Daniel Friedrich Sturm: Peer Steinbrück. Biografie.

Peer SteinbrückDiese Szene bleibt in Erinnerung: Peer Steinbrück neben Bundeskanzlerin Angela Merkel, die beiden garantieren den deutschen Sparern ihre Einlagen. Und das auf dem vorläufigen Höhepunkt der Bankenkrise im Oktober 2008 – einprägsame Symbolpolitik. Bei der Bundestagswahl in einem Jahr könnten beide nun gegeneinander antreten, denn Steinbrück wird als Kanzlerkandidat der SPD gehandelt.

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Daniel Friedrich Sturm: Peer Steinbrück. Biografie.

Der Journalist Daniel Friedrich Sturm zeichnet in einer Biographie die politische Karriere des früheren Bundesfinanzministers und nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten nach. Darin wird deutlich: Steinbrück hätte als Kanzler vor allem ein großes Manko.

 

Daniel Friedrich Sturm: Peer Steinbrück. Biografie.

Deutscher Taschenbuch Verlag, 2012, München, 300 Seiten, ISBN: 978-3-423-24924-9, 14,90 Euro.

Rezension von Matthias Klein

Diese Szene bleibt in Erinnerung: Peer Steinbrück neben Bundeskanzlerin Angela Merkel, die beiden garantieren den deutschen Sparern ihre Einlagen. Und das auf dem vorläufigen Höhepunkt der Bankenkrise im Oktober 2008 – einprägsame Symbolpolitik. Bei der Bundestagswahl in einem Jahr könnten beide nun gegeneinander antreten, denn Steinbrück wird als Kanzlerkandidat der SPD gehandelt. Der Journalist Daniel Friedrich Sturm zeichnet in einer Biographie die politische Karriere des früheren Bundesfinanzministers und nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten nach. Darin wird deutlich: Steinbrück hätte als Kanzler vor allem ein großes Manko.

Helmut Schmidt und Ludwig Erhard sind warnende Beispiele: Regieren ist ohne die Einbindung der eigenen Partei auf Dauer nicht möglich. Schließlich ist die Regierungspartei „eine zentrale Machtressource und ein Stabilitätsanker des Kanzlers“ (Korte/Fröhlich 2006: 93). Nur sehr begrenzt können Regierungschefs auf Bundes- und genauso auch auf Landesebene von den Interessen und Stimmungen der Parteibasis abweichen. Helmut Kohl hatte diese machtpolitisch wichtige Bedingung für erfolgreiches Politikmanagement perfektioniert: Vor allem dank seines Informations- und Frühwarnsystems in die Partei hinein konnte er sich jahrelang auf seine unangefochtene Stellung in der CDU verlassen. Deshalb hatte er als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident und später als Bundeskanzler große Handlungsspielräume (siehe zum Beispiel Noack/Bickerich 2010, Langguth 2009, Korte 1998).

Und der Einfluss der Parteien beginnt noch früher: Politiker kommen in Deutschland in der Regel nur über eine Ochsentour-Karriere in einer Partei in politische Spitzenämter, Quereinsteigern gelingt das nur sehr selten (Gruber 2009). Zugespitzt gesagt: Die Partei ist nicht alles bei einer politischen Karriere, aber ohne die Partei ist alles nichts. Für Peer Steinbrück gilt das erstaunlicherweise nicht: In seiner Biographie stellt Daniel Friedrich Sturm ihn als Anti-Parteien-Politiker dar, sozusagen als Politiker ohne Unterleib.

Politik ohne Parlament

Sturm arbeitet als Parlamentskorrespondent der Tageszeitung „Die Welt“ und ist profunder Kenner der SPD. In seiner Dissertation untersuchte er das Innenleben der deutschen Sozialdemokratie. Seine Steinbrück-Biographie baut er strikt chronologisch auf. Detailliert zeichnet er darin den Lebensweg des gebürtigen Hamburgers nach, der in einem liberalen Elternhaus aufwuchs. Wie viele Intellektuelle tat sich Steinbrück im engen Korsett der Schulbank schwer und blühte mit dem Studium auf.

Durch sein ganzes Buch zieht Sturm als roten Faden seine Kernthese von Peer Steinbrück als einem Mann der Exekutive, der sich als „gestaltenden Beamten“ sieht (Sturm 2012: 54). Diese These ist nicht neu (siehe dazu Grunden 2008, Korte/Florack/Grunden 2006), aber Sturm leitet sie aus dem Werdegang Steinbrücks her. Steinbrück arbeitete schließlich nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre als Referent in verschiedenen Ministerien und im Kanzleramt unter Helmut Schmidt. Sein Selbstverständnis: Steinbrück habe Politik „jenseits des parlamentarischen Betriebes“ machen wollen, schreibt Sturm (Sturm 2012: 54). Dennoch verlegte Steinbrück sich nicht auf eine Karriere in der Verwaltung. Als Büroleiter des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau managte er ab 1986 dessen Regierungsarbeit und löste für den konsensorientierten und verbindlichen Regierungschef hinter den Kulissen als „Hofhund und Beißer“ manchen Konflikt (Sturm 2012: 63).

Ministerpräsident Björn Engholm holte Steinbrück 1990 als Umweltstaatssekretär nach Schleswig-Holstein. Der Beginn eines schnellen Aufstiegs: Schon drei Jahre später wurde Steinbrück Wirtschaftsminister im ersten Kabinett von Regierungschefin Heide Simonis. Er hatte also frühzeitig Spitzenämter in der Verwaltung und in der Politik inne – aber nicht in der Partei. Ganz im Gegenteil: Die SPD sei Steinbrück immer fremd geblieben, analysiert Sturm. Das Parteileben sei ihm stets fern gewesen, die Sozialdemokraten sollten vor allem nicht seine effiziente Arbeit stören (Sturm 2012: 51 und 74). Steinbrück wolle dezidiert als eigenständige Persönlichkeit und nicht als Parteipolitiker wahrgenommen werden. Er zeige sich gerne als Alphatier mit eigenem Kopf: „Auf seine Unabhängigkeit legt Peer Steinbrück großen Wert. Er fühlt sich zwischen allen Stühlen wohl“ (Sturm 2012: 281).

Weit weg von den Menschen

Diesem Stil blieb Steinbrück immer treu – auch nach seinem nächsten Karrieresprung: Ab 2002 regierte er als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. Er pflegte in Düsseldorf eine permanente Outsider-Profilierung gegenüber der rot-grünen Bundesregierung und zeigte sich offen für eine Koalition ohne seinen Partner, die Grünen (Sturm 2012: 143). Das blieb nicht ohne Folgen: Die Stimmung in der Koalition war „extrem schlecht“ (Sturm 2012: 145). Und auch in der parteiendemokratischen Arena stand Steinbrück zunehmend vor großen Problemen: Nur mühsam konnte er immer wieder Konflikte mit der Spitze der Landespartei und der Landtagsfraktion kitten (Sturm 2012: 160).

Eine fast noch wichtigere Frontlinie aber waren bürgernahe Auftritte, die grundsätzlich zum Alltag eines Ministerpräsidenten gehören und bei denen ein Regierungschef als „Bürgermeister des Landes“ auftreten kann: Darstellungspolitisch kann er sich als Kümmerer inszenieren, entscheidungspolitisch lokale und regionale Probleme unabhängig vom Odium des Parteienstreits angehen. Steinbrück aber, der scharfe Auseinandersetzungen und intellektuelle Provokationen liebe, konnte mit dieser typischen Aufgabe eines Landesvaters nichts anfangen, erläutert Sturm: Er habe bei solchen volkstümlichen Terminen vielmehr ein „Unbehagen“ empfunden (Sturm 2012: 161) – ein großes Manko.

Dieses Defizit konnte Steinbrück auch mit einem zugespitzten Wahlkampf, mit dem er gezielt Wechselwähler ansprechen wollte, nicht ausgleichen. Im Mai 2005 wurde er mehr als deutlich abgewählt, die SPD bekam mit 37,1 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis in Nordrhein-Westfalen seit mehr als 50 Jahren: „Es ist die größte politische Niederlage in Steinbrücks Leben“ (Sturm 2012: 175).

Wenn die Kavallerie losreitet

Auf der Bundesebene gelang Steinbrück allerdings nur kurze Zeit später ein spektakuläres Comeback. Als Finanzminister wurde er in der medialen Darstellung eine der prägenden Figuren der zweiten großen Koalition (2005-2009). Seiner Lust an der klaren Kante frönte er weiterhin. Er wurde international bekannt, als er im Kampf gegen Steuerparadiese eine „Kavallerie“ forderte, die man auch ausreiten lassen könne (Sturm 2012: 235). Mit dieser Polemik geriet der Minister gehörig unter Druck – typisch für ihn: „Steinbrück hat Spaß an pointierten Aussagen und präsentiert sein Wissen gern zugespitzt, plastisch und anschaulich. Dabei lässt er sich treiben. Mit seiner Sprachmächtigkeit und Sprachschnelligkeit redet er sich zuweilen in einen Rausch hinein. […] Für den Zuhörer ist das ein Genuss, für Steinbrück kann es zur Bedrohung werden“ (Sturm 2012: 236).

Sturm beendet seine Biographie mit einem Ausblick auf die K-Frage in der SPD. Aus seiner Zusammenfassung lässt sich implizit herauslesen, ob Steinbrück „Kanzler könnte“. Deutlich wird: Es scheint kaum vorstellbar, dass Steinbrück, der nach wie vor ein distanziertes Verhältnis zur eigenen Partei und vor allem zu ihrer Basis pflegt, in diesem Spitzenamt auf Dauer reüssieren könnte. Schließlich sei er nicht im sozialdemokratischen Milieu zu Hause, resümiert Sturm: „Steinbrück ist ein untypischer Sozialdemokrat. Soziale Probleme hat er selbst nie erlebt, geschweige denn verinnerlicht. Er konnte sich immer alleine durchsetzen, er lernte die im sozialdemokratischen Milieu übliche Empathie nicht kennen“ (Sturm 2012: 285).

Hinzu komme, dass Steinbrück im Laufe seiner langen politischen Laufbahn keine stabilen Beziehungen zu Vertrauten aufgebaut habe: „Er war immer ein Einzelspieler. […] Er will alleine agieren, selbstständig und souverän, und nicht auf andere angewiesen sein“ (Sturm 2012: 284). Er habe kein Interesse an Kompromissen und wecke deshalb bei den Wählern inhaltliche Erwartungen, die er nicht erfüllen könne (Sturm 2012: 282) – alles andere als gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kanzlerschaft. Sturms Fazit: „Als Kandidat müsste sich Steinbrück in ein Korsett begeben, er müsste seinen Spott zügeln, er müsste Empathie für Basis und Stammwähler der SPD zeigen. […] Demut gegen Loyalität – ohne dieses Geschäft funktioniert eine Kanzlerkandidatur in der SPD nicht“ (Sturm 2012: 267).

Gelungener Spagat zwischen Lesbarkeit und Analyse

Seine Biographie stützt Daniel Friedrich Sturm vor allem auf Gespräche mit mehr als einhundert Wegbegleitern Steinbrücks, darunter eine ganze Reihe prominenter Politiker aus der ersten Reihe. Besonders positiv ist, dass er an zahlreichen Stellen seine Quellen transparent macht. In einigen reportagehaft erzählten Einsprengseln lässt Sturm immer wieder wichtige Akteure ausführlicher zu Wort kommen. Durch die vielen unterschiedlichen Gesprächspartner gelingt es ihm überzeugend, verschiedene Sichtweisen und Facetten der Persönlichkeit Steinbrücks zu verdeutlichen.

Das Buch ist sehr gut lesbar, weil Sturm journalistisch aufbereitete Anekdoten in lockerem Schreibstil mit tiefergehender Analyse verbindet. Das überzeugt, auch wenn man nicht allen pointiert formulierten und bisweilen zugespitzten Schlussfolgerungen uneingeschränkt folgen möchte. Sturm hat viele interessante Details und Hintergründe recherchiert, die über das aus der Medienberichterstattung bekannte Wissen hinausgehen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen gelingt es ihm zudem, den roten Faden im Auge zu behalten und sich nicht in zu kleinteiligen Aspekten zu verlieren.

Die politikwissenschaftliche Analyse der Regierungsstile von Politikern greift immer wieder auch auf Biographien als Ausgangsmaterial zurück. In Sturms Biographie finden sich viele Informationen, die auch für die wissenschaftliche Beschreibung des Regierungsstils von Peer Steinbrück als Ministerpräsident sowie für das Verständnis des Handelns von Ministerien und Verwaltungen interessant sind.

Als einzig negativer Punkt bleibt anzumerken, dass eine genauere Analyse der Parteiferne Steinbrücks fehlt. Schließlich ist das die Kernthese der Biographie. Als Leser wünscht man sich, dass Sturm hier noch etwas tiefer gegraben hätte. Denn man kann Sturm nur zustimmen, wenn er schreibt: „Gewiss war Peer Steinbrück ein herausragender Beamter. Gewiss hätte er als Manager Erfolg gehabt. Doch seine politische Karriere verdankt er nicht nur sich selbst, sondern auch der SPD“ (Sturm 2012: 285). Warum diese Partei, die Steinbrück immer fremd blieb, ihn so lange in verschiedenen Ämtern stützte, erklärt Sturm leider nur ansatzweise. Das ist allerdings nur ein mäßig bitterer Wermutstropfen, denn abgesehen davon ist die Biographie sehr lesenswert

Weitere Informationen und Bestellung

Literatur:

  • Gruber, Andreas K. (2009): Der Weg nach ganz oben. Karriereverläufe deutscher Spitzenpolitiker, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Grunden, Timo (2008): Peer Steinbrück (geb. 1947), in: Gösmann, Sven (Hrsg.): Unsere Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen. Neun Porträts von Rudolf Amelunxen bis Jürgen Rüttgers, Düsseldorf: Droste Verlag, S. 210-237.
  • Korte, Karl-Rudolf (1998): Deutschlandpolitik in Helmut Kohls Kanzlerschaft. Regierungsstil und Entscheidungen 1982-1989 [Geschichte der Deutschen Einheit; Band 1], Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt.
  • Korte, Karl-Rudolf/Florack, Martin/Grunden, Timo (2006): Regieren in Nordrhein-Westfalen. Strukturen, Stile und Entscheidungen 1990 bis 2006, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Korte, Karl-Rudolf/Fröhlich, Manuel (2006): Politik und Regieren in Deutschland. Strukturen, Prozesse, Entscheidungen [Grundkurs Politikwissenschaft], 2., überarbeitete Auflage, Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh.
  • Langguth, Gerd (2009): Kohl, Schröder, Merkel. Machtmenschen, München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
  • Noack, Hans-Joachim/Bickerich, Wolfram (2009): Helmut Kohl. Die Biographie, Berlin: Rowohlt.

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