Frank-Walter Steinmeier (Hrsg.): Zur Zukunft der Demokratie. 36 Perspektiven.

Die Ergebnisse des öffentlichen Nachdenkens in Foren des Schloss Bellevue zum Thema Deutschland und Demokratie sind nun als Buch – herausgegeben von Frank-Walter Steinmeier – erschienen. Die Lektüre bringt das Nachdenken über die Demokratie in Schwung, so Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Der Band enthält Kapitel mit originellen Ideen, die vom institutionellen Setting abweichen und zum Nachdenken anregen.

Nachdenken über Deutschland und die Demokratie – so könnte man die Veranstaltungsreihe „Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie“ auch nennen. Der Bundespräsident hat zwölf solcher Foren organisiert, selbst moderiert und geleitet. Die Ergebnisse dieses öffentlichen Nachdenkens sind jetzt in Buchform bei Siedler erschienen.

Frank-Walter Steinmeier (Hrsg.):  Zur Zukunft der Demokratie. 36 Perspektiven.

Siedler, München, 2022, 432 Seiten, ISBN: 978-3-8275-0161-5, 22,00 Euro

Autor

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs-, Parteien- und Wahlforschung.

 

Nachdenken über Deutschland und die Demokratie – so könnte man die Veranstaltungsreihe „Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie“ auch nennen. Der Bundespräsident hat zwölf solcher Foren organisiert, selbst moderiert und geleitet. Die Ergebnisse dieses öffentlichen Nachdenkens sind jetzt in Buchform bei Siedler erschienen.

In der Eröffnungsbilanz macht Steinmeier klar, was er unter Demokratiearbeit aus dem Schloss heraus versteht. Zuversichtlich setzt er zudem auf ein republikanisches Selbstbewusstsein. Wichtig erscheint im Licht aktueller Entwicklungen, dass er die demokratische Kraft zur Transformation in Deutschland erkennt. Das ist wichtig, denn damit ist Deutschland in vielfacher Hinsicht konfrontiert.

Disruptionen und externe Schocks können zu Veränderungen führen. Es ist deshalb sicher kein Zufall, dass sich die Ampel-Koalition erstmals im Zeichen der „Coronakratie“ auf Bundesebene konstituierte. Das Virus hatte seit 2020 alle Bereiche unseres Lebens auf die Probe gestellt und Veränderungen ebenso erzwungen, wie die Sehnsucht nach Kontinuität beflügelt. Das politische Denken kreist in einem demokratischen Verfassungsstaat um die Ordnung der Freiheit. Das Corona-Virus setzte dieses Denken einem Stresstest aus. Der demokratische Modus des Regierens war herausgefordert, ging es doch nicht nur um effiziente Mechanismen zur Problemlösung, sondern – viel existentieller – um das Überleben der Bürger. Die Risikoentscheidungen standen nicht nur unter besonderen Unsicherheitsbedingungen, sondern waren auch strukturell dilemmatisch angelegt: Freiheit oder Gesundheit? Diese Zielkonflikte alarmierten. Die Coronakratie ist die Antwort auf diese Herausforderungen. Es bedarf keiner besonderen Weitsicht, dass Krisen als Serie unser politisches System weiter erschüttern werden. So erfahren wir seit Februar 2022 in europäischer Nachbarschaft, was es heißt, Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat erneut disruptive Qualität.

Große Verteilungskonflikte stecken hinter der großen Transformation. Mit den Autorinnen und Autoren wie Maja Göpel, Wolfgang Merkel und Udo Di Fabio wird dieses Feld abgesteckt.

Die Ampel als Lerngemeinschaft kann mit dem Transformations-Narrativ als wichtigem Politiktreiber Innovationen voranbringen, ohne aufrechnen zu müssen, wer bei welchem Schritt mehr gewinnt oder mehr verliert. Die Zumutungen folgen dem Motto: „Anpacken und machen“. Das kann unkonventionell und unerwartet daherkommen.

Die ökologisch-soziale Transformation wird die Ampel in der Coronakratie und dem Blick in den Kriegsabgrund herausfordern. Die Transformation „Fortschritt wagen“ soll kommunikativ inklusiv, politisch partizipativ und stets sozial solidarisch ausgerichtet sein. Wer aus einer Wachstumsgesellschaft eine klimaneutrale Nachhaltigkeitsgesellschaft formen möchte, braucht aber auch neue Modelle der demokratischen Willensbildung. Neue „Wir-heit“ entsteht nicht automatisch, zumal, wenn sich durch Knappheit auch Verteilungsfragen zuspitzen. Nur Bürgerräte reichen als Innovations-Treiber dabei auch nicht aus. Weniger Basisdemokratie setzt das grüne Milieu unter Druck. Doch Trassenbau lässt nichts anderes zu, wenn Strom knapp wird. Die FDP wird die Neubestimmung des Freiheitsbegriffs, als Freiheit der Vielen mit einbringen müssen. Während die SPD ihr soziales Gerechtigkeitsthema auch demokratiepolitisch nicht allein durch Umverteilen einlösen kann. Der ampelig angelegte Veränderungspatriotismus ist insofern höchst ambitioniert, wenn die „Große Transformation“ als Muster dient.

Diese Gedanken durchziehen die Beiträge von Rainer Frost, Herta Müller und Daniel Ziblatt. Für Donatella della Porta liegt der Ausweg fast ausschließlich im Potential sozialer Bewegungen durch die Innovation eine Chance erhält. Originelle Abweichungen vom institutionellen Setting finden sich bei David van Reybrouck, der ein sogenanntes Präferendum in seinem Essay vorstellt. Neben den Wahlen sollen auch Vorschläge zu entscheiden sein. „Der Prozess sieht aus wie ein Referendum, eine Volksabstimmung, allerdings mit einer viel umfangreicheren Schnittstelle zur Angabe ihrer politischen Präferenzen“ (S.85).

Das Nachdenken über die Demokratie ist nach der Lektüre in Schwung gekommen. Man möchte gerne den aktuellen Kipppunkt in die Diskussion einbringen: Interessen werden in Kriegszeiten offenbar nicht kommunikativ, sondern mit Gewalt durchgesetzt. Krasser kann ein Gegensatz zum Modell der Demokratie nicht aufscheinen. Aber was macht das mit uns, wenn wir Lebenslügen überwinden und erkennen, dass sich die Kontexte von Wehrhaftigkeit der Demokratie jetzt konkret ableiten lassen. War die Demokratie jemals stärker herausgefordert als durch Panzer und Raketen? Wer konnte sich ernsthaft so eine Bedrohungslage vorstellen. Im Buch spielen diese sicherheitspolitischen Überlegungen keine Rolle. Wir hatten das alle ausgeblendet.

Zitationshinweis

Korte, Karl-Rudolf (2022): Frank-Walter Steinmeier (Hrsg.):  Zur Zukunft der Demokratie. 36 Perspektiven., Rezension, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/frank-walter-steinmeier-hrsg-zur-zukunft-der-demokratie-36-perspektiven/

This work by Karl-Rudolf Korte is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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