Der Bundesrat als Einflussfaktor für Koalitionsbildung im Bund

Deutschland ist eine Koalitionsrepublik – Regierungen in Bund und Land sind in der Regel Koalitionen aus zwei oder mehr Parteien. Neu ist, dass sich Deutschland zu einer bunten Koalitionsrepublik gewandelt hat. Abgesehen von einigen wenigen Abweichungen dominierten lange Zeit Regierungsbündnisse aus Union und FDP auf der einen und SPD und Grünen auf der anderen Seite. Als Rückfalloption bot sich meist eine Große Koalition aus CDU und SPD an. Im Februar 2017 existieren auf Länderebene nun zwölf verschiedene Koalitionsformate.

Niko Switek hat sich vor den kommenden Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen den Einfluss des Bundesrates auf mögliche Koalitionsbildung angeschaut und hat drei mögliche Szenarien entwickelt, die dieses Jahr zu einem zweifellos interessanten Wahljahr machen könnten.

Der Bundesrat als Einflussfaktor für Koalitionsbildung im Bund

Autor

Dr. Niko Switek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft und der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Er hat in seiner Doktorarbeit zu den neuen Koalitionen der Grünen in den Bundesländern geforscht.

Deutschland ist eine Koalitionsrepublik – Regierungen in Bund und Land sind in der Regel Koalitionen aus zwei oder mehr Parteien. Neu ist, dass sich Deutschland zu einer bunten Koalitionsrepublik gewandelt hat. Abgesehen von einigen wenigen Abweichungen dominierten lange Zeit Regierungsbündnisse aus Union und FDP auf der einen und SPD und Grünen auf der anderen Seite.

Quelle: Eigene Darstellung (Stand Februar 2017)

Als Rückfalloption bot sich meist eine Große Koalition aus CDU und SPD an. Im Februar 2017 existieren auf Länderebene nun zwölf verschiedene Koalitionsformate (wenn man die Größenverhältnisse, das heißt die Reihung von Senior- und Juniorpartnern, berücksichtigt).

Für Koalitionsforscher ist diese Fülle ein Geschenk. Anhand der neuen Koalitionsformate lassen sich trefflich Faktoren für die Koalitionsbildung überprüfen und aktualisieren. Zugleich kann der Parteienforscher in den Landesverbänden innerparteilichen Bedingungen für die neuen Bündnisse nachspüren: Wie organisieren Parteiführungen innerparteiliche Mehrheiten für die teils umstrittenen und umkämpften Koalitionsexperimente?

Grundsätzlich könnte man annehmen, dass die Parteien Gewinner einer steigenden Koalitionsflexibilität sind. Diese verbreitert den Verhandlungsspielraum und eröffnet neue Wege zum Gewinn von Regierungsämtern. Allerdings ergeben sich durch die Koalitionsvielfalt auf der anderen Seite zugleich Spannungen innerhalb einer föderal aufgebauten Parteiorganisationen: Wie wird die koalitionäre Vielfalt der Landesverbände überzeugend und sinnvoll von der Bundespartei zusammengeführt?

Quelle: Deutscher Bundesrat, http://www.bundesrat.de/DE/bundesrat/verteilung/verteilung-node.html (abgerufen im Februar 2017)

Die Frage stellt sich nicht nur hinsichtlich der Koalitionssignale im anstehenden Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017, sondern betrifft bereits jetzt den Alltag der Regierungsgeschäfte in Berlin. Im deutschen Exekutivföderalismus entsenden die Landesregierungen ihre Vertreter in den Bundesrat, der bei der Gesetzgebung auf Bundesebene mitwirkt. Zurzeit verfügt die Bundesregierung aus Union und SPD dort nur über 16 (einigermaßen) sichere Stimmen aus Bayern sowie durch die Großen Koalitionen im Saarland, in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen. Von den Oppositionsparteien können beispielsweise die Grünen über ihre zahlreichen Regierungsbeteiligungen hingegen indirekt auf 49 Stimmen einwirken – was sie etwa bei der Ablehnung der Deklarierung einiger nordafrikanischer Länder zu sicheren Herkunftsstaaten ausgespielt haben.

Im Kern werden bei der Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2017 zweifellos die von der Koalitionstheorie als zentral benannten Faktoren von arithmetischer Mehrheit und programmatischer Nähe zum Tragen kommen. Dass diese Faktoren aber erstens einem gewissen kreativen Spielraum der Parteien unterliegen, hat zuletzt eindrücklich das Experiment mit der nordrhein-westfälischen Minderheitsregierung gezeigt. Nicht zwingend ist eine parlamentarische Mehrheit notwendig, damit eine Regierung ins Amt kommt. Zweitens bilden die bunten Landesregierungen einen Fingerzeig, dass die programmatischen Distanzen zwischen einigen Parteien deutlich abgenommen haben – oder aufgrund der Alternative für Deutschland (AfD) als neuen Konkurrenten im Parteiensystem zumindest nicht mehr so groß erscheinen.

Führt die Bundestagswahl zu einer Mehrheit von Union und FDP oder SPD und Grünen so werden sich diese ohne Frage auf ein Fundament für eine gemeinsame Bundesregierung verständigen können. Interessanter wird es, wenn die Wahl unklare Mehrheitsverhältnisse hervorbringt. Eine dritte Große Koalition in kurzer Abfolge nach 2005 und 2013 besitzt nur bedingte Attraktivität, die Vielfalt in den Ländern drängt mögliche Alternativen förmlich auf. Gerade in einer solchen offenen Situation kann es gut sein, dass die Parteistrategen eine neue Koalition auch vor dem Gesichtspunkt anstreben, welche Handlungsfähigkeit diese im Bundesrat besitzt.

Koalitionsoptionen im Bundesrat

Koalition Stimmen
Union-SPD 16
Union-Grüne 17
Union-Grüne-FDP 17
SPD-Grüne-FDP 26
SPD-Grüne-Linke 34

Quelle: Eigene Berechnung (Stand Februar 2017)

Es ist also sinnvoll, sich die Mehrheitsverhältnisse in der Länderkammer etwas genauer anzuschauen. Fragt man zunächst danach, auf wie viele Stimmen die denkbaren Zweier- und Dreier-Konstellationen potentiell zählen können, zeigt sich eine Schwäche des unionsgeführten Lagers. Angenommen, Union und Grüne verständigten sich bei der jetzigen Zusammensetzung des Bundesrats auf eine schwarz-grüne Bundesregierung, käm diese nur auf 17 Stimmen. Auch die Hinzunahme der FDP in einer Jamaika-Koalition brächte keinen Stimmenzugewinn. Deutlich besser stünde hingegen eine SPD geführte Ampel-Koalition dar, die mit ihren 26 Stimmen nur 9 Stimmen von einer absoluten Mehrheit entfernt ist. Noch komfortabler wäre die Position einer rot-rot-grünen Bundesregierung, die nur eine Stimme von einer Bundesratsmehrheit entfernt ist.

Einfluss der Parteien im Bundesrat

Partei Stimmen
Union 29
SPD 52
Grüne 49
FDP 4
Linke 12

Quelle: Eigene Berechnung (Stand Februar 2017)

Darüber hinaus ist es interessant, die Stimmen aufgeteilt nach den einzelnen Parteien zu betrachten. Zwar verfügen die Parteien nicht autonom über diese Stimmen, aber es stellt ein Potential heraus, innerhalb dessen Bundesländern ihr machtpolitisches Gewicht erhöhen (die Zuteilung von drei bis sechs Stimmen für die Länder richtet sich ja nach Bevölkerungsgröße). Hier kommt die SPD mit ihren vielen Regierungsbeteiligungen auf 52 Stimmen, nur knapp dahinter liegen die Grünen mit 49 Stimmen. Bei der Union sind es mit einigem Abstand 29 Stimmen. Die FDP steht mit ihrer einzigen Regierungsbeteiligung in Rheinland-Pfalz nur für vier Stimmen. Die Linkspartei stellt den Ministerpräsidenten in Thüringen, regiert in Brandenburg und Berlin mit und kommt dadurch auf 12 Stimmen. Eine Bundesregierung ohne Union oder SPD kann es sicher nicht geben, aber die aktuelle Verteilung lässt darauf schließen, dass vor allem die Grünen mit ihrem Reservoir in dieser Hinsicht momentan ein äußerst attraktiver Koalitionspartner wären.

Schließlich stellt sich die Frage, inwieweit die drei vor der Bundestagswahl anstehenden Landtagswahlen die Machtverhältnisse noch verschieben und damit möglicherweise ein Momentum für ein bestimmtes Koalitionsmodell generieren können. 2017 wird im März im Saarland (3 Bundesratsstimmen), im Mai in Schleswig-Holstein (4 Stimmen) sowie in Nordrhein-Westfalen (6 Stimmen) gewählt. Die vielen möglichen Wahlausgänge lassen sich vor dem Hintergrund unserer Fragestellung vereinfachend auf drei Szenarien verdichten:

Szenario eins ist die unfreiwillige Stärkung der Großen Koalition im Bund. Im Saarland arbeiten CDU und SPD reibungslos zusammen und es spricht wenig gegen eine Fortsetzung nach der Wahl. In Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen könnten je nach Abschneiden der AfD alternativen Dreierkonstellationen die Mehrheiten fehlen. Zugleich existieren bei Grünen und FDP durchaus innerparteiliche Vorbehalte gegenüber Ampel- und Jamaika-Koalitionen. Das Zustandekommen hängt unter anderem an kontextspezifischen Faktoren im jeweiligen Land. Damit bliebe als Notnagel wiederum nur die Zusammenarbeit von CDU und SPD. Bilden sich nach allen drei Landtagswahlen Große Koalitionen, kämen diese immerhin auf 26 Stimmen im Bundesrat. Wenn die Bundesregierung sich für ein Vorhaben beispielsweise um das Bündnis von CDU, SPD und Grünen in Sachsen-Anhalt bemüht sowie ein Kompromiss mit dem grün-schwarz regierten Baden-Württemberg aushandelt, hätte sie eine Mehrheit in der Länderkammer. Der Anreiz für die Fortführung der schwarz-roten Koalition auf Bundesebene wächst dadurch – zumal für diese Option so gut wie immer eine rechnerische Mehrheit vorhanden sein wird.

Das Szenario zwei bildet die Realisierung des Phantoms Schwarz-Grün. Schon lange wird über die Möglichkeit einer solchen Zusammenarbeit spekuliert. Die anfangs aufgrund der Gegensätze so undenkbare (und damit wohl gerade reizvolle) Konstellation kam inzwischen bereits in vier Bundesländern zustande: im Saarland (als Jamaika-Koalition mit den Liberalen), in Hamburg, in Baden-Württemberg und in Hessen. Nach der Bundestagswahl 2013 trafen sich die Parteispitzen erstmals zu Sondierungen über die Koalitionsbildung im Bund (wenn auch ohne Erfolg). Im Saarland ist Schwarz-Grün rechnerisch unwahrscheinlich, allerdings könnte eine solche Zusammenarbeit von den Erfahrungen mit der Jamaika-Koalition profitieren. In Schleswig-Holstein stehen die Grünen in Umfragen zurzeit deutlich zweistellig bei 15 Prozent, der einflussreiche grüne Landespolitiker Robert Habeck (stellvertretender Ministerpräsident, Umweltminister und durch seine Kandidatur bei der Urwahl der Grünen für die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl bundesweit bekannt) gilt als Vertreter des pragmatisch-reformorientierten Flügels der Partei, der sich für lagerübergreifende Bündnisse offen zeigt. Schließlich ergibt sich in Nordrhein-Westfalen durch die Positionen des CDU-Spitzenkandidaten Armin Laschet, der von 2005 bis 2010 den Posten des Integrationsministers innehatte und der sich ohne Einschränkungen hinter den Kurs der Kanzlerin in der Asyl- und Flüchtlingspolitik stellte, eine Anknüpfung an die programmatischen Ziele der Grünen. Mit zwei neuen schwarz-grünen Landesregierungen im Norden und im Westen würde das Stimmgewicht von Union und Grünen im Bundesrat immerhin auf 27 Stimmen ansteigen. Nicht zu unterschätzen wäre dabei die Signalwirkung, die von einer erstmaligen Koalition von CDU und Grünen in Düsseldorf ausgehen würden.

Das dritte Szenario bezieht sich auf die ebenfalls oft diskutierte Herausbildung eines auf Bundesebene koalitionsfähigen linken Lagers. Im Saarland ist die Linkspartei unter Führung des ehemaligen saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine – anders als in den anderen alten Bundesländern – eine einflussreiche Größe. Sie ist mit 9 Abgeordneten im Landtag vertreten (Gesamtsitze 51) und die letzten Umfragen taxierten sie auf 14 Prozent. Eine Mehrheit für SPD, Linke und Grüne ist zumindest nicht unwahrscheinlich (vor allem die Grünen kämpfen aber im Saarland mit der Fünfprozenthürde). In Schleswig-Holstein hingegen ist die Linkspartei parlamentarisch nicht vertreten und ein Einzug alles andere als sicher. Gleiches gilt für Nordrhein-Westfalen, wobei hier im Falle einer rot-rot-grünen Regierungsbildung an die Erfahrungen der Kooperation im Rahmen der Minderheitsregierung von 2010 bis 2012 angeknüpft werden könnte. Bleibt es im Norden bei einer rot-grünen Koalition und im Saarland sowie in NRW lassen sich SPD und Grüne auf ein Experiment mit der Linken ein, so ergäbe das sogar eine Mehrheit von 37 Stimmen im Bundesrat. Gut möglich, dass dies die Bundesspitzen der drei Partien dazu animiert, das Experiment eines solchen Bündnis im Bund einzugehen. Auch bei diesem Szenario wäre wiederum nicht zu unterschätzen, welche Symbolik einem solchen Bündnis im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland zukäme.

Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Es wird zweifellos ein interessantes Wahljahr, in welchem wir mit Sicherheit einige langfristige koalitionsstrategische Weichenstellungen erwarten können.

Zitationshinweis

Switek, Niko (2017): Der Bundesrat als Einflussfaktor für die Koalitionsbildung im Bund, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de, Online verfügbar unter: https://regierungsforschung.de/der-bundesrat-als-einflussfaktor-fuer-koalitionsbildung-im-bund/

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