Von Unrechtsstaaten, Mauerfällen und den Linken

Immerhin stellt sie die größte Fraktion der Opposition des Bundestages. Und ab dem 5. Dezember könnte ein Ministerpräsidentenamt hinzukommen. Dennoch scheint die Linkspartei zurzeit vor allem aufgrund vermeintlicher Randthemen medial präsent zu sein. Sind aber die Begriffs-Kämpfe um den „Unrechtsstaat“, die offenen Angriffe des Moralkriegers Biermann und die Verfolgungsjagd auf den Fluren des Bundestages, welche auf der Herrentoilette endete, wirklich periphere Angelegenheiten, oder treffen sie vielmehr den Kern des bundesrepublikanischen Umgangs mit der in weiten Teilen ungeliebten Partei? Steht sie etwa sinnbildlich für alles Unrecht, dass die Bundesrepublik hinter sich gelassen glaubt?

Die Liste derjenigen, die sich im Zuge des 25. Jahrestages des Mauerfalls über die Linkspartei und deren schwieriges Erbe geäußert haben, ist lang. Sie reicht vom Bundespräsidenten, der seine Kritik noch in eine Frage verpackte, über Wolf Biermann, der Don Quijotisierend gegen die „Drachenbrut“ im Bundestag zu Felde zog, bis hin zur Kanzlerin, die exekutiv den Status der DDR als „Unrechtsstaat“ zementierte. Hinzu kommen weitere kleinere mediale Nickeligkeiten, die am ohnehin schon demolierten Image der Partei kratzen: Hier wird Bodo Ramelows mutmaßliche Tempofahrt mit Nummernschild abgebildet und dort gipfelt ein letztlich innerparteilicher Konflikt auf der Toilette des Abgeordnetenhauses. Einiges davon gehört zum beliebten Spiel der Berliner Republik, die Politik in der „nervösen Zone“ als medialen Zeitvertreib kultiviert. Anderes wiederum zeigt, dass die LINKE sich einer breiten Kritik aus „der Mitte der Gesellschaft“ stets sicher sein kann.

Somit ist es kein Zufall, dass sich gerade um die Jubiläumsfeierlichkeiten zur Wende die Kritik an der SED-Nachfolgepartei erneut entzündet. Vielmehr sind einige der Angriffe Teil eines geschichtspolitischen Konsolidierungskurses, welcher zur Selbstvergewisserung der Bundesrepublik beiträgt. So feiert die FAZ Biermann als einen „preußischen Ikarus“ , ganz ohne die Ironie, die doch in seinem Auftritt mit samt der Liedzeile „lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit“ steckt. Biermanns Verbitterung war offensichtlich und sein Akt der kollektiven Schuldzuschreibung ebenso unerbittlich, wie der halbherzige Versuch Norbert Lammerts, ihn mittels der Geschäftsordnung des Bundestages zum Schweigen zu bringen, strategisch war. Den größten Applaus bekam Biermann natürlich aus der Partei, die 21 Jahre nach Kriegsende ein NSDAP-Mitglied zum Bundesvorsitzenden und Kanzler wählte. Ein wenig mehr Verständnis und Entgegenkommen für die Schwierigkeiten, Paradoxien und Brüche von Post-Regime-Biographien, sind in der Be- und Verurteilung also bisweilen angebracht. Zumal auf den Fernsehbildern aus dem Bundestag zu sehen war, dass sich einzig der linke Abgeordnete Richard Pitterle textsicher zeigte. Patentrezepte für den Übergang von Diktaturen, autoritären Staaten und ja, auch Unrechtsstaaten in demokratische Strukturen sind rar.

Der Mauerfall ist dennoch, oder gerade deshalb, der positive Referenzpunkt deutscher Geschichte. Kaum einer, dem die Bilder aus der Prager Botschaft oder von der Bornholmer Straße nicht nahe gehen, kaum einer, der nicht andächtig lauscht bei den Erzählungen Angehöriger der Maueropfer. Im Mauerfall kulminieren Staatsversagen und friedliche Revolution, die sehr wohl als Vorbild dient für Freiheitskämpfer auf der ganzen Welt. Einige aber können dieser universellen Symbolik des Mauerfalls nur wenig abgewinnen. Dieser auf Deutschland fixierte Anspruch wurde in einer Kunst-Aktion des „Zentrums für politische Schönheit“ überdeutlich. Die Gruppe hatte mit Unterstützung des Berliner Gorki-Theaters die Gedenkkreuze für die Mauertoten von ihrem eigentlichen Bestimmungsort am Ufer der Spree entfernt und sie an die Außengrenze der EU gebracht, um auf die „neuen Mauern“ aufmerksam zu machen. Das politische Berlin war entsetzt und zeigte in seiner Reaktion eben jene reflexhafte Empörung, die der Universalisierung des Mauerfalls  eine klare Absage erteilt. Der Berliner Innensenator Frank Henkel sprach von einer „verabscheuungswürdigen Tat“ und der „Entehrung der Mauertoten.“ Wie weit Henkel in seinem kleinbürgerlichen Furor hier über das Ziel hinaus schoss, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass er in seinem Kommentar tatsächlich vermerkt: „138 Menschen sind an der Berliner Mauer gestorben. Ihr Freiheitsdrang endete in einem tragisch gescheiterten Wagnis.“ Ohne die beinahe gespenstische Parallelität zu den unzähligen Toten an den Außengrenzen der EU zu sehen, entlarvt Henkel sich und die Zentrierung des Wendegedenkens auf ein nostalgisches Gedenken. Wie viel Potenzial liegt doch gerade in der Symbolik des 9. November 1989 und wie viel wurde durch solche Äußerungen verschenkt. Kann man sich eine bessere Verwendung der Mauerkreuze vorstellen, als aufmerksam zu machen für neue Gefahren der Ausgrenzung und Unterdrückung?

Doch was hat all dies mit der LINKEN zu tun? Auch sie wird noch immer als Teil eines überwundenen Systems gesehen, ohne anzuerkennen, dass sie in vielen ostdeutschen Ländern dem Status einer Volkspartei sehr nahe kommt. Gerade in dieser Funktion ist die LINKE die fleischgewordene Erinnerung an das andere Deutschland, das in der politischen Geschichtsschreibung als besiegt gilt und zu gelten hat. In dieses Bild will die LINKE einfach nicht passen. Zudem ist sie neben der CDU die einzige Machtoption für die SPD, was sich nun in Thüringen erneut zeigt. Die LINKE ist also das laufende historische Paradoxon der Bundesrepublik und wird diesen Status auf längere Zeit wohl eher nicht verlieren. Diese Stellung soll sie jedoch mitnichten vor Kritik schützen. Doch ist es angezeigt, nicht das Erbe, sondern vielmehr die innerparteilichen Verwerfungen zu adressieren und zu kritisieren. Beispielhaft zeigten sich diese an einem kuriosen Vorfall, der als „Toiletgate“ auch in die internationale Presse Eingang gefunden hat. Neben einem anekdotischen Schmunzeln, schafft es die Verfolgungsjagd auf den Gängen des Abgeordnetenhauses aber vor allem, die Probleme der Partei zu bebildern. Die LINKE wird klar Stellung beziehen müssen zu dem strukturellen Antisemitismus, der sich in Person von Inge Höger und Annette Groth als Anti-Zionismus tarnt. Sie wird desweiteren Antworten finden müssen auf die große, innerparteiliche Diskrepanz zwischen einem pragmatischen Flügel und einer ins extreme reichenden Linken, die sich zunehmend mit verstörenden Milieus, wie den neuen Montagsdemos und Hamas- Sympathisanten und -Anhängern verbündet. Linke Politik steht in Deutschland auch dank solcher Allianzen unter verschärfter Beobachtung.

Viel mehr aber wird die Linkspartei weiterhin konfrontiert sein mit einem Begriff, der zur Essenz der Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit geworden ist: dem Unrechtsstaat. Obwohl er in einem rot-roten Positionspapier nun in gedrechselter Formulierung als „Willkürstaat, der in der Konsequenz Unrechtsstaat genannt werden muss“ zur offiziellen Linie der Partei gehört, finden sich immer wieder Abgeordnete, die durch diese Bezeichnung die „Lebensleistung vieler Bürgerinnen und Bürger“ beschädigt sehen. Ein breites Bekenntnis der Linken zur Bundesrepublik und gegen die DDR wird nötig sein, um sich aus der parlamentarischen Schmuddelecke zu befreien. Vielleicht bietet sich dann auch die Chance, dass sich ein alternatives, in die Zukunft weisendes, Erinnern an die raren positiven Aspekte deutscher Geschichte einstellt.

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