Über die Corona Krisengewinner und die Mehrheiten im Superwahljahr 2021

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, der an der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen lehrt und forscht, legt dar, dass der politischen Kommunikation während und auch nach der Coronakrise eine besondere Rolle spielt. Verständliche Kommunikation und vielfältige, parteipolitische Debatten zur Rücknahme der freiheitseinschränkenden Schutzmaßnahmen können über die politischen Gewinner und Verlierer dieser Krise entscheiden.

Die Moderation von Ungeduld fällt der Politik schwer. Bisher hielt die Front: Nie zuvor waren die Staatsgläubigkeit so hoch und die Akzeptanz für die massiven Einschränkungen von Freiheiten so breit. Das Coronavirus hat dem Staat nicht nur mehr Regelungsmacht im Katastrophenfall gegeben, sondern katapultiert ihn auch zum rhetorisch-emotionalen Krisengewinner. Doch je länger der Ausnahmezustand andauert, desto mehr bröckelt die Zustimmung zum virologischen Imperativ „Die Gesundheit zuerst!“.

Über die Corona Krisengewinner und die Mehrheiten im Superwahljahr 2021

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Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs-, Parteien- und Wahlforschung.

Die Moderation von Ungeduld fällt der Politik schwer. Bisher hielt die Front: Nie zuvor waren die Staatsgläubigkeit so hoch und die Akzeptanz für die massiven Einschränkungen von Freiheiten so breit. Das Coronavirus hat dem Staat nicht nur mehr Regelungsmacht im Katastrophenfall gegeben, sondern katapultiert ihn auch zum rhetorisch-emotionalen Krisengewinner. Doch je länger der Ausnahmezustand andauert, desto mehr bröckelt die Zustimmung zum virologischen Imperativ „Die Gesundheit zuerst!“. Die Freiheit scheint von einem Virus der Gesundheitssicherheit selbst infiziert zu sein, wenn wir jetzt nicht bald als Bürger eine nachvollziehbar Exit-Strategie erhalten. Denn ohne Freiheit bleibt auch die Gesundheit auf der Strecke. Diese Erfahrung machen isolierte Ältere ebenso wie überforderte Familien. Die Ungeduld sucht sich Auswege – nicht nur in Verschwörungstheorien.

Wie reagiert man strategisch angemessen und gesundheitspolitisch klug auf zunehmende Ungeduld? Demokratien mit einem funktionierenden Parteienwettbewerb haben dazu enormes Potential. Demokratien legitimieren sich durch Kommunikation. Politische Kommunikation macht Politik öffentlich. Sie ist das kontinuierliche Bemühen um ein politisches Mandat. Politik ist in unserer Demokratie immer zustimmungsabhängig (Wahlen), begründungsnotwendig (Debatten) und rechenschaftspflichtig (Kontrolle). Die Sprache ist dabei die wichtigste Quelle der Wirksamkeit. Worte – und in Zeiten von Instagram auch Bilder – sind Taten. Sprachgewinn bedeutet Machtgewinn.  Die Kanzlerin machte es vor. Sie erlangte die Deutungshoheit in einer sensiblen Lage. Sie benutzte die Macht von Rechtfertigungen.

Merkel griff erstmals außerplanmäßig zum Instrument der Fernsehansprache an die Nation und erklärte: „Es ist ernst.“ Sie begründete, ordnete und appellierte mit starken Bildern und eindrucksvollen Formulierungen. Sie zeigte, wie sie in der Lage selber lernte. Sie füllte ihr „auf Sicht fahren“ überraschend wortreich. Genau diese begründete Erzählung lieferte sie uns nicht als 2015/16 tausende Geflüchtete Deutschland erreichten. Als der erste Helferstolz in der Bevölkerung nachließ, blieb Merkels humanitärer Imperativ weitgehend unbegründet.

Das ist jetzt anders, zumal auch die Ministerpräsidenten, die über den Katastrophenschutz in der Corona-Pandemie substantielle Regelungsrechte haben, den besonderen Ausnahmezustand gegenüber ihrer Landesbevölkerung intensiv erklären. Und die Exit-Strategien. Ungeduld lässt sich insofern moderieren, wenn Erwartungen greifen: Wann öffnen Kitas und Schulen? Wann darf wieder Kundschaft kommen? Wenn angesichts der gegenwärtigen Stimmungsverfinsterung der Bedarf an Zukunftserzählungen wächst, entstehen zusätzliche Chancen zur politischen Gestaltung. Krisengewinner können deshalb Möglichkeitsmacher sein. Sie sagen, was wir erwarten können. Sie arbeiten mit konkreter Zuversicht, die mehr ist als ein Rettungsschirm. Sie mobilisiert Identitäten.

Wähler belohnen Optimismus. Wahlen sind keine Erntedankfeste, sondern transportieren konkrete Zukunftserwartungen. Sie verhelfen der Handlungszuversicht zur demokratischen Mehrheit. Ein Gefühlsmanagement des Muts kommt insofern in Corona-Zeiten sicher an.

Doch jetzt schein ein Wendepunkt erreicht zu sein, wenn die Ungeduld bröckelt. Der freiwillige Verzicht auf Freiheiten – anders als in Nachbarländern mit Ausgangssperren – bedarf im Momentum des Exit-Horizonts noch intensiverer Begründungen als die Einschränkungen der Freiheit zu Beginn der Pandemie. Hier reicht der Hinweis auf föderalen Wettbewerb nicht. Vielmehr wächst in der Stunde der Legislative und dem obersten Primat der Politik der Bedarf an Parteiendifferenz. Sollten die Parteien jetzt nicht vielstimmig der vitale Debattentreiber eines Exit-Szenarios sein? Da ein evidenzbasierter informierter Einstieg in die Alltagsnormalität nicht als Masterplan vorliegt, bedarf es einer intensiven Debatte mit vielen Begründungen und Erklärungen, wie eine Rücknahme der Einschränkungen vorstellbar ist. Die Maßnahmen sind die eine Seite, die Begründungen entlang von wertorientierten Parteitraditionen die andere Seite. Jeder kann andere Expertisen für sich zurecht in Anspruch nehmen. Die Begründungen und die Erzählungen sind wichtig, an denen wir uns als Bürger orientieren können. Wer jetzt systematisch bestimmte Gruppen der Gesellschaft benachteiligt, wird im Superwahljahr 2021 vielleicht dafür abgestraft. Das kann aber auch für die Parteien gelten, die so tun, als würden keine unterschiedlichen Interessenlagen existieren und nur der virologische Imperativ dominieren. Die Kalkulation ist insofern schwierig. Doch der Vorzug der Demokratie besteht im Wettbewerb der Ideen und der Rückbindung der Politik an Interessenlagen der Bürger, was sich durch Wahlen regelmäßig Ausdruck verschafft. Diesen Vorsprung gilt es jetzt zu nutzen, im Wettbewerb begründeter Exit-Strategien, entlang der Traditionslinien der Parteien. So könnten Parlamente wieder debattieren und nicht nur Not-Gesetze legitimieren.

Krisengewinner ist bislang der Staat. Krisenprofiteure sind in den Krisenmomenten des Entscheidens die Gesichter der Macht. Kanzler, Minister und Ministerpräsidenten stehen während des Krisenmodus im Vordergrund. Krisensieger werden diejenigen, die sorgengeleitete Präventionspolitik (Phase I) jetzt in konkrete Öffnungspolitik (Phase II) überführen. Der Bundeskanzlerin hilft dabei ihr besonderes Verhältnis zur Vorsicht. Für die politische Mitte sind dabei die Chancen perspektivisch gut, wenn die Diskursvielfalt zurückkehrt und keine Schockstarre am Denken hindert. Die nur begrenzt nutzbaren historischen Krisen-Vergleiche legen nahe, dass die politische Mitte in 2021 als Sieger der Post-Corona-Politik das Potential zum Gewinner hat. Angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen wählten die Deutschen 2005 Merkel; nach der Weltfinanzkrise wählten die Deutschen 2009 Merkel, nach dem großen Zustrom an Flüchtlingen wählten die Deutschen 2017 Merkel. Die Erben der gesellschaftspolitisch progressiven Merkel-Mitte haben 2021 große Chancen gewählt zu werden. Die Erben können aber durchaus auch von anderen Parteien als aus der Union kommen. Die Siegerthemen im Umfeld von Sicherheit und Identität bilden sich jetzt heraus: Wer baut den Vorsorgestaat aus? Wie kann Politik wieder zum Mit-Produzenten von umfassender Sicherheit werden? Wer schafft glaubhaft moderne Daseinsvorsorge als strategische Sicherheit? Wer setzt auf Resilienz im europäischen Kontext? Wie kann Politik die Zukunft offenhalten, die täglich bedroht erscheint?

Zitationshinweis:

Korte, Karl-Rudolf (2020): Über die Corona Krisengewinner und die Mehrheiten im Superwahljahr 2021, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/ueber-die-corona-krisengewinner-und-die-mehrheiten-im-superwahljahr-2021/

 

This work by Karl-Rudolf Korte is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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