Helmut Herles: Die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft. Innenansichten aus dem Club der Abgeordneten

Die Deutsche Parlamentarische GesellschaftSie ist kaum ein Thema, weder in der medialen Berichterstattung noch in der Politikwissenschaft: Die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft bleibt weitgehend im Arkanbereich der praktischen Politik, unsichtbar für die Öffentlichkeit.

Wolfgang Herles bietet in seinem Buch „Die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft“ einen gut lesbaren Überblick, meint Matthias Klein. Aus der Perspektive der Regierungsforschung bleiben allerdings spannende Fragen unbeantwortet.

 

Helmut Herles: Die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft.
Innenansichten aus dem Club der Abgeordneten.

be.bra verlag, 2013, 160 Seiten, ISBN 978-3898091060, 19,95 Euro.

 

Rezension von Matthias Klein

Ihr Ruf ist ein wenig mystisch. Wichtige Entscheidungen und Kompromisse sollen hier fallen, Politiker auf Vertreter aus Wirtschaft und Gesellschaft treffen, Mitglieder von Regierungsfraktionen und der Opposition sollen hier plaudern. Hier sollen laut Medienberichten Abgeordnete Intrigen spinnen, aber auch die „Wunden der Politik heilen“ (Dausend 2006) – und das verborgen vor der Augen der Öffentlichkeit: Die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft (DPG) erscheint exklusiv. Helmut Herles, Jahrgang 1940, zuletzt Chefredakteur und Chefkorrespondent des Bonner General-Anzeigers und profilierter Beobachter der Bundespolitik, legt zum dritten Mal ein Buch über den „Club der Abgeordneten“ vor. Darin arbeitet er die Geschichte auf, stellt das Selbstverständnis und das Clubleben vor, porträtiert die Präsidenten und beschreibt die legendären Häuser der DPG.

Jenseits des Parteienstreits

Die Geschichte begann 1950. Der liberale britische Abgeordnete Stephen King-Hall lud deutsche Kollegen ein, das Unterhaus in London zu besuchen. Dazu gehörte auch ein Termin im Parlamentsclub Hansard Society. Die Idee eines überparteilichen Clubs für Parlamentarier fand Anhänger, drei deutsche Abgeordnete von CSU, SPD und FDP initiierten schließlich am 1. April 1951 die Gründung der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft. Sie wollten damit einen Ort für vertrauliche Begegnungen über die Parteigrenzen hinweg schaffen.

Parlamentarische Kollegialität sollte bewusst über den Parteienstreit gestellt werden, schreibt Herles (Herles 2013: 13f): „Die DPG ermöglicht vertrauensvolle Begegnungen und das vertrauliche Gespräch, aber auch Geselligkeit und Fröhlichkeit. Sie ist der Raum für Gespräche von und mit Multiplikatoren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft und ein Ort für diskrete Entscheidungen“ (Herles 2013: 15). Mittlerweile hat die DPG 1.421 Mitglieder, die meisten sind aktuelle oder ehemalige Abgeordnete des Bundestags, hinzu kommen Parlamentarier aus dem Europäischen Parlament und den Landtagen (Stand: März 2013).

Chronologisch erzählt Herles die Geschichte der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft bis in die Gegenwart. By the way erfährt der Leser dabei viel Interessantes über die Entwicklung des deutschen Parlamentarismus, weil Herles immer wieder Verbindungen zwischen der DPG und historischen Ereignissen zieht. Der Autor schreibt beispielsweise über die Grünen, die 1983 zum ersten Mal in den Bundestag einzogen. Von den neuen Abgeordneten seien zunächst nur sehr wenige Mitglied der DPG geworden. Sie seien dort auch auf Vorbehalte gestoßen, schließlich wären sie „respekt- und krawattenlos“ erschienen und hätten untereinander eine bis dahin undenkbare Streitkultur gepflegt: „Die anderen Fraktionen reagierten bestenfalls gleichgültig, es herrschten Misstrauen und Distanz – auf Gegenseitigkeit“ (Herles 2013: 42). Dennoch: Die Grünen etablierten sich rasch, im Parteiensystem der Bundesrepublik ebenso wie im parlamentarischen Gefüge. Mitentscheidend für die „Anpassung der Grünen an den Parlamentarismus und den Stil im Hohen Haus“ sei die Atmosphäre in der Deutschen Parlamentarische Gesellschaft gewesen, schreibt Herles (Herles 2013: 42).

Diskretion entscheidend

Anhand dieser These wird die Problematik dieses Buchs deutlich. Herles hat viele interessante Aspekte der DPG zusammengetragen, er verbindet sie in einem gut lesbaren, bisweilen süffigen Schreibstil. Gerade die besonders spannenden Geschehnisse hinter den Kulissen, die der Untertitel „Innenansichten aus dem Club der Abgeordneten“ ankündigt, reißt er allerdings nur an. Er nennt viele historische Ereignisse, die in der DPG stattgefunden haben, beschränkt sich dabei aber auf Anekdotisches und arbeitet sie nicht näher auf.

Dies liegt zumindest teilweise in der Vertraulichkeit begründet, die die conditio sine qua non der DPG ist, wie Herles erklärt: „Die Presseartikel über die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft aus den letzten 15 Jahren passen locker in einen schmalen Hefter. Das ist kein Zufall, denn ein Club, dessen Räson die Diskretion ist, will nicht in der Zeitung stehen“ (Herles 2013: 115).

Der Leser erfährt beispielsweise lediglich grundsätzlich, dass sich in der DPG bestimmte Runden treffen, unter anderem beim Interfraktionellen Gebetsfrühstück oder bei den Parlamentarischen Abenden. Bei letzteren übernimmt ein Mitglied der DPG die Schirmherrschaft für eine Veranstaltung eines Verbandes, eines Unternehmens oder einer gesellschaftlichen Gruppierung. Diese können dann in den Räumen der DPG den Parlamentariern ihre Anliegen vorstellen. Aus der Perspektive der Lobbyismusforschung ist das ein überaus spannender Bereich, den Herles aber leider nicht näher ausleuchtet.

Wissenschaftliche Studien fehlen

Als Fazit lässt sich festhalten, dass dieses schön gestaltete Buch mit vielen Fotografien eine gute Gelegenheit bietet, die Grundzüge der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft sowie ihre historische Entwicklung kennenzulernen. Dass der Leser wenig Systematisches über die Geschehnisse hinter den Kulissen und damit über die Bedeutung der DPG im politischen Prozess erfährt, ist dem Autor insofern nicht vorzuwerfen, als er sein Buch grundlegend anders ausgerichtet hat. Kritisch muss man anmerken, dass der Untertitel in dieser Hinsicht allerdings etwas irreführend formuliert ist.

Aus der Perspektive der Regierungsforschung wären systematische Studien interessant, die diese Institution der Abgeordneten auf Basis der „W-Fragen des Parlamentarismus“ untersuchen: „Wer, wann, wo, mit wem und warum?“ (Herles 2013: 15). Mit qualitativen Methoden könnte man so insbesondere beleuchten, inwiefern die DPG einen Raum für die so wichtigen informellen Kontakte in der Bundespolitik bietet. Schließlich fallen beinahe alle interessanten Untersuchungsgegenstände der Regierungsforschung außerhalb der Polity-Forschung in den Arkanbereich der Politik – was aber nicht heißt, dass sich mit intensiver Recherche nicht spannende Einblicke gewinnen lassen.

Literatur

  • Dausend, Peter (2006): Die Konsensmaschine, auf: http://www.welt.de/print-welt/article193593/Die-Konsensmaschine.html

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