Konsens“ (24).1 Der politische Disput löse sich, so Mouffe, entgegen des liberalen Mantras nicht per se in „ein harmonisches, konfliktfreies Ensemble“ (23) auf.

„Dem agonistischen Verständnis von Politik nach ist die antagonistische Dimension dagegen immerzu präsent. Schließlich geht es um nichts Geringeres als den Kampf zwischen gegensätzlichen, nach Hegemonie strebenden Projekten, die niemals rational miteinander in Einklang gebracht werden können, eines von ihnen muss unterliegen. Es ist eine echte Konfrontation, die jedoch auf der Grundlage von beiden Seiten akzeptierter demokratischer Verfahren ausgetragen wird.“ (31)

Der in sechs kurze Kapitel unterteilte Essayband „Agonistik. Die Welt politisch denken“ resümiert die Kernthesen Mouffes und wird im Anhang durch ein instruktives Interview mit dieser ergänzt („Und jetzt, Frau Mouffe? Chantal Mouffe im Gespräch mit Elke Wagner“). Wer auf der Suche nach einer umfassenderen Einführung in das theoretische Gedankengebäude der „agonalen Demokratietheorie“ ist, wird gleichwohl eher in dem 2007 auf Deutsch erschienenen Buch „Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion“ fündig werden. Eine theoretisch noch weiter ausholende, wenngleich anspruchsvollere Darstellung der agonalen Demokratietheorie, stellt ihr 1991 zusammen mit Ernesto Laclau veröffentlichtes Hauptwerk „Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus“ dar. Die dort formulierten Thesen sind ideengeschichtlich fundierter und genauer erklärt (etwa die vielfach diskutierten Anleihen bei Carl Schmitt), allerdings, wie der Titel verrät, radikaler formuliert und (noch) weniger auf die Empirie konzentriert.

In dem hier rezensierten Band befasst sich Mouffe vordringlich mit der Übertragung ihrer ago-nalen Demokratietheorie auf überstaatliche, genauer, supranationale und internationale Staats- bzw. Staatenordnungen. Mouffe kritisiert den Kosmopolitismus und dessen Ideal des so genannten „Weltbürgers“ (Kapitel 2) wie auch die nunmehr dominanter werdenden Modelle der „de-liberativen Demokratie“ zur Deutung und Reform der Europäischen Union und ihrer Institutionen (Kapitel 3). Mouffe spricht sich mit Verve für die Europäische Union und gegen die bestehenden Demokratietheorien zur Interpretation selbiger aus, setzt dem allerdings keine eigene, empirische informierte Idee einer agonal konstituierten Europäischen Union entgegen. Fraglich bleibt, ob der Appell für eine neue Konfliktkultur auf europäischer Ebene (a) wirklich grundlegend neu ist und erst durch die agonale Demokratietheorie sichtbar zu werden vermag. Neuere Beiträge, etwa wie jener von Thorsten Thiel, der der die Europäische Union und ihre Zukunft aus republikanischer Perspektive durchdekliniert, erheben grosso modo ja keine grundsätzlich an-deren Forderungen. Aus empirischer Sicht stellt sich überdies die Frage danach (b), ganz gleich wie „realistisch“ eine solche agonale Reform der EU und ihrer Institutionen auch sein mag, ob diese in praxi nicht zu voraussetzungsvoll wäre. Die um den stetigen Konsens bemühten Institutionen der Europäischen Union sind ihrer jetzigen Verfassung, was auch die Europawahlen des letzten Jahres nachdrücklich vor Augen geführt haben, jedenfalls kaum dazu angeraten, gänzlich gegensätzliche hegemoniale Politiken zu etablieren. Die Europäische Union, in ihrer Verzahnung von supranationalen und intergouvermentalen Regierungselementen und -ebenen, scheint im „institutionellen Gewand“ des Agonismus nur schwer vorstellbar. Zeigt nicht gerade das Beispiel der Syriza-Partei in Griechenland, dass ein hegemonialer Bruch mit bestehenden politischen Ordnungen in vielfacher Hinsicht so einfach nicht hergestellt werden kann? Ein mit tradierten Policies zur Gänze brechendes hegemoniales Regime scheint weder auf nationalstaatlicher noch auf europäischer Ebene – wie die große Koalition im Europäischen Parlament verdeutlicht – in umsetzbarer Sichtweite zu sein.

Insofern ist Mouffes essayistischer Versuch, die agonistiche Deamokratietheorie „internationaler“ zu denken durchaus lesenswert, aber abseits politisch-theoretischer Pfade, etwa aus Sicht der Regierungsforschung, nur wenig bedenkenswert, da empirisch nur ungenügend ausbuchstabiert. Kurzum: Der Essayband „Agonistik. Die Welt politisch denken.“ fügt dem Werk Chantal Mouffes nur wenig neue Gedanken hinzu.

Weiterführende Lektüre:

Rzepka, Vincent/Straßenberger, Grit (2014): Für einen konfliktiven Liberalismus, in: Zeit-schrift für politische Theorie, Jahrgang 5, Heft 2/2014, S. 217-233.

Westphal, Manon (2013): Pluralismus und A(nta)gonismus: Chantal Mouffes agonale Demo-kratitheorie, in: Preprints and Working Papers of the Centre for Advanced Study in Bioethics, Münster 2013/56, online abrufbar unter: https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/kfg-normenbegruendung/intern/publikationen/56_westphal_-_pluralismus_und_a_nta_gonismus.pdf (29.03.2015)

Zitationshinweis

Ezazi, Gordian (2015): Chantal Mouffe: Agonistik. Die Welt politisch denken. Erschienen in: regierungsforschung.de, Rezensionen. Online verfügbar unter: https://regierungsforschung.de/chantal-mouffe-agonistik-die-welt-politisch-denken/

  1. Die in Klammern hinterlegten Seitenzahlen beziehen sich – insofern nicht anders gekennzeichnet – explizit auf Aufsätze aus dem rezensierten Sammelband. Auf eine gesonderte Angabe im Literaturverzeichnis wurde an dieser Stelle verzichtet. []

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