Transparenz- und Lobbyregister in NRW aus vergleichender Perspektive

Maximilian Schiffers, M.A.Der Landtag NRW befasst sich aktuell mit dem Thema Transparenz- und Lobbyregister. Allgemein lässt sich festhalten, dass die politische und wissenschaftliche Debatte zu diesem Thema national wie international weit fortgeschritten ist. Es existieren gemeinsam erarbeite Standards sowie ausgearbeitete Vorschläge aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und von politischer Seite. Die Besonderheit der deutschen Debatte ist, dass darauf aber kaum Bezug genommen wird. Deutschland liegt im internationalen Vergleich im niedrig regulierten Bereich.

Maximilian Schiffers orientiert sich in seinem Beitrag an der Leitfrage, welche Qualitätsmerkmale und Praxiserfahrungen den gegenwärtigen, international-vergleichenden Stand der Transparenz- und Lobbying-Regulierung auszeichnen. Dazu skizziert er zunächst die Strukturen und der Kontext von Lobbying im politischen Prozess und gibt eine Übersicht der Praxiserfahrungen aus international-vergleichender Perspektive. Abschließend formuliert er Zielvorschläge der Lobbying-Regulierung für NRW, die aus politikwissenschaftlicher Perspektive besonders relevant sind.

 

Transparenz- und Lobbyregister in NRW aus vergleichender Perspektive

Autor

Maximilian Schiffers ist Promotionsstipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes und und Promovend an der NRW School of Governance, Institut für Politikwissenschaft, Universität Duisburg-Essen. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Lobbying- und Interessengruppenforschung, speziell zu Koordinierungsgremien von Regierungen und Interessengruppen.

Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf einer wissenschaftlichen Stellungnahme, die zur öffentlichen Anhörung des Landtags NRW am 08. September 2016, verfasst wurde. Die Anhörung „Lobbyismus transparent machen – Einführung eines Lobbyregisters in NRW“ im Hauptausschluss geht auf einen Antrag der Fraktion der Piraten zurück (Drucksache 16/11414). Die wissenschaftliche Stellungnahme ist in der Parlamentsdatenbank des Landtags NRW (Stellungnahme 16/4121) zu finden.

 1. Die Debatte zu Interessenvermittlung, Lobbying und Transparenz in Deutschland und NRW

Lobbying hat im deutschsprachigen Raum eine kritische bis negative Bedeutung. Der enge Kontakt, meist von mächtigen Interessen in der Wirtschaft zu politischen Entscheidungsträgern, wird prinzipiell als illegitim angesehen. Grundlegend für diese kritische Sichtweise ist die Gegenüberstellung von Einzelinteressen und Gemeinwohl in öffentlichem Interesse. Während Einzelinteressen klar definierbar und zum Teil finanziell gut ausgestattet sind, lässt sich das Gemeinwohl empirisch wie normativ nur schwer umreißen. In anderen europäischen Ländern, gerade im englischen Sprachraum, und insbesondere in der Wissenschaft ist Lobbying ein neutraler Begriff. Denn obwohl Lobbyismus als „Fünfte Gewalt“ (vgl. u.a. Leif/Speth 2006) auch kritisch gesehen wird, zeigt eine berühmte Charakterisierung, dass die politische Interessenvermittlung „zur Demokratie wie der Kolben zum Zylinder“ gehört (Kleinfeld/Willems/Zimmer 2007, vgl. Lösche 2007, Willems/Winter 2007). Aus politikwissenschaftlicher Perspektive heißt dies, dass gleichsam wie im demokratischen Prozess gute und schlechte Dinge beschlossen werden können, durch Lobbying ebenfalls Wünschenswertes und Problematisches beeinflusst werden kann. Entsprechend hoch ist der Wert von Transparenz und demokratischer Verantwortungszuschreibung. Eine Regelordnung, die diese Zielsetzung ermöglicht, kann – wie in anderen europäischen Ländern und in der EU, sowie in der Diskussion in Deutschland zu sehen ist – ein Lobbyregister enthalten. Damit dieses Instrument seinem Ziel nahe kommt, müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.

Der Landtag NRW befasst sich aktuell mit dem Thema Transparenz- und Lobbyregister. Auslöser war ein Antrag der Piraten-Fraktion von 03/2016, als knapp formulierter Impuls, um die Debatte auch in diesem Bundesland zu führen. Neben der Verbändeliste des Bundestages haben bisher die Landtage in Rheinland-Pfalz (2011), Brandenburg (2013) und Sachsen-Anhalt (2013) Debatten zu Lobbying-Regulierung geführt und Regelungen implementiert. In Hessen gab es 2013 eine umfassende Expertenanhörung, ein Beschluss steht allerdings noch aus. Der Bundestag debattierte zuletzt in 05/2016 bei einer Anhörung zum Lobbyregister. Allgemein lässt sich festhalten, dass die politische und wissenschaftliche Debatte zu diesem Thema national wie international weit fortgeschritten ist. Die Eckpunkte der Regelungsmöglichkeiten sind klar definiert. Es existieren gemeinsam erarbeite Standards sowie ausgearbeitete Vorschläge aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und von politischer Seite. Die Besonderheit der deutschen Debatte ist, dass darauf aber kaum Bezug genommen wird. Deutschland liegt im internationalen Vergleich im niedrig regulierten Bereich.

Der Beitrag orientiert sich im Folgenden an der Leitfrage, welche Qualitätsmerkmale und Praxiserfahrungen den gegenwärtigen, international-vergleichenden Stand der Transparenz- und Lobbyring-Regulierung auszeichnen. Dazu werden zuerst die Strukturen und der Kontext von Lobbying im politischen Prozess skizziert (Kapitel 2). Dem folgt eine Übersicht der Praxiserfahrungen aus international-vergleichender Perspektive. Im Fokus stehen etablierte Standards und Definitionen, die Systematik von Regulierungsniveaus sowie Erfahrungen aus dem deutschsprachigen Raum (Kapitel 3). Abschließend werden Zielvorschläge der Lobbying-Regulierung für NRW formuliert, die aus politikwissenschaftlicher Perspektive besonders relevant sind (Kapitel 4).

Die Strukturen und Hintergründe sind von zentraler Bedeutung für den Diskurs um das Thema Transparenz und Lobbyregulierung. Denn sie bilden den Kontext, vor dem die Problemdefinition, die politische Meinungsbildung und die Diskussion über Instrumente der Problemlösung stattfinden. Ohne die Kontextualisierung von Lobbying-Aktivitäten oder Lobbying-Instrumenten besteht die Gefahr, dass der politische Diskurs in den Populismus abdriftet. Wo Wissen fehlt, wirken vermeintlich einfache Antworten verlockend und können instrumentalisiert werden. Durch die mediale Berichterstattung, die sich insbesondere auf Skandale bezieht, fehlt die Nulllinie – also die Normalitätsbewertung – der Lobbying-Instrumente und -strategien. Ohne diesen Kontext, mit relativen und absoluten Zahlen und Vergleichsmöglichkeiten, lässt sich potentiell jedes „Lobbying“ skandalisieren. Dies funktioniert unabhängig von der Legitimität der Interessen, ohne die Vorgeschichte, oder die Härte der Bandagen im entsprechenden Politikfeld. Und dies gefährdet die Bemühungen von Lobbying-Regulierung und Transparenz, weil auf Normales bzw. Übliches ebenso gleich reagiert wird, wie auf wirklich Problematisches, wie z.B. Machtmissbrauch. Hier sind die kritische Öffentlichkeit und die politisch aktive Zivilgesellschaft genauso gefordert, wie die Medien. Allerdings muss aus politikwissenschaftlicher Sicht auf eine faktische Grenze des Lobbying-Regulierung hingewiesen werden: Auch bei maximaler Transparenz bleibt der Hauptkritikpunkt an Lobbying bestehen, nämlich die Asymmetrie zwischen starken und schwachen Interessen. Diese Schieflage kann auch durch strenge Regeln lediglich an- jedoch nicht vollständig ausglichen werden.

2. Strukturen und Kontext des Lobbying im politischen Prozess

Organisierte Interessen, wie u.a. Interessengruppen, Fach- und Branchenverbände, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), zählen neben Parteien zu den zentralen Akteuren, die die Prozesse der politischen Willensbildung und Interessenvermittlung gestalten. Sie sind Teil eines vielschichtigen Netzes von Interaktions- und Kommunikationsformen zwischen Fachleuten in Regierung und Ministerien, in den Fachausschüssen der Parlamente und u.a. der Medien und der Wissenschaft. Über formale wie informelle Kontakte profitieren die beteiligten Akteure wechselseitig von Expertisen, exklusivem Wissen und privilegiertem Zugang zum politischen Entscheidungszentrum. In Wissenschaft und politischer Umgangssprache existieren viele Definitionen und Begriffsvorstellungen, die implizit oder explizit bestimmte Aspekte des Themas Lobbying betonen. Eine breitgefasste und auf die Funktionsweise gerichtete Definition von Lobbying stammt von Ulrich von Alemann (u.a. Alemann/Eckert 2006): „Lobbyismus sei die systematische und kontinuierliche Einflussnahme von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, sozialen oder kulturellen Interessen auf den politischen Entscheidungsprozess“ (funktionalistische Definition). Sie bezieht sich auf bestimmte Handlungen von Akteuren (Lobbying-Aktivitäten, in der Rolle eines Lobbyisten) und weniger auf einen festen, statischen Personenkreis mit dem Wort „Lobbyist“ auf der Visitenkarte. Eine derart breite Definition wird bewusst gewählt, um nicht bereits im Vorfeld bestimmte Akteursgruppen – absichtlich oder unabsichtlich – auszuschließen. In der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur, im politischen Diskurs über Lobbying-Regulierung in anderen Ländern sowie in international anerkannten und erprobten Standards (beispielsweise der OECD von 2009 oder die „International Standards for Lobbying Regulation“ von vier zentralen zivilgesellschaftlichen Transparenz-Organisationen von 2015, siehe Abschnitt 3) herrscht Einigkeit darüber, dass jeder Regulierungsvorschlag mindestens die vier Elemente folgender Frage beantworten muss: Wer übt Welche Lobby-Aktivität gegenüber Wem zu Was aus?

Sinnvoll ist des Weiteren die Unterscheidung zwischen Interessenvertretern und politischen Dienstleistern. Interessenvertreter sind klassischerweise, und in Deutschland nach wie vor dominant, die Verbände, aber auch NGOs, Konzernrepräsentanten und politische Bewegungen. Politische Dienstleister – unter dem Label „Lobbyist“, als Politikberater in Unternehmens- und Kommunikationsberatungen oder als Spezialisten in Anwaltskanzleien – verfolgen im Regelfall keine eigenen politischen Interessen, sondern handeln im Auftrag ihrer Kunden. Das Produktportfolio ist entsprechend breit und umfasst u.a. politische Kontaktarbeit, Kommunikations- und Medienstrategien, Kooperationen mit anderen Akteuren wie z.B. Bürgerinitiativen, das Erstellen von Studien oder auch das Formulieren von Gesetzesentwürfen. Ihre Auftraggeber sind politische Interessenvertreter, oft auch Unternehmen parallel zur Verbandsmitgliedschaft. Entsprechend der Finanzierungskraft teilen sich die Auftraggeber anhand der Asymmetrie zwischen kommerziell starken und schwachen Interessen auf. Andere häufig genannte Unterscheidungen, wie z.B. zwischen Beratung und (interessengeleiteter, selektiver) Interessenvertretung, werden von der Wissenschaft für die Frage der Identifizierung von Lobbyisten gemieden, da sie in der Praxis nicht trennscharf sind.

Um die Größenordnung einzuschätzen, wird für das Zahlenverhältnis der Lobbyisten von ca. 80 Prozent Verbandsvertreter gegenüber ca. 20 Prozent in der Gruppe von Repräsentanten von Unternehmen, politischen Dienstleistern und anderen Akteuren ausgegangen (Transparency International / Speth 2014).

Ansatzpunkte des Lobbying sind auch in NRW die Landesregierung mit Ministerialbürokratie als die wichtigsten Ansprechpartner der Interessenvermittlung, gefolgt von den Fachausschüssen im Landtag. Wie auf Bundesebene werden die meisten Gesetzesentwürfe von der Regierung eingebracht und von der Ministerialverwaltung vorbereitet. So gingen z.B. in der Legislaturperiode des Bundestags von 2009-2013 78,5 Prozent der verabschiedeten Gesetze von Regierungsvorlagen aus, gefolgt von Initiativen des Bundestages (15,9 Prozent, Quelle: Bundestag, Stand 26.09.2014). Zwischen Bundes- und Länderebene gibt es Unterschiede in der Größenordnung von Lobbying. Zahlenmäßig werden auf Bundesebene deutlich mehr Gesetze pro Legislaturperiode verabschiedet, als auf Landesebene. Der Bundestag kam in der genannten Wahlperiode auf 553 verabschiedete Gesetze, während der Landtag NRW in der aktuellen Wahlperiode (seit 2012) auf 200 verabschiedete Gesetze kommt – bzw. auf 207 in der letzten vollständigen Wahlperiode (2005-2010, Quellen: Landtag NRW, Stand 08.09.2016). Beim Blick auf die beteiligten Interessenvertreter gibt es allerdings große Überschneidungen. So waren beispielsweise beim Klimaschutzgesetz NRW und dem Klimaschutzplan NRW die gleichen Interessengruppen aktiv (in diesem Fall u.a. Wirtschaftsverbände, Umweltverbände, NGOs, Gewerkschaften und große Unternehmen), die sich bei vergleichbaren Entscheidungen auf Bundesebene einbringen. Deswegen ist davon auszugehen, dass es keinen signifikanten qualitativen Unterschied zwischen Lobbying auf Landesebene und auf Bundesebene gibt (vgl. Florack/Grunden/Korte 2011: 183-195 zur Vergleichbarkeit der Strukturmerkmale des Regierens. In den ersten Phasen der Abstimmung des Referentenentwurfs gilt Lobbying als besonders effizient, da hier die zentralen Richtungsentscheidungen fallen. Spätere Änderungen sind für Lobbyisten oftmals nur in geringerem Maße durchsetzbar. Für den Landtag als zweiter zentraler Ansprechpartner liegt der Lobbying-Fokus entsprechend der Arbeitsstrukturen – wie beim Bundestag – vor allem auf den zuständigen Fachausschüssen und Fraktionsarbeitsgruppen, sowie deren Mitglieder und Fachreferenten (u.a. Wehrmann 2007: 43).

Das Spielfeld der gesellschaftlichen Interessen ist allerdings nicht ausgeglichen, sondern durch Asymmetrien und Machtunterschiede geprägt. Diese zeigen sich an zwei demokratietheoretischen Spannungsfeldern (siehe Abbildung 1). Das erste Spannungsfeld der Interessenaggregation und
-artikulation besteht darin, dass sich nicht alle gesellschaftlichen Interessen gleich gut zusammenfassen und im politischen Prozess einbringen lassen. Starken, meist ökonomischen Interessen, u.a. aus den Wirtschafts- und Arbeitsbeziehungen in Form von Wirtschafts- und Branchenverbänden bzw. Gewerkschaften, stehen die sogenannten „schwachen Interessen“ gegenüber. Hierunter fallen klassischerweise Menschenrechte, Umwelt- und Verbraucherschutz oder Patienteninteressen. „Schwach“ sind diese Interessen, weil sie meist öffentliche Güter betreffen, von denen alle Menschen profitieren (u.a. Willems/Winter 2000, Clement et al. 2010). Das zweite Spannungsfeld bezieht sich auf den ungleich verteilten Zugang ins politische Entscheidungszentrum. Spitzenverbände, mitgliederstarke Verbände und Repräsentanten großer Unternehmen finden häufig leichter Gehör von Ministerien und Fachpolitikern als kleine Gruppen und Organisationen zu Spezial- oder Nischenthemen (u.a. Bouwen 2004, Eising 2007, Binderkrantz et al 2014). Verstärkt wird dies durch das Transparenzproblem formaler und informeller Kontakte, sowie durch bereits jetzt illegale und illegitime Praktiken der politischen Korruption und der politischen Erpressbarkeit, die durch investigativen Journalismus aufgedeckt und zurecht skandalisiert werden. Die Asymmetrie der Interessen bleibt auch bei maximaler Transparenz bestehen. Sie ist das grundlegende Problem der freien Marktwirtschaft bzw. des Kapitalismus als Machtgefälle zwischen Starken und Schwachen. Dies lässt sich auch mit strengen Regeln lediglich an- jedoch nicht ausgleichen.

Abb. 1: Lobbying im demokratietheoretischen Spannungsfeld

Abb. 1: Lobbying im demokratietheoretischen Spannungsfeld3. Erfahrungen und Praktiken der Lobbyregulierung anderer Staaten und Bundesländer

Die politische Debatte um Transparenz und Lobbying-Regulierung ist national wie international weit fortgeschritten und hat bereits viele fruchtbare Ergebnisse geliefert. Die zentralen Probleme und Regulierungsfelder wurden klar und übereinstimmend definiert. Zu allen Bereichen liegen umfassend ausgearbeitete Vorschläge aus Wissenschaft, aus nationaler wie internationaler Zivilgesellschaft und von politischer Seite vor. Auffällig ist, dass die internationalen und europäischen Praxiserfahrungen in der deutschen Debatte nur am Rande thematisiert werden. Damit fällt die deutsche Debatte über Lobbyregulierung – wie u.a. auch der enorm lange Prozess zwischen Unterzeichnung und Ratifizierung der Vereinten Nationen (UN) Konvention gegen Korruption zeigt (2003 bzw. 2014) – immer wieder hinter die bereits erreichten Übereinstimmungen und Errungenschaften zurück.

3.1 Prinzipien, Standards und Definitionen

Bereits 2009 hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die zentralen Prinzipien zu Transparenz und Integrität für Lobbying gemeinsam mit einschlägigen Experten und nationalen Fachleuten erarbeiten lassen (Ergebnisveröffentlichung 02/2010). Die OECD betont die Bedeutung von transparenten, effektiven und fairen Verfahren, um Legitimität und Integrität staatlicher Entscheidungen, sowie um das Vertrauen der Öffentlichkeit in staatlichen Institutionen sicherzustellen. Am Ausarbeitungsprozess waren u.a. die einschlägigen zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie LobbyControl, Corporate Europe Observatory (CEO) und die Alliance for Lobbying Transparency and Ethics Regulation (ALTER-EU), sowie der Branchenverband Deutsche Public Relation Gesellschaft (DPRG) beteiligt. Auch der Branchenverband der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung (degepol) begrüßte ausdrücklich die ausgearbeiteten Empfehlungen. Im Programmbereich „Lobbyists, Government and Public Trust“ wurden die Prinzipien und Empfehlungen kontinuierlich weiterentwickelt und an den Regulierungsentwicklungen der 2010er Jahre angewendet (OECD 2009, 2012, 2014). Die gemeinsam erarbeiteten Standards dienten explizit als Referenzpunkt für die Transparenz- und Lobbying-Regulierung z.B. in Österreich (in Kraft seit 01/2013) und in Irland (in Kraft seit 09/2015).

Ein weiteres gemeinsam erarbeitetes Set an Standards veröffentlichte eine Koalition vier zentraler zivilgesellschaftlicher Transparenz-Organisationen unter dem Titel „International Standards for Lobbying Regulation“ von 11/2015. Die Initiatoren sind Transparency International, Access Info Europe, Sunlight Foundation und Open Knowledge. Nach eigenen Angaben richtet sich die Koalition mit ihren Forderungen ausdrücklich an politische Entscheidungsträger und zivilgesellschaftliche Organisationen, die eine weitreichende Transparenz- und Lobbying-Regulierung implementieren möchten. Dabei nehmen sie mehrfach Bezug zu den OECD-Prinzipien und betonen die Schnittmengen.

Besonders anschaulich sind die Ausführen zum Regulierungsbereich („regulatory scope“), in dem die Bestandteile der in Abschnitt 2 aufgeworfenen Frage „Wer übt Welche Lobby-Aktivität gegenüber Wem zu Was aus?“ definiert werden.

Definitionen (International Standards for Lobbying Regulation, 2015)

  1. Lobbying: Der Begriff soll jegliche direkte und indirekte Kommunikation mit öffentlichen Stellen (public officials) umfassen („…that is made, managed or directed…“), die zum Zweck der Einflussnahme auf öffentliche Entscheidungsprozesse erfolgt.
  2. Öffentliche Stellen (public officials): politische Entscheidungsträger bzw. Vertreter (gewählt, ernannt oder angestellt) der Exekutive oder Legislative auf allen politischen Entscheidungsebenen, sowie in nachgelagerten Institutionen und Körperschaften mit staatlichem Auftrag.
  3. Lobbyist: natürliche und rechtliche Personen, die Lobbying-Aktivitäten ausführen, sowohl zu privaten, kollektiven als auch öffentlichen Zielen, mit und ohne direkte Kompensation.
  4. Öffentliche Entscheidungsprozesse (public decision-making): weitgefasst definiert als jede Ausgestaltung und Anpassung legislativer und regulatorischer Maßnahmen, deren Implementation sowie jede Vergabe staatlicher Aufträge oder Gelder.

Ausnahmen (International Standards for Lobbying Regulation, 2015)

  1. Interaktionen mit einzelnen Bürgerinnen und Bürgern von öffentlichen Stellen. Diese sind von der Definition ausgenommen, solange sie keine individuellen wirtschaftlichen Interessen betreffen, die das öffentliche Interesse potentiell beeinträchtigen können. Hier soll eine sorgfältige Abwägung stattfinden.
  2. Ebenso können Ausnahmen für öffentliche Amtsträger, Diplomaten und politische Parteien als notwendig erachtet werden, solange diese Personen ihren offiziellen Amtsgeschäften nachgehen (Anmerkung M.S.: in Deutschland wäre dies wohl der Regelfall; die Standards richten sich jedoch explizit an ein breites internationales Publikum mit entsprechend unterschiedlichen politischen Kulturen).

(Quelle: The International Standards for Lobbying Regulation 2015, eigene Übersetzung, gekürzt)

3.2 Systematik der Lobbying-Regulierung aus international-vergleichender Perspektive

Systematisch betrachtet lassen sich die Ansatzpunkte zur Lobbying-Regulierung in vier Bereiche aufteilen. Der lettische Politikwissenschaftlicher Valts Kalniņš (2005) unterscheidet den Charakter der Regulierung (freiwillig, ohne Zwang versus verpflichtend, mit Zwang) und den Ursprung der Regulierung (freiwillig, selbstregulierend versus extern bzw. gesetzlich vorgegeben). Als weiteren Aspekt nennt er die Anforderungen für öffentliche Stellen und Entscheidungsträger (in Ministerien und Parlament) und ob diese innerhalb der Lobbying-Regulierung oder gesondert geregelt werden. Hierunter fallen Bestimmungen u.a. zu Karenzzeiten für Seitenwechsel, Nebeneinkünfte für Abgeordnete, „Leihbeamte“, „Kanzleigesetze“, sowie Verhaltensrichtlinien für Vertreter der Exekutive und Legislative.

Abb. 2: Systematische Ansatzpunkte zur Lobbying-Regulierung (auf Seite der Lobbyisten)

Abb. 2: Systematische Ansatzpunkte zur Lobbying-Regulierung (auf Seite der Lobbyisten)

Der internationale Vergleich zeigt, dass das Regulierungsniveau sehr unterschiedlich ausfallen kann. In der 2010 erschienenen, großangelegten Studie „Regulating Lobbying: A Global Comparison“ (Chari et.al. 2010), unterscheiden die Autoren drei verschieden strenge Regulierungslevel. Als Grundlage zogen sie einen selbstentwickelten Index aus Daten des renommierten „Center for Public Integrity“ des US-Investigativjournalismus heran.

(1) Hoch (highly regulated systems): Vollständige Offenlegung aller Informationen inklusive Budget/Ausgaben für Interessenvertreter (und Auftraggeber im Falle politischer Dienstleister). Regulierung umfasst sowohl Exekutive als auch Legislative. Fortlaufend aktualisiertes Register mit öffentlichem Zugriff (online), mit verpflichtender staatlicher Überprüfung, mit Sanktionsmöglichkeiten (finanzielle und rechtliche Strafen) bei Nicht-Einhaltung. Regelungen für Karenzzeiten (Seitenwechsler). Beispiele sind die USA auf Bundesebene sowie in gut der Hälfte der Bundesstaaten.

(2) Mittel (medium regulated systems): Detaillierte Offenlegung von Informationen im Register, sowohl für Exekutive als auch Legislative. Regelmäßig aktualisiertes Register mit verpflichtender staatlicher Überprüfung, mit öffentlichem Zugriff (online), allerdings ohne bzw. lediglich geringen Sanktionsmöglichkeiten (finanzielle und rechtliche Strafen) bei Nicht-Einhaltung. Beispiele sind u.a. Kanada (Bundesebene und Provinzen) sowie knapp die Hälfte der US-Bundesstaaten. Die nach dem Abschluss der Studie implementierten Regelungen in Österreich (2013) und eventuell Irland (2015) könnten die Schwelle zum mittleren Level erreicht haben.

(3) Niedrig (lowly regulated systems): Lobbying-Register existiert, allerdings mit geringen Informationsanforderungen und ohne Inklusion der Exekutive (reine Parlamentsliste). Keine Budgetoffenlegung. Keine Kontrolle durch unabhängige Stellen. Ausdrücklich genannte Beispiele sind Deutschland sowie EU-Kommission und -Parlament.

Anzumerken ist bezüglich des EU-Transparenzregisters, dass Qualität und Umfang der grafischen Aufbereitung immer weiter gestiegen sind. Die Studie „The Transparency Register: A European vanguard of strong lobby regulation?” (Greenwod/Dreger 2013) lobt die umfangreiche Offenlegung von Informationen für die Öffentlichkeit und deren wachsende Qualität, gerade im Vergleich zu anderen europäischen Lobbyregistern. Die Autoren kritisieren, dass es zu zahlreichenden Falscheinträgen kommt, da bestimmte Kategorien missverständlich formuliert sind, sowie weitere Grenzen der Informationsaufbereitung. Dennoch bietet das Transparenzregister mit seinen grafischen Darstellungsmöglichkeiten einen einfachen Ansatzpunkt für Zivilgesellschaft, wissenschaftliche Forschung und parlamentarische Kontrolle.

Innerhalb des niedrigen Regulierungsniveaus liegt zudem das Instrument der (freiwilligen oder verpflichtenden) Verhaltenskodizes für Lobbying-Akteure. Diese werden meist von einem Berufs- bzw. Branchenverband für die eigenen Mitglieder erstellt oder auch als weitergefasste Standards von Transparenz-Organisationen formuliert. Die Wirkungsweise dieses Instruments richtet sich an die Bedeutung von Vertrauen als soziales Kapital. Zwischen den zentralen Akteuren der politischen Entscheidungsträger und Interessenvertreter besteht ein enges, auf Langfristigkeit angelegtes Kontaktnetzwerk. Aus Perspektive der Interessenvertreter ist die aktuell anstehende Lobbying-Tätigkeit eingebettet in die kontinuierliche Interessenvermittlung mit Blick auf weitere, zukünftige Kontakte. Handlungen, die von der gemeinsam akzeptierten Norm abweichen – sei es durch mangelnde Verlässlichkeit, durch falsche Informationen, durch Tricks und Betrügereien – führen schnell zum Vertrauensverlust, welcher entsprechend schwierig zu kompensieren ist. Um weiterhin von Expertisen, exklusivem Wissen und privilegiertem Zugang in das politische Entscheidungszentrum profitieren zu können, sind folglich alle Beteiligten auf gute, wohlwollende Arbeitsbeziehungen angewiesen. Dies gilt für politische Entscheidungsträgen ebenso wie für die zentralen Akteure der „starken Interessen“ und der „schwachen Interessen“. Explizit formulierte Verhaltensstandards oder Codes of Conduct sichern diese soziale Norm ab und helfen dabei, schwarze Schafe in den eigenen Reihen anzuprangern („naming and shaming“).

3.3 Lobbying-Regulierungen im deutschsprachigen Raum

Die Lobbyliste des Bundestags („Öffentliche Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern“, 1951/1972) befindet sich im internationalen Vergleich im niedrigen Regulierungsbereich. Sie richtet sich ausdrücklich nur an Verbände. Auch wenn diese zwar nach wie vor den Großteil der Akteure stellen (siehe Abschnitt 2), fehlen der Liste Informationen über Unternehmensvertreter, Think Tanks, politische Dienstleister und andere Akteure. Der Eintrag in die Liste ist freiwillig und verbunden mit dem Anreiz eines erleichterten Zugangs ins Parlamentsgebäude (Hausausweis). Durch die Exekutivlastigkeit im Gesetzgebungsprozess (siehe Abschnitt 2) setzt sie allerdings nur an der zweitbesten Stelle an. Der Informationsumfang entspricht einem umfangreichen Adressbuch, u.a. mit Einträgen zu Verbandsname, Anschrift, Personen in Verbandsspitze und Vertreter, Interessenbereich und Mitgliederzahl. Auskünfte u.a. zu Kontakthäufigkeit oder Budgetausstattung fehlen ebenso wie eine unabhängige Kontrolle der Einträge.

Für die Öffentlichkeit zugänglich ist die Liste lediglich im PDF-Format – und somit nicht sortierbar oder grafisch aufbereitet wie beim EU-Transparenzregister. Das heißt, dass Informationen zwar vorhanden sind, jedoch in einer Form, dass sie in der Faktenwucht versteckt bleiben („hiding in plain sight“). Folglich fehlt der einfache Ansatzpunkt für Zivilgesellschaft und Forschung.

In 05/2016 fand erneut eine Anhörung von sachverständigen Experten im Bundestag zum Thema Lobbyregister statt. Dass dieses im internationalen Vergleich niedrige Informationsniveau sowie das Ausblenden der Exekutive mit Regierungs- und Ministerialkontakten nicht zwangsläufig ist, bestätigt eine Antwort auf eine kleine Anfrage des Bundestages von 09/2014 (Drucksache 18/2469, „Kontakte der Bundesregierung zur Energiewirtschaft im Rahmen der Marktliberalisierung der Ökostromförderung“). Darin wurden die direkten Kontakte auf Leitungsebene u.a. des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundeskanzleramts, inklusive Kontakthäufigkeit zu Interessenvertretern aufgelistet. Die Häufigkeit der Kontakte der Bunderegierung zu (1) Interessenvertretern konventioneller Energien, wie dem BDEW, den großen vier Energieunternehmen, den Verbänden energieintensiver Industrien im Vergleich zu (2) Interessenvertretern erneuerbarer Energien, wie dem BEE mit Branchenverbänden und den zentralen Umweltverbänden, gibt der zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit und der wissenschaftlichen Forschung Anhaltspunkte für bestehende Machtstrukturen. Eine Offenlegung von echten Kontakten und der Kontakthäufigkeit ist also prinzipiell als möglich anzusehen.

Der Landtag Rheinland-Pfalz beschloss in 12/2011 das Lobbyistenregister des Landes Rheinland-Pfalz als „öffentliche Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern“. Analog zum Bundestag richtet sich die ebenfalls freiwillige und statische Liste ausschließlich an Verbände mit den gleichen, begrenzten Informationsanforderungen. Zentraler Unterschied zum Bundestag ist, dass der Eintrag in die Liste Voraussetzung ist, um vom Landtag angehört zu werden (mit Ausnahme von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, denen bei wirtschafts- und sozialpolitischen Inhalten besondere Rechte zustehen).

Der Landtag Brandenburg führt seit 2013 eine „Öffentliche Liste der Interessenvertretung“. Analog zum Bundestag richtet sich die freiwillige und statische Liste ausschließlich an Verbände mit den gleichen, begrenzten Informationsanforderungen.

Die Regierungskoalition in Hessen hat sich im Koalitionsvertrag von 2014 auf die Einführung eines Lobbyregisters im Landtag verständigt. Bereits in 04/2013 fand dazu eine umfangreiche Anhörung von sachverständigen Experten statt. Beschluss und Umsetzung stehen allerdings noch aus.

Der Landtag von Sachsen-Anhalt führt seit 01/2015 ein Lobbyregister. Die Liste ist ebenfalls freiwillig und statisch, analog zur den Informationsanforderungen des Bundestags. Sie umfasst allerdings nicht nur Verbände, sondern ist offen in ihrem Adressatenkreis. Entsprechend finden sich aktuell auch Stiftungen, Kammern und andere Anstalten des öffentlichen Rechts sowie einige Unternehmen und Einzelpersonen. Wie in Rheinland-Pfalz ist auch hier der Eintrag in die Liste Voraussetzung, um vom Landtag angehört zu werden.

In Österreich gilt seit 01/2013 das Lobbying- und Interessenvertretungs-Transparenz-Gesetz. Gesetzesziele sind Regulierungen in den Bereichen Offenheit und Transparenz, Good Governance und Legitimation, sowie Korruptionsbekämpfung. Seine Regulierung beruht auf drei Säulen: Erstens, einem Set an Verhaltenspflichten, zweitens, einem verpflichtenden, öffentlich zugänglichen Lobbyregister, das vom Justizministerium überwacht wird, drittens, Sanktionen bei Nicht-Einhaltung der Verhaltensregeln und des Registereintrags. Das Gesetz verwendet eine weitgefasste Lobby-Definition (mit Ausnahmen) – analog zu den genannten internationalen Standards – und umschließt ausdrücklich Legislative und Exekutive.

Erst nach dem Eintrag ins Register dürfen z.B. Unternehmen oder politische Dienstleister Lobbying-Kontakt zu öffentlichen Stellen aufnehmen. Bei öffentlichen Körperschaften und Verbänden richtet sich die Registrierungspflicht auf etwas geringere Informationsanforderungen ohne Sanktionen. Unterschieden werden acht Typen (nicht-)registrierungspflichtiger Akteure, mit besonderen Privilegien für Sozialpartner und kollektivvertragsfähige Organisationen. Die Informationsanforderungen für Verbände und öffentliche Körperschaften sind etwas umfangreicher als die Lobbyliste des Bundestags, insbesondere durch Angaben zu Anzahl und Kosten der Interessenvertreter. Für Unternehmen kommen Angaben zu genauem Tätigkeitsbereich, Verhaltenskodex, Unternehmenslobbyisten und zu Lobbying-Aufwand (größer als 100.000 Euro, ja/nein) hinzu, für politische Dienstleister („Lobbying-Unternehmen“) nochmals zusätzlich zu Lobbying-Umsatz und der Anzahl der Lobbying-Aufträge.

Das online zugängliche Register ist übersichtlich gestaltet und lässt sich nach verschiedenen Kriterien gliedern, z.B. nach Registerabteilungen für (A1) politische Dienstleister, (B) Unternehmen, (C) Kammern und öffentliche Anstalten und (D) Verbände. Damit ermöglicht es gute Ansatzpunkte für Zivilgesellschaft, kritische Öffentlichkeit und Forschung.

Die Sanktionen bei Nicht-Einhaltung umfassen Strafzahlungen, den Ausschluss aus dem Register und die Auflösung abgeschlossener Verträge. Die Strafzahlungen reichen bis zu 20.000 Euro bzw. 60.000 Euro bei wiederholten Verstößen. Die Auswirkungen des unterschiedlichen Regulierungsniveaus für Unternehmen und politische Dienstleister auf der einen Seite und für die historisch-strukturell starken Verbände auf der anderen Seite werden von zivilgesellschaftlichen Akteuren, internationalen Organisationen und der Wissenschaft kritisch begleitet (u.a. OECD 2014, Crepaz 2016).

4. Zielvorschläge zur Lobbying-Regulierung in NRW aus politikwissenschaftlicher Perspektive

Die Eckpunkte für Richtungsentscheidungen, Regelungsmöglichkeiten und Stellschrauben für eine wirksame Lobbying-Regulierung, stützen sich auf ein qualitativ hochwertiges Informationsangebot, u.a. aus gemeinsam erarbeiteten und anerkannten Standards, aus wissenschaftlicher und praktischer Expertise, aus Erfahrungsberichten und Best-Practice-Beispielen anderer Ländern und der EU. Ein glaubwürdiger Antrag zur Transparenz- und Lobbying-Regulierung darf nicht hinter die etablierten Standards zurückfallen, weder (1) in negativ konnotierter Sprache und Beschreibung der Sachverhalte, (2) in der Definition von „Lobbying“, „Lobbyist“ und des Regelungsbereichs, (3) in der Einbeziehung von Regierung und Parlament, (4) noch in den Informationsanforderungen für ein Register.

Vor diesem Hintergrund müssen die Ziele bestimmt werden, die eine konkrete Regelung in NRW erfüllen soll. Die Liste der Ziele, die aus politikwissenschaftlicher Perspektive besonders relevant sind, enthält u.a.

  • Transparenz im politischen Prozess, wie z.B. bereits jetzt in der Parlamentsdatenbank des Landtags NRW mit der Darstellung „Beratungsverlauf von Gesetzen“, in Zukunft idealerweise auch für Referentenentwürfe in den Ministerien,
  • Transparenz über Kontakte der beteiligten Akteure, idealerweise sowohl in den Ministerien als auch im Landtag,
  • Zuschreibbarkeit von demokratischer Verantwortung, etwa über den „legislativen Fußabdruck“ (noch weiterführender als der angesprochene Beratungsverlauf),
  • Register bzw. Datenbank zur Offenlegung und grafischen Aufbereitung der absoluten und relativen Größenordnung der Interessenlandschaft, z.B. wie im EU-Transparenzregister, als Ansatzpunkt für wissenschaftliche Forschung, aktive Zivilgesellschaft und demokratische Kontrolle durch Parlament und Medien,
  • Maßnahmen, um die Asymmetrie zwischen starken und schwachen Interessen zu adressieren, u.a. im Sinne fairer Wettbewerbsbedingungen („level playing field“) für Kontakthäufigkeit, Anhörung bzw. Einbeziehung, sowie Gewichtung der Positionen von Interessensvertretern der öffentlichen Interessen.

Zum gegenwertigen Zeitpunkt ist die Transparenz über formale parlamentarische Abläufe bereits recht gut. Insbesondere die Parlamentsdatenbank des Landtags NRW mit der Darstellung „Beratungsverlauf von Gesetzen“ (inkl. Stellungnahmen von Interessenvertretern und Sachverständigen), ist hier zu nennen. Aus Perspektive des „legislativen Fußabdrucks“ als weiteres Instrument neben dem Lobbyregister, ist die Dokumentation der Landtagsverwaltung ein wichtiger und wirksamer Ansatzpunkt. Denn für die Nachvollziehbarkeit von politischen Entscheidungen sind die Positionspapiere der beteiligten Interessengruppen, der Parlamentsfraktionen, der Ministerien etc. sehr bedeutend. Wünschenswert ist, dass die Dokumentation in Zukunft auch auf Referentenentwürfe der Ministerien ausgeweitet und auf einer eigenen, übersichtlichen und barrierefreien Webseite aufbereitet wird. Allerdings gibt es auch hier die faktische Grenze, dass informelle Kontakte und Absprachen nicht erfasst werden können.

Wenn eine Lobbying-Regulierung beschlossen und implementiert ist, geht die Arbeit erst richtig los. Denn die Unmengen an Daten, Zahlen und Fakten, die offengelegt werden, müssen verständlich aufbereitet sowie ständig überprüft und aktualisiert werden. Andernfalls bleiben auch strenge Regelungen bloße „Schaufensterdekoration“ (window dressing, Prof. Chari in House of Commons 2012: 17). Für die Verwaltung würden Kosten anfallen, u.a.

  • für die Implementierung, Bereitstellung und Pflege der technischen Register-Infrastruktur,
  • Personalstellen für Kontrolle, Analyse und grafische Aufbereitung der Register-Inhalte,
  • Verwaltung und Personalstellen für die Implementierung von Anreizen bzw. Sanktionsmittel.

Der Nutzen einer Lobbying-Regulierung liegt in der Stärkung einer politischen Transparenzkultur in NRW, der Stärkung der Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftlicher Akteure, verbesserten Ansatzpunkten für Journalismus und kritische Öffentlichkeit, sowie ebenfalls in der Stärkung der Rolle der Abgeordneten in der Kontrollfunktion von direkter und indirekter Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse.

Dennoch bleibt auch hier anzumerken, dass die bestehende Asymmetrie der Interessen mit dem Machtgefälle zwischen starken und schwachen Interessen auch bei maximaler Transparenz und strengen Regeln lediglich an- jedoch nicht vollständig ausglichen werden kann.

Literaturangaben

Alemann, Ulrich von; Eckert, Florian (2006): Lobbyismus als Schattenpolitik. in: Aus Politik und Zeitgeschichte 15.2006: 3-10.

Binderkrantz, Anne Skorkjaer, Peter Munk Christiansen, Helene Helboe Pedersen (2014): Interest Group Access to the Bureaucracy, Parliament, and the Media. In: Governance 28 (1), S. 95–112.

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Zitationshinweis

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