SPD im digitalen Wandel: Volle Server, leere Ortsvereine

Finn Schenkin, der das Masterprogramm “Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung” an der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen studiert, wirft einen Blick auf die SPD im digitalen Wandel. Was können politische Parteien wie die SPD von sozialen Bewegungen wie Fridays for Future lernen? Der digitale Raum hätte auch für Parteien ein enormes Mobilisierungspotenzial, so der Autor.

 

Die SPD verliert als eine der mitgliederstärksten politischen Parteien Deutschlands seit Beginn des 21. Jahrhundert nicht nur an Wählerstimmen, sondern auch an Mitgliedern. Dabei ist der Parteibetritt heutzutage bequem wie nie: Online lässt sich der Antrag zur Parteimitgliedschaft in wenigen Klicks erledigen. Dennoch scheint es für viele Menschen zunehmend unattraktiver zu werden in die Partei einzutreten: Die Mitgliederzahlen der SPD sanken in den letzten zwei Dekaden von 755.000 im Jahr 1999 auf knapp 400.000 im Jahr 2019.

SPD im digitalen Wandel: Volle Server, leere
Ortsvereine

Wie verändert sich durch Digitalisierung die Mitgliedschaft in traditionellen Parteien wie der SPD?

Autor

Finn Schenkin studiert das Masterprogramm “Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung” an der NRW School of Governance am Institut für Politikwissenschaft der UDE. Der Essay ist im Kurs “Digital Activism, Digital Oppostion, Digital Movements, Digital Parties” unter der Leitung von Dr. Kristina Weissenbach entstanden.

Die SPD in der (digitalen) Krise?

Die SPD verliert als eine der mitgliederstärksten politischen Parteien Deutschlands seit Beginn des 21. Jahrhundert nicht nur an Wählerstimmen, sondern auch an Mitgliedern. Dabei ist der Parteibetritt heutzutage bequem wie nie: Online lässt sich der Antrag zur Parteimitgliedschaft in wenigen Klicks erledigen. Dennoch scheint es für viele Menschen zunehmend unattraktiver zu werden in die Partei einzutreten: Die Mitgliederzahlen der SPD sanken in den letzten zwei Dekaden von 755.000 im Jahr 1999 auf knapp 400.000 im Jahr 2019 (Statista 2020). Dabei sichert eine hohe Mitgliederanzahl von Parteien die Verbindung zwischen Zivilgesellschaft und Politik samt deren Eliten – die sogenannte Linkage-Funktion (Poguntke 2000). Durch diesen Mitgliederschwund könnte nach Klein et al. (2011) die Linkage-Funktion auf Dauer gefährdet und eine Krisensituation der repräsentativen Demokratie ausgelöst werden.

Kann die Abwendung dieser Krise in der Digitalisierung liegen? Denn besonders unter jungen Menschen ist der Parteibeitritt und das aktive Engagement in Ortsvereinen selten geworden – die zunehmende Überalterung der SPD wird den Mitgliederschwund voraussichtlich weiter beschleunigen (Munimus 2014). Mit Blick auf die hoch digitalisierte Klimaschutz-Bewegung Fridays for Future lässt sich der jungen Generation jedoch gesellschaftspolitisches Interesse nicht absprechen: Sie protestieren mit Eigenmotivation wöchentlich auf den Straßen, verbreiten politische Inhalte über soziale Medien und vernetzen sich mit weiteren Akteuren. Auf traditionelle Mitgliedschaften setzt Fridays for Future im Gegensatz zu politischen Parteien nicht.

Es stellt sich die Frage, welche Rolle traditionelle Parteimitgliedschaften in einer zunehmenden digitalisierten Gesellschaft einnehmen und welche Auswirkung Digitalisierung auf die Parteimitgliedschaft besitzt. Dieses Essay nimmt die SPD und ihre Mitglieder als Fallbeispiel und erörtert folgende Fragestellungen: Wie ändert sich die Partei und die Parteimitgliedschaft durch Digitalisierung? Welche Handlungslogik entsteht durch Digitalisierung? Welcher dieser Befunde treffen auf die SPD zu? Welche Zukunft erwartet die SPD und deren Mitglieder? Und was kann die SPD auf ihrem weiteren (digitalen) Weg von neuen sozialen Bewegungen wie Fridays for Future lernen?

Digitalisierung: Parteien und sozialen Bewegungen im Wandel

Die traditionellen Strukturen von Parteien wie auch Parteimitgliedschaften sind im Wandel. Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Susan Scarrow (2015) differenziert in ihrem multi-speed model für politische Parteien zwischen verschiedenen Formen von Parteizugehörigkeit (party affiliation). Bei den zahlreichen Kategorien von Affiliates ((Im weiteren Verlauf wird der englische Begriff Affiliate für Mitglieder/Zugehörige/Unterstützende einer Partei im Sinne von Scarrow (2014) verwendet.)) (Zugehörigen einer Partei) werden in diesem Essay neben der traditionellen Parteimitgliedschaft solche untersucht, die vor allem durch digitale Medien beziehungsweise das Internet möglich wurden.

Durch einen formalen Parteibeitritt können Menschen unter bestimmten Voraussetzungen Mitglieder einer politischen Partei werden. Neben diesen traditionellen Mitgliedern existieren nach Scarrow (2015) light members, die keine volle Parteimitgliedschaft, sondern eine abgeschwächte oder zeitliche begrenzte Form der Zugehörigkeit besitzen. Zu cyber-members zählen hingegen Affiliates, deren Parteiarbeit sich auf digitale Räume wie Online-Gruppen oder -Arbeitskreise beschränkt (Scarrow 2015). Gibson et al. (2017) präzisieren diese Zugehörigkeit als digital activists; um klarzustellen, dass es sich dabei nicht zwangsläufig um Personen handelt, die auch eine Parteimitgliedschaft besitzen. Diejenigen, die mit Parteien auf sozialen Medien befreundet sind oder mit den Inhalten interagieren, nennt Scarrow (2015) friends. Als letztes besteht online die Möglichkeit zwar Parteiinhalte zu rezipieren, aber nicht mit diesen zu interagieren – diese Gruppe von Affiliates fasst Scarrow (2015) als news audience zusammen.

Es wird deutlich, dass die Verbreitung digitaler Medien und darauf basierende Angebote neue Unterstützungsmöglichkeiten für Parteien ermöglichen. So können Menschen, die sich in Teilen mit der SPD identifizieren oder sie unterstützen möchten, auch ohne einen Parteibetritt viele Angebote wahrnehmen, ihre Zugehörigkeit öffentlich nach außen kommunizieren und sogar aktive Parteiarbeit leisten. Die SPD erreicht dadurch mehr Menschen über ihre Mitglieder hinaus, die sich für Themen mobilisieren lassen, Parteiinhalte kommunizieren und sich möglichweise zunehmend aktiv in die Partei einbringen.

Doch auch für soziale Bewegungen ermöglicht Digitalisierung Veränderungen, die – wie später deutlich wird – Parallelen zur digitalen Transformation von Parteien aufweisen. Um diese Parallelen ziehen zu können, muss zunächst eine wichtige theoretische Perspektive, die das Handeln sozialer Bewegung wie Fridays for Future aufschlüsselt, erläutert werden. Im Kontext sozialer Bewegungen unterscheiden Lance Benett und Alexandra Sengerberg (2013) zwischen einer kollektiven Handlungslogik (collective action) und einer konnektiven Handlungslogik (connective action). Die kollektive Handlungslogik basiert auf hierarchischen, strikt organisierten Strukturen mit einer kollektiven Identität. Die Angehörigen der Bewegung teilen diese kollektive Identität und folgen der Mobilisierung der führenden Personen innerhalb der Organisation (Benett & Segerberg 2013). Währenddessen basiert die konnektive Handlungslogik auf einer netzwerkartigen, individualistischen Struktur: Es agieren keine klassischen Mitglieder der Organisation, sondern Akteure innerhalb eines Netzwerks, die selbstmotiviert einem Handlungsaufruf folgen, ihn weiterverbreiten und selbst interpretieren – diesen geschaffenen Handlungsraum nennen Bennet und Segerberg (2013) personal action frames. Das Internet beziehungsweise digitale Medien sind essenzieller Bestandteil der konnektiven Handlungslogik, die ohne diese nicht möglich wäre, während sie für kollektive Handlungslogik vor allem eine organisatorische Hilfe darstellen (Bennet & Segerberg 2013).

SPD goes online: Die Partei im digitalen Raum

Welche Rolle spielt das Internet und die Digitalisierung für die SPD? Die sozialdemokratische Partei Deutschlands loggte sich schon früh ins digitale Zeitalter ein: Bereits 1996 wurde ein rein virtueller Ortsverein der SPD gegründet (Marschall 2013).1 Inzwischen ist Digitalisierung kein Pilotprojekt der SPD mehr, sondern Essenz der eigenen Parteistruktur – das zeigte sich am Parteitag 2017, der mit dem Motto „#SPDerneuern“ nun auch im Schriftbild mit dem internettypischen Hashtag (#) einen digitalen Wandel ausstrahlen sollte (SPD-Parteivorstand 2017). Nach Michels (2021) hat sich die SPD auf verschiedenen Ebenen digitalisiert: organisatorisch wie auch kommunikativ, intern wie extern. Die Partei ist in ihren unterschiedlichen Bestandsteilen (Landesverbänden, Ortsvereinen, Amtsträger:innen, Fraktionen, etc.) im digitalen Raum zu finden: Es gibt zahlreiche Internetseiten, Social-Media-Profile auf allen gängigen Plattformen, Online-Newsletter, Online-Veranstaltungen und weitere digitale Medienangebote. Parteimitglieder können darüber hinaus über ein internes Netzwerk (Intranet) miteinander kommunizieren, interagieren und informieren (Michels 2021). Die Covid-19-Pandemie mag die Digitalisierung der Parteien wohl noch weiter vorangetrieben haben: Während in der prepandemischen Literatur digitale Parteitage noch als Experimente oder Versuche2 bezeichnet werden, sind sie in kürzester Zeit Standard geworden. Mit der heutigen Technologie können parteipolitische Gremien jegliche Termine und Veranstaltungen ins Digitale übertragen lassen. Inwiefern sich dies jedoch etablieren wird und welche Grenzen das Digitale besitzt, wird in der kommenden Zeit noch eine intensive Debatte mit sich bringen.

Doch was bedeutet der digitale Wandel nun konkret für die individuellen SPD-Mitglieder und für die Parteimitgliedschaft als solche? Das multi-speed model nach Scarrow (2015) lässt sich auf die SPD anwenden: Neben traditionellen Parteimitgliedern gibt es weitere Affiliates. Eine light membership gab es in Form einer Gastmitgliedschaft zeitweise in der SPD zu erwerben, die mit eingeschränkten und zeitlich begrenzten Rechten einherging.3 Zahlreiche friends finden sich auf den Social-Media-Accounts der Partei, ihrer Landesverbände, der Fraktionen und ihrer Persönlichkeiten. Sicherlich sind nicht alle Abonnierende und Follower auf den sozialen Plattformen der SPD aktive Affiliates, die regelmäßig Inhalte liken, teilen und kommentieren, aber alle sind Teil der news audience. Sie sehen die Posts der SPD auf ihrer Startseite, in ihrem Feed und werden somit über die Neuigkeiten sowie Positionen der Partei informiert. Die zur (digitalen) Parteiarbeit beitragenden digital activists, wie sie nach Gibson et al. (2017) bezeichnet werden, sind ohne tiefergehende empirische Forschung schwieriger auszumachen. Jedoch lassen sich beispielhaft auf Facebook Seiten finden, die auf digital activists hinweisen: Beispielsweise solche, die verschiedene digitale Arbeitskreise der Partei abbilden,4 oder Gruppen, die (auch Nicht-Mitglieder) zum politischen Austausch einladen.5 Insgesamt ist davon auszugehen, dass es, neben der traditionellen Arbeit der Mitglieder in Ortsvereinen, viele digital aktive SPD-Mitglieder sowie weitere SPD-Affiliates gibt, die im digitalen Raum ihre Partei unterstützen, zur Parteiarbeit beitragen und der Partei Sichtbarkeit verleihen.

Welche Auswirkungen besitzen diese neue Zugangsmöglichkeiten für die Parteimitgliedschaft als solche? Tendenziell steht der Partei durch das Internet ein „expansiv wachsendes Rekrutierungsfeld zur Verfügung, das Personenkreise umfasst, die bislang nicht in die Parteiarbeit eingebunden wurden“ (Marschall 2013, S. 284). Auch Nicht-Mitglieder können ohne große Hürden an den oben skizzierten Möglichkeiten in der Partei mitwirken, ihre Inhalte verbreiten, informiert werden oder ihre Unterstützung kommunizieren. Dass die neuen digitale Möglichkeiten und dadurch resultierende Affiliates zu höheren Mitgliederzahlen führen, konterkarieren Kosiara-Pedersen et al. (2017) in ihrer europaweiten Untersuchung verschiedener Parteien: „Parties cannot make up with decreasing numbers of traditional members by introducing other kinds of affiliations“ (S. 19f.). Dass sich Affiliates ihrer Partei formal anschließen, ist demnach ein Trugschluss. Stattdessen wird sogar ein gegenteiliger Effekt sichtbar, sodass sich durch Maßnahmen wie der Gastmitgliedschaft sogar Neumitgliederschaften reduzieren (Kosaria-Pedersen et al. 2017, S. 17). Das mag im Übrigen auch der Grund sein, weshalb die SPD ihre Gastmitgliedschaft inzwischen eingestellt hat.

Auf der Ebene der Parteimitglieder haben die neu geschaffenen digitalen Möglichkeiten einen positiven Effekt: Die innerparteiliche Interaktion und Vernetzung nehmen zu (Kosiara-Pedersen et al. 2017, S. 17). So ist nicht davon auszugehen, dass ein Mitgliederschwund in der SPD unmittelbar mit einer Schwächung der Partei einhergeht. Durch den digitalen Wandel entsteht eine intensivere parteiinterne Zusammenarbeit, eine bessere Vernetzung, mehr Aktivität zwischen den Mitgliedern und der Zugewinn weiterer Affiliates. Mitglieder könnten dadurch, wie Marschall (2013, S. 286) skizziert, unmittelbar an Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse der Partei beteiligt werden. Dies dürfte dem vermehrt basisdemokratischen Anspruch der SPD seit 2017 (SPD-Parteivorstand 2017) gerecht werden. Demnach ist der Lagebeschreibung von Kosiara-Pedersen et al. (2017) zuzustimmen: „the story of parties‘ organizational change is much more complex than a simple tale of decline“ (S. 3).

Was kann die SPD von Fridays for Future lernen?

Der digitale Wandel der SPD, der sich tiefergehend als ein organisatorischer Wandel entpuppt, weist eine bedeutsame Parallele zu sozialen Bewegungen auf: Mobilisierungspotenzial. Neue (digitale) soziale Bewegungen zeichnen sich durch ein netzwerkartiges, konnektives Handeln aus, wodurch eine hohe Anzahl an Personen in kurzer Zeit für ein Thema mobilisiert werden kann (Bennet & Segerberg 2013). Die Ausmaße und die globale Vernetzung, welche die Klimabewegung Fridays for Future erreicht hat, zählt wohl zu den eindrucksvollsten Beispielen für einen Akteur konnektiven Handelns, der eng mit digitalen Medien wie z.B. den sozialen Plattformen verknüpft ist (Mirbabaie et al. 2021).

Ähnliche Möglichkeiten zur Mobilisierung lassen sich in den digitalen Strukturen von Parteien wie der SPD erkennen. Das erhöhte parteiinterne Engagement, die bessere Vernetzung der Mitglieder und die verschiedenen Affiliates ermöglichen Logiken des konnektiven Handelns der sozialen Bewegungen zu adaptieren. Für bestimmte Anliegen aus dem Themenspektrum der SPD könnten bewusst personal action frames geschaffen werden, die Mitglieder und weitere Affiliates dazu motivieren, Inhalte und Botschaften im digitalen Raum zu verbreiten. Auf organisatorischer Ebene gedacht würde dies die regional-hierarchische Struktur verändern, die sich in weitestgehend autonomen Ortsvereinen und darüberstehenden Landesverbänden gliedert. Stattdessen könnten themenspezifische Kommunikationsnetzwerke als Organisationsform – bestehend aus Mitgliedern und (potenziellen) Affiliates – die Partei strukturieren und bei Bedarf mobilisiert werden. Ein solcher Bedarf entstünde parlamentarisch, um beispielsweise ein Gesetzesvorhaben mit gesellschaftlicher Unterstützung zu decken, auf politische Themen aufmerksam zu machen oder besonders in der Rolle der Opposition gesellschaftlichen Druck auf die Regierung auszuüben. Außerparlamentarisch scheint diese Perspektive der Adaption konnektiven Handelns auch im Wahlkampf interessant. Ebenso könnte die SPD kooperativ mit einer sozialen Bewegung gemeinsam mobilisieren, wodurch der bereits jetzt zu beobachtende Kooperationsmodus zwischen Parteien und sozialen Bewegungen (Schwartz 2010) neue Ausmaße annehmen könnte.

Doch bei allen Dingen, die die SPD von (digitalen) sozialen Bewegungen wie Fridays for Future lernen kann, muss sie als politische Partei stets als Akteur in einem rigiden Parteiensystem gedacht werden. Konnektive Handlungslogiken können nur insoweit übernommen und angewandt werden, wie es die Grenzen des eigenen Systems erlauben. So muss laut Parteiengesetz (1994[2021]) eine Partei innerdemokratisch aufgebaut sein, einen Parteivorstand ernennen, Mitglieder besitzen und viele weitere Regeln befolgen. Einer Hierarchie und bestimmten organisatorischen Zwängen können sich politische Parteien in Deutschland also nicht entziehen. Schlussendlich besitzen Parteien und soziale Bewegungen unterschiedliche Rollen in der Demokratie. Die zukünftige Forschung sollte sich angesichts der aktuellen digitalen Transformationen und den Folgen für die organisatorische Struktur von Parteien sowie sozialen Bewegungen diese Rollen genauer anschauen, sie stärker miteinander in Bezug setzen und eventuell neu bewerten. Unter diesem Aspekt sollte auch die Linkage-Funktion der Parteien weiteruntersucht werden: Wie viele formale Mitglieder braucht eine Partei, um Mittlerin zwischen Zivilgesellschaft und Politik zu sein? Oder können, wie Scarrow (2019) andeutet, Affiliates diese Rolle übernehmen?

Zusammenfassend zeigt sich, dass der digitale Wandel die SPD zu großen (organisatorischen) Veränderungen bewegt. Dabei gerät die traditionelle Mitgliedschaft ins Wanken, was sich in sinkenden Mitgliederzahlen zeigt. Wer dabei jedoch einen Zusammenhang zur Schwächung der Partei zieht, begeht eine Fehleinschätzung. Durch die zunehmende Digitalisierung der Partei und ihrer Mitglieder wird die Parteiarbeit intensiviert und ist weniger von den regional-begrenzten Ortsvereinen abhängig. Diese mögliche organisatorische Veränderung hin zu einer netzwerkartigen Struktur verleiht der SPD ein neues Mobilisierungspotenzial. Somit können Logiken des konnektiven Handelns, welches bisher in gut vernetzten sozialen Bewegungen wie Fridays for Future sichtbar wurde, in Teilen adaptiert werden. Dazu muss die Handlungslogik der Bewegung aufgeschlüsselt werden: Wie sind die Netzwerke von Fridays for Future aufgebaut? Wie werden sie aktiviert? Welche Medien werden dabei wie genutzt? Die Beantwortung dieser und weiterer Fragen kann das Mobilisierungspotential der SPD verbessern, sie neue Affiliates gewinnen lassen und die interne Vernetzung stärken. Langfristig können Parteien wie die SPD durch die Adaption dieser Handlungslogik die digitale Transformation besser zu ihrem Vorteil nutzen: Die strategische Vernetzung ihrer Mitglieder mit Affiliates sowie die Nutzung des Mobilisierungspotenzials könnten langfristig dem Mitgliederschwund entgegenwirken. Für die engagierten Parteimitglieder bringt die digitale Transformation mehr Möglichkeiten, ihre Partei zu unterstützen, sich über Ortsvereine hinaus zu verschiedenen Themen auszutauschen und weitere Menschen für ihre politischen Einstellungen zu begeistern. Demnach sind leere Ortsvereine und zunehmend vollere Server ein Zeichen für eine weitere Phase in der digitalen Transformation der SPD, aber nicht als das baldige Verschwinden der Partei zu deuten.

Literaturverzeichnis

Bennet, L., & Segerberg, A. (2013). The Logic of Connective Action – Digital Media and the Personalization of Contenious Politics. Cambridge: Cambridge University Press

Gibson, R., Greffet, F., & Cantijoch, M. (2017). Friend or Foe? Digital Technologies and the Changing Nature of Party Membership. Political Communication, 34, 89-111.

Klein, M., von Alemann, U., & Spier, T. (2011). Warum brauchen Parteien Mitglieder? In Spier et al. (Hrsg.). Parteimitglieder in Deutschland. Wiesbaden: Springer VS.

Kosiara-Pedersen, K., Scarrow, S. E., Van Haute, E., Webb, P., & Poguntke, T. (2017). Party membership costs, new forms of party affiliation, and partisan participation. Organizing political parties: Representation, participation, and power, 234-258.

Marschall, S. (2013). “Mitgliederpartei 2.0”. Chancen und Grenzen virtueller Parteimitgliedschaft. In Ulrich von Alemann, Martin Morlok und Tim Spier (Hrsg.): Parteien ohne Mitglieder? Wiesbaden: Springer VS.

Michels, D. (2021). Digitaler Wandel in der SPD – Kommunikation, Beteiligung und Organisation in der Parteireform 2017-2019. Wiesbaden: Springer VS.

Mirbabaie, M., Brünker, F., Wischnewski, M., & Meinert, J. (2021). The Development of Connective Action during Social Movements on Social Media. ACM Transactions on Social Computing, 4(1), 1-21.

Munimus, B. (2014). Alternde Volksparteien. Bielefeld: transcript-Verlag.

Parteiengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 (BGBl. I S. 149), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) geändert worden ist, (1994[2021]).

Poguntke, T. (2000). Parteiorganisation im Wandel. Gesellschaftliche Verankerung und organisatorische Anpassung im europäischen Vergleich. Wiesbaden: Springer VS.

Scarrow, S. E. (2015). Beyond Party Members. Oxford: Oxford University Press.

Scarrow, S. E. (2019). Multi-speed parties and representation: the evolution of party affiliation in Germany. German politics, 28(2), 162-182.

Schwartz, M. A. (2010). Interactions between social movements and us political parties. Party Politics, 16(5), 587-607.

SPD-Parteivorstand. (2017). Die #SPDerneuern: Unser Weg nach vorn. Leitantrag und Arbeitsprogramm. Beschluss des SPD-Parteivorstands [Online]; zuletzt abgerufen am 10.03.2022 unter https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Bundesparteitage/Bundesparteitag_2017/Ordentlicher_BPT/20171127_LA_Arbeitsprogramm.pdf.

SPD-Kreisverband Oberberg (2019). Satzungsänderung für Gastmitglieder und Unterstützer*innen der SPD [Online]; zuletzt abgerufen am 10.03.2022 unter https://www.spd-oberberg.de/satzungsaenderung-fuer-gastmitglieder-und-unterstuetzerinnen-der-spd.

Statista. (2020). Anzahl der Parteimitglieder der SPD von 1990 bis 2019 [Online]; zuletzt abgerufen am 10.03.2022 unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1214/umfrage/mitgliederentwicklung-der-spd-seit-1978/.

Tursky-Hartmann, P. (2015). Das Internet für die politische Arbeit der SPD erforschen [Online]; zuletzt abgerufen am 10.03.2022 unter https://virtueller-ortsverein.de/tag/spd/.

Zitationshinweis:

Schenkin, Finn (2022): SPD im digitalen Wandel: Volle Server, leere Ortsvereine, Wie verändert sich durch Digitalisierung die Mitgliedschaft in traditionellen Parteien wie der SPD?, Student Paper, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/spd-im-digitalen-wandel-volle-server-leere-ortsvereine/

This work by Finn Schenkin is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. Seit 2007 ist der VOV allerdings offiziell nicht mehr aktiv (Tursky-Hartmann 2015). []
  2. Siehe beispielsweise Marschall (2013, S. 273). []
  3. Die Gastmitgliedschaft der SPD wurde 2020 mit der Änderung des Organisationsstatuts wieder abgeschafft (Kreisverband SPD Oberberg 2019). []
  4. z.B. „SPD Arbeitskreis Duisburg-Süd“ (https://www.facebook.com/SPD-Arbeitskreis-Duisburg-S%C3%BCd-AK-S%C3%BCd-163386260347062/), zuletzt abgerufen am 10.03.2022). []
  5. z.B. „#Unsere Neue SPD“ (https://www.facebook.com/groups/1551193684899517/, zuletzt abgerufen am 10.03.2022). []

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