Wirkung von Social Media auf politischen Extremismus

PD Dr. Markus Reiners, der an der Leibniz Universität Hannover lehrt und forscht, liefert Antworten zu den Wirkungen von neuen, digitalen, sozialen Medien auf politischen Extremismus. In der virtuellen Parallelwelt des Internets finden Prozesse quasi entkoppelt von herkömmlichen Abläufen statt. Diese Plattformen eröffnen Anhängerinnen und Anhängern politisch extremistischer Ziele die Möglichkeit, ihre Reichweite zu erhöhen und ihre extremistischen Sichtweisen in Echokammern zu verstärken.

 

Dieser Beitrag bewegt sich in einem interdisziplinären Randgebiet der Politikwissenschaft, denn er fokussiert die Institution sozialer Medien und deren Wirkungen auf die Rezipienten und politischen Extremismus und somit natürlich auch die Auswirkungen auf die Gesellschaft insgesamt sowie auf politische Prozesse und die Staatstätigkeit. Wichtig ist, politisches Handeln fortan noch mehr auf die virtuelle Parallelwelt des Internets zu fokussieren, deren Vorgänge quasi entkoppelt von herkömmlichen Prozessen stattfinden.

Wirkung von Social Media auf politischen Extremismus

Autor

PD Dr. phil. habil. Markus Reiners ist Privatdozent für Politikwissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Er lehrt und forscht u.a. im Bereich Politischer Institutionen.

Kontext und Phänomenbereiche des politischen Extremismus

Dieser Beitrag bewegt sich in einem interdisziplinären Randgebiet der Politikwissenschaft, denn er fokussiert die Institution sozialer Medien und deren Wirkungen auf die Rezipienten und politischen Extremismus und somit natürlich auch die Auswirkungen auf die Gesellschaft insgesamt sowie auf politische Prozesse und die Staatstätigkeit. Wichtig ist, politisches Handeln fortan noch mehr auf die virtuelle Parallelwelt des Internets zu fokussieren, deren Vorgänge quasi entkoppelt von herkömmlichen Prozessen stattfinden.

Die fortschreitende Digitalisierung und soziale Medien bringen Vorteile und Chancen mit sich. Sie sind jedoch mitunter auch kritisch zu betrachten, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sie auch eine Plattform für politischen Extremismus bieten. Dieser Beitrag liefert Antworten zu den Wirkungen von neuen, digitalen, sozialen Medien auf politischen Extremismus. Die tieferen gesellschaftlichen Hintergründe, warum die Phänomene politischen Extremismus derzeit immer häufiger aufbrechen, sind hingegen nicht Gegenstand dieses Beitrags.

Der Gegenstandsbereich ist bezüglich Wissenschaftsverständnis, Forschungsmethoden oder Terminologie äußerst heterogen durchsetzt. Auch existiert ein Arsenal von Definitionsversuchen. Politischer Extremismus ist am besten als Antithese des demokratischen Verfassungsstaates und seiner Strukturprinzipien zu begreifen. Diese finden sich in der Rechtsstaatlichkeit, der Selbstbestimmung des Volkes, im Mehrheitsprinzip, der Freiheit und Gleichheit, in den Menschenrechten, der Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte, im Mehrparteienprinzip und im Recht auf Opposition (Backes/Jesse 1996: 45). Politischer Extremismus demnach verfassungsfeindliche Bestrebungen, ist als Angriff auf die Freiheitlich demokratische Grundordnung zu verstehen. Das Bundesverfassungsgericht hat die wesentlichen Elemente dieser Ordnung als solche beschrieben, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Extremismus zeigt sich letztlich in Einstellungen, Meinungen, Ideologien und in bestimmten politischen, zielgerichteten Aktivitäten bis hin zu terroristischen Anschlägen, wobei mit zunehmender Gewalt ein fließender Übergang zum Terrorismus besteht (vgl. u.a. Reiners 2015).

Eine Kategorisierung politischen Extremismus oder auch politisch motivierter Kriminalität (PMK) orientiert sich an der Einteilung der Sicherheitsbehörden (BKA). Das Bundeskriminalamt unterteilt in folgende Phänomenbereiche (vgl. BKA-Jahreslagebilder PMK):

Beim Rechtsextremismus (PMK Rechts) geht es um faschistische, neonazistische und ultranationale politische Ideologien und Aktivitäten, um die Orientierung an einer ethnischen Zugehörigkeit, die Bekämpfung des Anspruchs aller Menschen auf soziale und rechtliche Gleichheit und die Vertretung eines antipluralistischen, antidemokratischen und autoritären Gesellschaftsverständnisses mit dem Ziel, den Staat zu einer autoritär geführten Volksgemeinschaft umzugestalten (Backes 1996).1 Beim Linksextremismus (PMK Links) hingegen geht es um kommunistische, anarchische und antikapitalistische Strömungen und Ideologien innerhalb der politischen Linken mit dem Ziel, die Demokratie und den Rechtsstaat abzulehnen oder gewaltsam umzustürzen. Der Linksextremismus bezieht sich oftmals eher auf programmatische Ziele als auf die tatsächliche Politik (Backes 1996).2

Bei Islamismus (PMK religiöse Ideologie) geht es ferner um Ideologien und Bewegungen des fundamentalistischen, politischen und radikalen Islam. Diese Form ist vornehmlich religiös determiniert (Hirscher/Jesse 2013, 11).3 Ein Ausländerextremismus (PMK ausländische Ideologie) schließlich scheint importiert. Hier handelt sich um sicherheitsgefährdende, extremistische Bestrebungen von Ausländerinnen und Ausländern, ausländischen Organisationen und Strukturen, die nicht dem Islamismus und islamistischen Terrorismus zuzuordnen sind (Hirscher/Jesse 2013, 11).4

Logik neuer sozialer Medien

Nach den traditionellen Massenmedien Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen sind heute soziale bzw. digitale Medien mittels multimodaler Kommunikationsmittel und mittels verschiedener Technologien mit hoher Reichweite über das World Wide Web von wachsender Bedeutung, die es ermöglichen, im Internet zu kommunizieren, sich zu vernetzen, auszutauschen, Inhalte zu erstellen, zu bearbeiten, zu teilen oder weiterzugeben. Beispiele gibt es genügend.5

Medien fungieren als Vermittler bei der politischen Kommunikation für Verständigungs- und Aushandlungsprozesse zwischen Politik, Verwaltung, Interessengruppen, wirtschaftlichen und verschiedensten gesellschaftlichen Akteuren und der Bevölkerung. Sie beeinflussen unser Denken und Handeln. Oft ist die Rede von der „vierten Gewalt“. Der Einfluss klassischer Medien minimiert sich im Zuge neuer Medien jedoch drastisch bzw. deren Krise verstärkt sich mehr und mehr (vgl. Kneuer 2017). Zunehmend ist ein geringerer Konsum diagnostizierbar oder ein abnehmendes Vertrauen. Auch der traditionelleFührungsanspruch von Politik, Verwaltung und Medien wird in einer digitalen Gesellschaft immer weniger akzeptiert (vgl. Emmer 2017). Das Internet hat vielmehr das Potenzial einer massiven Veränderung der Beziehung zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren und solchen untereinander. Im Zuge sozialer oder digitaler Medien bilden sich neue kommunikative Handlungsmuster heraus, denn die Kommunikation folgt den Funktionslogiken des Internets.

Im Vergleich zu klassischen Massenmedien bestehen relativ geringe Eintrittsbarrieren, was beispielsweise Ressourcen anbelangt, eine einfache Zugänglichkeit oder eine relativ hohe Benutzerfreundlichkeit bzw. eine „usability“ etc. Neue Medien unterscheiden sich von herkömmlichen, weil eine lineare Kommunikation sowie eine klassische One-Way-Communication bzw. das klassische Sender-Empfänger-Modell obsolet werden (vgl. Komus/Wauch 2008). Die Kommunikation verläuft nicht mehr eindimensional, sondern fortan interaktiv, dialogisch und mehrdimensional. Nunmehr besteht eine horizontale und vertikale Ko-Präsenz. Die Userinnen und User kommunizieren über neue Medien direkt miteinander. Im Zuge der „end to end“-Netzwerkkommunikation entfällt somit die Mittlerrolle bzw. die Gatekeeper-Funktion klassischer Medien und anderer Meinungsführer. Daher besteht kein soziales Gefälle mehr bzw. keine Asymmetrie mehr zwischen Sender und Rezipient. Es besteht vielmehr eine Art Symmetrie.

Kommunikation ist letztlich um ein Vielfaches dezentralisierter, beschleunigter, pluraler und komplexer. Komplexer deshalb, weil digitale Medien und Technologien stark miteinander vernetzt sind und unter Umständen auch medienübergreifend miteinander kommunizieren. Digitale Medien und Technologien bilden daher ein Übersystem von Systemen. In Netzwerken gibt es kein Zentrum, es handelt sich vielmehr um sich selbst organisierende Systeme. Neue Medien lassen sich daher weniger steuern und kontrollieren, was Problematiken mit sich bringt (vgl. Adlmaier-Herbst 2015).

Ein Zugriff auf das Internet ist unmittelbar, jederzeit und von überall möglich. Neue Medien haben einen hohen Echtzeitfaktor und bestechen durch Aktualität bzw. Synchronität. Die digitale Kommunikation folgt ferner einem Pfad oder einem Konversationsfaden. Der bisherige Kommunikationsverlauf behält das entsprechende Thema immer im Blick. Dieses kann immer wieder aufgenommen und fortgesetzt werden, daher ist eine Weiterentwicklung des Kommunikationsgeschehens möglich (vgl. Beißwenger 2015). Onlinebasierte Kommunikation ist demnach nicht flüchtig. Die Informationen sind gespeichert, duplizierbar und können durch ein remixing oder mashup verarbeitet und weiterverwendet werden. Es gilt das Prinzip eines long trail, d.h. die Inhalte im Internet haben eine hohe Lebensdauer.

Weiterhin ist der Pull-Effekt digitaler Inhalte von Bedeutung. Die Definitionsmacht liegt nicht bei den Massenmedien, die Push-Angebote verbreiten. Inhalte werden von Konsumentinnen und Konsumenten selektiv angefragt, denn das Internet ist auf die Eigenaktivität der Nutzerinnen und Nutzer ausgerichtet. Hier entscheidet jede und jeder selbst, was sie bzw. er macht. Die Userinnen und User werden letztlich zum Content Provider und von Konsumierenden zu Produzierenden. Man spricht auch von einem User-generated content. Zum Bedeutungsverlust institutionalisierter Kommunikationskanäle und klassischer Medien kommt ein Kontrollverlust und ein Verlust der klassischen Bündelungs- und Filterfunktion mit einer Folge der Fragmentierung des öffentlichen Kommunikationsraums (vgl. Kneuer 2017).

Auch gilt es zu diagnostizieren, dass bei allen Vorteilen sozialer Medien Qualitätsverluste und eine Absenkung des Rationalitätsniveaus gesellschaftlicher Prozesse einhergehen. Digitale Kommunikation zeigt sich durch eine reduzierte Ausdrucksweise, durch schnelles, einfaches, ökonomisches Generieren, Verbreiten, Weiterverarbeiten von Informationen, Meinungen und Inhalten. Hinzu kommt die Anonymität und eine mangelnde Überprüfbarkeit der Informationsrelevanz und -authentizität. Mehr noch, massenhaft Informationen befinden sich ungefiltert im Netz („Fake News“). Das Potenzial „alternativer Medien“ führt letztlich zu einem immer extremeren Diskurs und macht im Ergebnis auch extremistische Positionen salonfähig, über thematische Anknüpfungspunkte verschwörungstheoretisches Gedankengut oder Fake News zu verbreiten.

Funktion und Wirkung sozialer Medien im politischen Extremismus

Betrachtet man die Empirie, so muss die grundsätzliche Frage zunächst lauten, ob wir uns in einer Phase des „digitalen Extremismus“ befinden (insgesamt hierzu Rieger 2019 und Weinlein/Frischlich 2021). Die Berichterstattung deutet jedenfalls darauf hin. Aktuell finden sich viele Hinweise in den Nachrichten. Personen nutzen soziale Medien und treten Terrororganisationen im In- und Ausland bei, radikale Inhalte werden verbreitet und Gefolgsleute rekrutiert oder Prominente rufen über Telegram zu Gewalt und Widerstand gegen das System auf. Allein die letzten Jahre offenbarten, dass radikales Gedankengut in Teilen unserer Gesellschaft verankert ist (Guhl/Gerster 2020).

Neben der Berichterstattung deuten auch aktuelle Forschungsergebnisse in diese Richtung. Erkennbar ist doch ein bedeutend hoher Anteil von Personen, die mit Online-Propaganda aller extremistischer Phänomenbereiche sowie Hasskommentaren bereits in Kontakt gekommen sind. Zu diesen Personen gehören insbesondere Politikerinnen und Politiker, Journalistinnen und Journalisten sowie Jugendliche als ständige Userinnen und User (Oksanen/Hawdon/Holkeri u.a. 2014; Landesanstalt für Medien 2018; Hohnstein/Herding 2017; Reinemann/Nienierza/Fawzi u.a. 2019; vgl. Preuß/Tetzlaff/Zick 2017). Auch ist erkennbar, dass die Pandemie Öl ins Feuer gegossen hat. Hier ist die Erhöhung der Reichweite von Extremistinnen und Extremisten auf den sozialen Netzwerken signifikant. Ebenso bedenklich sind die Wachstumsraten von Followerinnen und Follower hinsichtlich sogenannter Verschwörungsmythen auf Telegram (Guhl/Gerster 2020).

Zentral ist, welche Rolle soziale Medien bei Radikalisierungsprozessen spielen. Fakt ist, dass wir uns aktuell in einem Umbruch befinden. Aktuelle Ausprägungen weisen oft eine enge Verknüpfung von Extremismus mit digitalen Medien auf. Beobachtbar sind Veränderungen bei der Onlineteilhabe, vorwiegend zu Themen, über die selten debattiert wird. Auch ist ein Wandel des partizipativen Journalismus sichtbar (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung). Vielfach sind auch Bloggerinnen und Blogger, kommentierende Internetnutzerinnen und -nutzer oder Webseitenbetreiberinnen und -betreiber Teilnehmende an Diskursen (Hohnstein/Herding 2017).

Die Gesellschaft hat es mit unzähligen Foren zu tun, die die Öffentlichkeit erreichen, beispielsweise Diskussionsforen, virtuelle Archive, Mailinglisten, Blogs, soziale Medien, Videoplattformen oder verschiede Webseiten. In diesem Kontext ist häufig von alternativen Medien die Rede. Solche wenden sich gegen Leitmedien, um vernachlässigte oder unterdrückte Probleme und Themen oder soziale Gruppen zu pushen. Unter dem Begriff werden Medien subsumiert, die das Qualitätskriterium der Ausgewogenheit und Neutralität für sich ablehnen und bewusst Nachrichten mit bestimmten politischen Stoßrichtungen publizieren. Der Begriff wird auch genutzt, wenn Personen auf Webseiten trollen, d.h. Meinungen stören und Diskussionen im Keim ersticken (vgl. Rieger 2019).

Das Ziel liegt hierbei offen auf der Hand. Extremistische Gruppierungen nutzen soziale Medien, um verzerrte, alternative Darstellungen und ihre Botschaften zu platzieren, mit dem Ziel, Radikalisierungsprozesse anzustoßen. Bestimmte Parteien sind in den westlichen Gesellschaften daher immer erfolgreicher geworden (Denner/Peter 2017). Die Gefahr besteht darin, dass Botschaften verbreitet werden, die im Internet unzensiert ein Massenpublikum erreichen. Auch die Strategie ist offensichtlich. Gewisse Akteure profitieren von einem Angstklima, welches gezielt mit sensiblen Themen verknüpft wird. Sie nutzen gezielt die Unsicherheit von Userinnen und Usern, um ihre Weltanschauungen zu stärken und zu transferieren (vgl. Rieger 2019).

Auch strategische Momente sind evident. Die Orientierung zeigt sich in Diskursstrategien. Akteure versuchen, die Grenzen der akzeptablen Sprache in öffentlichen Diskursen hin zu radikaleren Positionen und Sichtweisen zu verschieben und diese somit zu normalisieren. Die Wirksamkeit einer solchen Normalisierungsstrategie ist weniger auf der individuellen Ebene beobachtbar, sondern eher hinsichtlich der Debatte im Internet (Wodak 2018; Schwarzenegger/Wagner 2018; Rieger 2019). Strategisch laufen die Prozesse über eine Propaganda im Internet oder eigene Kanäle, über die Darstellung als Wohltäter, über Musik (Rap), Videoclips, und insbesondere über die Verknüpfung mit sensiblen Themen, mit denen letztlich Unsicherheit erzeugt und Hass geschürt wird. Die Sprache spielt hierbei eine herausragende Rolle. Insbesondere Hassreden (Hate Speech) gelten als Strategie, den gesellschaftlichen Konsens zu brechen (Schmitt 2017; insgesamt hierzu Rieger 2019; vgl. Neumann/Winter/Meleagrou-Hitchens u.a. 2018).

Online-Medien entsprechen aufgrund von negativen Kommunikationspraktiken wie Trolling oder Flaming6 nicht den allgemeinen Höflichkeitsnormen (vgl. O´Sullivan/Flanagin 2003). Damit scheint das Risiko einer Konfrontation in sozialen Medien zuzunehmen (vgl. Schindler/Glaser/Herzog u.a. 2017). Vielmehr noch, Online-Hetze kann zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen, wie der Bericht der Online Civil Courage Initiative zeigt (Baldauf/Ebner/Guhl 2018). Dem Zusammenhang liegt zugrunde, dass Radikalisierungs- und Polarisierungsprozesse häufig mit einer fortlaufenden Einstellungsänderung beginnen.

Diese Erkenntnisse gehen mit Befürchtungen einher, dass Menschen in homogenen Echokammern gegenseitig ihre Einstellungen verstärken. Die Idee geht zurück auf die Tatsache, dass Menschen tendenziell lieber mit anderen Menschen in Beziehung treten, die ihnen ähnlich sind, z. B. hinsichtlich der politischen Meinung oder ethnischer Merkmale. Während diese Annahme in Studien häufig nicht bestätigt wird, zeigt sich hingegen, dass Menschen mit extremen politischen Einstellungen häufiger in Echokammern zu finden sind und sich stärker von anderen Meinungen abwenden (vgl. Rieger 2019; Dubois/Blank 2018).

Dadurch entsteht ein Teufelskreis. Ist jemand politisch extremer, verfestigt sich die Tendenz in homogenen Netzwerken. Ist jemand politisch gemäßigt, hat sie bzw. er auch häufiger Kontakt mit heterogenen Perspektiven. Eine solche Tendenz zeigt sich für Menschen mit gemäßigten Einstellungen demnach nicht. Das Internet gibt es noch nicht allzu lange, Extremismus schon viel länger. Radikalisierung geschieht demnach völlig unabhängig sozialer Medien. Doch wie alles geht auch der Ex­tremismus mit der Zeit. Extremistinnen und Extremisten machen sich die globale Vernetzung zu­nutze und verbreiten ihr Gedankengut digital. Das Internet allein ist letztlich kein Auslöser für Radikalisierungsprozesse. Soziale Medien sind vielmehr ein potenzieller Verstärker, da Online-Medien neue Gelegenheitsstrukturen bieten (Rieger/Frischlich/Rack u.a. 2020; Weinlein/Frischlich 2021). Im Ergebnis wird niemand allein durch eine soziale Mediennutzung gewalttätig. Radikalisierung ist ein komplexer Prozess. Maßgeblich dafür, ist das Zusammenspiel von mehreren psychologischen Faktoren, so Webber und Kruglanski (2017; Kruglanski/Gelfand/Bélanger u.a. 2014; Davey/Ebner 2017; Pretus/Hamid/Sheikh u.a. 2018; Strandberg/Himmelroos/Grönlund 2019; Rieger/Frischlich/Rack u.a. 2020; Weinlein/Frischlich 2021). Soziale Medien fungieren demnach als Diskussionsräume. Bei allen Vorteilen sind sie im negativen Sinne eine Arena für Polarisierung, Radikalisierung und politischen Extremismus jedweder Art und daher Fluch und Segen zugleich (Rieger 2019).

Conclusio und Erfordernisse

Die Funktionslogik sozialer Medien und ihrer negativen Begleiterscheinungen begünstigen politischen Extremismus und die Empirie zeigt: Wir befinden uns in einer Epoche des digitalen Extremismus. Beobachtbar sind Veränderungen bei der Online-Teilhabe. Die Öffentlichkeit und ein Massenpublikum werden unzensiert durch unzählige Foren erreicht. Extremistische Gruppennutzen soziale Medien gezielt, um alternative Darstellungen und Botschaften zu platzieren, mit dem Ziel, Radikalisierungsprozesse anzustoßen, Gewaltbereitschaft zu verbreiten und das System zu destabilisieren. Sie verbreiten ihre Propaganda, indem Unsicherheit und ein Angstklima erzeugt wird und die Botschaften strategisch mit sensiblen Themen verknüpft werden. Vielfach wird hierbei die Sprache als Normalisierungsstrategie eingesetzt. Radikalisierungsprozesse verlaufen durchaus verschiedenartig, denn Radikalisierung ist ein komplexer Prozess. Maßgeblich dafür ist vielfach ein Zusammenspiel von mehreren psychologischen Faktoren. Menschen verstärken in homogenen Echokammern ihre Einstellungen. Soziale Medien sindletztlich allein kein Auslöser für Radikalisierungsprozesse. Sie wirken vielmehr als potenzieller Verstärker. Sie bieten daher neue Gelegenheitsstrukturen und fungieren als Diskussionsräume, als Arena für politischen Extremismus jedweder Art.

Der Beitrag fokussierte die Institution sozialer Medien und deren Wirkungen auf die Rezipienten und politischen Extremismus. Die Phänomene haben Auswirkungen auf die Gesellschaft und tangieren daher auch politische Prozesse und die Staatstätigkeit insgesamt. Entscheidend wird sein, politisches Handeln fortan noch mehr auf die virtuelle Welt des Internets zu fokussieren und exakt zu beobachten bzw. zu analysieren, welche Vorgänge dort stattfinden, denn virtuelle Prozesse scheinen sich zunehmend von herkömmlichen Prozessen zu entkoppeln.

Literatur

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Zitationshinweis:

Reiners, Markus (2023): Wirkung von Social Media auf politischen Extremismus, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/wirkung-von-social-media-auf-politischen-extremismus/

This work by Markus Reiners is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. Z.B. Netzwerk Blood and Honour, Combat 18, neonazistische Hammerskins, Hooligans, Ultras, Fußballszene, Reichsbürgerbewegung, Personen im Querdenkermilieu, Gruppe S, NPD, DVU, Identitäre Bewegung, autonome Nationalisten und sämtliche zum Teil international vernetzte rechtspopulistische oder -extreme Parteien etc. Auswüchse bis hin zu Anschlägen, beispielsweise NSU, Mordanschläge Solingen, Halle und Hanau, Brandanschlag Mölln, Pogrom Rostock-Lichtenhagen, Übergriffe Hoyerswerda etc. []
  2. Am prägnantesten in Erinnerung ist die RAF oder die Bewegung 2. Juni. Beispiele zudem MLDP, DKP, K-Gruppen, Antifa, anarchische, autonome, antiimperialistische Szene etc. []
  3. Beispiele basieren auf dem Salafismus, Jihadismus, der Muslimbruderschaft, Hamas, Al-Qaida, Islamischer Staat etc. mit Auswüchsen bis hin zu Anschlägen, z.B. New York 2001 (9/11), Madrid 2004, London 2005, Paris 2015, Wien 2020 etc. []
  4. Z.B. PKK. []
  5. Portale staatlicher Organisationen und anderer virtueller Welten, Content Communities (z.B. YouTube) und insbesondere spezielle Formen, beispielsweise E-Mail, Foren, Blogs, Mikroblogs (z.B. Twitter), Wikis, Podcasts, Chats, Sharing Communities, soziale Netzwerke (z.B. Facebook, Xing, LinkedIn, Instagram, Signal, Threema, WhatsApp, Telegram usw.). []
  6. Bei einem Flame handelt es sich um einen provokativen Kommentar im Internet. []

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