Regieren in der Corona-Krise

Dr. Michael Blume, der Beauftragter der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus ist, und Alina Dorn, Fachreferentin im Büro des Beauftragten im Staatsministerium Baden-Württemberg, werfen einen Blick auf Verschwörungstheorien und das Regieren während der Corona-Pandemie. Obwohl das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in die Pandemie-Bewältigung zu Anfang hoch war, versammelten sich bereits während der ersten Welle Querdenker zu Demonstrationen gegen die Maßnahmen. Wie kann können Regierung und Abgeordnete mit solchen Tendenzen umgehen?

Im ersten Moment erscheint es absonderlich – warum sollten Expert:innen gegen Antisemitismus nach Vertrauen in Regierungen fragen? Auf den zweiten Blick – so hoffen wir – wird genau darin ein Sinn deutlich: So ist doch die Unterstellung, die eigene Regierung sei Teil einer jüdisch mitbestimmten Weltverschwörung, das maximale Misstrauensvotum. Und so konnten wir schon im Frühjahr 2020 – noch bevor überhaupt die ersten Anti-Covid19-Maßnahmen beschlossen worden waren – prognostizieren, dass sich in Deutschland Menschen versammeln würden, die den gewählten Regierungen nicht nur Inkompetenz, sondern auch Verschwörungen unterstellen würden.

Regieren in der Corona-Krise

Verschwörungsmythen und Vertrauensverlust in der digitalen Demokratie

Autoren

Dr. Michael Blume ist Religionswissenschaftler und Beauftragter der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus. Seit 2003 arbeitet er im Staatsministerium Baden-Württemberg und wurde 2018 zum Beauftragten gegen Antisemitismus berufen. In seinem Podcast „Verschwörungsfragen“ klärt er über unterschiedliche antisemitische Mythen auf.

Alina Dorn ist Politikwissenschaftlerin und Fachreferentin im Büro des Beauftragten im Staatsministerium Baden-Württemberg. Sie verantwortet die Podcast- und Video-Arbeit des Beauftragten sowie dessen Auftritt in den Sozialen Medien.

„Es hat auch etwas mit einer nationalen Identitätskrise zu tun. Ich erinnere an „Made in Germany“. Das steht für Exzellenz, dafür, dass Dinge laufen. Wenn das nicht mehr klappt, geht das ans kollektive Urvertrauen.“
(Düzen Tekkal, 2021)

„Jede Beschleunigung der Kommunikation de-zentralisiert. Langsame Formen der Kommunikation zentralisieren: Information ist verortet und die Entscheidungen fallen im Zentrum.“
(Marshall McLuhan, 1970)

 

Im ersten Moment erscheint es absonderlich – warum sollten Expert:innen gegen Antisemitismus nach Vertrauen in Regierungen fragen? Auf den zweiten Blick – so hoffen wir – wird genau darin ein Sinn deutlich: So ist doch die Unterstellung, die eigene Regierung sei Teil einer jüdisch mitbestimmten Weltverschwörung, das maximale Misstrauensvotum. Und so konnten wir schon im Frühjahr 2020 – noch bevor überhaupt die ersten Anti-Covid19-Maßnahmen beschlossen worden waren – prognostizieren, dass sich in Deutschland Menschen versammeln würden, die den gewählten Regierungen nicht nur Inkompetenz, sondern auch Verschwörungen unterstellen würden. Schon Anfang Mai 2020 waren also sowohl Warnungen als auch erste mediale Gegenstrategien fertig (Stuttgarter Zeitung 05.05.2020).

Glaskugeln waren dabei gar nicht nötig – denn immer wieder hatten Pandemien Vertrauenskrisen ausgelöst. Und diese führten auch in der europäischen Geschichte immer wieder zu sogenannten Pestpogromen sowie zu Hoffnungen auf einen apokalyptischen Erlöser. Wütende Demonstrationen, Antisemitismus und die letztlich gescheiterten Stürme von Querdenkern und QAnon-Demonstranten gegen die Parlamente in Berlin und Washington stehen also in einer langen Tradition – und wurden bisher sogar vergleichsweise gut bewältigt (vgl. Blume 2020, S. 3 ff.).

Bei aller Kritik: Die demokratischen Ordnungen hielten – und erstmals in der Geschichte besteht überhaupt die Hoffnung, eine Pandemie durch die schnelle Entwicklung von Impfstoffen aufzuhalten. Warum also erleben wir keine gegenseitigen Glückwünsche, sondern ein Belauern von Demokratien untereinander (Wer hat nur Impfstoff importiert, ohne anderen zu helfen?) sowie der verschiedenen Ebenen (Nationalstaat – Regionen – Kommunen) untereinander? Und warum müssen sich sowohl Regierungen einer traditionell zentralistischen Republik wie Frankreich wie auch jene eines föderalen Bundesstaates wie Deutschland starken Aufwallungen von Misstrauen stellen?

Demokratien brauchen Vertrauen…

Vertrauen ist der Grundbaustein einer jeden parlamentarisch-repräsentativen Demokratie und die Basis der Legitimität von Politik (vgl. Schaal 2004, S. 11ff.; Voigt 2019, S. 11). Schon John Lockes Gesellschaftsvertrag liegt Vertrauen als zentrales, die Beziehung zwischen Regierten und Regierenden regelndes Prinzip zugrunde (vgl. Plöhn 2007, S. 43ff.). Vertrauen wird stets als Vorschuss beziehungsweise als Vorleistung gewährt und kann als Mechanismus zur Reduktion von Komplexität bestimmt werden (vgl. Luhmann 2014, S. 27 ff.): In einer Situation, in der die Zukunft eine Vielzahl an Optionen und Handlungsmöglichkeiten bietet, stellt Vertrauen einen Mechanismus dar, sich auf Grundlage von bereits getätigten Erfahrungen an Personen und Institutionen schnell zu orientieren (vgl. Bentele/Seidenglanz 2015, S. 411). Persönliche „Glaubwürdigkeit“ bilde dabei, so die gängige Lehre, die Basis von politischem beziehungsweise institutionellem Vertrauen, das Bürger:innen einem politischen System und dessen Akteuren entgegenbringen (Bentele/Seidenglanz 2015, S. 412; Fuchs et al. 2002, S. 430 f.).

…und dieses wird nur medial geschaffen oder zerstört

Doch die Nachfrage nach „Vertrauen“ kann auch als Krisenkategorie verstanden werden. Wenn Politiker:innen die „Vertrauensfrage“ stellen, dann geht es meist ums politische Überleben (vgl. Hartmann 2006, S. 385). Es scheint paradox: Gerade dann, wenn politisches und institutionelles Vertrauen essenziell wichtig wird, um überhaupt effektiv in Krisen- und Pandemiezeiten regieren zu können, wird es in Frage gestellt (vgl. Wong/Jensen 2020, S. 1021).

Eine leider noch wenig beachtete Disziplin, die jedoch in unserer Arbeit gegen Antisemitismus eine zentrale Rolle spielt, kann uns hier weiterhelfen: Die Medienwissenschaft. Sie nimmt in den Blick, dass für gewöhnlich jedes Vertrauen über eine kleinere Gemeinde oder einen Stadtteil hinaus durch Medien „parasozial“ aufgebaut oder zerstört wird. Während wir die örtliche Gemeinderätin, den Bürgermeister und auch die Lokaljournalistin noch persönlich kennen und ansprechen können, wird der Dialog zwischen Regierten und Regierenden vielfach medial vermittelt. Und hier können kleine Unterschiede große Wirkungen haben: So meinte schon der antike Cicero, dass die Griechen durch fehlende Beschränkungen der Bürgerversammlungen (hier tatsächlich noch ohne Bürgerinnen) sowie die Sitzplätze (!) ihre Stadtstaaten zugrunde gerichtet hätten: Die Bürger hätten sich durch stundenlange Darbietungen populistischer Redner zu verhängnisvollen Entscheidungen aufstacheln lassen. Dagegen rühmte er die Traditionen Roms, wonach Redner auf dem Forum nur zu Stehenden sprechen durften – also besser kurz – und für einen Beschluss mehrere Aushänge und Lesungen vorgeschrieben waren. Der große Rhetoriker – dessen überlieferte Redetexte tatsächlich kaum je länger als 20 Minuten Sprechzeit umfassten – richtete den Blick also weniger auf das „Wer“ und „Was“ der politischen Kommunikation, sondern auf das mediale Gefüge, das „Wie“ (vgl. Morstein-Marx 2004).

Doch erst im 20. Jahrhundert entwickelten sich Medienwissenschaften, wie sie Marshall McLuhan (1911 – 1980) in seinem bekanntesten Slogan zusammenfasste: „The Medium is the Message.“ Dabei konnte er bereits auf Arbeiten seines zu Unrecht weitgehend vergessenen Lehrers Harold Innis (1984 – 1952) aufbauen, der unter anderem beschrieb, wie die Stadtkulturen der Renaissance mit dem Aufkommen des Papiers aufblühten, die Reformation nach dem Buch- und die Republiken nach dem Zeitungsdruck (vgl. Innis 1950). Dabei wurden Papier und Buchdruck zuerst in China erfunden, entfalteten aber in erst Kombination mit den wenigen und damit „stellbaren“ Buchstaben des Alphabets revolutionäres Potential. Aus Manuskriptschreiber:innen wurden Schriftsteller:innen. Dass erst ein Sultan und dann ein Kalif ab 1485 den Buchdruck arabischer Letter verboten, erklärt wiederum die Stabilität, aber auch die folgende Krise der islamischen Welt, ebenso aber auch die späteren Alphabet-Reformen in der Türkei, auf dem Balkan und Teilen des Kaukasus. Medien prägen Gesellschaften, Religionen und Staaten – bis heute (vgl. Blume 2017).

McLuhan selbst arbeitete bereits unter dem Eindruck der Nürnberger Prozesse, in denen deutlich wurde, wie gezielt die Nazis mithilfe der elektronischen Medien Radio und Film die Weimarer Demokratie erst attackiert und dann zerstört hatten. Der Angeklagte Speer habe sich gar als „Opfer des Rundfunks“ präsentiert, der nicht nur Empfänger, sondern auch Sender verführt habe (vgl. McLuhan 1959/1999, S. 43).

Obwohl McLuhan vom Internet noch gar nichts ahnen konnte, warnte er bereits davor, dass die Expansion „elektronischer“ Medien das Vertrauen in etablierte Ordnungen durch die Wut von Partizipation Ausgeschlossener und die Berichte von Betroffenen gefährden werde. Denn „in einer elektrisierten Welt weichen Klassifikationen der Teilhabeforderung [Involvement] und Menschen leben das Apostolat des Schmerzes“ (McLuhan 1970/1999, S. 54).

Tatsächlich lässt sich feststellen, dass das Vertrauen der Deutschen von Beginn der sogenannten ersten Infektionswelle ab dem Frühjahr 2020 bis in den Herbst 2020 ungebrochen hoch war (vgl. ARD-DeutschlandTREND Sept. 2020). Erste Maßnahmen schienen zu wirken, die Hoffnung auf die Entwicklung und schnelle Verteilung eines Impfstoffes war groß. Auch war in dieser ersten Reaktionsphase das Verständnis für unpopuläre, verspätete oder falsche Entscheidungen durch die politischen Entscheidungsträger:innen groß. Das Infektionsgeschehen schien das Vertrauen zu rechtfertigen: Die Zahlen gingen nach unten. Doch bereits in dieser Phase meldeten sich kritische Stimmen, die den Regierungen „Diktatur“ vorwarfen und beanspruchten, etwa den Belangen von Kindern, Gewerbetreibenden oder allgemein Freiheitsrechten Gehör verschaffen zu wollen. Dabei nutzten etwa die deutschen Querdenker-Gruppen einerseits von Anfang an massiv das Internet, organisierten sich aber andererseits idealisierend entlang der Telefon-Vorwahlnummern. Früher war – gefühlt – noch Anschluss! Eine derart idealisierte Zeit früherer, analoger Mediennutzung kann so das Gefühl vermeintlicher Übersichtlichkeit vermitteln.

Mit der Aussicht auf eine zweite und inzwischen dritte Infektionswelle ab Winter 2020 beziehungsweise Frühjahr 2021 änderte sich dann auch das Stimmungsbild in der deutschen Gesellschaft insgesamt. Das Vertrauen in die Regierung und die zur Eindämmung des Virus ergriffenen Maßnahmen schwand (vgl. ARD DeutschlandTREND Januar und März 2021). Eine schleppende Impfkampagne, weiterhin hohe Infektionszahlen und Lobbyismus-Skandale taten ihr Übriges, um das Vertrauen in die Corona-Politik der Regierung zu erschüttern. Nicht nur zivilgesellschaftlich verwurzelte Journalist:innen wie die eingangs zitierte Düzen Tekkal sprachen von einem massiven Vertrauensverlust der Bürger:innen (vgl. Tekkal 2021). Zahlen zeigten zudem eine deutliche Zunahme an verschwörungsmythologischem Gedankengut, die mit einer schrumpfenden Unterstützung von Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in Zusammenhang steht (vgl. z.B. Decker et al. 2021 in press, S. 19). Im Klartext: In Teilen des Netzes – zugänglich durch unbefristete Sitzplätze, dem Alptraum des Cicero – verbreiten sich populistische Narrative, die den gewählten Regierungen nicht nur Inkompetenz, sondern Teilhabe an einer bösen Verschwörung vorwerfen!

Nun berief sich auch der vielfach beschuldigte Bundesgesundheitsminister für die Krisenbewältigung auf die medialen Logiken des Telefonierens – und auf die Notwendigkeit von Vertrauen: „Es funktioniert besser mit jemandem, den man kennt“ (Spahn 2021). Mit der staatlichen Corona-Warn-App und der zivilgesellschaftlichen Luca-App werben inzwischen sogar verschiedene Anbieter:innen um das Vertrauen der Bürger:innen. Prominente Persönlichkeiten wie Smudo können einem solchen Produkt dann Vertrauen verleihen.

Dabei ist unsere auch aus täglichen Beobachtungen gewonnene Analyse nicht so zu verstehen, dass es auf Personen oder Handlungen nicht mehr ankomme – im Gegenteil: Gerade auch Fehlentscheidungen, gebrochene Zusagen oder gar Fälle von Korruption können als Anlässe verstanden werden, die medialen Dynamiken insgesamt zum Durchbruch verhelfen. Wo Politiker:innen sich über „Nebentätigkeiten“ bei Öl-Rentierstaaten oder gar Maskenkäufen bereichern, wo Gesundheitsämter auch noch nach einem Jahr Pandemie mit Faxgeräten arbeiten und all dies medial direkt neben leidenden Schulkindern und Gewerbetreibenden „elektrisiert“, können hergebrachte „Klassifikationen“ (etwa Verweise auf Bund-Länder-Zuständigkeiten in Deutschland oder auf den Zentralismus in Frankreich) nur Empörungswellen verstärken. Die Pandemie verschärft also die Fragen einer medialen Umwälzung: Wie gehen wir mit schwindendem Vertrauen in das politische System, den Rechtsstaat aber auch in die klassischen Medien um, neben denen sich digitale Blasen von Verschwörungsgläubigen etablieren? Wie gehen wir damit um, dass sowohl gewählte Abgeordnete wie beispielsweise auch Verwaltungsmitarbeiter:innen wachsende Unzufriedenheit mit dem Funktionieren des Systems äußern (vgl. Vigoda-Gadot, Mizrahi 2014, S. 17)? Erfordern digitale Medien etwa neue Regierungssysteme, wie zuvor auch die Druckmaschinen – oder reichen freiheitlich-republikanische Reformen wie das GEZ-finanzierte Rundfunksystem nach der Katastrophe des NS-Regimes?

Wir glauben, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland offen und flexibel genug ist, auf mediale Umwälzungen zu reagieren. Doch wir fordern, in die Überlegungen zur Gewaltenteilung einzubeziehen, wie die sich rasant digitalisierende Medienwelt (die Publikative) die anderen Zweige des Regierungsbaumes beeinflusst:

  • Digitalisierung personalisiert – und verführt damit auch die Exekutive. Politiker:innen können mit eigenen Digitalmedien von Podcasts über Instagram bis Twitter an den klassischen Medien vorbei kommunizieren und damit auch deren Aufmerksamkeit auf sich konzentrieren. Doch es ist dann im gewaltenteiligen System unmöglich, solche überhöhten Erwartungen dauerhaft zu erfüllen – es folgt fast unweigerlich Ent-Täuschung. Wir empfehlen daher die bewusste Stärkung der Parlamente. Denn digital beschleunigtes Regieren mag mehr denn je als effizientes Handwerk erscheinen – eine freiheitliche Demokratie wird sich immer auch die Freiheit zur kritischen Fehlersuche nehmen (müssen). Wir schlagen als Merksatz vor: Regieren mag manchen als Handwerk erscheinen, aber parlamentarische und crossmediale Kommunikation wird zur notwendigen Kunst.
  • Gewählte Abgeordnete der Legislative starten dabei mit einem Vertrauensvorschuss und könnten idealerweise digitale Medien mindestens so professionell und spielerisch wie die jeweilige Regierung nutzen. Sie können Meinungen, Erwartungen, aber auch Wut aufnehmen und in konstruktive Debatten ummünzen – wo man sie lässt. Eine schnellere und lebendige Parlamentskultur, die auch Debatten und Beschlüsse über Fraktionsgrenzen hinaus zulässt, macht Abgeordnete zu relevanten, digital leicht erreichbaren Adressaten und Parlamente zu Orten auch emotionaler Teilhabe. Ein Zwei-Stimmen-Verhältniswahlrecht oder gar kumulative Listen wie bereits in der Kommunalpolitik können hierbei die Gefahr dualistischer „Kulturkämpfe“ durchaus besser abwehren als Ein-Stimmen-Mehrheitswahlrechte.
  • Die deutsche Judikative leidet an einem völlig anachronistischen Ausbildungssystem aus dem vor-elektronischen 19. Jahrhundert, in dem demütigende Notenvergaben von gegen andere Disziplinen und Sprachen abgeschotteten Alles-oder-Nichts-Staatsexamen gekrönt werden. Das Ergebnis sind Existenzangst-Überlebende, die sich dann zwar als Teil einer zivilreligiös-nationalstaatlichen Priesterschaft fühlen dürfen – aber gerade nicht lernten, sich in einer global vernetzten und schnell wandelnden Medienwelt zu behaupten. Wenn keine grundlegende, interdisziplinär und international öffnende Reform der juristischen Ausbildungswege gelingt, werden deutsche Jurist:innen – auch oft zu Unrecht – zu Symbolfiguren eines vermeintlich verkrusteten, überbürokratischen und also überholten Systems.
  • Auch das in Deutschland bewusst und zu Recht gemischte Mediensystem der Publikative braucht eine Selbsterneuerung. Wo junge Generationen kaum noch für Tageszeitungen zu begeistern sind, gleichzeitig aber zum Beispiel Blogs, Radio- und Filmsendungen digital verewigt werden, werden Journalist:innen zu Kurator:innen, ja Influencer:innen, die aus dem ständig strömenden Überfluss das Interessante und Relevante herausfinden, aufbereiten, einordnen. Auch hier geht die Tendenz dabei längst vom Vertrauen in die Marke (z.B. ZDF) zum Vertrauen zur Person (z.B. Dunya Hayali, Mai Thi Nguyen-Kim) – dies jedoch auch verbunden mit persönlichen Angriffen bis hin zu Verschwörungsvorwürfen.

Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes orientierte sich die junge Bundesrepublik in der Neuordnung ihrer Publikative an der inzwischen selbst umkämpften BBC. Diesmal braucht es hingegen offene, auch parlamentarische Debatten über neue Finanzierungsmodelle für lokale, regionale und internationale Berichterstattungen sowie für europäische Digitalmedien, damit das Internet nicht länger Aufmarschgebiet von Populist:innen und Verschwörungsunternehmer:innen bleibt.

Auch aufgrund unserer täglichen Arbeit mit den verschiedenen Zweigen der bundesdeutschen Demokratie wagen wir die Prognose: Es wird hart und zeitweise instabil, doch diesmal werden es die Verschwörungsgläubigen nicht schaffen, das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie zu zerstören. Diesmal nicht.

Literatur:

ARD DeutschlandTREND (2020, 25.03.2021): September 2020, https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/ard-deutschlandtrend/2020/september/

ARD DeutschlandTREND (2021, 29.03.2021): Januar 2021, https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/ard-deutschlandtrend/2021/januar/

ARD DeutschlandTREND (2021, 29.03.2021): März 2021, https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/ard-deutschlandtrend/2021/maerz/

Bentele, G./Seidenglanz, (2015): Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Begriffe, Ansätze, Forschungsübersicht und praktische Relevanz, in: Fröhlich, Romy et. al, Handbuch der Public Relations. Wissenschaftliche Grundlagen und berufliches Handeln, S. 411 – 429.

Blume, M. (2017): Islam in der Krise. Eine Religion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug. Patmos.

Blume, M. (2020, 29.3.2021): Für Freiheit – und Antisemitismus? Verschwörungsmythologische Tendenzen in der Corona-Krise,https://www.kas.de/documents/252038/7995358/Verschwo%CC%88rungsmythologische+Tendenzen+in+der+Corona-Krise.pdf/8c16f2ca-597e-13e4-8b58-367fcdc806ea?version=1.0&t=1598946119880

Decker, O. et a. (2021 in press): Antisemitismus in Zeiten von COVID-19. Sekundärauswertung der Leipziger Autoritarismus Studie für das Land Baden-Württemberg.

Decker, F. (2020): Die Demokratie im Zeichen der Corona-Krise: Chance oder Bedrohung?, Zeitschrift für Politik, 67(2), S. 123-132.

Deutschlandfunk (2021): Einigung auf Lobbyregister, https://www.deutschlandfunk.de/einigung-auf-lobbyregister-diese-transparenzregeln-sollen.2897.de.html?dram:article_id=479325

Fuchs, D./Gabriel, O. W./Völkl, K. (2002): Vertrauen in politische Institutionen und politische Unterstützung, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 31(4), S. 427-450.

Hartmann, M. (2004): Vertrauen, in: Göhler, G. et. al: Politische Theorie, S. 385-401.

Innis, Harold (1950): Empire and Communications. Toronto.

Luhmann, N. (2014): Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität.

Marien, S./Christensen H.S. (2013): Trust and Openness: Prerequistites for Democratic Engagement?, in: Demetriou, K.: Democracy in Transition. Political Participation in the European Union, S. 109-134.

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Morstein-Marx, Robert (2004): Mass Oratory and Political Power in the Late Roman Republic. Cambridge University Press.

Plöhn, J. (2013): Vertrauen und Verantwortung in den politischen Systemen westlicher Demokratien. Band 1: Begriffliche, ideengeschichtliche und theoretische Grundlagen.

Spahn, Jens (2021): „Es funktioniert besser mit jemandem, den man kennt.“ SPIEGEL-Gespräch in 13/27.03.2021, S. 18 – 20.

Stuttgarter Zeitung (05.05.2020): Coronavirus und Verschwörungsmythen. Antisemitismus-Beauftragter warnt vor weiterer Eskalation. Online unter: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.antisemitismus-beauftragter-michael-blume-ueber-verschwoerungstheorien-wir-werden-eine-weitere-eskalation-erleben.30079f2d-06d3-4364-9f9a-585e04a8a470.html

Tekkal, D. (2021, 29.3.2021): https://www.zdf.de/politik/maybrit-illner/panisch-durch-die-dritte-welle-deutschland-auf-der-notbremse-25-maerz-2021-100.html

Vigoda-Gadot, E./Mizrahi, S. (2014): Managing Democracies in Turbulent Times. Trust, Performance, and Governance in Modern States.

Voigt, R. (2019): Repräsentation. Eine Schlüsselkategorie der Demokratie, in: Voigt, R.: Repräsentation. Eine Schlüsselkategorie der Demokratie, S. 11-14.

Wong, C./Jensen, O. (2021): The Paradox of Trust. Perceived Risk and Public Compliance During the COVID19-Pandemic in Singapore, in: Journal of Risk Research, 23(7-8), S. 1021-1030.

Zitationshinweis

Blume, Michael / Dorn, Alina (2021): Regieren in der Corona-Krise, Verschwörungsmythen und Vertrauensverlust in der digitalen Demokratie, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/regieren-in-der-corona-krise/

This work by Michael Blume and Alina Dorn is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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