Wehrloses Überlassen eines zentralen Kommunikationsraums? Die kommunalen Parteigliederungen auf Facebook

Insbesondere im Hinblick die Kommunikation politischer Parteien auf sozialen Medien weist der Forschungsstand noch Lücken auf. Datts liefert hier nicht nur gute Ausgangspunkte, sondern verknüpft die Parteienforschung in seiner Analyse der Parteienkommunikation auf Facebook mit Big Data. Die Studie von Mario Datts ist versiert und umfangreich ausgeführt, was die Methodik anbelangt, so Dr. Isabelle Borucki von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen.

Die Kommunikation von Parteien als organisatorische Einheiten wird selten untersucht. Insbesondere wenn es um soziale Medien geht, ist hier der Forschungsstand noch übersichtlich. Umso verdienstvoller ist der Beitrag des Hildesheimer Politikwissenschaftlers Mario Datts, der grundlegend das Verhalten der Parteien auf sozialen Medien am Beispiel Facebook untersucht. Hierzu greift der Autor auf eine breit angelegte quantitative Erhebung des Kommunikationsverhaltens der im Bundestag vertretenen Parteien zurück.

Wehrloses Überlassen eines zentralen Kommunikationsraums? Die kommunalen Parteigliederungen auf Facebook

Mario Datts: Parteikommunikation im Zeitalter von Social Media. Eine empirische Untersuchung der Facebooknutzung durch die Kreisverbände der deutschen Parteien; Nomos Verlag, Baden-Baden, 2020, 260 Seiten, ISBN 978-3-8487-6496-9, 54,00 Euro

Autorin

Dr. Isabelle Borucki leitet die Nachwuchsforschergruppe „DIPART – Digitale Parteienforschung. Parteien im digitalen Wandel“ an der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Zuvor forschte und lehrte sie an der Universität Trier im Bereich Parteien und politische Kommunikation. 2014 promovierte sie zum Thema “Regieren mit Medien – Auswirkungen der Medialisierung auf die Regierungskommunikation der Bundesregierung von 1982-2010”. Sie ist Sprecherin des Arbeitskreises Politik und Kommunikation in der DVPW sowie der Standing Group Internet and Politics des ECPR.

Die Kommunikation von Parteien als organisatorische Einheiten wird selten untersucht. Insbesondere wenn es um soziale Medien geht, ist hier der Forschungsstand noch übersichtlich. Umso verdienstvoller ist der Beitrag des Hildesheimer Politikwissenschaftlers Mario Datts, der grundlegend das Verhalten der Parteien auf sozialen Medien am Beispiel Facebook untersucht. Hierzu greift der Autor auf eine breit angelegte quantitative Erhebung des Kommunikationsverhaltens der im Bundestag vertretenen Parteien zurück. Seine Studie verortet er auf der Kreisebene – an der Basis unserer Parteiendemokratie also – und erzielt bei seiner Untersuchung gleichermaßen interessante wie irritierende Ergebnisse.

Zunächst jedoch zum Design der Studie: Datts basiert seine Arbeit auf dem neo-institutionellen Theoriengerüst der soziologischen Organisationstheorie und verknüpft diese mit Anreizstrukturen zur Social Media Kommunikation sowie der klassischen Parteienzieltheorie (vote seeking, office seeking und policy seeking, vgl. Strøm). Ergänzt wird dies um den Influence-of-Presumed-Media-Influence-Ansatz, einer Form einer Fortführung der Annahme der sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Medien haben Einfluss, wenn dieser angenommene Einfluss eine Wirkung entfaltet. Diese Kombination ist insofern fruchtbar, als dass auch strategische Kalküle der Akteure in einem neo-institutionellen Setting als Strukturen und Handlungen zur Legitimitätsbeschaffung dienlich sein können. Ziele, Instrumente und Bedingungen fungieren so als Prädiktoren für die Erklärung des Social-Media-Verhaltens der Parteien. Organisationsstrukturen, Funktionen und Verhalten bilden die abhängigen Organisationsvariablen. Getestet wird sodann die Facebook-Präsenz der Parteien sowie die Stärke der Informations- und Dialogaktivitäten, was also einer Dreiteilung der abhängigen Variablen zugleich kommt.

Methodisch handelt es sich um eine rein quantitativ angelegte longitudinale Arbeit im klassischen x-zentrierten Design. Der Autor ermittelt mangels Datenbasis selbst durch umfangreiche Recherchen 2370 Kreisverbände deutscher Parteien, die auf Facebook präsent sind. Über einen Zeitraum von 2015 bis 2018 wurden Daten über die API-Schnittstelle von Facebook für einen Untersuchungszeitraum von 2008 bis 2016 erhoben. Für einen primären Untersuchungszeitraum von 2015 bis 2016 wird noch eine Umfrage unter den Kreisverbänden der Parteien geschaltet.

So sind einerseits alle im Bundestag vertretenen Parteien auf Facebook präsent, es fällt jedoch andererseits stark ins Gewicht, dass die Alternative für Deutschland im Erhebungszeitraum 2016 den anderen Parteien hinsichtlich ihrer Aktivität auf Facebook weit überlegen ist. Als Parteien-Forscherin fragt man sich sodann, warum die anderen Parteien einer rechtspopulistischen Partei den territorialen Kommunikationsraum Facebook wehrlos überlassen. Dies bezeichnet Datts als strategischen Fehler der Parteien, gerade vor dem Hintergrund, dass „politisches Engagement vor allem auf der kommunalen Ebene [stattfinde]“ (208). Denn dort sind auch Menschen zu erreichen, die über andere Kommunikationskanäle als soziale Medien bzw. Facebook unter Umständen nicht mobilisierbar wären. So zeigt der Autor, dass eine „umfassende und dialogorientierte Nutzung sozialer Medien durch die Kreisverbände der deutschen Parteien“ ein „deutliches Signal an die Öffentlichkeit“ (S. 200 f.) wäre, das zeige, dass die Parteien die Kommunikations- und Interaktionsbedürfnisse der Bürger wahrnehmen. Dies zu unterlassen wertet er als strategischen Fehler. Dem ist unumwunden zuzustimmen und noch zu unterstreichen, dass die Parteien ihre Social-Media-Aktivitäten, insbesondere in der Fläche überdenken und intensivieren sollten. Denn gerade die jüngeren Generationen nutzen diese Medien vermehrt zur politischen Information und Sozialisation. Dass die Nutzung durch Parteien nicht beziehungsweise nur in geringem Maße stattfindet, entspricht einem traditionellen Verständnis von Kommunikation, dass sich an der Distribution von Informationen und nicht an der Interaktion mit den Nutzerinnen orientiert. Zwar fokussieren auch die Kreisverbände auf Stimmenmaximierung, d.h. aber nicht zwangsläufig, dass Parteien ausschließlich wählerorientiert seien, so Datts in seinem Fazit.

Die Studie ist versiert und umfangreich ausgeführt, was die Methodik anbelangt. So hat der Autor beispielsweise zwei Programme geschrieben, um automatisiert Daten zu erheben und aufzubereiten. Dies ist ein besonderer Verdienst in Bezug auf die Verknüpfung der Parteienforschung mit Big Data, gerade hinsichtlich der Verknüpfung von Social Media-Daten mit Umfragedaten. Allerdings wäre eine Kontextualisierung der Studie in Bezug auf Primärquellen, etwa Studien der politischen Stiftungen, Einschätzungen des massenmedialen Systems oder deskriptive, qualitative Arbeiten in Bezug auf das Verhalten der AfD auf Facebook noch hilfreich gewesen. Denn dann wäre das Ergebnis der strategisch höchst erfolgreichen Kommunikation dieser Partei nicht so überraschend gewesen, sondern hätte deutlicher eingerahmt werden können.

Dies schmälert den Beitrag der Studie zum Forschungsstand der Parteienkommunikation jedoch keineswegs, zumal die Arbeit einen streng erklärenden Ansatz verfolgte und dezidiert nicht nach Motiven und Ursachen im Sinne eines verstehenden Ansatzes fragte. Dies ist Aufgabe von Folgestudien. So kann das zur Verfügung gestellte und getestete Erklärungsmodell auf andere Ebenen der Parteien, andere Plattformen und – nach Anpassung – andere nationale Kontexte übertragen werden. Diesen Mehrwert und Erkenntnisgewinn sollte die Parteienforschung anerkennen.

Ebenso erfreulich ist, dass die Skripte und weitere Dateien zur Nachnutzung auf der Website des Nomos Verlags zur Verfügung gestellt werden.

Zitationshinweis

Borucki, Isabelle (2021): Wehrloses Überlassen eines zentralen Kommunikationsraums? Die kommunalen Parteigliederungen auf Facebook, Mario Datts: Parteikommunikation im Zeitalter von Social Media, Rezension, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/wehrloses-ueberlassen-eines-zentralen-kommunikationsraums-die-kommunalen-parteigliederungen-auf-facebook/

This work by Isabelle Borucki is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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