Rahmenbedingungen eines E-Voting in Deutschland, der Schweiz und Österreich

Der Beitrag konzentriert sich auf öffentliche Wahlen von privaten Geräten als zusätzliche Option der Stimmabgabe. Als Vorbild fungiert Estland. Hier werden die Abgeordneten seit 2005 via Internet und seit 2011 über Mobiltelefone gewählt. Die Wähler benötigen dazu lediglich einen elektronischen Ausweis, ein Kartenlesegerät und einen Identifikationscode. Bevor der Blick auf Deutschland, die Schweiz und Österreich gelegt wird, muss zunächst das Referenzland erwähnt werden. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, warum ein derart revolutionäres Projekt bislang nur in Estland erfolgreich sein konnte. Insgesamt zeigt sich, dass ein Faktorenbündel Estland auf Platz eins katapultiert hat.

Estland hat als junge Demokratie mit geringer Bevölkerungsdichte, einer eingeschränkten Zahl an Vetoakteuren und hoher Internetaffinität innerhalb der Bevölkerung gute Rahmenbedingungen, um e-Voting erfolgreich zu implementieren. Markus Reiners bilanziert, dass Deutschland, die Schweiz und Österreich schlechtere Ausgangsvorraussetzungen für die erfolgreiche und flächendeckende Einführung des e-Voting bieten.

 

Rahmenbedingungen eines E-Voting in Deutschland, der Schweiz und Österreich

Autor

PD Dr. habil. Markus Reiners ist Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. Er lehrt und forscht unter anderem im Bereich e-Democracy.

Vorbild Estland

Der Beitrag konzentriert sich auf öffentliche Wahlen von privaten Geräten als zusätzliche Option der Stimmabgabe (Buchstein 2004). Als Vorbild fungiert Estland. Hier werden die Abgeordneten seit 2005 via Internet und seit 2011 über Mobiltelefone gewählt. Die Wähler1 benötigen dazu lediglich einen elektronischen Ausweis, ein Kartenlesegerät und einen Identifikationscode (Drechsler 2006; Drechsler/Madise 2004; Madise/Martens 2006). Bevor der Blick auf Deutschland, die Schweiz und Österreich gelegt wird, muss zunächst das Referenzland erwähnt werden. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, warum ein derart revolutionäres Projekt bislang nur in Estland erfolgreich sein konnte. Insgesamt zeigt sich, dass ein Faktorenbündel Estland auf Platz eins katapultiert hat (Reiners 2011, 2017a, 2017b).

Zunächst sind strukturelle Faktoren verantwortlich. Estland ist mit rund 1,32 Mio. Einwohnern ein Land mit eingeschränkter Zahl von Vetoakteuren und einer geringen – hierzu förderlichen – Bevölkerungsdichte mit nur rund 28 Personen pro km² (UN Statistics Divison 2008). Ein zweiter Faktor ist die Internetaffinität der Esten. Bereits 2006 hatten rund 52% einen Internetanschluss und schon 2007 tätigten rund 79% ihre Bankgeschäfte online (Estonian National Electoral Committee 2007). Ferner lag 2015 der Anteil der mobilen Internetnutzer, die online ihre Bankgeschäfte tätigten, bei etwa 93% (Statista 2016a). Zudem wurden 2007 bereits ungefähr 86% der Einkommenssteuererklärungen online eingereicht. Die Bereitschaft Daten online zu transferieren spricht für das Technologievertrauen, das sich sukzessive auf den öffentlichen Sektor übertagen hat. Die Banken gelten dabei als Transmissionsriemen. Ein drittes Argument bezieht sich auf die wenig verflochtenen, kaum institutionalisierten und wenig sakrosankten politischen Strukturen. Bei Estland handelt es sich um eine junge Demokratie. Das kommunistische Erbe wirkte motivierend, es anders zu machen (State Chancellery 2004: 12f.).

Auch spielten legislative Faktoren (Gesetzesneuerungen 1999/2000) eine Rolle. Zum einen wurden die Stimmenauszählung und deren Verarbeitung schon früh digitalisiert. Die zweite Neuerung war die Einführung des elektronischen Ausweises bereits 2002. Dieser hat e-Wahlen durch seine Signatur- und Verschlüsselungstechnologie technisch möglich gemacht. Zudem hat seine Verbreitung vielen die Chance eröffnet online zu wählen, und ferner wirkten dessen viele Anwendungsmöglichkeiten vertrauensbildend (Drechsler/Madise 2004).

Blickt man auf den relativ zügigen Top-down-Prozess und die Akteure, so ist feststellbar, dass die Konfliktstrukturen kohärent und moderat ausgestaltet waren, da die Regierungskoalition und Teile der Opposition ein Ziel verfolgten, nämlich die demokratische Legitimität abzusichern. Auch ist die Vetostruktur, mit nur einer Legislativkammer auf Bundesebene, eher förderlich. Festzustellen ist überdies, dass zur Zeit der Initiierung 2001 die Regierungskoalition aus unterstützenden Parteien bestand, was durch deren Wählerschichten erklärbar ist (Drechsler 2006). Zu registrieren ist jedoch, dass die Regierungen bis zur Implementation 2005 mehrfach wechselten. Es ist daher bemerkenswert, dass das Projekt trotzdem realisiert wurde, weil kritische oder ablehnende Parteien temporär in Koalitionen mitregierten, dies allerdings jeweils nur als Juniorpartner einer dem Projekt aufgeschlossenen Partei. Die Juniorpartner waren daher an den Fortgang der Implementation gebunden (Drechsler/Madise 2004: 103).

Insgesamt sind die estnischen Erfahrungen positiv. Interessant ist, dass technische oder sicherheitspolitische Bedenken kaum eine Rolle spielten. Mit Spannung wird zu beobachten sein, inwieweit sich ein Transfer in andere Länder einstellen wird. Feststellbar ist dabei, dass Internetwahlprojekte anderswo bislang nur pilotiert werden. Ferner ist ein systematischer Vergleich aufgrund der Projektstände kaum möglich. Allerdings lassen sich einige zentrale Faktoren identifizieren, was derartige Prozesse fördert. Der Fokus fällt bei der Betrachtung auf den deutschsprachi­gen Raum. In diesem Kontext soll weniger ein detailgenauer Abgleich mit den estnischen Faktoren erfolge, dies womöglich noch unter Zugrundelegung komparatistischer Erfordernisse, ob das Modell übertragbar ist oder nicht, sondern unter Zuhilfenahme dieser Faktoren lediglich eine Einschätzung, ob die Weichen richtig gestellt sind.

Situation in Deutschland

E-Voting ist in Deutschland Gegenstand eines umfassenden Diskurses (BMI 2016). Durch E-Government-Projekte, wie BundOnline 2005, ist ein Rückhalt zu verzeichnen (Die Bundesregierung 2005). Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht 2009 dagegen geurteilt.2

Bei der Bundestagswahl 2005 wurden im Nachgang vom Bundesverfassungsgericht Wahlcomputer für verfassungswidrig erklärt. Dies ist unter anderem ein Grund gegen Internetwahlen. Die Geräte könnten dem Wahlgrundsatz der Öffentlichkeit nicht entsprechen (CCC 2008.). Ferner sind die Voraussetzungen schwieriger als in Estland, denn es handelt sich um ein Land mit sakrosankten Strukturen, einer breiten Diskussionskultur, ausgeprägten Vetopotenzialen, rund 82 Mio. Ein­wohnern, einer Bevölkerungsdichte von etwa 230 Menschen pro km², einem legislativen Zweikammersystem und einem ausgedehnten Föderalismus (Reiners 2011: 569).

Die Bevölkerung sieht das Thema weniger skeptisch. Laut einer Studie von BITKOM würde fast die Hälfte aller Befragten online wählen (E-Plus Mobilfunk GmbH 2009). Dennoch ist der Zeitpunkt eher ungünstig und die Skepsis berechtigt, dass Cyber-Attacken die Stimmabgaben torpedieren könnten. Im Bundestag wurde schon 2001 darüber debattiert (2001). Dazu hat das Bundesinnenministerium eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Deren Fokus betraf vorrangig technische Fragen (Reiners 2011: 562f.). Nichtsdestotrotz gehen Wahlen über solche und rechtliche Bestimmungen hinaus und werfen gesellschaftspolitische Fragen auf. Ferner hat Deutschland eine ausgeprägte Briefwahltradition und eine eher hohe Wahlbeteiligung, weshalb die Thematik differenzierter zu diskutieren ist.

Erste Erfahrungen konzentrieren sich auf das Jahr 2000, in dem das Studierendenparlament der Uni Osnabrück unter teilweiser Nutzung eines e-Voting gewählt wurde. Der Akt war Bestandteil eines 1999 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie initiierten Projektes. Auch fanden weitere Wahlprojekte statt, zum Beispiel Wahlen zu Jugendgemeinderäten, Seniorenbeiräten oder Universitätsgremien. Es zeigten sich rechtliche, organisatorische und besonders technische Entwicklungsbedarfe. Weiterhin wurden 2002 zwei Wahlen des Forschungsprojektes W.I.E.N. (Wählen in elektronischen Netzen) als Online-Personalratswahlen durchgeführt, wobei technische und juristische Fragen für Parlamentswahlen anders zu beantworten sind, da die Gefährdungspotenziale und die infrastrukturellen Voraussetzungen andere sind (vgl. Reiners 2017b: 36). Solche Wahlen können sich auf sichere Netzwerke und eine bestehende Signaturinfrastruktur stützen. Die Anforderungen liegen daher unter der Legitimationshürde von Wahlen im politisch-öffentlichen Raum (Art. 20 GG).

Insgesamt genießt das Thema hohe Aufmerksamkeit. Jedoch scheint die Diskussion durch sicherheitstechnische Bedenken und die Vertrauenswürdigkeit des Internets kontaminiert. Den Zielen steht ein hoher technischer, juristischer, organisatorischer und finanzieller Aufwand gegenüber. Das Bundesinnenministerium wirbt hingegen für eine moderne Verwaltung und hat entsprechende Schritte eingeleitet. Auch ein elektronischer Ausweis ist mittlerweile erhältlich. Deutlich über die Hälfe der Internetnutzer hat derzeit einen solchen. Der Ausweis sollte als Generalschlüssel für das digitale Zeitalter fungieren. Hierzulande hält man sich jedoch hinsichtlich seiner Online-Funk­tion zurück. Weit über drei Viertel ignorieren die E-Funktion. Das Land scheint somit die Ausweisrevolution zu verschlafen (Fründt 2015).

Wie sieht es schließlich mit der Internetaffinität der Deutschen aus. Momentan wäre fast ein Viertel der Bevölkerung vom Internetwahlvorgang ausgeschlossen, ganz abgesehen von einer grundlegend nötigen Medienkompetenz. Gerade die ältere Bevölkerung wäre auf Unterstützung, was das Wahlgeheimnis tangiert. Blickt man zurück, so erkennt man aber auch, dass sich der Anteil der Internetnutzer hierzulande von 2001 bis 2015 von etwa 37% auf knapp 78% ausgedehnt hat. Analysiert man weiter, so erkennt man, dass 2014 rund 54% ihre Bankgeschäfte online erledigten, weit weniger als in Estland bereits 2007 mit ungefähr 79%. Ferner liegt der Anteil mobiler Internetnutzer, die online ihre Bankgeschäfte erledigen, im Jahr 2015 bei rund 65% eben­so unter dem estnischen Anteil mit rund 93% (Statista 2016a, 2016b, 2016c, 2016d; vgl. Tippelt/Kupferschmitt 2015).

Situation in der Schweiz

Deren Fläche beläuft sich auf etwa 41.000 km². Sie ist damit geringfügig kleiner als die estnische. In der Schweiz leben jedoch 8,3 Mio. Menschen. Daraus ergibt sich eine deutlich höhere Bevölkerungsdichte von knapp über 200 Menschen pro km² (Auswärtiges Amt 2016). Estland und die Schweiz unterscheiden sich ferner strukturell. Auch politisch und geschichtlich existieren Differenzen. Während man Estland als junge Demokratie bezeichnen kann, existiert die Schweiz seit 1884. Das Land hat eine lange demokratische Tradition. Ferner kommt der Staat dem Idealbild eines Föderalismus nahe. Er ist in ein Zweikammersystem auf Bundesebene sowie 26 Kantone ge­gliedert. Diese haben ausgiebige Befugnisse.

Ein e-Voting wurde schon 1998 diskutiert. Auch wurde erörtert, dass Onlinewahlen unter anderem für Auslandsschweizer nützlich sind. Ferner sollte die Wahlbeteiligung gestärkt werden und der Berücksichtigung von technischen, politischen und soziologischen Faktoren eine Bedeutung zukommen. Die Wahlalternative musste in erster Linie an das Bundesgesetz über Politische Rechte (BPR) sowie die Verordnung über Politische Rechte (VPR) angepasst werden. Die 2003 eingetretenen Änderungen erlauben seither die Initiierung von Pilotprojekten. Zunächst starteten die Kantone Genf, Neuenburg und Zürich 2003-2005 mit Piloten. Das Genfer Testmodell entwickelte sich zum Erfolg. Im Züricher Kanton kam die Methode vorerst nur bei Universitätswahlen zum Einsatz. Nach einem Testlauf wurde das Modell auch bei einer Volksabstimmung 2005 angewandt. Im Kanton Neuenburg wurden e-Wahlen für ein nationales Referendum 2005 abgehalten (Braun 2004: 46; Gerlach/Gasser 2009: 2ff.).

Der Bundesrat beschloss ferner 2006 das Gesamtprojekt etappenweise auszubauen. Ab 2008 begann die nächste Versuchsphase, bei der weitere Kantone beteiligt waren. Die Zahl der Onlinewähler war hierbei auf maximal 10% begrenzt. Nach Abschluss der Pilotierung wurde über eine Erweiterung diskutiert sowie über eine Implementation für Auslandsschweizer (Gerlach/Gasser 2009: 6). Laut der Bundeskanzlei haben 2010 zwölf Kantone Pilotprojekte eingeführt. Das Bewilligungsverfahren wurde fortan erleichtert, jedoch entschied der Bundesrat noch 2013, dass die Anzahl der Onlinewähler nicht erhöht werden darf, solange die Sicherheitsanforderungen nicht komplett erfüllt sind. Des Weiteren ist zu erkennen, dass 2012 bereits rund 50% der Auslandsschweizer die Alternative in Anspruch nehmen konnten. Ebenso ist am 1. Januar 2014 eine Verordnung zur Ausweitung in Kraft getreten (Schweizerische Bundeskanzlei 2016a).

Zur Internetaffinität der Schweizer ist zu sagen, dass 2014 etwa 91% der privaten Haushalte einen Internetzugang hatten. Die Anteile sind daher mit Deutschland und Österreich vergleichbar (Bundesamt für Statistik 2015).3 Hingegen weichen diese beim Onlinebanking deutlich unter die estnischen Werte ab. Sie betragen 2015 ungefähr 51% (Statista 2016d, 2016e, 2016f).4 Zudem ist die Identitätskarte weiterhin ohne Chip ausgestattet. Am 16. Dezember 2011 hat der Bundesrat entschieden, dass der Pass und die Identitätskarte erneuert werden sollen. Eine Umsetzung ist derzeit noch offen. Der Bundesrat wird aber eine Wahlfreiheit gewährleisten, mit/ohne elektronisch gespeicherte Daten (Schweizerische Eidgenossenschaft 2015).

Die elektronische Möglichkeit tangiert technische, prozessuale sowie juristische Herausforderungen und wurde seit 2000 mit der Maßgabe „Sicherheit vor Tempo“ inkrementell aufgebaut. Auslandschweizer haben seither Vorrang und können elektronisch wählen, wenn sie in einem Kanton registriert sind, der den elektronischen Kanal anbietet. Andere können ebenfalls per Internet abstimmen, bislang jedoch nur in den Kantonen Genf und Neuenburg, die Kantone mit den zwei wegweisenden Systemen (Schweizerische Bundeskanzlei 2016b).

Die jüngsten Entwicklungen sind durchaus positiv. Bei der Nationalratswahl 2015 konnte in Genf, Basel, Neuenburg und Luzern online abgestimmt werden, wobei Schweizer im Ausland vorrangig teilnehmen durften, da die maximale Anzahl der Onlinewähler noch begrenzt ist. Auch für die Jahre 2016-2018 beschloss der Bundesrat die elektronische Stimmabgabe zu bewilligen. Einigkeit besteht bei den allgemeinen Sicherheitsanforderungen und Bestimmungen, die der Bundesrat bundesweit erteilt. Ein einheitliches System wird den Kantonen nicht vorgeschrieben (Gerlach/Gasser 2009: 7). Ferner verändern sich mit den immer neuen Sicherheitsauflagen auch die elektronischen Wahlsysteme. Ende 2016 starteten die ersten Wahlen, die auf dem e-Votingsystem der schweizerischen Post beruhen. Dieses erfüllt die 2016 vom Bundesrat aktualisierten Sicherheitsanforderungen (Die Post 2016).

Situation in Österreich

Österreich, mit rund 8,7 Mio. Einwohnern, einer im Vergleich zur Schweiz geringen Bevölkerungsdichte von 104 Menschen pro km² und einem Föderalismus mit legislativem Zweikammersystem, erweist sich ebenfalls als interessantes Vergleichsobjekt. Die Besonderheit liegt an der Tatsache, dass die Initiative zur Implementation nicht von der Regierung ausging, sondern von der Forschungsgruppe e-Voting.at bzw. dem Institut für Informationsverarbeitung und Informationswirtschaft der Wirtschaftsuniversität Wien (Buchsbaum 2004: 36).

Blickt zunächst man auf die Internetaffinität der Österreicher, so ist die Situation vergleichbar mit Deutschland und der Schweiz. 2015 beträgt der Anteil mobiler Internetnutzer, die sich einem Onlinebanking widmen etwa 68%, in Deutschland rund 65%, in Estland hingegen ungefähr 93% (Statista 2016a). Ferner gibt es in Österreich seit ungefähr 15 Jahren rechtsverbindliche elektronische Signaturen. Die Bevölkerung war dafür jedoch nicht sonderlich zu begeistern. 2010 wurde schließlich die heute gültige Handysignatur eingeführt (Sokolov 2015).

Die Zurückhaltung der Regierung beim Thema e-Voting zeigt sich am Verfassungsgerichtshof (VfGH), der bereits 1985 die Briefwahl für verfassungswidrig erklärt hat. In seinem Statement bezog er sich auf die Bundesverfassung, welche besagt, dass ein Wähler bei Wahlen physisch anwesend sein muss, und man somit dem Persönlichkeitsprinzip zu folgen hat (Buchsbaum 2004: 140). Die Diskussion über e-Wahlen geriet dadurch ins Abseits, weil zu befürchten war, dass derartige Bemühungen auch als verfassungswidrig erklärt werden. Die Wahlen an der Wirtschaftsuniversität 2003 waren hingegen beim ersten Test erfolgreich.

Im weiteren Verlauf wurde 2004 das E-Government-Gesetz verabschiedet, das bestimmte Richtlinien vorsah (Buchsbaum 2004: 37). Ein Jahr später fand ein zweiter erfolgreicher Testlauf an der Wirtschaftsuniversität statt (Prosser u.a. 2004: 13). Das Bundesinnenministerium bildete in diesem Zuge spezielle Arbeitsgruppen, welche sich näher mit den Mechanismen auseinandersetzen sollten. Der Abschlussbericht stellt fest, dass es möglich und angebracht wäre, die Verfassung dahingehend zu ändern, das Prinzip des geheimen und persönlichen Wahlrechts neu zu definieren. Des Weiteren wird festgestellt, dass Sicherheitsvorkehrungen auch bei Onlinewahlen gewährleistet werden können, und solche keine technischen Unzulänglichkeiten verursachen (Bundesministerium für Inneres 2004: 3, 14f.).

2009 sollte bei den Hochschulwahlen erstmals offiziell eine elektronische Alternative angeboten werden, was jedoch durch eine umfängliche Expertenkritik torpediert wurde, die sich fast durchweg auf Sicherheitsaspekte konzentrierte. Der Internetpräsenz des Bundesinnenministeriums war seither zu entnehmen, dass bis dato noch keine verfassungskonformen Regelungen zur Einführung elektronischer Wahlen implementiert worden sind (Bundesministerium für Inneres 2016). Der VfGH hat sodann die Verordnung zum e-Voting bei der Hochschülerschaftswahl als gesetzeswidrig aufgehoben. Er stellte unter anderem fest, dass nicht präzise geregelt ist, wie und mit welchen Mitteln sowie unter welchen Kriterien die Wahlkommission überprüfen kann, ob das System fehlerlos funktioniert. Der VfGH-Präsident sprach überdies von einer richtungsweisenden Bedeutung für andere Wahlen. Beim Stand der Technologie sei ein e-Voting nur schwer durchzuführen. Er räumte zwar ein, dass bei jeder Wahl Fehler passieren können, bei einem e-Voting könnten Manipulationen jedoch schwerer erkennbar sein. Die Wahlordnung müsse ferner gewährleisten, dass eine Wahl von jedem nachvollziehbar und auch für die Wahlbehörde überprüfbar ist (Die Presse 2011).

Fazit

In Deutschland wirkt sich die Haltung des Bundesverfassungsgerichts auf den Fortgang der Entwicklungen aus. E-Voting kann hier nur implementiert werden, wenn die technischen (Sicher-heits-) Probleme vertrauenswürdig gelöst werden. Keineswegs darf eine erhoffte Steigerung der Wahlbeteiligung dazu führen, dass Systeme zum Einsatz kommen, die die Einhaltung der Wahlrechtsgrundsätze nur im „Best Case“ sicherstellen.

In Österreich scheinen die Pfade durch den VfGH vorgegeben. Ferner ist das Design von Besonderheiten geprägt. Das von der Wirtschaftsuniversität Wien ausgehende Projekt markierte den Grundstein, was dessen Legitimität konterkariert. Selbst während der Diskussionsphase schien das Projekt dem aus Estland durchweg unterlegen. Alleine die Tatsache, dass dieses nicht von der Regierung initiiert wurde, lässt auf einen niedrigen Stellenwert schließen.

Wie in Estland kam das Thema in der Schweiz schon früh auf die politische Agenda. Interessant ist jedoch die Tatsache, dass der Prozess viel mehr Zeit in Anspruch genommen hat. Ein schnellerer Prozess war hier undenkbar, da kantonale Pilotprojekte vorgeschaltet waren, das Land ausgeprägt föderal gegliedert ist und die Schweiz sakrosankte Strukturen sowie ausgeprägte Konfliktlinien und Vetopotenziale aufweist. Es handelt sich um ein Land mit starken regionalen bzw. kantonalen Interessen, was andererseits ein Lernen von anderen Kantonen ermöglicht (vgl. Reiners 2016, 2017a: 52, 2017b: 38). Ferner sind die Bemühungen stark von sicherheitsrelevanten Aspekten getragen. Durch den inkrementellen Bottom-up-Prozess verlieren sich diese Bedenken jedoch zunehmend. Die Voraussetzungen dürften insgesamt besser sein als in Deutschland und Österreich, aber auch nicht derart günstig wie in Estland. Immerhin scheinen die Entwicklungen in Mitteleuropa am weitesten vorangeschritten, mehr noch, das Land scheint sich zum bedeutendsten Verfolger von Estland aufzumachen. Estland ist als junge Demokratie offen für eine schnelle Umsetzung, wohingegen die Schweiz sich der Thematik inkrementell nähert, was anders auch nicht möglich wäre. Ein solches Vorgehen ist der föderalen Gliederung geschuldet. Es lässt sich resümieren, dass das Land eine bundesweite Implementation in vorsichtigen Schritten vorantreibt, nachdem Pilotprojekte gezeigt haben, dass e-Wahlen zukunftsfähig sind. Die Tabelle fasst die Ausführungen zusammen:

Tabelle 1: E-Voting Potenziale; Quelle: eigene Darstellung

Zusammenfassend lässt sich resümieren, dass Estland bis heute die Speerspitze in Sachen e-Wahlen bildet. Die Schweiz ist in der Lage solch ein System salonfähig zu machen, jedoch unter anderen prozessualen Vorzeichen. Die Bestrebungen in Deutschland und Österreich scheinen bislang nicht fruchtbar.

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Zitationshinweis:

Reiners, Markus (2018): Rahmenbedingungen eines E-Voting in Deutschland, der Schweiz und Österreich, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online verfügbar: https://regierungsforschung.de/rahmenbedingungen-eines-e-voting-in-deutschland-der-schweiz-und-oesterreich/#more-4788

  1. Zugunsten der Lesbarkeit wird überwiegend das generische Maskulinum verwendet. []
  2. Im Urteil vom 3. März 2009 heißt es: Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebietet, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl einer öffentlichen Überprüfbarkeit unterliegen, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigen. Ferner müssen beim Einsatz elektronischer Wahlgeräte die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können. []
  3. Z.B. Deutschland im Jahr 2013 rd. 88% oder Österreich im Jahr 2013 rd. 81%. []
  4. Zum Vergleich Deutschland im Jahr 2014 rd. 54%, Österreich 2015 rd. 51% und Estland bereits 2007 rd. 79%. []

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