Schultz, Tanjev / Hurrelmann, Klaus (Hrsg.): Bildung und Kleinstaaterei.

Bildung und KleinstaatereiDie titelgebende Frage „Brauchen wir mehr Zentralismus?“ – und diese Intention darf den Herausgebern dieses Bandes, dem an der Universität zu Bielefeld lehrenden Bildungsforscher Klaus Hurrelmann wie auch dem Wissenschafts- und Bildungsredakteur der Süddeutschen Zeitung, Tanjev Schultz, unterstellt werden – ist gewiss rein rhetorischer Natur.

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Schultz, Tanjev / Hurrelmann, Klaus (Hrsg.): Bildung und Kleinstaaterei

Denn natürlich wird in dem Sammelband nicht nur deskriptiv der deutsche Bildungsföderalismus in seinen bisweilen unübersichtlichen Facetten und Nuancen ausgeleuchtet, sondern eben vollumfänglich kritisiert. 

Schultz, Tanjev/Hurrelmann, Klaus (Hrsg.): Bildung und Kleinstaaterei.

Brauchen wir mehr Zentralismus?

Beltz Juventa, 2012, 242 Seiten, ISBN: 978-3-7799-2751-8, 19,95 Euro

Rezension von Gordian Ezazi

Die titelgebende Frage „Brauchen wir mehr Zentralismus?“ – und diese Intention darf den Herausgebern dieses Bandes, dem an der Universität zu Bielefeld lehrenden Bildungsforscher Klaus Hurrelmann wie auch dem Wissenschafts- und Bildungsredakteur der Süddeutschen Zeitung, Tanjev Schultz, unterstellt werden – ist gewiss rein rhetorischer Natur. Denn natürlich wird in dem Sammelband nicht nur deskriptiv der deutsche Bildungsföderalismus in seinen bisweilen unübersichtlichen Facetten und Nuancen ausgeleuchtet, sondern eben vollumfänglich kritisiert.

Bildungspolitik? Bloß keine Experimente!

Schon die Kapiteleinteilungen des Sammelbands vermögen diese bildungsföderal-kritische Stoßrichtung prononciert zu verdeutlichen: Auf ein einführendes Kapitel, welches sich – eher schwammig formuliert – mit der „politischen Architektur des deutschen Bildungsföderalismus“  auseinandersetzt, folgt ein dezidiert für den Bildungsföderalismus argumentierendes Kapitel. Thomas Kerstan, Zeit-Redakteur im Ressort „Chancen“, und an anderer Stelle auch der FAZ-Redakteur Jürgen Kaube, wenden ein, dass die Kompetenzwirren und föderalen Disparitäten im Bereich der Schulen und Hochschulen viel eher ideologischer, ergo: parteipolitischer, denn föderaler Natur seien. Jürgen Kaube meint gar, dass es gar nicht zu viel Föderalismus geben könne, da ja de facto dieser Föderalismus in der Bildungspolitik nie vorhanden gewesen sei, da alldieweil über Jahrzehnte hinweg eine „Rhetorik der Schuldzuweisungen“ (Seite 65)[1] seitens der Parteien den kommunalen respektive schulischen Trägern die nötigen finanziellen Zusagen und Zuwendungen verwehrt habe. Das wiederum, folgert Kaube, „wäre der Auftakt zu einer Reform der Finanzverfassung.“ (S. 166).

Mehr Föderalismus wagen!

Mit dem Bildungsföderalismus kritischer ins Gericht gehen die folgenden beiden Kapitel: „Argumente für mehr Bildungszentralismus“ und „Was tun gegen Kleinstaaterei in der Bildungsrepublik“, wobei sich die Aufsätze selbst in ihrer argumentativen Qualität – wie dies in der Natur der „Sammelband“-Sache zu liegen scheint – nicht eben unerheblich unterscheiden. Es erweist sich an dieser Stelle nicht unbedingt als Stärke des (in der Reihe „Pädagogische Streitschriften“ herausgegeben) Bands, dass das avisierte Lesepublikum ein breites zu sein bedarf, weshalb alles „verständlich und lesbar“ (S. 6) verfasst wurde, wie Schultz und Hurrelmann im Vorwort pflichtbewusst anmerken. Doch irgendwie kommt dieses Anliegen etwas zu plakativ daher, eben auch weil man das Gefühl nicht los wird, dass die Autoren mitunter geradezu krampfhaft versucht haben, möglichst „locker-flockig“ zu formulieren und sich dabei zu sprachlichen Flapsigkeiten animieren lassen, die eher dem reißerischen Titel denn dem bedenkenswerten Thema und Politikfeld der Bildungspolitik entsprechen.

Ein Wermutstropfen bleibt auch, dass viele Themenfelder nur allzu kursorisch durchflogen werden: Wie stellt sich die Frage des Bildungsföderalismus für die Akteure, etwa die Lehrer oder Landespolitiker, dar? Hans-Peter Füssel („Lehrkräfte im Föderalismus“) weist in die richtige Richtung; leider finden ähnliche Beiträge nur wenig Platz in dem Sammelband. An der oft undefinierbaren Struktur des Politikfeldes liegt es auch, dass die Hochschulpolitik (Bologna-Reformen, prekäre Situation des so genannten „Mittelbaus“) nur nebenbei erwähnt wird. Zentral bleibt – und dies mag auch verständlich sein – die Schulpolitik, welche die (finanzielle) Majorität des Politikfeldes ausmacht.

Das Politikfeld Bildungspolitik: eine Skizze.

Der Skizzierung des Politikfeldes Bildungspolitik werden vornehmlich die ersten Aufsätze („Die politische Architektur des deutschen Bildungsföderalismus“) gerecht. Der Artikel von Benjamin Edelstein und Jutta Allmendinger („Bildungsföderalismus – Déjà-vu mit Happy End?“) verweist auf elementare Grundlagen, die es in der bildungspolitischen Debatte zu beachten gilt: „Die Bildungspolitik ist das einzige große Politikfeld, dessen Gestaltung nahezu ausschließlich in der Zuständigkeit der Bundesländer liegt. Dabei ist die Schulpolitik der quantitativ bedeutsamste Teil.“ (S. 21).  Hier schon lässt sich auf aktuelle Debatten zum Thema hinweisen: während das Gros der schwarz-gelben Regierungskoalition an dem Kooperationsverbot der Föderalismusreform II von 2006 festhält, gleichzeitig jedoch Ausnahmen im Hochschulbereich erreichen wollte („kleine Lösung“), lehnte dies die rot-grüne Opposition ab, da eine Verfassungsänderung gleich das ganze Kooperationsverbot zurücknehmen müsse (vgl. Reith 2013). So bleibt es beim Finanzierungsverbot des Bundes, denn: „Eine Mitfinanzierungsbefugnis des Bundes besteht nur dort, wo der Bund eine Mitverwaltungsbefugnis hat – was im Bereich des Schulwesens nun nicht mehr der Fall ist.“ (S. 27).

Es fehle an einer gemeinsamen Bildungsplanung zwischen Bund und Ländern, die von einer bloßen Kompetenzentflechtung Abstand nehme und konstruktiv zu wirken imstande sei, so Allmendinger und Edelstein (S. 27). In Deutschland habe seit jeher ein Problem der begrifflichen Zuordnung bestanden, so sei die Schul- unter die Kulturpolitik subordiniert worden, was „auf einem antiquierten Verständnis von Bildungspolitik“ beruhe (S. 28). Bildungspolitik sei „eine Querschnittaufgabe“ (ebd.), ein Politikfeld das etwa die Sozial- oder Arbeitsmarktpolitik tangiere und deshalb im gesamtstaatlichen Interesse liege (vgl. ebd.).

Dieter Dohmen erwähnt in seinem äußerst informativen Aufsatz („Wer finanziert das deutsche Bildungssystem? Ökonomische Aspekte“), dass der Anreiz zur Anstoßfinanzierung – etwa dem Ausbau der Ganztagsschulen oder der Investition in die Hochschulen – oft nicht mehr im Interesse der Länder liege, die – auch bedingt durch die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse (Artikel 109, Absatz 3 GG)[2] – die finanziellen Mittel anderweitig einsetzen müssten (S. 99 f.). Dohmen präsentiert ein Finanzierungsmodell, das Bund und Länder (finanziell) entlasten könnte, ohne dabei am Kooperationsverbot des Grundgesetzes zu rütteln: Den Zukunftsfonds Bildung. Dieser Fonds könnte, so Dohmen, durch überschüssige Beträge der Sozialversicherungen oder private Investoren gefüttert werden. So plausibel die Idee klingt, die rechtliche Ausgestaltung bleibt unklar, dazumal die Rolle von „privaten Investoren“, die Dohmen en passant erwähnt, zu definieren wäre.

Mit der Kultusministerkonferenz ist „kein Blumentopf zu gewinnen“

Die ehemalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt und hessische Staatssekretärin für Bildung, Hildegard Hamm-Brücher, bekundet in einem offenherzigen Interview mit Tanjev Schultz, dass das horizontale Koordinationsgremium der Länder, die Kultusministerkonferenz (kurz KMK) ein „völlig polarisiertes Gremium“, mit dem „kein Blumentopf zu gewinnen ist“ (S. 193), sei. Sie konzediert zwar, dass die ideologische Polarisierung früherer Jahre abgenommen habe (etwa in der Schulstrukturdebatte), gleichwohl jedes Land nach wie vor das tue, was es wolle – eine Koordination der Bildungspolitiken nur schwerlich erkennbar sei (vgl. S. 194.). Tanjev Schultz plädiert an anderer Stelle („Mehr Demokratie in der Bildungsrepublik wagen“) in einem mitunter sehr polemisch geratenen Aufsatz, dass die KMK „ein atavistisches Überbleibsel der Arkanpolitik vordemokratischer Zeiten“ (S. 236) sei.

Hildegard Hamm-Brüche plädiert deshalb für einen beim Bundespräsidenten angesiedelten Bildungsrat, der „klare Handlungsaufträge und Politikempfehlungen“ geben solle (S. 197). Geteilt wird diese Auffassung an anderer Stelle übrigens auch von Erich Thies, der immerhin Generalsekretär der KMK war (vgl. Theis 2013). Dieser Rat müsse personell breit besetzt sein. Hoch- und Fachhochschuldozenten, Lehrer, Schülervertretungen, politische Entscheidungsträger von Bund und Ländern usw. usf. Wie nun ein „objektiveres Verfahren der Auswahl seiner Mitglieder“ (Theis 2013: 7) gewährleistet werden kann, steht ebenso anhin wie die Kompetenzen, die einem solchen Rat übertragen werden könnten. Wie und wie oft wird er tätig? Bestimmt er seine thematische Agenda selbst? Ist sein Adressat zuvörderst die „breite Öffentlichkeit“, wie etwa (per definitionem) im Falle des Deutschen Ethikrates (vgl. Ezazi 2012), und erst dann die Politik in Bund und Ländern? Berät er die Regierungsakteure oder aber die Legislativen – oder sowohl als auch? Zu diesem Bildungsrat hätte man sich in diesem Aufsatz gerne ein wenig mehr gewünscht, vielleicht sogar an konkret-institutionellen Vorschlägen. Was vermag ein solcher Akteur auf dem Politikfeld der Bildungspolitik zu verändern, was könnte er verbessern? Die ersten Erfahrungen mit einem solchen Bildungsrat (1965-1975) waren durchaus ambivalenter Natur. Man könnte diese Fehler beseitigen, aber ob ein derartiges Gremium wirklich dazu imstande wäre, konkrete Lösungen zu offerieren, darf ernstlich angezweifelt werden. Als Diskussionsplattform, als „offenes Forum“ (S. 239), wäre ein derartiger Bildungsrat denkbar. Bei der Komplexität der Materie (Schulpolitik, Hochschulpolitik) und den Akteuren (von der EU war an dieser Stelle noch gar nicht die Rede) im Bereich der Bildungspolitik, erscheint die Verwirklichung eines solchen Bildungsberatungsorgans, wie auch dessen vermeintliche Wirksamkeit, noch in weiter Ferne zu liegen.

Fazit: Als Einstiegslektüre in die Bildungspolitik geeignet

Den Herausgebern ist ganz gewiss dafür zu danken, sich jenem Politikfeld der Bildungspolitik auf eine derart instruktive Art genähert zu haben. Die Struktur des Bandes ist allerdings nicht vollumfänglich als gelungen zu bezeichnen: so bleibt es eher fragwürdig, warum die Herausgeber zu Beginn und am Ende des Buches mit Verve die These formulieren, dass es mit dem Bildungsföderalismus ein Ende habe, respektive dieser dringend generalüberholt werden müsse. Denn im Folgenden wurden dann mehrere Beiträge abgedruckt, die dieses Modell – wenn auch mit durchaus nicht immer allzu erklecklichen Argumenten – verteidigen. Darüber hinaus divergieren die Beiträge hinsichtlich ihrer Qualität beträchtlich – gerade die eher polemischen Kurzessays wirken neben strikt wissenschaftlich gegliederten und elaboriert formulierten Aufsätzen eher deplatziert. Als Einstiegslektüre lohnt ein Blick in den Band allemal, für eine weiterführende und tiefgründigere Auseinandersetzung mit dem Großthema der Bildungspolitik scheinen andere Werke hingegen besser geeignet zu sein.

Literatur:

  • Ezazi, Gordian (2012): Trends der ethischen Politikberatung. Wie der Ethikrat Politik macht – illustriert am Beispiel der Beschneidungsfrage. Erschienen in: Regierungsforschung.de, Politikmanagement und Politikberatung. Online verfügbar unter: http://www.regierungsforschung.de/dx/public/article.html?id=171 (03.03.2013).
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung (2009): Schuldenbremse erhält verfassungsrang, online abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/grundgesetzaenderung-schuldenbremse-erhaelt-verfassungsrang-1812587.html (03.03.2013).
  • Reith, Karl-Heinz (2013): Kooperationsverbot bleibt im Grundgesetz, abrufbar unter: http://bildungsklick.de/a/86741/kooperationsverbot-bleibt-im-grundgesetz/ (03.02.2013).
  • Schultz, Tanjev/Hurrelmann, Klaus (Hrsg.): Bildung und Kleinstaaterei. Brauchen wir mehr Zentralismus?, Weinheim und Basel: Beitz/Juventa.
  • Thies, Erich (2013): Wäre der Bildungsrat ein Ausweg aus dem Streit um Zuständigkeiten?, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.02.2013, Nr. 27, Seite 7.

Endnoten/Anmerkungen

[1] Die in Klammern stehenden Seitenzahlen beziehen sich – insofern nicht anders gekennzeichnet – explizit auf Aufsätze aus dem rezensierten Sammelband. Auf eine gesonderte Angabe im Literaturverzeichnis wurde an dieser Stelle verzichtet.

[2] Die Bundesländer dürfen ab dem Jahr 2020 keine neuen Kredite mehr aufnehmen. Mehr in Kürze: Vgl. FAZ 2009.

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