Interessenvermittlung in der Onlinewelt

Dr. Paula Nitschke vom Institut für Medien, Wissen und Kommunikation der Universität Augsburg wirft einen Blick auf die Nutzung von Onlinemedien zur Interessenvermittlung. Welche Onlinemedien nutzen organisierte Interessen und zu welchem Zweck? Der Medienwandel führt unter anderem zu strukturellen Veränderungen in Form von Verschiebungen in der Landschaft der Vermittlungsakteure, neuer Kommunikationsstrategien und Umgangsweisen mit alten und neuen Medien.

Sowohl in der öffentlichen als auch in der wissenschaftlichen Debatte wird der gegenwärtige Medienwandel – und dabei insbesondere der Zusammenhang von Digitalisierung und Internetmedien – oft als historische Zäsur bewertet, die eine Restrukturierung aller gesellschaftlichen Teilbereiche bedeutet. Auch in der politischen Kommunikationsforschung wird der durch die Digitalisierung ausgelöste kommunikative Wandel als Zeitenwende bewertet, die „ver­gleichbar ist mit der Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit oder ihrer Transformation zur modernen Öffentlichkeit industrieller Massengesellschaften“ (Dohle et al. 2014, S. 435).

Interessenvermittlung in der Onlinewelt

Strukturveränderungen im intermediären System

Autorin

Paula Nitschke ist akademische Rätin auf Zeit am Institut für Medien, Wissen und Kommunikation der Universität Augsburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Kommunikation organisierter Interessen und kollektives Handeln im Internet, Politische Kommunikation, sowie lokale Öffentlichkeit und Teilhabe.

Sowohl in der öffentlichen als auch in der wissenschaftlichen Debatte wird der gegenwärtige Medienwandel – und dabei insbesondere der Zusammenhang von Digitalisierung und Internetmedien – oft als historische Zäsur bewertet, die eine Restrukturierung aller gesellschaftlichen Teilbereiche bedeutet. Auch in der politischen Kommunikationsforschung wird der durch die Digitalisierung ausgelöste kommunikative Wandel als Zeitenwende bewertet, die „ver­gleichbar ist mit der Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit oder ihrer Transformation zur modernen Öffentlichkeit industrieller Massengesellschaften“ (Dohle et al. 2014, S. 435). Aus Sicht der Kommunikationswissenschaft sind auch aktuelle Phänomene wie z.B. die Aktivitäten der international agierenden „Fridays for Future“ Bewegung, oder auch die Gelbwestenproteste in Frankreich in diesen Kontext einzuordnen und interessieren vor allem als Kommunikationswandel, getrieben durch die Verbreitung von Onlinemedien. Aber nicht nur vergleichsweise junge und wenig organisierte Akteure nutzen Onlinemedien zur Kommunikation und Vermittlung von Interessen. Auch Parteien, klassische Verbände und Interessenorganisationen nehmen Onlinemedien in ihr Kommunikationsrepertoire auf und nutzen sie zur Kommunikation mit Mitgliedern, anderen politischen Organisationen, Medienvertretern und der breiten Öffentlichkeit. Die Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten in eigener Regie und die damit verbundene Unabhängigkeit von der Vermittlungsleistung der klassischen Massenmedien, eröffnet politischen Organisationen viele Möglichkeiten der strategischen Kommunikation. Andererseits ist die Kommunikation im Netz aber auch ein Risiko für die Organisationen. Hate Speech, Shitstorms und kommunikative Angriffe durch Internettrolle oder automatisierte Bots stellen nicht mehr nur theoretische Gefahrenszenarien dar, sondern gehören zum Alltag der Kommunikationsarbeiter in politischen Organisationen. Andere Probleme sind hingegen hausgemacht. Gerade vielen klassischen Akteuren wie Parteien oder Verbänden, fällt die Internetkommunikation nach wie vor schwer. Die Reaktionen von CDU und CSU auf die vermeintliche „Zerstörung“ der CDU durch den Youtuber Rezo zeigen, wie weit klassische und neue Kommunikationskulturen auseinanderliegen. Versuche die Kommunikationskultur im Netz zu imitieren, können leicht zu kommunikativen Fehlschlägen werden, die zu Kritik und Häme im Netz führen. Die Videoantwort auf Rezo, welche die CSU Landesgruppe im Deutschen Bundestag verfasst hat, ist ein solches Negativbeispiel. Das Beispiel des Youtubers Rezo verdeutlicht jedoch noch einen weiteren Aspekt: Die Landschaft der Vermittlungsinstanzen im intermediären System wird (noch) breiter und vielfältiger: Die klassischen Vermittlungsakteure bekommen Konkurrenz durch neue Akteure auf der Mikro- und Mesoebene. Auf der Individualebene sind es Youtuber und Influencer, deren Angebote vor allem für jüngere Menschen attraktiver sind als die Mitgliedschaft in einer Partei. Auf der Mesoebene setzen die großen Internetkonzerne und Plattformen neue Regeln durch und institutionalisieren damit Standards der Internetöffentlichkeit (Jarren 2019). Für Parteien und Interessenorganisationen bedeutet dies Stress, da Ihnen der Verlust ihrer Anhängerschaft und damit ihrer Machtbasis droht und sie mit den neuen Regeln umgehen müssen. Doch auch die Akteure der klassischen Massenmedien geraten als Teil des intermediären Systems unter Druck. Die politischen Hauptstadtjournalisten sehen sich gleich von zwei Seiten durch die neuen Onlineaktivitäten bedroht. Parteien, Interessenorganisationen und Regierungsinstanzen bauen ihre Onlineaktivitäten aus und nennen die neuen Kommunikationszentren sogar Newsroom oder eingedeutscht „Neuigkeiten-Zimmer“ (wie im Bundesverkehrsministerium unter Leitung von Minister Andreas Scheuer). Doch auch politische Youtuber werden von den Hauptstadtjournalisten als Konkurrenz empfunden, da sie als nicht professionelle Journalisten ins Geschäft der Vermittlung politscher Informationen dringen. In jedem Fall ist klar, dass sich durch Digitalisierung und Onlinekommunikation nicht nur die Möglichkeiten der (strategischen) Kommunikation und Vermittlung von Interessen für einzelne Akteure ergeben, sondern strukturelle Verschiebungen im intermediären System der Interessenvermittlung insgesamt zu beobachten sind. Während die Frage nach den strategischen Kommunikationsmöglichkeiten und individuellen Onlinerepertoires politscher Organisationen für die Einschätzung konkreter Aktionen und kurzfristiger Dynamiken hilfreich ist, ist eine Abschätzung des langfristigen Politikwandels durch Onlinekommunikation nur zu beantworten, wenn das intermediäre System insgesamt betrachtet wird. Im Folgenden wird daher ein kurzer Überblick über die Onlinerepertoires politischer Organisationen gegeben, wobei auf Kommunikationsfunktionen und Plattformen eingegangen wird. Anschließend werden erste Überlegungen dazu angestellt, welche Auswirkungen das Auftreten neuer Intermediärer und die gegenwärtigen Prozesse der Intermediation und Disintermediation im intermediären System haben.

Onlinerepertoires nach Kommunikationsfunktionen und Plattformen

Der Begriff der Repertoires ist sehr hilfreich, um sich einen Überblick über die Onlineaktivitäten politischer Organisationen zu verschaffen. Der Begriff wurde von Charles Tilly eingeführt, der in eher historischer Perspektive die „Repertoires of collective action“ (Tilly, 1986; siehe auch Collins 2010; Kriesi 2009; Passy 2009) im Bereich der contentious politics untersucht hat. Das Repertoirekonzept wurde jedoch später von seiner ursprünglichen Verwendungsweise gelöst und in der politischen Internetforschung zur Analyse der Onlinekommunikation von Interessenorganisationen, sozialen Bewegungen und Onlineaktivismus eingesetzt (siehe z.B. Chadwick, 2007; Nitschke und Donges 2018; Rolfe, 2005; Van Laer und Van Aelst, 2010). In der Forschung zu Internetrepertoires werden typischerweise unterschiedliche Kommunikationsfunktionen unterschieden und ihr Vorkommen auf unterschiedlichen Onlineplattformen inhaltsanalytisch gemessen. Es hat sich bislang kein allgemeingültiger Katalog an Kommunikationsfunktionen herausgebildet, was einen Vergleich unterschiedlicher Studien erschwert. Es lassen sich jedoch fünf Kommunikationsfunktionen identifizieren, die in vielen Studien in verwendet werden (siehe dazu ausführlich Nitschke und Donges 2018): 1. Informationsverbreitung, 2. Interaktion und Dialog, 3. Mobilisierung, 4. Ressourcengeneration, 5. Zielgruppenansprache. Eine Zusammenfassung des Forschungsstandes ist wegen der unterschiedlichen Operationalisierungen nicht ganz leicht. Die Gesamtschau deutet jedoch daraufhin, dass in den Onlineangeboten vieler Interessenorganisationen vor allem Informationen bereitgestellt werden, mit einigem Abstand folgen die Kommunikationsfunktionen Interaktion und Dialog und Ressourcengeneration (Vgl. Nitschke et al 2016, Nitschke und Donges 2018, siehe für politische Parteien auch Schweizer 2008). Allerdings, und dies ist der interessantere Befund, zeigen plattformübergreifende Studien, dass die Verbreitung der unterschiedlichen Kommunikationsfunktionen zwischen unterschiedlichen Plattformen stark variiert. Direkte Plattformvergleiche sind selten, aber für internationale NGOs hat sich in der Gegenüberstellung von Webseiten und Facebook gezeigt, dass Webseiten im Gegensatz zu Facebook sehr stärker zur Verbreitung von Informationen, zur Ressourcengeneration und zur Mobilisierung genutzt werden. Die Werte im Bereich Zielgruppenansprache und Interaktion und Dialog sind eher moderat. Auch auf Facebook dominiert Informationsverbreitung, aber anders als Webseiten wird Facebook stärker für Interaktion und Dialog genutzt (Nitschke und Donges 2018, S. 310-311). Wenn Repertoires nach Plattformen und Kanälen systematisiert werden, ergibt sich folgendes Bild:

  • Webseiten: Die Webseite ist die conditio sine qua non der politischen Kommunikation. Oft gehört die Erstellung einer Webseite zu den ersten Aktivitäten neu gegründeter Organisationen und bei etablierten Akteuren wird sie als Visitenkarte im Netz beschrieben (Nitschke & Donges 2017). Auch da Webseiten im Suchmaschinenranking zentral sind, bleiben sie wichtig für politische Organisationen.
  • Facebook: Facebook gehört mittlerweile ebenfalls zum Standard der Onlineauftritte politischer Organisationen. In der Runde der Social Media Angebote ist Facebook so etwas wie die alte Dame, die ein Rundumpaket bietet. Facebook ist sicher nicht mehr das schnelle Medium, durch welches Nachrichten viral gehen und die Funktion des Fotoalbums hat Instagram übernommen. Facebook hingegen ist der Ort, an dem starke Meinungen vertreten werden, wodurch in Organisationen viele Ressourcen für Community Management gebunden werden.
  • Instagram: Welche Funktion die Fotoplattform Instagram im Onlinerepertoire einnehmen wird, ist abzuwarten. Viele Organisationen verbinden damit sicherlich die Hoffnung jüngere Unterstützergruppen oder Wähler zu erreichen. Klar ist, dass Instagram die ‚unpolitischste‘ der Plattformen ist. Zu den erfolgreichsten Hashtags zählen #love, #beautiful, #happy oder #cute. Originär politische Inhalte haben es schwer. Zwar mag es auch starkes Bildmaterial zu Krisen, Katstrophen oder menschlichem Leid geben, aber viele Organisationen verzichten sehr bewusst auf den Einsatz von Bildern, die den Vorwurf der Instrumentalisierung oder Ästhetisierung von Leid uns Katastrophen evozieren könnten. Die Forschung zu Instagram steckt noch in den Kinderschuhen. Es gibt erste Studien zum Einsatz in Wahlkämpfen (Filimonov et al. 2016; Russmann und Svensson 2016), aber die politische Kommunikationsforschung tut sich schwer, wohl auch weil die Analyse von Bildermaterial zu den eher selten verwendeten Methoden gehört.
  • Twitter: Im Gegensatz zu den anderen Plattformen dient Twitter am wenigsten zur Kommunikation mit der breiten Öffentlichkeit, sondern ist ein Mittel zur Kommunikation mit Fachöffentlichkeiten. Teil dieser Fachöffentlichkeiten sind Experten aus dem jeweiligen Fachgebiet der Organisation, Mitglieder des politischen Entscheidungssystems, Fachjournalisten oder Vertreter anderer politischer Organisationen (Vgl. z.B. Nitschke 2019, S. 117). Twitter wird entsprechend auch dafür genutzt, um Statements in konkreten Policy Prozessen abzugeben oder einzufordern (ebd., S.124).

Hinzu kommt, dass nicht nur jeweilige Plattform einen Einfluss auf die Onlineaktivitäten hat, sondern auch die jeweiligen Kontextbedingungen und Organisationsmerkmale wie z.B. organisationale Ressourcen (z. B. gemessen über Budgets, Anzahl der Mitarbeiter oder Mitglieder, in internationalen Vergleichen das Herkunftsland), die Art der Mitgliedschaft (individuell/organisational) oder ihr politischer Status als Insider oder Outsider. Der Forschungsstand ist – auch hier nicht zuletzt wegen mangelnder Vergleichbarkeit der Studien – ambivalent. Lediglich zwischen Ressourcenausstattung und Onlineaktivität zeigt sich über fast alle Studien ein positiver Zusammenhang an (siehe für einen ausführlichen Überblick über den Forschungsstand Nitschke 2019, S. 11-24).

Es ist also so, dass es auch in der Onlinewelt nicht ‚die Medien‘ gibt, sondern verschiedene Medien mit jeweils unterschiedlichen Logiken, Funktionsweisen und Verwendungskontexten. Schon bei den klassischen Massenmedien, ist die These einer einzigen ‚Medienlogik‘ sehr zweifelhaft (vgl. z.B. Lundby 2009), aber in der Onlinewelt ist sie kaum zu halten. In der politischen Kommunikationsforschung machen wir oft den Fehler Studien zu Twitter oder Facebook oder neuerdings auch Instagram durchzuführen. Um ein differenziertes und angemessenes Bild der Onlinekommunikation von Organisationen zu erhalten, braucht es jedoch mehr Forschung, die nicht einzelne Onlineplattformen als singuläre Kanäle analysiert, sondern als Teil des Kommunikationsrepertoires insgesamt.

Das intermediäre System der Interessenvermittlung, neue Intermediäre und Disintermediation

Eine Möglichkeit, demokratische Öffentlichkeit zu theoretisieren, ist, sie als intermediäres System der Interessenvermittlung zu konzipieren (vgl. hierfür Donges und Jarren 2017, S. 99 – 108; Steiner und Jarren 2009). Eine solche akteurszentrierte Sicht ist hilfreich, wenn es darum geht das Verhalten von organisierten Akteuren zu beschreiben und verdeutlicht außerdem ihre Relevanz im demokratischen Prozess. Als Intermediäre vermitteln Interessenorganisationen, Parteien und soziale Bewegungen nämlich zwi­schen der privaten Sphäre der Bürgerinnen und Bürger, sozialen Milieus und Gruppen auf der einen und zwischen dem politisch administrativen System auf der anderen Seite (vgl. Rucht 1993, S. 257). Donges und Jarren stellen ein traditionelles Modell des intermediären Systems einem mediatisierten Modell gegenüber (Abbildung 1) (Donges und Jarren 2017, S.106). Im traditionellen Modell sind die Massenmedien ein gleichberechtigter Akteur neben den anderen. Im mediatisierten Modell hingegen sind die Massenmedien wichtiger geworden: „Sie stehen nicht mehr quasi „neben“ den anderen Akteuren des intermediären Systems, sondern schieben sich zunehmend zwischen die Bürgerinnen und Bürger und die übrigen Akteure des intermediären Systems“ (Donges und Jarren 2017, S. 106). Diese Verschiebung beschreibt wohlgemerkt den Wandel hin zur Mediengesellschaft in der Prä-Online-Ära. Diese Konzeption, in der die Vermittlungsleistungen in Richtung der Bürgerinnen und Bürger hauptsächlich über die Massenmedien verlaufen, ist noch immer in vielen Öffentlichkeitsmodellen der angenommene Normalfall. Dieser „Normalfall“ wird durch die Verbreitung von Onlinemedien jedoch in Frage gestellt oder sogar rückgängig gemacht, da die Massenmedien ihre herausgehobene Position als vermittelnde Instanz verlieren. Diese Entwicklung wird im Folgenden anhand der Aktivitäten von Parteien als klassische Intermediäre und am Beispiel des Youtubers Rezo als Vertreter eines neuen Akteurstyps skizzenhaft umrissen.

Abbildung 1: Systeme der Interessenvermittlung; Quelle: Donges & Jarren 2017, S. 106.

Parteien-Newsrooms: Seit einiger Zeit wird über Parteien-Newsrooms als Beispiel für vermehrte Onlinekommunikationsaktivitäten in eigener Regie diskutiert. Zuerst hatte die AfD einen Newsroom eingerichtet, verbunden mit der Ankündigung, die AfD wolle künftig selbst journalistische Inhalte produzieren, um nicht mehr auf die – aus ihrer Sicht mangelhafte – Berichterstattung der Massenmedien angewiesen zu sein. Zugespitzt hat dazu Alice Weidel formuliert „Unser ambitioniertes Fernziel ist es, dass die Deutschen irgendwann AfD und nicht ARD schauen” (nzz 2018). Die Newsroom-Aktivitäten der anderen Parteien sind davon klar zu unterscheiden. Doch obwohl das Ziel selbst eine Art Pseudojournalismus zu betreiben von den anderen Parteien klar zurückgewiesen wird, hat auch die SPD im Willy Brand Haus einen Newsroom eingerichtet (den Sie zwar auch aufgrund von kritischen Stimmen mittlerweile wieder umbenannt hat) und auch die CDU plant eine Ausweitung ihres Newsrooms. Erklären lassen sich diese vermehrten Onlineaktivitäten in eigener Regie durch zwei parallele Trends: Sowohl der Journalismus als auch die klassischen intermediären Akteure werden schwächer. Die Bindungskraft der Parteien lässt nach und dort wo die gesellschaftliche Durchdringung schwach ist, sind die Parteien auf mediale Vermittlung angewiesen, um mit Bürgerinnen und Bürgern in Kontakt zu treten. Gleichzeitig wird auch der Journalismus schwächer und die klassischen Massenmedien werden aus Sicht der Parteien zu einem unzuverlässigen Akteur (vgl. Donges und Jarren 107). Aus Sicht des Journalismus haben wir es hier mit Prozessen der Disintermediation zu tun (Vgl. Neuberger 2009), aus Sicht der Parteien jedoch mit einer Rückkehr zum traditionellen Intermediationsmodell.

Rezo als Beispiel für einen neuen Akteurstyp?: Das Video „Die Zerstörung der CDU“ des Youtubers Rezo hat eine intensive öffentlich Debatte ausgelöst und wurde sowohl von Seiten der Politik als auch seitens der Medien heftig kritisiert. Das Beispiel Rezo eignet sich wunderbar, um unterschiedliche Entwicklungen zu verdeutlichen. Aus kommunikationsstrategischer Sicht sind vor allem die (missglückten) ‚Rezo-Reaktionen‘ in Form des angekündigten und dann doch nicht gesendeten Amthor-Videos, oder das CSUYOU Video interessant, welches die CSU Landesgruppe im Bundestag produziert hat. Wird jedoch das intermediäre System insgesamt betrachtet, stellt sich die Frage, ob wir es mit einem neuen Intermediärstyp zu tun haben. Können politische Youtuber zwischen Politik und jungen Bevölkerungsschichten vermitteln? In jedem Fall sind die Youtuber für Politiker interessant. Der Spaziergang des Politikers Amthor mit der Youtuberin Diana Zur Löwen ist ein Beispiel und die Option im Onlinebereich stärker mit Influencern zu arbeiten, wird in den Parteien diskutiert. Es bleibt abzuwarten, ob sich hier nur eine Möglichkeit der politischen PR bietet, oder ob Youtuber zu einem Faktor der Meinungsbildung werden können. Allerdings macht die stark kommerzielle Ausrichtung von YouTube und der Schwerpunkt auf Fashion, Beauty und Lifestyle skeptisch.

Auf der Mesoebene der Organisationen haben die großen Plattformen wie Googles YouTube diesen Status bereits erreicht (vgl. Jarren 2019). Der Begriff Intermediär hat sich institutionalisiert und mit dem Entwurf des neuen Medienstaatsvertrags werden die Bemühungen einer Regulierung der neuen Intermediären konkreter. Interessant ist hier auch der Meso-Mikro-Link zwischen den Plattformen und den professionellen Youtubern. Mit Fairtube haben der Deutsche Gewerkschaftsbund und eine Union von Youtubern zum Beispiel eine Kampagne gegen YouTube gestartet, in der sie von YouTube „Fairness und Transparenz für alle YouTube Creator“ fordern (Fairtube 2019)

Der Beitrag hat die komplexen Wandlungsprozesse im intermediären System der Interessenvermittlung nur angerissen. Der Medienwandel, angestoßen durch Digitalisierung und Internet führt zu strukturellen Veränderungen in Form von Verschiebungen in der Landschaft der Vermittlungsakteure, neuer Kommunikationsstrategien und Umgangsweisen mit alten und neuen Medien und zum Auftreten neuer Intermediärer auf der Meso- und Mikroebene. Dies eröffnet zahlreiche Ansatzpunkte für theoretische und empirische Fragestellungen und zeigt, wie vital das Forschungsfeld Interessenvermittlung und organisierten Akteure ist.

Literatur:

Collins, R. (2010). The contentious social interactionism of Charles Tilly. Social Psychology Quarterly, 73, 5–10. doi:10.1177/0190272509359616

Donges, P. & Jarren, O. (2017). Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Fairtube. (2019). Fairtube ist eine Kampagne mit dem Ziel, mehr Fairness und Transparenz für alle YouTube-Creator zu schaffen. Abgerufen am 06.01.2020 von https://fairtube.info/de/.

Filimonov, K., Russmann, U., & Svensson, J. (2016). Picturing the Party: Instagram and Party Campaigning in the 2014 Swedish Elections. Social Media + Society. https://doi.org/10.1177/2056305116662179

Jarren, O. (2019). Fundamentale Institutionalisierung: Social Media als neue globale Kommunikationsinfrastruktur. Publizistik 64 (2), 163–179. doi:10.1007/s11616-019-00503-4

Kriesi, H. (2009). Charles Tilly: Contentious performances, campaigns and social movements. Swiss Political Science Review, 15(2), 341–349. doi:10.1002/spsr.2009.15.issue-2

Lundby, K. (Hrsg.), Mediatization. Concept, changes, consequences (S. 139–157). New York: P. Lang.

Neuberger, C. (2009). Internet, Journalismus und Öffentlichkeit. Analyse des Medienumbruchs. In C. Neuberger, C. Nuernbergk & M. Rischke (Hrsg.), Journalismus im Internet. Profession – Partizipation – Technisierung. (S. 9-18). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Nitschke, P., Donges, P. & Schade, H. (2016). Political organizations’ use of websites and Facebook. New Media & Society 18 (5), 744–764. doi:10.1177/1461444814546451

Nitschke, P. & Donges, P. (2017). Motive und Strukturen: Eine Analyse der motivationalen und strukturellen Dynamiken in der Online-Kommunikation politischer Interessenorganisationen. In S. Wehmeier & D. Schoeneborn (Hrsg.), Strategische Kommunikation im Spannungsfeld zwischen Intention und Emergenz (S. 253–266). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Nitschke, P. & Donges, P. (2018). Online repertoires of NGOs in the international arena. Journal of Information Technology & Politics 15 (4), 301–318. doi:10.1080/19331681.2018.1452090

Nitschke, P. (2019). Digitalisierung auf der Mesoebene. Die Onlinekommunikation von Interessenorganisationen als Institutionalisierung. Wiesbaden: Springer

NZZ (2018, 9. Mai). Alice Weidel: «Unser ambitioniertes Fernziel ist es, dass die Deutschen irgendwann AfD und nicht ARD schauen.» Neue Züricher Zeitung (NZZ). https://www.nzz.ch/international/jedes-afd-mitglied-ist-ein-social-media-soldat-ld.1384297

Passy, F. (2009). Charles Tilly’s understanding of contentious politics: A social interactive perspective for social science. Swiss Political Science Review, 15(2), 351–359. doi:10.1002/spsr.2009.15.issue-2

Russmann, U., & Svensson, J. (2016). Studying Organizations on Instagram. Information, 7, 58.

Schweitzer, E. J. (2008). Innovation or normalization in e-campaigning? A longitudinal content and structural analysis of German party websites in the 2002 and 2005 national elections. European Journal of Communication, 23(4), 449–470. doi:10.1177/0267323108096994

Steiner, A. & Jarren, O. (2009). Intermediäre Organisationen unter Medieneinfluss? Zum Wandel der politischen Kommunikation von Parteien, Verbänden und Bewegungen. In F. Marcinkowski & B. Pfetsch (Hrsg.), Politik in der Mediendemokratie (Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 42) (S. 251–269). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Tilly, C. (1986). The contentious French: Four centuries of popular struggle. Cambridge, MA: The Belknap Press of Harvard University Press.

Zitationshinweis:

Nitschke, Paula (2020): Interessenvermittlung in der Onlinewelt, Strukturveränderungen im intermediären System, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/interessenvermittlung-in-der-onlinewelt/

Teile diesen Inhalt:

Artikel kommentieren

* Pflichtfeld