Neue innerparteiliche Konflikte in der LINKEN und Wagenknechts Bewegung aufstehen

© Christian Hüller

Dr. Hendrik Träger von der Universität Leipzig bilanziert, dass sich die LINKE mehr als elf Jahre nach ihrer Gründung wieder in einer konfliktreichen Situation befindet. Neben dem parteiinternen Konflikt um die Positionierung in der Migrations- und Asylpolitik und anstehenden Landtagswahlen könnte Wagenknechts Sammlungsbewegung aufstehen zur weiteren Fragmentierung des linken Lagers beitragen. Auch die erheblichen Verluste von Wählern an die AfD stürzen die LINKEN in ein strategisches Dilemma.

Die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse in der LINKEN werden häufig durch Konflikte zwischen den Parteiflügeln beziehungsweise den beiden großen Strömungen – den ‚Reformern‘ einerseits und den ‚Orthodoxen‘ andererseits – geprägt. Daraus resultiert die Aufgabe, die „unterschiedliche[n] Ambitionen und Rivalitäten so zu managen, dass es keine für die Partei zerstörerischen Folgen haben wird“. Dies schien der seit 2012 amtierenden Parteiführung um Katja Kipping und Bernd Riexinger zunächst zu gelingen. Allerdings brachen die Konflikte innerhalb der LINKEN in den vergangenen Monaten wieder auf und gewannen zuletzt erheblich an Schärfe: Im November 2018 wurden sogar „Rufe nach Wagenknechts Rücktritt laut“.

Neue innerparteiliche Konflikte in der LINKEN und Wagenknechts Bewegung aufstehen 

Reaktionen auf den Aufstieg der AfD1

Autor

Dr. Hendrik Träger arbeitet als Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Politikwissenschaft der Universität Leipzig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Parteien, Wahlen und Koalitionen auf Landes- und Bundesebene sowie der Föderalismus in Deutschland.

Einleitung

Die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse in der LINKEN werden häufig durch Konflikte zwischen den Parteiflügeln beziehungsweise den beiden großen Strömungen – den ‚Reformern‘ einerseits und den ‚Orthodoxen‘ andererseits – geprägt. Daraus resultiert die Aufgabe, die „unterschiedliche[n] Ambitionen und Rivalitäten so zu managen, dass es keine für die Partei zerstörerischen Folgen haben wird“ (Oppelland & Träger 2014, S. 232). Dies schien der seit 2012 amtierenden Parteiführung um Katja Kipping und Bernd Riexinger zunächst zu gelingen. Allerdings brachen die Konflikte innerhalb der LINKEN in den vergangenen Monaten wieder auf und gewannen zuletzt erheblich an Schärfe: Im November 2018 wurden sogar „Rufe nach Wagenknechts Rücktritt laut“ (Niewendick 2018). Der brandenburgische Bundestagsabgeordnete Thomas Nord, der bis Juni 2018 Schatzmeister der Bundespartei gewesen ist, übte deutliche Kritik an Sahra Wagenknecht und stellte seinen Rückzug aus der Fraktion in Aussicht (vgl. Meisner 2018). Wagenknecht gehörte lange Zeit der ‚Kommunistischen Plattform‘ an und war die prominestete Vertreterin der ‚Orthodoxen‘. Inzwischen gilt die einstige „Vorzeigekommunistin“ (Jesse & Lang 2012, S. 361) allerdings geradezu als Rechtsauslegerin der LINKEN, denn vor allem mit ihren asyl- und migrationspolitischen Positionen befindet sich Wagenknecht aus Sicht ihrer innerparteilichen Kritikerinnen und Kritiker an der Grenze zum (rechts-)konservativen Spektrum und „zu einem Populismus (…), der frösteln lässt“ (Hujer 2017, S. 35). Der offene Konflikt zwischen den parteiinternen Lagern wurde auf dem Leipziger Bundesparteitag im Juni 2018 besonders deutlich, als Wagenknechts Rede auf heftige Kritik stieß (s.u.). Nur wenige Wochen später sorgte die Bundestagsfraktionsvorsitzende mit der maßgeblich unter ihrer Federführung gegründeten Bewegung aufstehen, die von der LINKEN „wie ein frisch geschlüpftes rotes Alien“ (Abé & Lehmann 2018, S. 42) beäugt wird, erneut für Aufsehen. Die Partei ist sich unschlüssig, wie sie auf dieses parteiübergreifend angelegte Projekt reagieren soll.

Aufgrund ihrer Bedeutung für den gegenwärtigen Zustand und die weitere Entwicklung der LINKEN werden in dem vorliegenden Paper am Beispiel der Debatten auf dem Leipziger Bundesparteitag (Kapitel 3) und der Bewegung aufstehen (Kapitel 4) die neuen innerparteilichen Konflikte herausgearbeitet und nach den Ursachen gefragt. Für den letzten Punkt ist es wichtig, als Erstes die aktuellen Rahmenbedingungen für die Linkssozialisten zu beschreiben (Kapitel 2).

Modifizierte Rahmenbedingungen für DIE LINKE

Seit Beginn des Jahrzehnts war beziehungsweise ist DIE LINKE hauptsächlich mit zwei großen Herausforderungen konfrontiert, wobei zwischen dem modifizierten Personaltableau einerseits und dem vor allem durch die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung begünstigenden Auftreten der AfD als neue Konkurrenz andererseits – also zwischen internen und externen Faktoren – differenziert werden kann:

Mit Lothar Bisky, Oskar Lafontaine und Gregor Gysi zogen sich die drei „großen Integrations- und Galionsfiguren der LINKEN“ (Oppelland & Träger 2014, S. 232) allmählich aus ihren Ämtern zurück. Nachdem sie in die saarländische Landespolitik zurückgekehrt respektive in das Europäische Parlament gewechselt waren, kandidierten Lafontaine und Bisky 2010 nicht wieder für die Ämter als Vorsitzende. Mit Bisky verloren die Linkssozialisten ihren „große[n] Harmonisierer“ (Lorenz 2007, S. 283). Nach einem kurzen Intermezzo mit Gesine Lötzsch und Klaus Ernst wur­den auf dem extrem umkämpften Göttinger Parteitag im Juni 2012 Katja Kipping und Bernd Riexinger an die Spitze der LINKEN gewählt (vgl. Oppelland & Träger 2014, S. 87-90). Den beiden Parteivorsitzenden steht seit Herbst 2015, als Gysi die Führung der Bundestagsfraktion an Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch übergeben hat, ein Machtzentrum mit zwei über die Grenzen der Linken hinaus bekannten Protagonisten gegenüber. Die als „wortgewandte, zuspitzende Diskutantin“ (Jesse & Lang 2012, S. 361) geltende Wagenknecht hat inzwischen ähnliche Beliebtheitswerte wie ihr Vorgänger (vgl. Hilmer & Gagné 2018, S. 399). Die große Popularität der Fraktionsvorsitzenden trägt dazu bei, dass die Autorität der Parteiführung offenbar nicht groß genug ist, um innerparteiliche Konflikte zu lösen. Infolgedessen lässt sich einer der drei klassischen Modi2 für die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse in der LINKEN kaum noch nutzen, weshalb nur noch ein offener Konflikt und ein von den Parteiflügeln ausgehandelter Kompromiss übrigbleiben (vgl. Oppelland & Träger 2012, S. 193f.).

Neben den tiefgreifenden Veränderungen beim Führungspersonal stellt die 2013 gegründete ‚Al­ternative für Deutschland‘ (AfD), die mittlerweile die stärkste Oppositionspartei im Bundestag ist und allen 16 Landesparlamenten angehört, die zweite große Herausforderung für DIE LINKE dar. Obgleich die beiden Parteien an den entgegengesetzten Polen des Parteiensystems zu verorten sind, hat sich die AfD auch für Die Linkezu einer ernstzunehmenden Konkurrenz entwickelt. Bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 wechselten 340.000 beziehungsweise 400.000 Wählerinnen und Wähler – „vornehmlich im Osten“ (Hilmer & Gagné 2018, S. 395) – von den Linkssozialisten zu den Rechtspopulisten. „Die Protestwähler aus den Reihen der Partei DIE LINKE, die mittlerweile als etabliert gilt, jedenfalls in den neuen Bundesländern, sahen eine Alternative in der AfD“, erklärt Eckhard Jesse (2018, S. 185) diese auf den ersten Blick überraschende Wählerwanderung. Ebenso wie im September 2017 verlor DIE LINKE bei elf der 13 einschlägigen Landtagswahlen seit 2014 an keine andere Partei so viele Stimmen wie an die AfD. Im Saarland und in den ostdeutschen Flächenländern gelang es ihr – anders als im Westen der Republik und in Berlin – nicht, die Verluste an die AfD durch Gewinne von den anderen Parteien und aus dem Nichtwählerlager soweit auszugleichen, um die Stimmenanteile zumindest halbwegs stabil halten zu können (siehe Abbildung 1).3

Abbildung 1: Landtagswahlen mit Beteiligung der AfD (2013-2018); Bemerkung: Die genauen Zahlen und weitere Informationen sind in Tabelle A1 im Anhang zusammengestellt. Quelle: Eigene Darstellung.

Neue innerparteiliche Konflikte am Beispiel des Leipziger Bundesparteitags

Die erheblichen Verluste an die AfD bringen DIE LINKE in ein strategisches Dilemma. Die Partei muss sich entscheiden, ob sie diejenigen, die vor allem aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik der etablierten Parteien für die AfD votieren, zurückgewinnen will und dafür unter anderem ihre asyl- und migrationspolitischen Positionen entsprechend modifiziert oder, ob sie ihre bisherige Politik beibehält und damit auf Teile ihrer früheren Wählerschaft verzichtet.

In ihrem Programm zur Bundestagswahl 2017 bezogen die Linkssozialisten einen klassisch linken Standpunkt und setzten sich für „eine humane und offene Flüchtlingspolitik auf deutscher wie europäischer Ebene“ (DIE LINKE 2017, S. 116) ein. Diese Ausrichtung ist innerhalb der Partei keineswegs unumstritten. Bereits im März 2016 kritisierte Sahra Wagenknecht, die seinerzeit – neben Dietmar Bartsch – Oppositionsführerin im Bundestag war, die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und erklärte, „dass Kapazitäten nicht unbegrenzt sind“ (Wagenknecht 2016). An ihrer Haltung änderte die Fraktionsvorsitzende kaum etwas; vielmehr vertritt sie diese dezidiert weiter. Einen Tag vor dem Leipziger Bundesparteitag erschien in der ‚Zeit‘ ein Gastbeitrag, den Wagenknecht gemeinsam mit dem Dramaturg Bernd Stegemann geschrieben hatte; die Autoren warfen letztlich auch der Linkeneine „Doppelmoral“ (Stegemann & Wagenknecht 2018) in der Flüchtlingspolitik beziehungsweise beim Umgang mit der AfD vor.

In dieser Situation trafen sich die Delegierten zum ersten Mal seit der Bundestagswahl 2017 und diskutierten auch über die asyl- und migrationspolitischen Positionen. Der vom Parteivorstand eingebrachte Leitantrag, dem mit großer Mehrheit zugestimmt wurde, enthielt einige Passagen zur Flüchtlingspolitik. So will sich DIE LINKE (2018) für „sichere, legale Fluchtwege, offene Grenzen und ein menschenwürdiges System der Aufnahme von Geflüchteten und einen Lastenausgleich in Europa“ sowie für „eine Initiative zur Legalisierung von illegalisierten Menschen“ einsetzen. Außerdem sollen „Fluchtursachen bekämpf[t]“ sowie „das Sterben im Mittelmeer und an den europäischen Außengrenzen beende[t]“ werden. Abschiebungen lehnen die Linkssozialisten ausdrücklich ab. Dieser Punkt wurde erst auf Antrag des innerparteilichen Zusammenschlusses ‚Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog‘, der auf dem Parteiflügel der ‚Orthodoxen‘ – also im früheren Lager von Sahra Wagenknecht – zu verorten ist,4 in den Text integriert.

Mit dem Beschluss des Leitantrages können sich die Linkssozialisten durchaus als „das Kontrastprogramm zur AfD“, wie es Katja Kipping (2018b) in ihrer Parteitagsrede ausdrückte, positionieren. Allerdings ist der Streit innerhalb der Linkenkeineswegs beigelegt, wie spätestens bei der Rede von Sahra Wagenknecht deutlich wurde. Die Fraktionsvorsitzende erntete sowohl ‚Buh‘-Rufe als auch Applaus. Anschließend diskutierten die Delegierten – abweichend von der Tagesordnung – eine Stunde lang über die Rede, in der Wagenknecht ihren Standpunkt in der Flüchtlingspolitik verteidigt hatte. Kritische Stimme wie die Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach warfen ihrer Genossin vor, „keine Debatten zuzulassen und die Positionen der Partei zu ignorieren“ (tagesschau.de 2018).

Noch wichtiger als die inhaltlichen Unterschiede in der Asyl- und Migrationspolitik ist langfristig für Die Linkeder innerparteiliche Umgang, den Wagenknecht (2018a) in ihrer Rede kritisierte:

„Ich erwarte auch nicht, dass alle meine Meinung teilen. Natürlich nicht. Aber was ich erwarte, ist eine solidarische Diskussion. Und wenn mir und anderen Genossinnen und Genossen aus den eigenen Reihen Nationalismus, Rassismus und AfD-Nähe vorgeworfen wird oder wenn unterstellt wird, wir würden vor dem rechten Zeitgeist einknicken, dann ist das das Gegenteil einer solidarischen Debatte!

Ich meine, von AfD light war die Rede, Übernahme von AfD-Positionen. Man muss sich doch mal darüber im Klaren sein, was man damit eigentlich sagt: Damit rückt man Genossinnen und Genossen unserer Partei in die Nähe von Alexander Gauland“.

An diesen Formulierungen und insgesamt am Verlauf des Leipziger Bundesparteitages werden zwei Punkte deutlich: Zum einen sind die Differenzen in Sachfragen so groß, dass ein Kompromiss schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist. Zum anderen beeinflussen die AfD als politische Konkurrentin und die unterstellte Nähe zu inhaltlichen Positionen der Rechtspopulisten die Debattenkultur in der LINKEN. Dass sich daran auf absehbare Zeit etwas Substanzielles ändert, scheint gegenwärtig unwahrscheinlich.

Wagenknechts Sammlungsbewegung aufstehen

Trotz der neuen Konkurrenz durch die AfD waren die Linkssozialisten in den letzten Jahren durchaus erfolgreich. So stellen sie seit 2014 mit Bodo Ramelow in Thüringen zum ersten Mal den Ministerpräsidenten eines Bundeslandes und sind seit der Berliner Abgeordnetenhauswahl 2016 erstmals gleichzeitig an drei Landesregierungen beteiligt. Diese Erfolge dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sowohl auf der Landes- als auch auf der Bundesebene zahlreiche Möglichkeiten zur Bildung von Mitte-Links-Koalitionen aus unterschiedlichen Gründen nicht genutzt wurden (vgl. Oppelland & Träger 2014 und 2016). In Sachsen-Anhalt, Hessen und dem Saarland sind im Gegensatz zur jeweils letzten Legislaturperiode keine Regierungen mit Beteiligung der LINKEN mehr rechnerisch möglich. Gleiches gilt seit 2017 für die Bundesebene (siehe Tabelle A1 im Anhang).

Die fehlenden Gelegenheiten zur aktiven Mitgestaltung von politischen Entscheidungen, die inhaltlichen Differenzen in der eigenen Partei sowie der überraschende Erfolg von Jean-Luc Mélenchon mit seiner Bewegung ‚La France insoumise‘ bei der französischen Präsidentschaftswahl 2017 bestärkten Sahra Wagenknecht (2018b, S. 31) offenbar in ihrem Streben nach „eine[r] starke[n] linke[n] Volkspartei“. Im Januar 2018 erklärte die Fraktionsvorsitzende, dass ein solches Projekt nur funktionieren könne, „wenn prominente Persönlichkeiten mitmachen, die den Menschen die Hoffnung zurückgeben, dass sich politisch etwas in ihrem Sinne bewegt“ (ebd.).

Einem solchen Vorhaben stehen prominente Repräsentanten der Linken kritisch bis ablehnend gegenüber: Wagenknechts Ko-Vorsitzender an der Spitze der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, gibt zu bedenken, „dass Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht nicht zwingend für die Zusammenführung von Linken stehen“ (zit. nach FAZ 2018). Mit dem Thüringer Staatskanzleichef Benjamin Hoff meldete sich ein weiterer ‚Reformer‘ zu Wort und charakterisierte die Sammlungsbewegung als „antiaufklärerisch“ (zit. nach FAZ 2018).5 Auch die Parteivorsitzende Katja Kipping (2018a, S. 5) kann dem Projekt nur wenig abgewinnen, weshalb sie vor einer Spaltung des eigenen Lagers warnte und empfahl, „die Linke weiter als Partei in Bewegung auf[zu]stellen.“ Allerdings wusste die Parteiführung nicht genau, wie sie auf das Projekt der populären Konkurrentin an der Fraktionsspitze reagieren sollte. Auf dem Leipziger Bundesparteitag wurde ein Leitantrag beschlossen, in dem DIE LINKE (2018) erklärte, dass „Partei und Bewegung (…) kein Gegensatz“ seien und sich selbst als „Partei in Bewegung“ charakterisierte. Damit positionierten sich die Linkssozialisten zumindest indirekt zu dem Vorhaben von Wagenknecht, eine linke Sammlungsbewegung zu gründen. Eine offene Konfrontation wurde aber vermieden, denn sie hätte die Partei in erhebliche Turbulenzen gestürzt und in letzter Konsequenz sogar zum offenen Bruch führen können. Ein solches Szenario, das die politische Zukunft der LINKEN in ihrer bisherigen Form zur Disposition stellen würde, wollten die Akteure offenbar verhindern.

In dieser unklaren Situation konnte Wagenknecht hinter den Kulissen ihr Projekt vorbereiten und am 4. September 2018 die überparteilich angelegte Sammlungsbewegung aufstehen präsentieren. Unter den Mit-Initiatoren beziehungsweise Unterstützern sind einige Politikerinnen und Politiker aus den Reihen von SPD, LINKEN und GRÜNEN. Die überregional bekanntesten sind neben Wagenknecht die Bundestagsabgeordneten Marco Bülow (SPD) und Sevim Dagdelen (DIE LINKE), die Kieler Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD) sowie der ehemalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, und die frühere Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (beide Bündnis 90/Die Grünen) genannt. Neben den Politikern gehören auch Kulturschaffende wie der Dramaturg Bernd Stegemann, der Liedermacher Konstantin Wecker, die Sängerin Nina Hagen und die Kabarettistin Lisa Fitz sowie Wissenschaftler wie der Soziologe Wolfgang Streeck, der bis zu seiner Emeritierung Direktor des renommierten ‚Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung‘ in Köln war, zum Unterstützerkreis (vgl. aufstehen 2018d).An diesem breiten Personaltableau werden der Charakter als Sammlungsbewegung und der Anspruch von Überparteilichkeit von aufstehen ebenso deutlich wie an der Tatsache, dass an der ersten Pressekonferenz neben Wagenknecht die Sozialdemokratin Lange und der Grüne Volmer sowie der Schauspieler Stegemann, der auch als Vorstand des Trägervereins fungiert, teilnahmen.

Bereits einen Monat vor der offiziellen Gründung war im August 2018 ein Internetauftritt freigeschaltet worden, auf dem sich Unterstützer registrieren lassen konnten. Diese Möglichkeit nutzten mehr als 100.000 Interessenten, obgleich über das Projekt zunächst noch wenig bekannt war. Anfang August sprach Wagenknecht (2018c, S. 25) etwas kryptisch von einem „Angebot für alle, die mit der herrschenden Politik unzufrieden sind und sich eine Erneuerung des Sozialstaats und eine friedliche Außenpolitik wünschen“.

In dem Gründungsaufruf, der mit den Worten „Gemeinsam für ein gerechtes Land in einem gerechten Europa! Miteinander für eine bessere Welt! Dafür lasst uns aufstehen!“ (aufstehen 2018a) endet, werden eine neue Friedenspolitik, sichere Arbeitsplätze, naturverträgliches Wirtschaften, das Rückgängigmachen von Privatisierungen, „[e]xzellente Bildung für alle“, die Rettung der Demokratie und „Sicherheit im Alltag“ angesprochen. Angesichts der heftigen Debatte in der Linkenist es überraschend, dass das Papier kaum etwas zur Asyl- und Migrationspolitik enthält. Es ist nicht auszuschließen, dass auch in der Sammlungsbewegung Kontroversen wegen diesem Politikfeld entstehen können.

Das wird auch von dem Arbeitsausschuss abhängen, der gegründet wurde, um strategische Fragen zu besprechen sowie politische und organisatorische Entscheidungen vorzubereiten. Bis zum Jahresende sollen entsprechende Vorschläge unterbreitet werden (vgl. aufstehen 2018c). Klären müsste die Sammlungsbewegung, wie diese lose Formation, die weder in Parlamenten sitzt noch an Regierungen beteiligt ist, ihre inhaltlichen Positionen umsetzen will. Gegenwärtig stellt sich die Frage, warum aufstehen etwas gelingen sollte, was drei etablierten Parteien mit Regierungsverantwortung in einigen Ländern – und im Falle der SPD auch auf der Bundesebene – bisher nicht geglückt ist. Auch dafür müsste der Arbeitsausschuss noch genaue Konzepte vorlegen. Die Gründung einer neuen Partei könnte die Parteienlandschaft links der Mitte noch stärker fragmentieren und würde damit keineswegs zwangsläufig für eine politisch nutzbare Mehrheit in den Parlamenten sorgen.

Für Probleme könnten – neben Auseinandersetzungen mit der jeweils eigenen Partei6 – die Einbindung der bisher in losen Gruppen auf lokaler beziehungsweise regionaler Ebene7 organisierten Unterstützerinnen und Unterstützer in den Willensbildungs- und Entscheidungsprozess sowie die Prominenz von Sahra Wagenknecht sorgen: Erstens ist gegenwärtig noch unklar, inwieweit sich die Unterstützerinnen und Unterstützer engagieren wollen und auf welche Weise das bei aufstehen möglich sein wird. Zweitens fungiert die Fraktionsvorsitzende der LINKEN aufgrund ihres hohen Bekanntheitsgrades gewollt oder ungewollt als das Aushängeschild von aufstehen. Das könnte langfristig zu Zweifeln an der Überparteilichkeit der Sammlungsbewegung führen. Es lässt also nicht ausschließen, dass Wagenknecht dem Erfolg ihrer eigenen Sammlungsbewegung im Wege steht.

Fazit

Mehr als elf Jahre nach Gründung der LINKEN befindet sich die Partei erneut in einer schwierigen Situation. Sollten die Differenzen und Rivalitäten zwischen den Flügeln und Strömungen größer werden, könnte das für die Partei schwerwiegende, gegebenenfalls sogar existenzgefährdende Folgen haben. Um wieder in ruhigeres Fahrwasser zu gelangen, müssen einige strategische Fragen geklärt werden. Nach dem Leipziger Parteitag sieht es so aus, als würden die Linkssozialisten ihre Positionen in der Asyl- und Migrationspolitik beibehalten und dafür in Kauf nehmen, dass große Teile der Wählergruppen, die in den letzten Jahren zur AfD gewechselt sind, auf absehbare Zeit verloren bleiben beziehungsweise weitere Wählerinnen und Wähler folgen. In diesem Zusammenhang werden aller Voraussicht nach – neben der Europawahl im Mai 2019 – die im September beziehungsweise im Oktober anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, bei denen Die LINKE zwei ihrer drei Regierungsbeteiligungen verteidigen muss, eine wichtige Rolle spielen. Wenn die Partei in den drei ost­deutschen Ländern erhebliche Verluste zugunsten der AfD verkraften muss, dürfte die Strategie gegenüber den Rechtspopulisten als Alternative für die Protestwähler noch stärker in den Fokus rücken.

Ein zweiter Faktor, der für die Zukunft der LINKEN wichtig sein wird, ist die Entwicklung der Sammlungsbewegung aufstehen. Sollte es in letzter Konsequenz zu einem Bruch zwischen Sahra Wagenknecht und ihrer Partei kommen und aus aufstehen eine neue Partei werden, dürfte das erhebliche Auswirkungen auf die Stabilität der LINKEN haben. Trotz aller inhaltlicher Differenzen zwischen der Fraktionsvorsitzenden und ihrer Partei sollte nicht vergessen werden, dass Wagenknecht ein medienwirksames Zugpferd mit hohen Popularitätswerten und eloquentem Auftreten in Talkshows ist. Ein adäquater Ersatz in der Linkenist zumindest gegenwärtig nicht zu erkennen.

Aber auch über die Grenzen der LINKEN hinaus könnte aufstehen die Zukunft des gesamten Parteiensystems erheblich beeinflussen. Sollte im Mitte-Links-Spektrum eine weitere Partei hinzukommen, dann wäre das noch keineswegs ein Garant für entsprechende Mehrheiten in den Parlamenten. Wie am Beispiel der Gründung der LINKEN selbst deutlich wird, können durch eine Fragmentierung des eigenen Lagers neue Probleme entstehen.

Anhang

Tabelle A1: Landtags-, Bundetags- und Europawahlen seit 2007

* In der Spalte „Regierungsbildung?“ ist angegeben, ob nach den Wahlen rechnerisch minimal winning-Koalitionen mit Beteiligung der LINKEN möglichen waren und ob entsprechende Koalitionen gebildet wurden.
Quelle: Eigene Darstellung nach Informationen der jeweils zuständigen Wahlleiter/innen und auf der Basis von Wahltags-befragungen von ´infratest dimap` (siehe https://wahl.tagesschau.de/wahlen/chronologie/chronologie.shtml).

Literatur:

Abé, Nicola/ Timo Lehmann (2018): Frisch geschlüpft, in: Der Spiegel, Nr. 39, S. 42-43.

aufstehen (2018a): Gründungsaufruf, https://www.aufstehen.de/gruendungsaufruf/ (letzter Zugriff: 19.11.2018).

aufstehen (2018b): Gruppen, https://www.aufstehen.de/gruppen/ (letzter Zugriff: 19.11.2018).

aufstehen (2018c): Teams,https://www.aufstehen.de/teams/ (letzter Zugriff: 19.11.2018).

aufstehen (2018d): Unterstützer, https://www.aufstehen.de/unterstuetzer/ (letzter Zugriff: 19.11. 2018).

Barley, Katarina/ Benjamin Hoff/ Michael Kellner (2018): Wer aufsteht, muss auch vorwärts gehen, https://causa.tagesspiegel.de/politik/ist-die-zeit-reif-fuer-eine-linke-sammlungsbewegung/wer-aufsteht-muss-auch-vorwaerts-gehen.html (letzter Zugriff: 19.11.2018).

DIE LINKE (2017): Sozial. Gerecht. Frieden. Für alle (Bundestagswahlprogramm 2017), https://www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2017/wahlprogramm2017/die_linke_wahlprogramm_2017.pdf (letzter Zugriff: 19.11.2018).

DIE LINKE (2018): DIE LINKE – Partei in Bewegung. Beschluss der 1. Tagung des 6. Parteitages der Partei DIE LINKE vom 8. bis 10. Juni 3028 in Leipzig, https://www.die-linke.de/partei/parteistruktur/parteitag/leipziger-parteitag-2018/news-default-detailseite/news/die-linke-partei-in-bewegung-1/ (letzter Zugriff: 19.11. 2018).

FAZ (2018): Führende Linkspolitiker grenzen sich von Wagenknecht ab, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/fuehrende-politiker-der-linkspartei-haben-sich-von-wagenknecht-distanziert-15745037.html (letzter Zugriff: 19.11.2018).

Hilmer, Richard/ Jérémie Gagné (2018): Die Bundestagswahl 2017: GroKo IV – ohne Alternative für Deutschland, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 49. Jg., H. 2, S. 372-406.

Hujer, Marc (2017): Linksverkehr, in: Der Spiegel, Nr. 30, S. 32-36.

Jesse, Eckhard (2018): Die Bundestagswahl 2017 und die Regierungsbildung. Zäsur im Wahlverhalten, im Parteiensystem und in der Koalitionsbildung, in: Zeitschrift für Politik, 65. Jg., H. 2, S. 168-194.

Jesse, Eckhard/ Jürgen P. Lang (2012): DIE LINKE – eine gescheiterte Partei?, München: Olzog.

Kipping, Katja (2018a): „Eine weitere linke Partei spaltet das fortschrittliche Lager“ (Interview), in: Leipziger Volkszeitung vom 14./15.04.2018, S. 5.

Kipping, Katja (2018b): Zukunft, wir kommen! (Rede auf dem Leipziger Parteitag), https://www.die-linke.de/partei/parteistruktur/parteitag/leipziger-parteitag-2018/news-default-detailseite/news/zukunft-wir-kommen/ (letzter Zugriff: 19.11.2018).

Lorenz, Robert (2007): Techniker der „kalten Fusion“. Das Führungspersonal der Linkspartei, in: Tim Spier/ Felix Butzlafff/ Matthias Micus/ Franz Walter (Hrsg.): Die Linkspartei. Zeitgemäße Idee oder Bündnis ohne Zukunft?, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 275-323.

Meisner, Matthias (2018): Linken-Politiker Nord stellt sich offen gegen Wagenknecht, https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlingspolitik-linken-politiker-nord-stellt-sich-offen-gegen-wagenknecht/23586226.html (letzter Zugriff: 19.11.2018).

Niewendick, Martin (2018): In der Linken werden Rufe nach Wagenknechts Rücktritt laut, https://www.welt.de/politik/deutschland/article183457544/Streit-ueber-Fraktionschefin-In-der-Linken-werden-Rufe-nach-Wagenknechts-Ruecktritt-laut.html (letzter Zugriff: 19.11.2018).

Oppelland, Torsten/ Hendrik Träger (2012): Die Linke. Die Macht der innerparteilichen Zusammenschlüsse, in: Karl-Rudolf Korte/ Jan Schoofs (Hrsg.): Wie entscheiden Parteien? Prozesse innerparteilicher Willensbildung in Deutschland (= ZPol-Sonderband 2012), Baden-Baden: Nomos, S. 189-217.

Oppelland, Torsten/ Hendrik Träger (2014): Die Linke. Willensbildung in einer ideologisch zerstrittenen Partei, Baden-Baden: Nomos.

Oppelland, Torsten/ Hendrik Träger (2016): Ein neuer Koalitionstyp: Voraussetzungen für rot-rote bzw. rot-rot-grüne Koalitionen unter Führung der Linken auf Landesebene, in: Zeitschrift für Politik, 63. Jg., H. 1, S. 24-44.

Stegemann, Bernd/ Sahra Wagenknecht (2018): Von linker Moral und neoliberalen Interessen, https://www.zeit.de/2018/24/linke-sammlungsbewegung-sahra-wagenknecht-populismus/komplettansicht (letzter Zugriff: 19.11.2018).

tagesschau.de (2018): Wagenknecht-Rede sorgt für Turbulenzen, https://www.tagesschau.de/inland/linkspartei-173.html (letzter Zugriff: 19.11.2018).

Wagenknecht, Sahra (2016): „Merkel verantwortet schlimmsten Rechtsruck nach 1945“ (Interview), https://www.welt.de/politik/deutschland/article153550410/Merkel-verantwortet-schlimmsten-Rechtsruck-nach-1945.html (letzter Zugriff: 01.11.2018).

Wagenknecht, Sahra (2018a): Dieses Land verändern (Rede auf dem Leipziger Parteitag), https://www.die-linke.de/start/news-default-detailseite///dieses-land-veraendern/ (letzter Zugriff: 12.11.2018).

Wagenknecht, Sahra (2018b): „Ich wünsche mir eine linke Volkspartei“ (Interview), in: Der Spiegel, Nr. 3, S. 31.

Wagenknecht, Sahra (2018c): Linker Zeitgeist (Interview), in: Der Spiegel, Nr. 32, S. 25.

Zitationshinweis:

Träger, Hendrik (2018): Neue innerparteiliche Konflikte in der LINKEN und Wagenknechts Bewegung aufstehen, Reaktionen auf den Aufstieg der AfD, Kurzanalyse, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online verfügbar: https://regierungsforschung.de/neue-innerparteiliche-konflikte-in-der-linken-und-wagenknechts-bewegung-aufstehen/

 

  1. Der Verfasser dankt Torsten Oppelland (Universität Jena) für seine hilfreichen Kommentaren und Anregungen zu einer älteren Fassung des Manuskripts. []
  2. Die drei Modi, die sich am Beispiel der LINKEN beobachten lassen, sind (1) „der  offene Konflikt zwischen den (…) Parteiströmungen und -zusammenschlüssen über zentrale weltanschauliche Fragen“ (Oppelland & Träger 2012, S. 193), (2) „eine von der Führung dominierte Willensbildung“ (ebd., S. 194) und (3) „ein von Verhandlungen zwischen den Parteiflügeln geprägter Willensbildungsprozess, in dem die Führung sich auf eine Moderatorenrolle beschränkt“ (ebd.). []
  3. Zwar war mancherorts bereits vor 2013 ein Rückgang der Wahlergebnisse zu konstatieren, allerdings war die Dimension damals eine andere. Außerdem lassen sich die Verluste bei den westdeutschen Landtagswahlen in Jahren 2012 und 2013 auch damit begründen, dass DIE LINKE damals aufgrund der sehr guten Wahlergebnisse in den ersten Jahren nach der Parteigründung von einem außergewöhnlich hohen Niveau kommend in die Abstimmungen ging (siehe Tabelle A1 im Anhang). []
  4. Für detaillierte Ausführungen über die Strömungen, Zusammenschlüsse und Foren in der LINKEN siehe exemplarisch Oppelland & Träger 2014, S. 111-123. []
  5. Hoff schrieb in einem gemeinsam mit Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) und dem Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Michael Kellner, verfassten Beitrag für den ´Tagesspiegel`: „Wer seine ganze Kraft darauf verwendet, sich selbst und dem linken Lager zu beweisen, der oder die bessere Linke zu sein, vernachlässigt die eigentliche politische Kontroverse mit den Neoliberalen, den Konservativen und den ganz Rechten“ (Barley, Hoff & Kellner 2018). []
  6. Für die Mitglieder von SPD, LINKEN und Grünen dürfte es nicht nur aus moralischen, sondern vor allem aus satzungsrechtlichen Gründen schwierig sein, eine neue Partei zu gründen: „Man kann viele Liebschaften haben, aber nur eine Ehe, und nicht aus einer Ehe heraus die nächste Hochzeit planen“, sagt Katja Kipping (zit. nach Abé & Lehmann 2018, S. 43). []
  7. Für eine detaillierte Übersicht siehe aufstehen 2018c. []

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