Wahlkampf am Rande des Abgrunds. Die CSU im bayerischen Landtagswahlkampf 2018

Als 2008 die Sensation einer auf unter 50 Prozent verkleinerten CSU Konturen annahm, spielten die Medien verrückt. Niemals zuvor hatte ein Urnengang im Freistaat mehr öffentliches Interesse erfahren, selbst brasilianische und australische Medien versuchten sich damals in der Ausbuchstabierung von Namen wie Günther Beckstein oder Erwin Huber. Das Ergebnis von 43,4 Prozent traf die erfolgsverwöhnte CSU ins Mark, „der Mythos der CSU als ‚natürlicher‘ bayerischer Staatspartei“ war gebrochen (Schultze/Grasnick 2009: 55). Die Rückkehr zur Alleinregierung 2013 mit immerhin 47,4 Prozent der Stimmen schien die Untergangsszenarien von 2008 Lügen zu strafen. Die Euphorie aber währte nicht lange. Heute, nur zehn Jahre, nachdem sich die Höhenflüge gewöhnte CSU ihre Flügel verbrannt hat, scheinen die Wolken am christlich-sozialen Himmel noch düsterer, noch Existenz bedrohender.

Obwohl die CSU in Bayern wie in den vergangenen Jahrzehnten keinen wirklichen Herausforderer kennt, befindet sich die Partei in einer scheinbar stetigen Abwärtsspirale. Michael Weigl analysiert, dass Teile der Partei die neuen Zeiten noch nicht wirklich verinnerlicht haben und ihr strategisches Repertoire noch nicht erneuert haben. Dadurch steht die CSU sich selbst im Weg und schwächt sich so zusätzlich selbst im Wahlkampf.

Wahlkampf am Rande des Abgrunds

Die CSU im bayerischen Landtagswahlkampf 2018

Autor

Dr. Michael Weigl ist Akademischer Rat/Lehrkraft für besondere Aufgaben am Lehrstuhl für Politikwissenschaft der Universität Passau. Die bayerische Landespolitik begleitet er intensiv seit Jahren. Für die von Karl-Rudolf Korte herausgegebene Schriftenreihe „Die politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland“ hat er den Band zur CSU verfasst.

Als 2008 die Sensation einer auf unter 50 Prozent verkleinerten CSU Konturen annahm, spielten die Medien verrückt. Niemals zuvor hatte ein Urnengang im Freistaat mehr öffentliches Interesse erfahren, selbst brasilianische und australische Medien versuchten sich damals in der Ausbuchstabierung von Namen wie Günther Beckstein oder Erwin Huber. Das Ergebnis von 43,4 Prozent traf die erfolgsverwöhnte CSU ins Mark, „der Mythos der CSU als ‚natürlicher‘ bayerischer Staatspartei“ war gebrochen (Schultze/Grasnick 2009: 55). Die Rückkehr zur Alleinregierung 2013 mit immerhin 47,4 Prozent der Stimmen schien die Untergangsszenarien von 2008 Lügen zu strafen. Die Euphorie aber währte nicht lange. Heute, nur zehn Jahre, nachdem sich die Höhenflüge gewöhnte CSU ihre Flügel verbrannt hat, scheinen die Wolken am christlich-sozialen Himmel noch düsterer, noch Existenz bedrohender.

Die Ausgangslage im bayerischen Landtagswahlkampf 2018 könnte für die CSU schlechter kaum sein. Herausgefordert nicht mehr nur von moderaten bürgerlichen Kräften der Mitte wie den Freien Wählern und der FDP, sondern erstmals auch von einer sich rechts-konservativ, rechts-populistisch und zuweilen auch rechts-extrem gebenden AfD, sieht sich die CSU mit der Schwierigkeit konfrontiert, einen Zwei-Fronten-Wahlkampf führen zu müssen. Ob Mitte oder rechter demokratischer Rand: Das Dilemma, jeden mobilisieren zu müssen und niemanden verprellen zu dürfen, scheint unauflösbar. Schwer wiegt dabei die Hypothek, dass der erst am 16. März 2018 inthronisierte neue erste Mann im Freistaat, Markus Söder, nur bedingt auf einen Ministerpräsidentenbonus hoffen darf. Die Herausforderung des Ministerpräsidentenamtes ist es, die Rollen des integrativen Landesvaters wie des Parteipolitikers miteinander zu versöhnen (vgl. Reithmeier 2013). Söder aber blieb aufgrund der erst spät erfolgten Stabübergabe an seine Person keine Zeit, tatsächlich im Amt anzukommen, seine neue Rolle zu finden und sich derart in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Seit dem ersten Tag wird er als Wahlkämpfer wahrgenommen und als solcher von der wahlkämpfenden Opposition attackiert – so schon anlässlich seiner Wahl und Vereidigung im Bayerischen Landtag (Plenarprotokoll 17/126).

Die Lage für die CSU ist prekär, die Partei droht im viel zitierten Abwärtsstrudel der Volksparteien zu ertrinken. Der CSU-Bonus so klein wie seit Jahrzehnten nicht mehr, der Ministerpräsidentenbonus nur bedingt wirkungsmächtig, die Zersplitterung im bürgerlichen Lager so groß wie seit den 1950er Jahren nicht mehr, der erstmalige Einzug der AfD in das Maximilianeum so gut wie sicher: Von der Verteidigung der absoluten Mandatsmehrheit und somit auch der Alleinregierung hat sich die CSU angesichts dieser Umstände intern längst verabschiedet. Elementar und von größter, auch symbolischer Bedeutung aber ist der Kampf um ein Ergebnis über 40 Prozent und damit deutlich jenseits des dramatischen Bundestagswahlergebnisses vom Herbst 2017 (38,8 Prozent). Innerhalb von nur zehn Jahren von der 50+X zu einer 30+X-Partei zu verkommen – dies würde die Partei in eine Panik stürzen, die womöglich nicht kontrollierbar wäre und auch den neuen Ministerpräsidenten schnell alt aussehen lassen könnte.

Markus Söder begegnete dieser für die Partei, aber auch für die eigene Person heiklen Situation in einer Art, die seinem Image als Perfektionist und Aktionist (Taschner 2018) gerecht wurde. Was sich in seinem im Januar 2018 auf Kloster Banz präsentierten 10-Punkte-Plan bereits andeutete, erhielt in seiner Regierungserklärung vom 18. April (Plenarprotokoll 17/130) ein konkretes Gesicht. Für die extreme Breite an behandelten Themen und die ungewöhnlich hohe Zahl von nicht weniger als 100 konkreten Projekten, die sich die bayerische Staatsregierung für die noch laufende, vor allem aber für die kommende Legislaturperiode ins Stammbuch geschrieben hat, wurde Söder manches Lächeln geschenkt. Die von ihm als „Bayerische Kavallerie“ angepriesene berittene Polizei oder die Gründung eines bayerischen Raumfahrtprogramms mit dem schillernden Namen „Bavaria One“ waren Grund mancher ironischen Kommentare.

Söder aber konnten solche Spötteleien nur recht sein. Seine Botschaft war eindeutig, und sie kam durchaus an:

  • Die CSU kümmert sich um alle Themen und alle Regionen in Stadt wie Land und ist allein schon deshalb die einzige Volkspartei Bayerns.
  • Die CSU kann sich um alle Themen und alle Regionen kümmern, weil Bayern – Dank der CSU – stark und reich ist.
  • Die CSU macht Bayern fit für die Zukunft, ohne die freistaatlichen Traditionen zu verraten.

Der Medienprofi Söder hatte mal wieder alle überrascht. Der neue starke Mann an Bayerns Spitze stand nicht per se für einen Neuanfang. Kaum jemand aus der CSU hat die bayerische Landespolitik in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten mehr geprägt als er, in seinen diversen Rollen als Landesvorsitzender der Jungen Union (1995-2003), CSU-Generalsekretär (2003-2007), Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten (2007-2008), Staatsminister für Umwelt und Gesundheit (2008-2011), Staatsminister der Finanzen (2011-2013) und Staatsminister der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat (2013-2018) zählt er schon seit der Ära Stoiber zum Establishment der Partei. Seine Regierungserklärung aber setzte mit einer eigentümlichen Mischung aus Franz Josef Strauß‘ selbstbewusst freistaatlicher Fortschrittsattitüde mit Hang zu inszenierter weiß-blauer Hybris, Edmund Stoibers Verständnis von Politik als Management und Horst Seehofers Credo einer „Koalition mit den Bürgern“ einen dynamischen Kontrapunkt gegen die zuweilen kritisierte defensive Zurückhaltung bayerischer Landespolitik unter seinem Vorgänger. Stand der „Verhinderer“ (Schäffer 2018) Seehofer vor allem für eine Politik der Konsolidierung und der nur vorsichtigen Fortentwicklung des Erreichten, verfolgt die CSU unter Söder jetzt wieder den Anspruch, die Zukunft Bayerns mit großen Schritten zu gestalten.

Noch waren Söders Ankündigungen rein rhetorischer Art. Dass nur wenige Leuchttürme des Regierungsprogramms tatsächlich noch vor den Wahlen realisiert werden könnten, war selbstverständlich. Söder aber hatte es verstanden, sich als Erneuerer zu inszenieren, ohne mit dem Alten, dessen Repräsentant er auch ist, zu brechen. Angesichts der alten Weisheit, wonach Ankündigungen wichtiger sind als die Realisierung, da so erst einmal Themen und ihre Interpretation gesetzt sind, bereitete der Södersche Aktionismus auch den Oppositionsparteien manche Kopfschmerzen – allen Spötteleien zum Trotz: „Manchmal dringen Gluckslaute aus den Reihen der Opposition [während der Vorstellung der Regierungserklärung], es ist schwer zu sagen, ob sie Ausdruck von Belustigungen oder von Verzweiflung sind oder von beidem“ (Deininger 2018).

Der ehemalige Polarisierer Söder versuchte sich in der Folge als Landesvater und ließ nichts aus. Kaum ein kulturelles Ereignis von Rang in Bayern, das nicht von ihm beehrt wurde. Kaum eine prächtig geschmückte Kutsche, die nicht von ihm gefahren wurde. Kaum ein Grußwort, das nicht von ihm gesprochen wurde. Selbst in schicken Kinos stellte sich der neue Ministerpräsident unter dem Motto „Söder persönlich“ seinem Volk vor – und gab Privates wohlkalkuliert preis (Rademacher 2018). Söder inszenierte sich staatsmännisch und repräsentativ, wobei er sich nicht nur als Landesvater für alle Bayern, von Aschaffenburg bis Mittenwald, in Szene setzte, sondern ebenso Signale der Versöhnung in die eigene, durch den Kampf um die Nachfolgefrage zerrütteten und müden Partei sendete.

Die wenn auch (zu) späte Stabübergabe an Söder schien der CSU das zu bescheren, wonach sie sich so sehr sehnte: das positive Momentum, den Wahlkampf zu ihren Gunsten zu gestalten. Die Umfragewerte für die CSU kletterten langsam, aber stetig. Die anderen Parteien in Bayern – die aufgrund der ungebrochenen Asymmetrie im bayerischen Parteiensystem sowieso stets und häufig vergeblich um Aufmerksamkeit buhlen müssen – schienen bei dieser christlich-sozialen Aufbruchdynamik zunehmend an den Rand der Bedeutungslosigkeit gedrückt. Doch hatte die CSU ihre Rechnung ohne die CSU gemacht. Stand der Name der CSU früher fast synonym für ein fast schlafwandlerisch sicheres und selbstbewusstes Kampagnenmanagement, zeigt sich seit 2007, dass die Partei in ihrer neuen Rolle als (fast) normale Partei nervös und fehleranfällig geworden ist.

Seit 2008 fürchtet die Partei nichts mehr als den Verlust von Glaubwürdigkeit. Auch das schlechte Bundestagswahlergebnis 2017 wurde parteiintern nicht zuletzt als Folge eigener Unglaubwürdigkeit gedeutet. Wer sich jahrelang leidenschaftlich mit der Kanzlerin in der Frage nach der künftigen Aufstellung der Union duelliert, um sich dann plötzlich im Wahlkampf ebenso herzzerreißend zu umarmen, gibt – so die Lesart der CSU-Strategen – kein Bild der Standfestigkeit, Entscheidungsstärke und Prinzipientreue ab. Verloren gegangenes Vertrauen gerade in der Asylpolitik und gerade auch in dezidierter Abgrenzung zu Angela Merkel zurückzugewinnen, war so durchaus Teil des Wahlkampfplanes. Als Bundeskanzlerin Merkel am 11. Juni 2018 aber – ein trotz mangelnder Abstimmung ungewöhnlicher und ungewöhnlich demütigender Vorgang – die Vorstellung des Masterplanes Asyl ihres Innenministers im Bundestag wegen inhaltlicher Differenzen unterband, trat zu dieser Profilierungsabsicht die Überzeugung, Merkel Kontra geben zu müssen, um nicht als Bettvorleger der Kanzlerin zu landen, obwohl man als bayerischer Löwe abgesprungen war. Seit Jahren ringen CDU und CSU um die künftige Aufstellung der Union – mehr mittig oder mehr bürgerlich-konservativ (Weigl 2017). Ein jetziges Einknicken hätte diesen Streit für lange Zeit entschieden.

Der Funke der Auseinandersetzung war gelegt und entwickelte sich in Kürze zu einem Flächenbrand, über dessen rasches Ausbreiten die Beteiligten selbst überrascht zu sein schienen – zumindest vermittelten sie in der Öffentlichkeit nicht das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Am Ende konnte die CSU zwar unmissverständlich deutlich machen, was ihre Position in der Asylpolitik ist und dass sie sich davon auch selbst von der Kanzlerin nicht abbringen lassen wird. Maßnahmen wie die Wiederbelebung der bayerischen Grenzpolizei in Passau zum 02. Juli 2018 und die Eröffnung des Bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführungen in Manching am 27. Juli 2018 runden das Kompetenzpaket Innere Sicherheit der CSU ab. Diesem Plus auf dem Habenkonto aber steht manche Hypothek des Streits Seehofer-Merkel gegenüber. Die scharfe Zuspitzung der Auseinandersetzung mit der CDU, die in der öffentlichen Wahrnehmung jeglicher Angemessenheit und Seriosität entbehrte, schadete der CSU offensichtlich weit mehr, als dass sie ihr nutzte (Kain 2018).

Der Stil der Auseinandersetzung geprägt von Unnachgiebigkeit und polemischen rhetorischen Zuspitzungen, bescherte der CSU das Image einer Partei, welche den Pfad der Seriosität und des demokratischen Anstands allein für machtpolitische Ziele verlässt. Selbst der amtierende Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, rügte die CSU-Spitze ob ihrer „inakzeptablen Rhetorik“ (zit. nach Forudastan/Janisch 2018). Die Kapriolen der Parteiführung mobilisierten nicht nur die Gegner – besonders sichtbar anlässlich der Demonstration „#ausgehetzt“ am 22. Juli in München –, sondern irritierten auch die eigenen Parteianhänger; selbst unter CSU-Anhängern fand die Aussage, der Asylstreit habe der eigenen Partei „eher geschadet“, mit 68 Prozent große Zustimmung (Infratest 2018). Die erste nach dieser Episode erhobene Sonntagsfrage zur Landtagswahl (ebd.) sieht die AfD zwar ohne weitere Stimmengewinne bei 12 Prozent. Stimmen verloren aber hat sie – im Gegensatz zur CSU, die erstmals unter 40 Prozent rutschte – ebenfalls nicht. Gewonnen haben außerdem vor allem die Grünen (16 Prozent) – welche den anderen Pol der Polarisierung darstellen und von der Polemisierung der CSU ebenfalls profitierten.

Nicht genug solcher ernüchternden Umfragedaten, hat die ursprünglich in der Regierungserklärung Markus Söders angelegte Wahlkampfstrategie der CSU im unnachgiebigen Ringen Seehofers mit Merkel ebenfalls massiven Schaden genommen. Von der Idee, durch eine extreme programmatische Bandbreite sowohl den rechten demokratischen Rand wie die demokratische Mitte zu umgarnen, blieb in Zeiten der Polemisierung wenig übrig. In der öffentlichen Wahrnehmung droht die Partei dort zu enden, wo sie im Bundestagswahlkampf 2017 aufgehört hatte: Als Ein-Themen-Partei mit Konzentration auf Fragen der Inneren Sicherheit, von Migration und Asyl. So aber – und zumal angesichts der Umstrittenheit des Themas selbst in den eigenen Reihen – lässt sich als Volkspartei keine Wahl gewinnen.

Söder selbst erkannte frühzeitig, dass ihm die wahlkampfstrategischen Felle davon zu schwimmen drohen. Seinen eigenen Beitrag zur Polemisierung („Asyltourismus“) klein redend, mahnte er – zur Überraschung der Oppositionsparteien – nicht nur eine Rückkehr zu einem seriösen Politikstil an (Plenarprotokoll 17/137). Auch begannen er und sein Kabinett nun, alle bis dato vernachlässigten Themen mit neuer Vehemenz in die Öffentlichkeit zu tragen. Ob Gesundheitspolitik (Krankenhausoffensive, Landarztquote), Bildungspolitik (Ausbau Kinderbetreuung), Sozialpolitik (Familien- und Pflegegeld), Wohnungspolitik (Gründung der Wohnungsbaugesellschaft „BayernHeim“) oder der Ausbau der Obdachlosenhilfe – beinahe im Tagestakt werden seitdem Initiativen lanciert und beworben, die das andere Gesicht der CSU zu betonen versuchen. Nicht nur als „Schutzschild“, auch als Zukunftschancen eröffnendes „Sprungbrett“ möchte Söder den Freistaat bis zum Wahltag präsentieren (PNP, 27.07.2018).

Tatsächlich ist die Partei weit mehr als nur die unbarmherzige Verfechterin einer restriktiven Asylpolitik – aber ob diese Imageoffensive, die das C und S der Union herauszustellen versucht, noch bis zur Landtagswahl verfangen wird? Zweifel scheinen angesichts der Vehemenz des Asylstreits angemessen. Die jetzige Bearbeitung eines breiten Themenpotpourris ist politische Kärnerarbeit, die mit der Emotionalisierung und Breitenwirkung der Asylfrage kaum mitzuhalten vermag. Wie die Landtagswahl ausgehen wird, ist so nicht seriös zu prognostizieren. Die CSU zieht Mut aus der Tatsache, dass bis dahin noch manche Wochen ins Land gehen werden, dass fast 50 Prozent der bayerischen Wähler noch unentschieden sind (Infratest 2018) und, dass nichts dafür spricht, dass sie ihre Dominanz im bayerischen Parteiensystem verlieren könnte. Der Abstand zwischen ihr und den Mitkonkurrenten bleibt mit rund 22 Prozentpunkten gewaltig, ein Ende der seit dem Zweiten Weltkrieg stabilen Lagerverteilung im Freistaat mit rund 65 Prozent für die bürgerlich-konservativen Kräfte (Glaab/Weigl 2018: S. 38 f.) ist nicht in Sicht. Doch so, wie ein akzeptables Ergebnis für die CSU noch möglich erscheint, sollte in der bevorstehenden heißen Wahlkampfphase alles rund für sie laufen, so könnte die Wahl vom 14. Oktober 2018 auch eine Erschütterung bewirken, die noch über die von 2008 hinausgehen könnte.

Die Verteidigung der absoluten Mandatsmehrheit erscheint nicht erst seit den jüngsten Ereignissen unrealistisch. Die Zersplitterung des bürgerlichen Lagers auch im Freistaat macht es für die CSU, selbst bei bester Wahlkampfperformanz, praktisch unmöglich, die Alleinregierung zu verteidigen. Ein Ergebnis von 40+X wäre vor diesem Hintergrund durchaus akzeptabel – wenn es auch in der Partei für Unruhe sorgen dürfte, zumal Horst Seehofer die Latte für seinen Nachfolger („absolute Mehrheit“, Deutschländer/Schier 2018) unrealistisch hochgelegt und so die Grundlage für manche Personaldiskussionen nach dem Wahlabend gelegt hat. Eine auf 40-X geschrumpfte CSU aber dürfte diesen Absturz kaum lautlos hinnehmen. Selbstzerstörerische Diskussionen, die auch die jetzige Parteispitze einschließlich dem Parteivorsitzenden und dem amtierenden Ministerpräsidenten hinwegfegen könnten, wären nicht auszuschließen.

Diese Ungewissheit auch über das künftige Personaltableau der CSU macht auch eine Vorhersage der künftigen bayerischen Regierungskoalition schwierig bis unmöglich. Eine sich personell neu aufstellende CSU würde sich auch inhaltlich neu definieren – was den Weg für eine mögliche Schwarz-Grüne Koalition im Freistaat ebnen könnte, auch wenn beide potentiellen Partner ihre Basis nur bedingt auf eine solche Zusammenarbeit vorbereitet haben. Kann sich aber die jetzige CSU-Spitze und hier vor allem Ministerpräsident Söder nach der Wahl halten, dürfte eine Koalition mit den Grünen nur schwer zu verwirklichen sein. Mit den Freien Wählern und ihrem Spitzenkandidaten Hubert Aiwanger stünde eine bürgerliche Koalitionsalternative bereit, die zudem – unter anderem aufgrund größerer inhaltlicher Schnittmengen – mehr Handlungsfähigkeit der künftigen bayerischen Staatsregierung im Bundesrat verspricht.

Wie die Jahrzehnte zuvor führt die CSU ihren Wahlkampf in erster Linie gegen sich selbst. Einen wirklichen Herausforderer kennt die Partei nicht – auch nicht die SPD, die unter ihrer neuen Landesvorsitzenden Natascha Kohnen abermals nicht gegen den Negativtrend ihrer Partei in Bayern anzukommen versteht. Im Freistaat gibt es aktuell die CSU, dann lange nichts und erst dann eine Reihe kleiner Parteien, die sich zunehmend bei 10+X auf die Füße treten. Jedoch ist dies für die Partei eines Hanns Seidel, eines Alfons Goppel und eines Franz Josef Strauß nur ein schwacher Trost. Die Partei befindet sich in einer langsamen, aber scheinbar stetigen Abwärtsspirale, die viele Gründe kennt und die sie nur bedingt selbst zu verschulden hat; Gründe für die Schwäche der einst großen, das Parteiensystem stabilisierenden und den Parteienwettbewerb strukturierenden Parteien hat die Wissenschaft zu Hauf benannt. In einer pluralisierten und individualisierten Gesellschaft ist es für die einstigen Volksparteien schwierig, nicht wie Relikte vergangener Tage zu wirken. Bemerkenswert aber ist, dass sich die CSU, die früher für ihre Kraft zur Selbsterneuerung gerühmt wurde (Kießling 2004), heute zunehmend selbst im Wege steht. Manches spricht dafür, dass dies der Fall ist, weil Teile der Partei die neuen Zeiten noch nicht wirklich verinnerlicht haben und ihr strategisches Repertoire noch nicht erneuert haben. Heute erscheint die CSU immer dann, wenn sie sich wie zu ihren glorreichen Zeiten einer 50+X-Dominanz geriert, schwach – und schwächt sich so zusätzlich selbst.

Literatur:

Deininger, Roman (2018): Seine Liebe ist für alle da, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 90 v. 18.04.2018, S. 3.

Deutschländer, Christian/Schier, Mike (2018): Seehofer: Absolute Mehrheit ist drin, in: Münchner Merkur, Nr. 165 v. 20.07.2018, S. 2.

Forudastan, Ferdos/Janisch, Wolfgang (2018): Voßkuhle rügt Asyl-Rhetorik der CSU, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 170 v. 26.07.2018, S. 1.

Glaab, Manuela/Weigl, Michael (2013): Politik und Regieren in Bayern: Rahmenbedingungen, Strukturmerkmale, Entwicklungen, in: diess. (Hrsg): Politik und Regieren in Bayern, Wiesbaden, S. 19-96.

Infratest dimap(2018): BayernTrend Juli 2018. Im Auftrag von BR kontrovers, veröffentlicht am 18.07.2018, online: https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundeslaender/bayern/laendertrend/2018/juli/. Letzter Zugriff: 31.07.2018.

Kain, Alexander (2018): Zwischen Schulterschluss und Abschuss, in: Passauer Neue Presse, Nr. 166 v. 20.07.2018, S. 3.

Kießling, Andreas (2004): Die CSU. Machterhalt und Machterneuerung, Wiesbaden.

Plenarprotokoll 17/126. Bayerischer Landtag. Stenographischer Bericht der 126. Sitzung, München, 16.03.2018.

Plenarprotokoll 17/130. Bayerischer Landtag. Stenographischer Bericht der 130. Sitzung, München, 18.04.2018.

Plenarprotokoll 17/137. Bayerischer Landtag. Stenographischer Bericht der 137. Sitzung, München, 11.07.2018.

PNP(2018): Söder: Bayern als Sprungbrett und Schutzschild, in: Passauer Neue Presse, Nr. 172 v. 27.07.2018, S. 10.

Rademacher, Lars (2018): Die große Markus-Söder-Show, in: Politik & Kommunikation v.  19.07.2018, URL: https://www.politik-kommunikation.de/ressorts/artikel/die-grosse-markus-soeder-show-475683856.Letzter Zugriff: 31.07.2018.

Reithmeier, Michael (2013): „Landesvater“ oder „Alleinherrscher“: Zwei Modelle bayerischer Ministerpräsidenten, in: Glaab, Manuela/Weigl, Michael (Hrsg.): Politik und Regieren in Bayern, Wiesbaden, S. 99-116.

Schäffer, Albert (2018): Der Verhinderer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 61 v. 13.03.2018, S. 8.

Schultze, Rainer-Olaf/Grasnick, Jan (2009): Die bayerische Landtagswahl vom 28. September 2008: Betriebsunfall oder Ende eines Mythos?, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 40. Jg. , Heft 1, S. 34-55.

Taschner, Waltraud (2018): Der Anti-Seehofer, in: Bayerische Staatszeitung, Nr. 11 v., 16.03.2018, S. 1.

Weigl, Michael (2017): Ratlos und verwundbar. Das Taumeln von Union und SPD in der „Flüchtlingskrise“, in: Bieber, Christoph u.a. (Hrsg.): Regieren in der Einwanderungsgesellschaft. Impulse zur Integrationsdebatte aus Sicht der Regierungsforschung, Wiesbaden, S. 69-72.

Zitationshinweis:

Weigl, Michael (2018): Wahlkampf am Rande des Abgrunds, Die CSU im bayerischen Landtagswahlkampf 2018, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online verfügbar: https://regierungsforschung.de/wahlkampf-am-rande-des-abgrunds-die-csu-im-bayerischen-landtagswahlkampf-2018/

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