Helmut Willke: Komplexe Freiheit – Konfigurationsprobleme eines Menschenrechts in der globalisierten Moderne

Laut Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, der an der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen forscht und lehrt, lohnt sich die Lektüre des Buches Komplexe Freiheit – Konfigurationsprobleme eines Menschenrechts in der globalisierten Moderne von Helmut Willke. Der Autor sieht unser Wissen – und damit auch die Freiheit –  digital bedroht. Komplexitätsmanagement wird so zu einem Dispositiv der Freiheit.

Für Lesefans des systemtheoretischen Demokratieanalytikers liefert das neue Buch viel Nachdenkenswertes. Vieles kennt man, wenn man Willke, den Bielefelder Soziologen, lesend verfolgt. Es fehlt diesmal die Kondensation, wie beispielsweise im Buch „Regieren“ (2014), in dem er seine steuerungstheoretischen Prämissen für moderne Regierungsforschung eingeordnet hatte. Schon damals mischte er seine Ideen mit epistemologischen Überlegungen. Diesmal sieht er unser Wissen digital bedroht und damit die Freiheit. Er entwickelt unter den Bedingungen einer komplexen Freiheit Spuren der Digitalmoderne.

Helmut Willke:  Komplexe Freiheit – Konfigurationsprobleme eines Menschenrechts in der globalisierten Moderne

Transcript Verlag, Bielefeld, 2019, 308 Seiten, ISBN: 978-3-8376-4564-4, 29,99 Euro

Autor

Prof. Dr. Karl‐Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg‐Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg‐Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs‐, Parteien‐ und Wahlforschung.

 

Für Lesefans des systemtheoretischen Demokratieanalytikers liefert das neue Buch viel Nachdenkenswertes. Vieles kennt man, wenn man Willke, den Bielefelder Soziologen, lesend verfolgt. Es fehlt diesmal die Kondensation, wie beispielsweise im Buch „Regieren“ (2014), in dem er seine steuerungstheoretischen Prämissen für moderne Regierungsforschung eingeordnet hatte. Schon damals mischte er seine Ideen mit epistemologischen Überlegungen. Diesmal sieht er unser Wissen digital bedroht und damit die Freiheit. Er entwickelt unter den Bedingungen einer komplexen Freiheit Spuren der Digitalmoderne.

In ihr entsteht eine nonverbale Gemeinschaft ohne Kommunikation. Sie steht radikal unter Druck in Zeiten der Digitalmoderne. Denn das Leben in Echokammern forciert eine Kommunikation ohne Gemeinschaft.  Das Echo des Selbst folgt in der „Gesellschaft der Singularitäten“ (Reckwitz) dem Individualwohl. Wir hätten das Amt des Bundespräsidenten anzubieten, das sozusagen von Amtswegen Resonanzgemeinschaften schaffen sollte, um Gemeinwohl konstituieren. Willke setzt nicht auf dieses Amt – als Gestaltungsausweg. Seine Zugänge hängen am Komplexitätsbegriff.

Wie erzählt sich Demokratie? Der Bundespräsident verfügt über enorme Potentiale für politische Gestaltungsmacht – abseits der formellen Anordnungen und Verfügungen. Gerade jetzt, wenn zum elitär wahrgenommenen kosmopolitischen Liberalismus auf der einen Seite und zum neuen radikalen völkischen Autoritarismus auf der anderen Seite verstärkt Geschichten zum Minimal-Konsens unserer Demokratie überall wirkungsmächtig erzählt werden.

Der Autor favorisiert eher als Ämter und Personen das Lernen. Funktionierende Demokratien können nur offen liberal bleiben, wenn sie Lernen, Lernfähigkeiten fördern und Lernmodi entwickeln. Denn die Besonderheiten der Komplexitäten in der Digitalmoderne erfordern konzeptionelles Verstehen. Komplexitäts-Reduktion reicht nicht aus. Wer mit Disruptionen und rapiden Wandlungsprozessen umgehen will, ist auf Lernen angewiesen, damit umzugehen, es zu entschlüsseln, vorausschauend und widerstandsfähig. Das Fazit lautet somit: „Demokratie als Schule der Freiheit wird dann überzeugend, wenn nicht nur in dieser Schule gelernt wird, sondern wenn auch die Schule selbst als Institution adäquate Lernfähigkeiten ausbildet und zum lernenden System wird. Aufgabe politischer Steuerung ist zwar immer noch der Schutz der Freiheit vor Unterdrückung und Gewalt, aber in funktionierenden Demokratien wird eine zweite Aufgabe ebenso wichtig: Mögliche neue Freiheitsmomente auszudehnen und zu gestalten, die in einer globalisierten Moderne die Handlungsspielräume der Menschen erweitern“ (S. 282). Das ist ziemlich optimistisch. Wer das Buch liest, wird aber auch schnell erkennen, dass dies ein akademisches Konstrukt bleiben wird. Komplexe Freiheiten halten die Deutschen immer weniger aus. Anders sind die Zustimmungswerte zu populistischen Volksbelauschern nicht zu deuten. Die „neue Grammatik der Freiheit“ (S.89ff) ist voraussetzungsvoll. Komplexitätsmanagement ist für Willke ein Dispositiv der Freiheit. Die Lektüre lohnt sich. Man möchte im Gespräch parallel aufzeigen, welche Anwendungsmöglichkeiten bestehen, um diese Analyse zur Demokratiebildung zu nutzen.

Zitationshinweis:

Korte, Karl-Rudolf (2019): Helmut Willke:  Komplexe Freiheit – Konfigurationsprobleme eines Menschenrechts in der globalisierten Moderne, Rezension, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Verfügbar Unter: https://regierungsforschung.de/helmut-willke-komplexe-freiheit-konfigurationsprobleme-eines-menschenrechts-in-der-globalisierten-moderne/

Teile diesen Inhalt:

Artikel kommentieren

* Pflichtfeld