Wahlausgang mit gegenläufigen Botschaften

Dr. Martin Thunert vom Heidelberg Center for American Studies der Universität Heidelberg ordnet die Ergebnisse der US-Präsidentschaftswahl vor dem Hintergrund der letzten Ereignisse ein. Gab es zunächst auf beiden Seiten Gewinner und Verlierer, so heißt der große Verlierer der Wahlen inzwischen Donald Trump. Mit Attacken auf Mitglieder der eigenen Partei sorgte er dafür, dass die Republikaner bei den Stichwahlen in Georgia unter ihren Möglichkeiten blieben und sich den Demokraten geschlagen geben mussten. Welche gegenläufigen Botschaften lassen sich den Wahlergebnissen entnehmen? Und: Wie kam es dazu, dass der große Verlierer inzwischen Trump heißt?

Die US-Wahlen vom 3. November 2020 kannten zunächst Gewinner und Verlierer auf beiden Seiten, doch dies änderte sich Anfang Januar 2021 abrupt: Nach den verlorenen Senatsstichwahlen im Bundesstaat Georgia am 5. Januar 2021 und der Erstürmung des US-Kapitols am Dreikönigstag durch seine Anhänger heißt der Hauptverlierer Donald Trump – unabhängig davon, ob ihn ein zweites Amtsenthebungsverfahren noch wenige Tage vor seinem Ausscheiden aus dem Amt entfernt oder nicht.

Wahlausgang mit gegenläufigen Botschaften

Warum in den USA nach den Wahlen vom 3. November 2020 kein Ende des „Kalten Bürgerkriegs“ in Sicht ist.

Autor

Dr. habil. Martin Thunert ist Senior Research Lecturer (Forschungsdozent) für Politikwissenschaft am Heidelberg Center for American Studies der Universität Heidelberg. mthunert@hca.uni-heidelberg.de.

Die US-Wahlen vom 3. November 2020 kannten zunächst Gewinner1 und Verlierer auf beiden Seiten, doch dies änderte sich Anfang Januar 2021 abrupt: Nach den verlorenen Senatsstichwahlen im Bundesstaat Georgia am 5. Januar 2021 und der Erstürmung des US-Kapitols am Dreikönigstag durch seine Anhänger heißt der Hauptverlierer Donald Trump – unabhängig davon, ob ihn ein zweites Amtsenthebungsverfahren noch wenige Tage vor seinem Ausscheiden aus dem Amt entfernt oder nicht.

Die meisten Republikaner waren im November 2020 unglücklich, dass Donald Trump ein Präsident mit nur einer Amtszeit sein wird und sie damit die Exekutivgewalt in Washington DC verloren hatten. Während eine Mehrheit der Amerikaner der Überzeugung ist, die Wahlen seien frei und fair verlaufen, sehen nach wie vor knapp drei Viertel der Trump-Unterstützer den Sieg Bidens als Ergebnis großangelegter Wahlmanipulationen. Trump schürte diese Haltung nicht zuletzt deswegen, um seinen Zugriff auf die Republikanische Partei – sowohl inhaltlich als auch organisatorisch – nicht zu verlieren, wie dies scheiternden Präsidentschaftskandidaten oder abgewählten Präsidenten häufig widerfuhr. Doch Trump gab auch dann nicht auf, den Wahlsieg Joe Bidens torpedieren zu wollen, nachdem mehr als 50 Anfechtungen der Wahl vor Gerichten aller Instanzen gescheitert waren. Selbst die Trump-freundliche Boulevard-Zeitung New York Post titelte am 28. Dezember 2020 in Großbuchstaben „Mr. President…..STOP THE INSANITY“ (Beenden Sie den Irrsinn). Doch Trump machte weiter. Im Bundesstaat Georgia, in dem die Senatsstichwahlen am 5. Januar 2021 über die Mehrheitsverhältnisse in der oberen Kongresskammer entschieden, unterminierte er mit wüsten Attacken auf die Landespolitiker der eigenen Partei den Wahlkampf der beiden republikanischen Amtsinhaber. Dies hatte zur Folge, dass die Wählermobilisierung der Republikaner in Georgia weit unterhalb ihrer Möglichkeiten blieb und die Senatssitze knapp verloren gingen. Viele Anhänger und Wahlkampfstrategen der Republikaner machen das erratische Agieren des abgewählten Präsidenten seit November 2020 für das mit der Niederlage verbundene Kippen der Mehrheitsverhältnisse im Senat zugunsten der Demokraten verantwortlich. Doch dem völlig entfesselten Noch-Präsidenten reichte auch das nicht. Mit Nachdruck verlangte er von Vizepräsident Mike Pence, der ihm ebenfalls mehr als vier Jahre loyal zur Seite gestanden hatte, dass dieser verfassungswidrig die Zertifizierung der Wahlentscheidung des Wahlleutegremiums verhindern sollte. Pence weigerte sich und brach mit Trump. Daraufhin forderte Trump bei einer Kundgebung am 6. Januar 2021 in der Nähe des Weißen Hauses seine Anhänger auf, nun gemeinsam zum gut eineinhalb Kilometer entfernten Kapitol zu marschieren und die dort tagenden Mitglieder des Kongresses unter Druck zu setzen. Doch der Präsident marschierte nicht mit, sondern zog sich ins Weißen Haus zurück. Die Folgen sind bekannt: Ein Teil der Trump-Anhänger überwand die unzureichend gesicherten Absperrungen, drang gewaltsam in das Kapitolsgebäude ein und trieb dort ihr Unwesen, das von zahlreichen Beobachtern als inländischer Terrorismus bezeichnet wird. Trump, der die Attacke auf das Kapitol im Fernsehen verfolgte, zögerte lange, bis er die Übeltäter dazu aufrief, die Polizisten zu verschonen, der Gewalt abzuschwören und nach Hause zu gehen. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte es bereits Tote und Verletzte gegeben. Weitere Trump-Getreue wandten sich vom Präsidenten ab, Mitarbeiter im Weißen Haus und langjährige Kabinettsmitglieder traten zurück. Keine 48 Stunden später schlossen die Plattformen Facebook und Twitter die Accounts Donald Trumps – auf Dauer.

Bei nüchterner Bilanz haben die Republikaner nach dem Triumph ihrer Partei 2016, den sie Donald Trump in beachtlichem Maße zu verdanken hatten, unter der Führung von Donald Trump zuerst 2018 das Repräsentantenhaus, dann 2020 das Weiße Haus und Anfang 2021 auch noch die Senatsmehrheit verloren. Und dennoch hätte es für die Republikaner noch deutlich schlimmer kommen können, wenn man den Umfragen folgte, die eine erdrutschartige Niederlage Trumps und der Republikaner prognostizierten. Viele Demokraten waren daher zunächst unglücklich, dass der vorhergesagte Erdrutschsieg ihrer Partei und Joe Bidens (die sogenannte „blaue Welle“) nicht eingetreten ist. Doch der Doppelsieg der demokratischen Kandidaten in der Senatsstichwahl in Georgia und das damit einhergehende politische Patt im Senat, das durch die Stimme der Vizepräsidentin Kamala Harris aufgehoben wird und so die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Präsidentenpartei ändert, stimmt die meisten Demokraten versöhnlich.

Das Wahlergebnis mag für die Demokraten im Ganzen ermutigend sein, wie für es für die Republikaner frustrierend ist, doch bei genauerem Hinschauen lassen sich dem Wahlergebnis durchaus gegenläufige Botschaften entnehmen. Wenn nicht alles täuscht, bestätigen wie Wahlen 2020, dass die USA auch in den nächsten zwei bis vier Jahren ein zutiefst gespaltenes Land sein werden und aus annähernd gleich großen politischen Lagern bestehen, die sich zutiefst misstrauen und die Präferenzen der jeweils anderen Seite für ein Unglück halten. Ein Ende des „kalten Bürgerkriegs“, wie Torben Lütjen die gesellschaftliche Lage in den USA treffend charakterisiert (Lütjen 2020) ist daher nicht in Sicht.

Eine Anti-Trump Wahl, keine Pro-Biden Wahl

Zunächst einmal hat die Wiederwahl- oder Abwählschlacht zwischen Donald Trump und Joe Biden eine bis dahin fast undenkbare Wählermobilisierung ausgelöst – auf beiden Seiten des politischen Spektrums, aber mit einem leichten Überhang bei den Demokraten. Als am Nachmittag des 7. Novembers 2020 amerikanischer Ostküstenzeit die maßgeblichen US-Fernsehanstalten – einschließlich des konservativen Senders Fox News Channel – Joseph R. Biden knapp vier Tage nach Schließung der Wahllokale zum gewählten Präsidenten der USA erklärten, war die Wahl Corona-bedingt in mehreren Etappen verlaufen. Mehr als 60% der Wähler gaben bereits vor dem Wahltag ihre Stimme ab, entweder als Briefwähler oder durch „early voting“. Dann kam der 3. November 2020, der eigentliche Wahltag. An dessen Ende hatten sich 66,7% der wahlberechtigten Amerikaner an der Präsidentschaftswahl beteiligt, der höchste Wert seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Spitzenreiter war der Bundesstaat Minnesota mit einem für die USA fast sagenhaften Wert von 80% Wahlbeteiligung. Doch was diese hohe Mobilisierung ausgelöst hatte, waren nur in zweiter Linie politische Meinungsverschiedenheiten zu Sachfragen, sondern primär identitätsbasierte Spaltungen in der amerikanischen Gesellschaft mit hohem Konfliktpotenzial. Nach einer Umfrage der Monmouth Universität vom 18. November 2020 (siehe Monmouth University 2020) ist etwas mehr als die Hälfte der amerikanischen Öffentlichkeit (52%) entweder glücklich (34%) oder zufrieden (18%) über Trumps Niederlage, während fast vier von zehn unzufrieden (28%) oder wütend (10%) sind. Ebenso ist etwas mehr als die Hälfte (51%) entweder glücklich (25%) oder zufrieden (26%) über Bidens Sieg, während etwas mehr als vier von zehn unzufrieden (29%) oder wütend (15%) darüber sind. Unter den Biden-Wählern sagen 57%, dass sie glücklich sind, dass ihr Kandidat gewonnen hat, aber noch mehr (73%) sind glücklich, dass Trump verloren hat. Das bedeutet, dass es bei dieser Wahl nahezu ausschließlich um den Amtsinhaber ging, nicht um die politischen Vorhaben Joe Bidens. Der Gedanke, dass Trumps Niederlage eine stärkere positive Reaktion hervorruft als der Gedanke an einen Biden-Sieg, ist ein Beispiel für den Charakter der Anti-Trump Wahl von 2020. In der Tat hatten beide Seiten die Wahl zu einem Referendum über Donald Trump erklärt – nicht nur über Erfolg oder Misserfolg seiner Politik, sondern über die Person des Präsidenten selbst und über seine Charaktereigenschaften, seine Eignung für das Amt und natürlich über seine Führungsqualitäten während der Corona-Pandemie. Dieses Referendum über seine Person hat Donald Trump verloren. Zweifellos ist Joe Biden, von 1973 bis 2017 ununterbrochen in der US-Bundespolitik in Washington DC tätig, erst 36 Jahre als Senator des kleinen Ostküstenstaats Delaware und danach acht Jahre als Vize-Präsident des charismatischen Barack Obama, der große Wahlgewinner des Jahres 2020.

Wahlanalyse2 – Trumps Corona-Pfusch – Bidens Sieg

Früh war klar, dass sich die Präsidentschaftswahl 2020 erneut in maximal zehn umkämpften Schlüsselstaaten, den sogenannten Swing States entscheiden würde – insbesondere im ehemaligen industriellen Herzen der USA rund um die Großen Seen. Der designierte Präsident Joe Biden hat eine ausreichend große Koalition von Wählern in den umkämpften Schlüsselstaaten hinter sich versammelt, um Präsident Donald Trump abzulösen und der 46. Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Seine erfolgreiche Kandidatur beruhte auf ausreichenden bis sehr guten Gewinnmargen bei jungen und nicht-weißen Wählern, bei College-Absolventen, sogenannten „unabhängigen Wählern“, die für keine der beiden Parteien registriert sind, und denjenigen, zu deren Prioritäten die Themen Rassenungleichheit und die Eindämmung der Corona-Pandemie gehören. Mit fast 81 Millionen erhielt Biden eine noch nie von einem Präsidentschaftskandidaten erreichte nationale Stimmenzahl. Am 14.12.2020 verhielten sich die 538 Mitglieder des Wahlleutegremiums nach mehr als 50 gescheiterte Wahlanfechtungen der Trump-Kampagne so, wie es ihnen die Wähler von 50 Bundesstaaten und dem Hauptstadtdistrikt aufgetragen hatten: 306 Wahlleute votierten für Joe Biden, der damit zum 46. Präsidenten der USA gewählt wurde, 232 Wahlleute stimmten für Donald Trump. Trotz einiger Einsprüche von republikanischen Abgeordneten und Senatoren zertifizierte der US-Kongress am 6. Januar 2021 – unterbrochen durch die Stürmung des Kapitols durch Trump-Anhänger – das Wahlresultat und erklärte damit Joe Biden zum 46. Präsidenten der USA. Am Mittag des 20. Januar 2021 Ortszeit tritt der bis heute älteste Präsident der USA auf den Stufen des Kapitols sein Amt an – aufgrund der Corona-Pandemie ohne große Menschenmenge.

Basierend auf den Nachwahlbefragungen verlor Donald Trump die Wahl in den umkämpften Schlüsselstaaten an den Großen Seen aufgrund einer leichten Erosion seiner alten Wählerbasis von 2016. Beispiel Pennsylvania: In diesem wahlentscheidenden Bundesstaat verlor Trump bei Weißen, bei Wählern mit College-Ausbildung und bei Menschen unter 44 Jahren an Unterstützung. Die Umfragen ergaben, dass 61% der weißen Männer Trumps Kandidatur zur Wiederwahl unterstützten, das sind drei Prozentpunkte weniger als 2016. 40% der Hochschulabsolventen stimmten für Trump, fünf Punkte weniger als vor vier Jahren, und 33% der Wähler zwischen 18 und 44 Jahren unterstützten Trump im Bundesstaat, das sind neun Punkte weniger als 2016. Trump gewann 56% der Wähler in Pennsylvania, die mindestens 45 Jahre alt sind, das sind drei Punkte mehr als 2016. Im ebenfalls nun von Biden zurückgewonnenen Bundesstaat Wisconsin stimmten etwa sechs von zehn weißen Männern ohne College-Abschluss für Trump, im Vergleich zu sieben von zehn im Jahr 2016. Und vier von zehn der der unabhängigen Wähler, die sich weder mit Demokraten noch Republikanern identifizieren und nicht als deren Parteianhänger registriert sind, stimmten dort diesmal für Trump, gegenüber 50% dieser Wählergruppe vor vier Jahren.

Auch landesweit schnitt Trump bei derjenigen Klientel schlechter ab als 2016, die man allgemein mit ihm in Verbindung bringt – weißen Männern. Dort verschlechterte sich sein Anteil von 62% auf 58%.  Auch bei den Wählern mit Hochschulabschlüssen sank die Zustimmung für Trump, während er bei den weißen Frauen um drei Prozent zulegte und sich von 52% auf 55% verbesserte. Die nationalen Nachwahlbefragungen von Edison Research offenbaren die tiefe Besorgnis vieler Wähler über die Corona-Pandemie, die in bis zum Wahltag mehr als 9,4 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten infiziert und mehr als 230.000 getötet hatte. Während landesweit nur zwei von zehn Wählern sagten, dass COVID-19 das Thema war, das bei ihrer Wahl zum Präsidenten am wichtigsten war, ist die Hälfte der US-Wähler der Ansicht, dass es wichtiger ist, das Coronavirus einzudämmen, auch wenn es der Wirtschaft schadet. Trump machte die vollständige Öffnung der US-Wirtschaft zu einem Kernstück seiner Wiederwahlkampagne, auch wenn die Infektionen weiter zunehmen. Biden hatte behauptet, Trump verdiene wegen seines Umgangs mit der Pandemie keine zweite Amtszeit. Die Nachwahlbefragung zeigt somit, dass auch die Wählermehrheit, für die COVID-19 nicht Thema Nummer 1 war, Trumps Öffnungskurs auf Kosten der Ansteckungszahlen nicht mittrug, wovon Biden profitierte. Doch dieselben Zahlen machen deutlich, dass die Bewertung des Corona-Managements der US-Regierung nur eines der Kriterien war, auf denen die Wahlentscheidung beruhte. Auf nationaler Ebene gaben vier von zehn Wählern an, dass sie die Bemühungen zur Eindämmung des Virus für “sehr schlecht” hielten. In Florida und North Carolina sagten sogar fünf von zehn Wählern, dass die nationale Reaktion auf die Pandemie “etwas oder sehr schlecht” verlaufen sei, dennoch fielen beide Bundesstaaten an Trump.

Diese Daten stützen die Plausibilität der These, dass Trump die Wiederwahl – vielleicht sogar mit Leichtigkeit – gewonnen hätte, wenn die Pandemie und seine verpfuschte Reaktion darauf nicht gewesen wären. Nach überstandenem Amtsenthebungsverfahren hätte Trump den Vorteil der Amtsinhaberschaft innegehabt sowie die große Zufriedenheit einer deutlichen Bevölkerungsmehrheit mit der Lage der US-Wirtschaft vor Corona. Überspitzt gesagt, brachten das selbsterklärte „stabile Genie“ dieselben Qualitäten zu Fall, etwa seine ablehnende Haltung gegenüber den Ratschlägen der Experten, sein Appell an den persönlichen und nationalen Vorteil und das Hintanstellen gemeinschaftlicher Ziele, die es Trump vier Jahre zuvor ermöglichten, die Präsidentschaft überraschend zu gewinnen, indem er etablierte Einsichten zur richtigen Wahlkampfführung erfolgreich beiseite gewischt hatte. Neben den von ihm selbst eingestandenen Verharmlosungen der von Corona ausgehenden Gefahr während der ersten Wochen der Pandemie, kann auch sein Umgang mit dem Corona-bedingten Wahlmodus als einer seiner kapitalsten Fehlkalkulationen betrachtet werden. Eine Reihe der wahlentscheidenden Schlüsselstaaten hatte das Briefwahlverfahren erleichtert, um den Bürgern das lange Anstehen am Wahltag zu ersparen und dadurch die Ansteckungsgefahr zu reduzieren. Die demographische Gruppe der Vorstadtwähler, die von der Pandemie stark verunsichert war, profitierte vom Briefwählen, doch der Präsident riet ihnen nicht zu – im Gegenteil. Als im Spätsommer klar wurde, dass es im ganzen Land zum Briefwählen in großem Stil kommen würde, stellte Präsident Trump seine Polemik gegen das Briefwählen nicht ein und rief seine Anhänger – anders als Biden – nicht dazu auf, sich vollumfänglich an der Briefwahl zu beteiligen.

Wie sehr Trump das teilweise Einbrechen in den Vorstädten geschadet hat, beweisen seine Zuwächse bei Trump-untypischen Wählergruppen, die aber aufgrund der genannten Verluste in den suburbanen USA der Schlüsselstaaten nicht für den Wahlsieg im Wahlleutegremium ausreichten, die aber zukunftsweisend für die Republikanische Partei sein könnten. Überraschend erzielte Donald Trump 2020 den höchsten Anteil nicht-weißer Stimmen eines Kandidaten der Republikaner seit 60 Jahren. Ein Drittel der Latino-Stimmen entfielen auf ihn, es gelang die Verdoppelung der schwarzen Stimmen, er erzielt auch höhere Stimmenanteile bei der LGBT Community. Im Einzelnen: Bei den schwarzen Männern legte Trump um fünf Prozent zu und verbesserte sich von 13% auf 18%. Er verdoppelte seinen Anteil bei schwarzen Frauen von vier auf acht Prozent. Dies sind bei den Afro-Amerikanern weiterhin sehr niedrige Werte, aber seit langer Zeit war es vor Trump keinem Republikaner mehr gelungen, mehr als zehn Prozent der schwarzen Stimmen zu erhalten. Erhielt Trump 2016 nur ein knappes Drittel der Latino-Männer (32%), so waren es 2020 36%, bei den Latinas verbesserte er sich von 25% auf 28%. Damit ist der Anteil an Latino-Stimmen für die Republikaner noch längst nicht wieder auf dem von George W. Bush 2004 erreichten Niveau von ca. 40%, aber nach dem deutlichen Absinken unter McCain und Romney auf deutlich unter 30% nähert es sich den alten Höchstwerten langsam an. Auch bei den hier nicht explizit aufgeführten ethnischen Gruppen, hinter denen sich insbesondere Amerikaner asiatischer Herkunft verbergen, verbesserte sich Trump von 31% auf 37%.

Eine Lektion der Wahl von 2020 lautet somit: Ethnische Minderheiten mit „Migrationshintergrund“ gehören nicht automatisch der Demokratischen Partei. Es ist falsch, insbesondere Latinos, aber auch in geringerem Maße Amerikaner asiatischer Abstammung politisch als einen monolithischen Block zu behandeln. Kubanische Amerikaner in Südflorida oder ehemalige vietnamesische Flüchtlinge in Südkalifornien ließen sich 2020 mit anti-sozialistischer Rhetorik gewinnen, guatemaltekische Fischer, die nun an der Atlantikküste Neuenglands arbeiten, eher weniger. Gut integrierte Texaner mexikanischer Herkunft, die bereits in der fünften Generation entlang des Rio Grande Valley leben, schreckt selbst die fremdenfeindliche Rhetorik Donald Trumps nicht ab, wenn sie die Steuer- und Wirtschaftspolitik der Republikanischen Partei mögen, andere mexikanische und mittelamerikanische Einwanderer finden Trumps Haltung abscheulich und sind überzeugt, dass die rigide Einwanderungspolitik Trumps gegen ihre Interessen verstößt. Noch fallen die Erfolge, die Trump und die Republikaner 2020 bei den Minderheiten erzielt haben, sehr bescheiden aus, aber der Abwärtstrend, der seit 2004 bei den Kandidaten McCain und Romney anhielt, ist gestoppt, vielleicht sogar revidiert. Die Minderheiten bei ihren spezifischen wirtschaftlichen Interessen ansprechen und nicht bei ihrer Identität als Minderheiten könnte eine erfolgversprechende Strategie für die Republikaner sein.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass die Wählerverschiebungen, die 2016 und 2020 zum Einzug ins Weiße Haus reichten, vergleichsweise gering waren. 2016 gewann Donald Trump drei Bundesstaaten im Gebiet der Großen Seen – Wisconsin, Michigan und Pennsylvania – mit einem Vorsprung von weniger als 100.000 Stimmen. In Pennsylvania gewann Trump die Stimmen weißer Arbeiter in zwei Landkreisen, die zuvor zwei Mal für Barack Obama gestimmt hatten, in Michigan und zum Teil auch in Wisconsin und Pennsylvania blieben viele junge Schwarze, die noch 2012 enthusiastisch für Obama gestimmt hatten, zuhause und verhalfen Trump so zum Sieg. 2020 gelang es Joe Biden, Hillary Clintons Fehler in den drei umkämpften Bundesstaaten zu korrigieren und nahm sie Trump wieder ab, was schon alleine zum Sieg gereicht hätte. Doch Biden gelang noch mehr: Er nahm Trump noch zwei weitere Bundesstaaten ab, die von den Republikanern seit Jahrzehnten gehalten wurden – Arizona und Georgia. Auch hier spielte das schlechte Corona-Management eine Rolle, aber ebenso demographische Veränderungen wie der steigende Anteil der Minderheiten und der Zuzug gut ausgebildeter Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen. In Arizona, der Heimat des 2018 verstorbenen Senators John McCain, eines Intimfeindes von Donald Trump, dürften auch Trump-Gegner im Lager der Republikaner für die knappe Niederlage des Präsidenten mit verantwortlich sein, in Georgia ist es neben dem Zuzug von Wählern mit höheren Bildungsabschlüssen die hohe Mobilisierung der schwarzen Wähler in den Ballungsräumen, welche den Unterschied zugunsten Bidens ausmachten. Allerdings ist der Vorsprung hier hauchdünn. Die am 5.1.2021 in Georgia abgehaltenen Senatsstichwahlen bestätigen dieses Bild: Die Republikaner verzeichneten herbe Verluste in den immer „bunteren“ Vorstädten des Großraums Atlanta, die sie in ihren Hochburgen in den ländlichen Teilen des Bundesstaates nicht wettmachen konnten. Zudem unterminierte Trumps Kritik an den Landespolitikern seiner Partei, die sich Trumps Druck auf Herbeischaffung der zu seinem Sieg fehlenden Stimmen widersetzten, die Geschlossenheit der Republikaner, was zu einer leicht asymmetrischen Mobilisierung zugunsten der Demokraten und damit zu deren hauchdünnen Sieg führte.

Knapper Sieg oder klares Mandat für Joe Biden?

Insgesamt führten Verschiebungen von weniger als 300.000 Wählern in fünf Bundesstaaten zu einem Machtwechsel im Weißen Haus – in einer Bevölkerung von 331 Millionen Menschen. Damit ist das Wahlergebnis in wichtigen US-Bundesstaaten so knapp, dass diese im Jahr 2024 wieder zu den hart umkämpften Swing States zählen werden, bei denen der Kandidat der 2020 unterlegenen Partei eine realistische Gewinnchance haben wird. Doch die Anhänger des siegreichen Joe Biden sowohl in den USA – als auch hierzulande – weisen darauf hin, dass Biden landesweit gut 80 Millionen Stimmen erhielt und einen amtierenden Präsidenten mit einem Vorsprung von landesweit gut sechs Millionen Stimmen aus dem Amt drängte. Biden habe die Fehler des Establishments beider US-Parteien, aber insbesondere der Demokraten von 2015/16, die sozioökonomischen und kulturellen Ressentiments vieler Wähler im Landesinneren der USA gering geschätzt und an den Rand gedrängt zu haben, korrigiert. Denn es sei ihm gelungen, die Reihen unterschiedlicher Flügel der Demokratischen Partei geschlossen hinter sich zu versammeln und das Anti-Trump Lager in der US-Bevölkerung voll zu mobilisieren.

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts sagen kühne Stimmen den Demokraten eine auf demographischen Entwicklungen beruhende goldene Zukunft voraus. So schrieb einer der Vertreter dieser These, Ruy Teixeira, am 16. Juli 2020:

„Die grundlegenden Fakten der amerikanischen Politik haben sich also in den letzten zwei Jahrzehnten nicht allzu sehr verändert. Demografische und wirtschaftliche Veränderungen begünstigen die Demokraten. Aber um aus diesen Veränderungen Kapital zu schlagen, müssen sich die Demokraten nahe an der Mitte der öffentlichen Meinung orientieren und die Stimmen eines bedeutenden Teils der weißen Arbeiterschicht behalten“ (Teixera 2020, eigene Übersetzung).

Doch das progressive, identitätspolitische Umfeld der Partei überhörte stets den Hinweis auf die Wichtigkeit der weißen Arbeiterschicht als Teil der Strategie. Kühn glaubt man stattdessen, in den 2020er Jahren werde sich die politische Landschaft der USA schnell und unaufhaltsam in Richtung weiterer Massenverstädterung, Rückgang des weißen Bevölkerungsanteils und den damit einhergehenden toleranteren sozialen Einstellungen einer heraufziehenden moderat progressiven Bevölkerungsmehrheit bewegen. Die überraschenden Senatswahlsiege in Georgia geben dieser Hoffnung Nahrung, da sich der beschriebene Wandlungsprozess in Georgia in beispielhafter Weise vollzieht. Man ist sich ziemlich sicher, dass die Präsidentschaft Trumps, der weder an der Wahlurne noch in den Umfragen jemals klare Mehrheiten in der Bevölkerung besaß, die letzten, gequälten Krämpfe reaktionärer Kräfte waren, die einer sterbenden Ideologie weißer Vorherrschaftsträume anhingen und deren langsames, aber stetes Abgleiten in die Bedeutungslosigkeit unumkehrbar scheint. Bidens gutes Abschneiden in Arizona und Georgia gilt als Beleg dieser These. Daher sei es nur eine Frage der Zeit, bis weitere Staaten wie das große Texas politisch die Farbe wechseln würden. Dies würde bedeuten, dass die Demokraten in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts zu einer strukturellen Mehrheitspartei heranwachsen könnten, die nur schwer von der politischen Macht in Washington DC zu verdrängen wäre. Wie das Beispiel Georgia zeigt, ist die These von der Begünstigung der Demokratischen Partei durch die Demographie nicht ohne Plausibilität. Schon vor Jahren kippte der einstige Südstaat Virginia, eine traditionelle Hochburg der Republikaner aufgrund der Ausdehnung der Hauptstadt Washington DC nach Süden zugunsten der Demokraten. Gerade die wirtschaftspopulistischen und freisinnigen Aspekte der US-Progressiven verfügen über eine beträchtliche Anziehungskraft bei den Wählern, wie 2020 in den Bundesstaaten (einschließlich einiger von Republikanern dominierten Staaten) zu sehen war, in denen sich bei Volksabstimmungen auf Landesebene unter anderem progressive Positionen zur Liberalisierung der Drogengesetze und in Florida (das Trump spielend gewann) zur Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar pro Stunde klar durchsetzen. Doch andererseits lehnten Wählermehrheiten in Kalifornien, dem vielleicht führenden „progressiven“ Einzelstaat der USA, Initiativen zur Wiedereinführung von Affirmative Action (bevorzugte Berücksichtigung von Minderheiten bei Studium oder öffentlicher Auftragsvergabe), zur Einführung von Mietpreiskontrollen und für die arbeitsrechtliche Einstufung von Mitfahr- und Lieferdienstmitarbeitern als angestellte Arbeitnehmer ab. Somit setzt nicht nur Trumps Wahl 2016, sondern auch das Wahlergebnis 2020 einige wichtige Fragezeichen hinter die Frage der Mehrheitsfähigkeit der Demokraten und progressiver Haltungen.

Die Demokraten und mit ihnen die allermeisten Umfrageinstitute hatten einen deutlicheren Sieg Bidens erwartet beziehungsweise vorhergesagt. Biden würde Florida gewinnen, auch Ohio, möglicherweise Iowa und North Carolina und würde sich selbst in Texas ein Kopf-an-Kopf Rennen mit Trump liefern. Von einem solchen Erdrutschsieg hätten sich die Republikaner innerhalb einer einzigen Wahlperiode mit ziemlicher Sicherheit nicht so leicht erholt, egal wer 2024 für die Partei antritt. Donald Trumps Niederlage wäre nach den Umfragen sehr deutlich ausgefallen, er hätte auch weitere Kandidaten der Republikanischen Partei bei den Senatswahlen jenseits der abgewählten Parteifreunde in Georgia, aber auch die Ergebnisse bei Abstimmungen auf Einzelstaatsebene soweit nach unten gezogen, dass er seinen Führungsanspruch in der Republikanischen Partei am Tag nach der Wahl verloren hätte. Wenn dies nun doch geschieht, liegt dies alleine an Trumps Mitverantwortung für die Stürmung des Kapitols, die insgesamt fünf Menschen das Leben kostete, darunter einen Polizisten. Nicht nur Trump wäre am Ende, sondern auch das, was man „Trumpismus“ nennt, hätte sich mit erledigt, eine Form eines nationalen, rechtskonservativen und in Teilen autoritären Populismus, der sich allerdings mitunter anti-autoritär gebärdet, ohne eine kohärente Haltung zu repräsentieren. Doch die Abwahl Donald Trumps, das verlorene Referendum über seine Person und selbst die hauchdünne Niederlage der Trump-nahen Senatoren bei den Senatsstichwahlen in Georgia lassen sich nur schwer als eine klare Zurückweisung des „Trumpismus“, also für das, wofür Trump und sein Politikansatz stehen, deuten, sondern eher als einen Denkzettel für verpfuschtes Corona-Krisenmanagement und für seine Weigerung, die Wahlniederlage anzuerkennen. Nach knapp vier Jahren im Weißen Haus erhielt Trump 2020 nahezu 10 Millionen Stimmen mehr als vier Jahre zuvor. Trump erhielt zwar durchweg schlechte Haltungsnoten für nahezu alle Aspekte seiner Amtsführung, doch sein Management der US-Wirtschaft – einschließlich der Außenwirtschaft – erhielt selbst während der Corona-Krise hohe Zustimmung. Selbiges gilt für seine harte Linie gegenüber der chinesischen Führung.

Kongresswahlen 2020

Sieht man vom Gewinn des Weißen Hauses ab, verlief die Wahl 2020 für die Demokraten weniger gut als erwartet, wenn man das Resultat an den bereits erwähnten Erwartungen einer „blauen Welle“ misst. Im Repräsentantenhaus, das die Partei 2018 zurückeroberte hatte, schrumpfte die vorher komfortable Demokratenmehrheit auf nur fünf Sitze oberhalb der absoluten Mehrheit zusammen. Gerade moderate Abgeordnete der Demokraten verloren ihre erst 2018 neu gewonnenen Sitze im Haus an Neulinge der Republikaner, darunter überraschend viele Frauen und Minderheiten. Bei den Kongresswahlen erwies es sich für die Republikaner als eine erfolgreiche Strategie, gerade die gemäßigten Amtsinhaber und Kandidaten der Demokraten als in Wahrheit an „linken“ Ideen wie dem Green New Deal, dem kostenlosen College-Besuch, einer einzigen staatlichen Krankenversicherung (Medicare for All) und der Abschaffung der Polizei (defund the police) interessierte Linksradikale zu brandmarken. Auf nationaler Ebene hatte sich diese Strategie gegen Joe Biden als weitgehend wirkungslos erwiesen, regional war sie zum Teil erfolgreich, etwa in Florida, Texas, Ohio oder auch in den weißen Vororten von New York und New Jersey, in Georgia scheiterte sie knapp. Im Ergebnis wurde die immer noch männlich dominierte Kongressfraktion der Republikaner in der unteren Kammer durch die Wahlerfolge gerade der als Anti-Sozialisten auftretenden republikanischen Frauen 2020 ein wenig bunter. Wenn sich die Regel bewahrheitet, wonach die Präsidentenpartei bei den Zwischenwahlen zur Mitte der Präsidentenamtszeit Sitze verliert, liegt die Eroberung des Repräsentantenhauses für die Republikaner bei den 2022 anstehenden Zwischenwahlen durchaus in Reichweite.

Komplizierter ist die Lage in der oberen Kammer, dem US-Senat: Mit Siegen in Arizona und Colorado und einem Verlust in Alabama erzielten die Demokraten zunächst einen Nettogewinn von einem Sitz. Da das Wahltableau des Senats – 35 Sitze von 100 standen 2020 zur Wiederwahl – für die Republikaner extrem ungünstig schien, da sie viel mehr Sitze verteidigen mussten als die Demokraten – gerade auch in Bundesstaaten, in denen Trump unpopulär war, war der magere Demokratenzuwachs zunächst als ein Erfolg der Republikanischen Partei zu werten. Doch die Senatswahlniederlagen in Georgia am 5.1.2021 modifizieren dieses Bild, da sich nun die Mehrheitsverhältnisse im Senat für die nächsten zwei Jahre zugunsten der Demokraten verändern. Durch die Zugewinne der beiden neuen demokratischen Senatoren Warnock und Osoff entsteht im US-Senat ein Patt von 50:50. Da durch die das Patt auflösende Stimme der künftigen Vizepräsidentin Kamala Harris eine Senatsmehrheit der Demokraten unterstellt wird, gehen nunmehr alle Ausschussvorsitze sowie wichtige und weitgehende Geschäftsordnungskompetenzen an die neue Mehrheitsfraktion der Demokraten unter der Leitung von Charles Schumer, Senator aus New York. Kurzfristig bedeutet dies für Joe Biden zweierlei: Er hat jetzt freiere Hand bei der Nominierung seines Personals – von „Ministern“ (secretaries) über Behördenleitungen zu Botschaftern und Bundesrichtern –, das vom Senat bestätigt werden muss. Dennoch wird Joe Biden aufgrund der knappen Kongress-Mehrheiten nicht einfach „durchregieren“ können, denn nach wie vor gilt im Senat das Dauerrederecht jedes Mitglieds (filibuster), das nur von einer qualifizierten Mehrheit von 60 Stimmen beendet werden kann. Erreicht man diese Zahl nicht, kann ein Filibuster zahlreiche Gesetzesvorhaben, nicht aber Personalentscheidungen, blockieren. Da es sich beim Filibuster nicht um eine Verfassungsnorm, sondern lediglich um eine Geschäftsordnungsregel des Senats handelt, könnte sie mit einfacher Mehrheit gekippt werden. Kongressmitglieder des starken progressiven Flügels der Demokratischen Partei, die ambitionierte Vorhaben wie einen Green New Deal oder eine Totalreform des Krankenversicherungswesens anstreben, werden sich für eine Abschaffung des Filibusters und für die Einführung anderer institutioneller Reformen stark machen.

Schluss

Unter ihrem Präsidentschaftskandidaten Joe Biden ist es der Demokratischen Partei 2020 gelungen, die in den unendlichen Vorstädten der USA lebende Mittelschicht mit Hochschul- und Collegeabschlüssen immer mehr von ihrer früheren Fixierung auf die Republikanische Partei abzubringen. Gerade der Sieg Bidens in Georgia, der sich zwei Monate später bei den Senatsstichwahlen für die Demokraten wiederholte, ist ein untrügliches Zeichen für die politische Wirkung demographischen Wandels. Dabei wurde dieser im Falle Georgias nicht nur durch Einwanderung ausgelöst, sondern auch durch Binnenwanderung, konkret durch die Rückwanderung zunehmend gut ausgebildeter schwarzer Amerikaner aus anderen Teilen der USA in die Metropolen Georgias wie Atlanta und deren Vorstädte. Der sowohl 2018 als 2020 zu beobachtende Verlust von Vorstadtwahlkreisen ist für die Republikaner hochgradig alarmierend, denn er bedroht mittelfristig die Mehrheitsfähigkeit der Partei. Nicht primär die veränderte, populistischere Programmatik der Partei hat Vorstadtwählerinnen abgeschreckt, sondern Donald Trump als Person. Mit diesem Kandidaten dürfte es bis 2024 unmöglich werden, diese Wählergruppe erneut an die Partei zu binden. Spiegelbildlich muss sich die Demokratische Partei über ihr seit Jahren schwächeres Abschneiden in der weißen Arbeiterschaft Sorgen machen. 2020 konnte sie sich dank Joe Biden bei einem kleineren Teil der weißen Arbeiterschicht stabilisieren und hielt trotz einiger Verluste noch immer eine deutliche Mehrheit der ethnischen Minderheiten sowie der Schwarzen. Die enorme innere Vielfalt der Wählerkoalition der Demokraten ist so beeindruckend wie sie für das politische Management herausfordernd ist. Das Verhältnis der einzelnen Wählergruppen in der Partei zueinander ist nicht spannungsfrei, zum Teil liegen die Präferenzen und Prioritäten weit auseinander, lediglich die Ablehnung Trumps war ein einigendes Moment. Noch ist die Vielzahl von Gründen, weshalb sich zumindest ein kleinerer Teil der Latinos und anderer Minderheiten von der demokratischen Parteifamilie abwendet und weiter abwenden könnte, zu wenig erforscht. Möglich ist, dass konservative Ideen von individueller Freiheit und individueller Aufstiegsmobilität oder die Ablehnung einer offenen Einwanderungspolitik gerade bei gut integrierten Minderheiten auf wachsende Zustimmung treffen, möglich ist aber auch, dass sich die Demokraten bisher zu wenig um diese Wähler gekümmert haben und sie zurückgewinnen können.

Wenn sich die Republikanische Partei nach den knappen Wahlniederlagen und dem Ausscheiden Trumps aus dem Weißen Haus neu aufstellt, so sind nach einer parteiinternen Umfrage vom Dezember 2020 72% der Parteianhänger der festen Überzeugung, dass die Partei an der unter Präsident Trump eingeschlagenen programmatischen Richtung festhalten sollte. 52% denken aber auch, dass die Partei nach einem neuen Gesicht als Präsidentschaftskandidaten für 2024 umsehen sollte (Rasmussen 2020). Keine 48 Stunden nach der Attacke der Trump-Anhänger auf das Kapitol bestätigte der Bundesvorstand der Partei (Republican National Committee) die Trump-Vertraute Ronna McDaniel, eine Nichte des Trump-Intimfeindes Mitt Romney, die den Namen Romney aber nicht mehr verwendet, in der Funktion der Generalsekretärin. Dennoch werden die Ereignisse vom Dreikönigstag die Republikanische Partei in ein Dilemma stürzen. Nachdem Trump die Präsidentschaft verlässt, wird er als unangefochtener Parteiführer und zukünftiger Präsidentschaftskandidat vermutlich nicht zurückkommen, denn mit der Anstiftung zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 ging Trump auch in den Augen vieler seiner Mitstreiter deutlich zu weit. Doch gänzlich einflusslos werden Trump und sein innerer Kreis nicht bleiben, denn die Größe und Stärke von Trumps Bewegung sind nach wie vor derart, dass kein republikanischer Kandidat, den er zur persona non grata erklärt, die Nominierung und die Präsidentschaft gewinnen könnte. Trotz des Verlustes der Exekutive und Legislative hat Trump seiner Partei programmatisch – nicht mit seinem autoritären Habitus und erratischen Stil – den Weg gewiesen, wie sie aus den Demokraten-internen Spannungen, zu denen auch die Über-Akademisierung des politischen Diskurses im Umfeld der neuen Regierungspartei beiträgt, politisches Kapital schlagen kann. Es sind jüngere nationalkonservative Republikaner, die den Auftrag der Partei weniger rein privatisierend, globalistisch, global intervenierend und einwanderungsfreundlich sowie Silicon-Valley-kritischer und positiv-populistischer sehen als das frühere Establishment der Partei, die sich von den Wahlergebnissen 2020 ermutigt fühlen und im Windschatten des Trumpschen Richtungswechsels um die Wiedererlangung der Präsidentschaft 2024 oder 2028 bemühen werden. Auch wenn Joe Biden seine Präsidentschaft bis 2022 nicht unter dem äußeren Zwang einer republikanischen Senatsmehrheit führen muss, wird sein Drahtseilakt der ständigen Vermittlung, zwischen dem gemäßigten und dem progressiven Flügel der Demokratischen Partei zu agieren und gleichzeitig die politische Spaltung der US-Gesellschaft zu reduzieren, nicht leichter, da er weiterreichende programmatische Forderungen des erstarkten linken Parteiflügels nun nicht mehr mit dem Verweis fehlender Regierungsmehrheiten im Kongress von sich weisen kann. Der Hauptgegner Donald Trump einigte die Demokraten hinter Joe Biden, doch dieser Burgfriede dürfte nach dem Abgang des 45. Präsidenten nicht mehr allzu lange Bestand haben.

Literatur:

British Broadcasting Corporation BBC (2020): US Election 2020: Results and exit poll in maps and charts, 13. November 2020, https://www.bbc.com/news/election-us-2020-54783016?xtor=AL-72-

Lütjen, Torben (2020): Amerika im kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Monmouth University (2020): “More Americans Happy About Trump Loss Than Biden Win”, Monmouth University Poll, West Long Branch, NJ: https://www.monmouth.edu/polling-institute/documents/monmouthpoll_us_111820.pdf/

Rasmussen Reports (2020): 72% of Republicans See Trump As Model for Party’s Future, https://www.rasmussenreports.com/public_content/politics/general_politics/december_2020/72_of_republicans_see_trump_as_model_for_party_s_future

Teixeira, Ruy (2020): „Demography Is Not Destiny“, Persuasion, 16. Juli 2020, https://www.persuasion.community/p/demography-is-not-destiny

Washington Post (2020): Exit poll results and analysis for the 2020 presidential election, 14. Dezember 2020, https://www.washingtonpost.com/elections/interactive/2020/exit-polls/presidential-election-exit-polls/

Zitationshinweis:

Thunert, Martin (2020): Wahlausgang mit gegenläufigen Botschaften. Warum in den USA nach den Wahlen vom 3. November 2020 kein Ende des „Kalten Bürgerkriegs“ in Sicht ist, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/wahlausgang-mit-gegenlaeufigen-botschaften/

This work by Martin Thunert is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. In diesem Beitrag wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum benutzt. Damit sind jedoch stets alle Geschlechter gemeint. []
  2. Die folgenden Zahlen beruhen auf Nachwahlbefragungen (Exit Polls) und setzen sich aus einem nationalen Exit Poll und 22 bundesstaatlichen Exit Polls zusammen, die von Edison Research für den National Election Pool (ABC, CBS, CNN, NBC) durchgeführt wurden. Für die nationale Umfrage wurden insgesamt 15.590 Wähler, die am Wahltag ihre Stimme abgegeben haben, in 115 Wahllokalen beim Verlassen der Wahllokale befragt. In dieser Umfrage sind auch 4.919 Briefwähler und/oder vorzeitige Wähler enthalten, die per Telefon befragt wurden. Die Daten wurden dann gewichtet, um repräsentativ für die Bevölkerung zu sein und wurden weiter angepasst, nachdem die Stimmen ausgezählt wurden. []

Teile diesen Inhalt:

Artikel kommentieren

* Pflichtfeld