Robert Habeck: Von hier an anders: Eine politische Skizze.

Für Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen ist das neue Buch von Robert Habeck “Von hier an anders: Eine politische Skizze.” ein sehr lesenswertes Buch, dessen letztes Drittel besonders interessant ist. Für alle, die am Politikmanagement und am Gestaltungswissen interessiert sind, bietet Habeck reichlich Stoff zur Diskussion und gibt entlang von Beispielen aus seiner Zeit als Minister in Kiel Einblicke in sein politisches Entscheiden.

Die Herstellung und Durchsetzung kollektiver Entscheidungen zur Problemlösung gelingt in einer Demokratie nur mit legitimierter Macht. Sie webt den Stoff des Politischen. Sie ist nicht einfach vorhanden, sondern entsteht – folgt man dem assoziativ-kommunikativen Ansatz von Hannah Arendt – erst im Miteinander, im Interagieren, konkret beim Handeln und Sprechen. Die Entscheidungsfähigkeit von Akteuren steht bei diesem Zugang im Zentrum, nicht so sehr die sanktionsgestützte Entscheidungskompetenz.

Robert Habeck: Von hier an anders: Eine politische Skizze.

Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2021, 374 Seiten, ISBN 978-3-462-05219-0, 22,00 Euro

Autor

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs- , Parteien- und Wahlforschung.

 

Die Herstellung und Durchsetzung kollektiver Entscheidungen zur Problemlösung gelingt in einer Demokratie nur mit legitimierter Macht. Sie webt den Stoff des Politischen. Sie ist nicht einfach vorhanden, sondern entsteht – folgt man dem assoziativ-kommunikativen Ansatz von Hannah Arendt – erst im Miteinander, im Interagieren, konkret beim Handeln und Sprechen. Die Entscheidungsfähigkeit von Akteuren steht bei diesem Zugang im Zentrum, nicht so sehr die sanktionsgestützte Entscheidungskompetenz. Handeln, bei dem man sich mit anderen zusammenschließt, um ein gemeinsames Anliegen zu verfolgen, um Verantwortung zu übernehmen, generiert Macht. Macht als Potenz realisiert sich demnach erst im politischen Handeln.

Robert Habeck schreibt dazu in Anlehnung an Max Weber: „Politik ist Macht als Beruf“ (S. 330). Die politische Entscheidungsauswahl – durchaus mittels Heuristiken1 – inkludiert Macht. Der Stoff der Politik, der dabei zu behandeln ist, weicht deutlich von dem Bild ab, das Max Weber ursprünglich entworfen hat. Politiker sind keine Dickbrettbohrer, die mit langsamen Bohrbewegungen von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß vorgehen; zumindest nicht primär. Der Werkstoff der Politik, um im Bild zu bleiben, ist kein Brett. Der Werkstoff ist fluide und nimmt deshalb auch immer andere Formen an, kennt weder Anfang noch Ende. Sich auf diesem fluiden Untergrund navigierend zu bewegen, auf Unerwartetes strategisch, vielleicht experimentell zu reagieren und dabei Mehrheiten nicht aus dem Auge zu verlieren, ist viel anspruchsvoller als das langsame Bohren in dicken Brettern.

Politische Macht ist darauf ausgerichtet – im Miteinander einer Mehrheit –, nicht nur entscheidungsbefugt zu bleiben, sondern entscheidungsrelevant agieren zu können.  Die Fähigkeit zur Einigung gehört in der Demokratie zum Handwerkzeug der politischen Mitte. Mehrheiten sind in der Politik aber immer fragile Konstrukte. Die Konstitution von fluiden Gemeinschaften, die deshalb tagessensitiv immer im Blick zu behalten sind, um zweckgerichtete Problemlösungen durchzusetzen, zielt auf ein „bestmögliches Minimum“.2 Gemeint ist damit, dass es bei der politischen Entscheidungsauswahl nicht um das Optimum oder das Maximum geht, sondern eben um die Balance von beidem. Die situativ anzuwendende Heuristik, um eine bestmögliche Balance zu sichern, hat einen wichtigen Grund. Sie ermöglicht einer Regierung idealerweise nicht nur beständig die Mobilisierung notwendiger parlamentarischer Mehrheiten, sondern auch die Chancen einer Wiederwahl. Denn im Entscheidungsstrom von Politikern gilt es zu beachten, ein Problem nicht nur zu lösen, sondern so zu lösen, dass das Ergebnis nicht die Optionen für eine Wiederwahl minimiert. Politiker charakterisiert ein prekäres Beschäftigungsverhältnis: ungesichert, episodisch, unscharf. Ohne Kündigungsschutz müssen sie alles tun, um die Karriererisiken zu minimieren. Der französische Schriftsteller André Malroux formulierte zum interaktionistischen Machtverständnis treffend: „Mit der Macht kann man nicht flirten, man muss sie heiraten.“3 Habeck skizziert Macht-Poesie. Das gilt für das letzte Drittel des sehr lesenswerten Buches. Hier wird deutlich, wie er – immer entlang von Beispielen aus der Kieler Ministerzeit – politisch entscheidet. Kernbegriff ist dabei „im Einvernehmen“.  Man kann sich als Leser dieser „Macht des Miteinanders“ kaum entziehen. Für alle, die am Politikmanagement und am Gestaltungswissen interessiert sind, bietet Habeck reichlich Stoff zur Diskussion. Denn es bleibt provokant, wie man eine digitale Nachhaltigkeitsgesellschaft, die teilweise radikales Umdenken notwendig macht, in den Pfad unserer Verhandlungsdemokratie einpflegt. Change Manager werden nie mehrheitsfähig in Deutschland. Wie nimmt man die Angst vor Veränderung? Im Buch spürt man seinen Ansatz: Glaubt mir, vertraut mir, seht euch an, wie ich in Kiel als Minister entschieden habe. Habecks Ansatz folgt geradezu begeistert Hannah Arendt. Für einen promovierten Philosophen ist das wenig überraschend. Doch in der Anwendung, in der Umsetzung, in der Transformation der Macht-Philosophie zeigt er, wie er sich konkrete Kooperation auch über Sprach-Macht vorstellt.

In den ersten beiden Dritteln des Buches finden alle Leser viel Stoff zur grünen Agenda. Ökologie spielt dabei ebenso eine Rolle wie Mobilität und Bildung. Gerne genutzt wird der Begriff des Paternosters. Darin steckt der gesellschaftspolitische Blick: Wer aufsteigt tut dies auf Kosten derjenigen, die zeitgleich absteigen. Hier verbindet er Nachhaltigkeit mit Gerechtigkeitsfragen. Man erkennt, dass Habeck auf Deutschland-Tour war und wie er seine Argumente geschärft hat. Vieles von diesen Politikfeldern steckt im Wahlprogramm der Grünen für die kommende Bundestagswahl. Diese Themen und auch die Aufbereitung sind all jenen bekannt, die häufiger grünen Aktivisten zuhören. Deshalb bleibt für mich als Rezensent der letzte Teil des Buches am interessantesten, weil hier riskantes Denken in Gestaltungshandeln übersetzt wird.

Das Buch legt extrem gut offen, wie Habeck an Themen, Entscheidungen, Probleme und Herausforderungen herangeht. Das gilt auch für die Corona-Politik.4 Es offenbart damit auch dem politischen Gegner, wie man sowas parieren könnte.

Zitationshinweis:

Korte, Karl-Rudolf (2020): Robert Habeck: Von hier an anders: Eine politische Skizze, Rezension, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/robert-habeck-von-hier-an-anders-eine-politische-skizze/

This work by Karl-Rudolf Korte is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. Dazu erscheint im Sommer 2021 das Buch von Karl-Rudolf Korte/Gert Scobel/Taylan Yildiz (Hrsg.): Politische Heuristiken, Suhrkamp Berlin 2021. Darin der Aufsatz von Korte zum Thema: „Politische Mechanik: Über Entscheidungsheuristiken in der Politik“. []
  2. So formuliert von Peter Graf Kielmansegg mit Bezug auf Aussagen von Eugen Kogon, in: Ahmet Cavuldak (Hg.), Peter Graf Kielmansegg im Gespräch. Übungen im politischen Denken, Nomos Verlag Baden-Baden 2020, S. 62. []
  3. Das Zitat habe ich gefunden bei Peter Dausend/Horand Knaup, Alleiner kannst du gar nicht sein, dtv München 2020, S. 54. []
  4. Vgl. dazu auch Martin Florack/Karl-Rudolf Korte/Julia Schwanholz (Hrsg.): Coronakratie. Demokratisches Regieren in Ausnahmezeiten, Campus Verlag Frankfurt/New York 2021. []

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