Julia Schwanholz und Patrick Theiner (Hrsg.): Die politische Architektur deutscher Parlamente. Von Häusern, Schlössern und Palästen

“Viel Arbeit steckt in den Beiträgen und in der Herausgeberschaft.  Das Buch ist ein Standardwerk der Politikwissenschaft.” So resümiert Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen nach der Lektüre des von Julia Schwanholz und Patrick Theiner herausgegebenen Bandes “Die politische Architektur deutscher Parlamente. Von Häusern, Schlössern und Palästen.” Bei diesem Buch kommen nicht nur Parlamentarismus-Forscher auf ihre Kosten. Auch darüber hinaus ist der Band relevant und eröffnet Perspektiven zum politischen System Deutschlands.

Demokratien mit einem funktionierenden Parteienwettbewerb haben enormes Potential. Demokratien legitimieren sich durch Kommunikation, die Politik und Entscheidungsprozesse öffentlich macht. Sie ist das kontinuierliche Bemühen um ein politisches Mandat. Politik ist in unserer Demokratie immer zustimmungsabhängig (Wahlen), begründungsnotwendig (Debatten) und rechenschaftspflichtig (Kontrolle). Die Sprache ist dabei die wichtigste Quelle der Wirksamkeit.

Julia Schwanholz und Patrick Theiner (Hrsg.): Die politische Architektur deutscher Parlamente. Von Häusern, Schlössern und Palästen

Springer VS Verlag, Wiesbaden 2020, 481 Seiten, ISBN: 978-3-658-29330-7, 54,99 Euro

Autor

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs- , Parteien- und Wahlforschung.

 

Demokratien mit einem funktionierenden Parteienwettbewerb haben enormes Potential. Demokratien legitimieren sich durch Kommunikation, die Politik und Entscheidungsprozesse öffentlich macht. Sie ist das kontinuierliche Bemühen um ein politisches Mandat. Politik ist in unserer Demokratie immer zustimmungsabhängig (Wahlen), begründungsnotwendig (Debatten) und rechenschaftspflichtig (Kontrolle). Die Sprache ist dabei die wichtigste Quelle der Wirksamkeit. Sowohl Worte als auch – in Zeiten von Instagram – Bilder sind Taten. Sprachgewinn bedeutet Machtgewinn. Politische Entscheidungen bedürfen in der Demokratie einer öffentlichen Rechtfertigung. Das bringt nicht nur die Mediensysteme, sondern auch die Parlamente systematisch in Stellung. In der Corona-Krise konnten wir zuletzt erleben, wie nach der Stunde der Exekutive im Katastrophen-Modus die Stunde der Legislative schlug. Dabei stand nicht nur die Parteiendifferenz kommunikativ im Zentrum, sondern die Übersetzung der Regierungsverordnungen in Prozesse der parlamentarischen Mitsteuerung. Politiker retteten Leben. Parlamente unterstützten das Primat der Politik.

Um ihre wichtigen Aufgaben wahrzunehmen, tagten sie im Bund und in den Ländern in Corona-adäquaten Größenordnungen. Einige wichen in größere Mehrzweckhallen aus, um alle Parlamentarier in einem Raum zu bekommen und Sicherheitsabstände zu wahren. Die Architektur und Innenausstattung wurden zum Maßstab der Parlaments-Debatten. Ob und wie sich dadurch parlamentarische Prozesse veränderten ist noch nicht untersucht.

Wenn man die fast 500 Seiten des von den Politikwissenschaftlern Julia Schwanholz und Patrick Theiner herausgebenen Konzeptionsbandes liest, kommt man unweigerlich auf solche Nachfragen. Mit dem präzisen Lektorat von Jan Treibel ist ein ganz außergewöhnliches Forschungsprojekt zum Abschluss gekommen. Das Buch schließt ganz wichtige Lücken der Parlamentarismusforschung. Das liegt nicht nur an dem sehr hohen Niveau der 24 Beiträge, sondern vor allem an der Fragestellung. Wir wissen aus der Bildungsforschung, wie Lernräume die Wissensaufnahme beeinflussen. Wir wissen aus den Forschungen zu den öffentlichen Räumen, wie die Infrastruktur zum Schlüssel für unser gesellschaftliches Zusammenleben avanciert. Insofern liegt es nahe, nach dem Wechselspiel zwischen Architektur und parlamentarischer Deliberation zu suchen.

Man lernt nicht nur sehr viel über die Entstehung und den Wandel der Bauten in den Bundesländern. Stets bleibt die Fragestellung präsent: Hängt die Qualität unserer Demokratie mit der politischen Architektur zusammen? Im Gegensatz zu vielen anderen Büchern bleibt diese Leitfrage nicht unbeantwortet. Zudem zieht sie sich durch alle Beiträge. Jede Autorin, jeder Autor wägt ab, was die Geschichte des Parlamentsbaus mit der Qualität von Demokratie zu tun hat.

Ich kann mich als Zeitzeuge noch an die alten, traditionellen Parlamente erinnern, bei denen durchweg die Regierung baulich erhöht, herrschaftlich vorne thronte. Das entsprach nicht nur dem Verständnis von Gewaltenteilung, sondern auch politisch-kulturell obrigkeitsstaatlichen Assoziationen. Mit den neuen, durchweg runden, glasbebauten Parlamenten rückt die parlamentarische Mitsteuerung und die dialogbestimmte Kommunikationserwartung ebenso ins Zentrum, wie das partizipativ getriebene Abschleifen hoheitlicher Regierungsgebaren.

Seit 20 Jahren erlebe ich an allen Wahlsonntagen sehr unterschiedliche Landtage. Die Entwicklungsrichtung der neueren Bauten ist augenscheinlich ähnlich. Dennoch bleibt die Divergenz atemberaubend. Sie ist Ausdruck von gewollter Heterogenität. Und wir wissen heute, dass Zukunftsfähigkeit mit Vielfalt unmittelbar zusammenhängt. Die Unterschiedlichkeit von Architektur macht Demokratieerlebnisse erfahrbar. Klaus von Beyme, der sich schon vor Jahrzehnten als Parlamentarismusforscher der Architektur annahm, macht durch komparative Momente deutlich, welche deutschen Sonderwege vorliegen. Die Grundpfeiler – Demokratie, Öffentlichkeit, Parlament – führen in Deutschland, abweichend von anderen Ländern, zu einer besonderen Architektur.

Fotos und Bilder reichern die Texte sinnvoll an. Leider fehlt ein Blick ins Innere des bayerischen Landtags. Alle anderen werden präsentiert. Bildet sich hier auch eine Sonderrolle wieder ab?

Man lernt unendlich viel über das politische System in Deutschland. Deshalb ist die Lektüre nicht nur für Parlamentarismus-Forscher relevant, sondern weit darüber hinaus. Viel Arbeit steckt in den Beiträgen und in der Herausgeberschaft.  Das Buch ist ein Standardwerk der Politikwissenschaft. Eine breite Rezeption ist ihm zu wünschen!

Zitationshinweis:

Korte, Karl-Rudolf (2020): Julia Schwanholz und Patrick Theiner (Hrsg.): Die politische Architektur deutscher Parlamente. Von Häusern, Schlössern und Palästen, Rezension, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/julia-schwanholz-und-patrick-theiner-hrsg-die-politische-architektur-deutscher-parlamente-von-haeusern-schloessern-und-palaesten/

 

This work by Karl-Rudolf Korte is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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