Der Landeswahlkompass zur niedersächsischen Landtagswahl 2017: Harter Kampf um die linke Wählerschaft und hohe Hürden für Dreierbündnisse

Am 15. Oktober 2017 sind die Niedersachsen aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Zwar war die niedersächsische Landtagswahl ursprünglich erst für Januar 2018 angesetzt, doch der Wechsel einer Grünen-Abgeordneten zur CDU-Fraktion brachte die bestehende Rot-Grüne-Koalition um ihre Einstimmen-Mehrheit. Die Folge ist die vorgezogene Landtagswahl, welche nun im Schatten der Bundestagswahl und den sich abzeichnenden Koalitionssondierungen stattfindet.

Erstmals entschied sich eine Landeszentrale für politische Bildung, den Auftrag für eine Online-Wahlhilfe an das Bundeswahlkompass -Team zu vergeben. Durch die vorgezogenen Landtagswahlen und die dadurch bedingte kurze Vorlaufzeit konnte die bekannte Wahlhilfe “Wahl-O-Mat” nicht umgesetzt werden. In diesem Beitrag möchten Jan Philipp Thomeczek, Dr. Michael Jankowski und Sarah Braun  die Berechnung der Parteipositionen im Vorfeld der Niedersächsischen Landtagswahl näher betrachten, insbesondere die der Kleinstparteien, und vor diesem Hintergrund mögliche Koalitionsoptionen diskutieren.

Der Landeswahlkompass zur niedersächsischen Landtagswahl 2017:

Harter Kampf um die linke Wählerschaft und hohe Hürden für Dreierbündnisse

Autoren

Sarah Braun ist Studentin der Sozialwissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Gebieten der Wahl- und Parteienforschung sowie der Arbeitssoziologie. Sie ist Projektmitarbeiterin beim Landeswahlkompass Niedersachsen.

 

 

Dr. Michael Jankowski ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (Post-Doc) am Institut für Sozialwissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Wahl- und Parteienforschung sowie im Bereich Methoden.

 

 

Jan Philipp Thomeczek ist Promovierender an der NRW School of Governance und ehemaliger Stipendiat der Mercator Stiftung. Er ist Projektleiter des Bundeswahlkompasses 2017 bei Kieskompas BV.

 

 

Einleitung

Am 15. Oktober 2017 sind die Niedersachsen aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Zwar war die niedersächsische Landtagswahl ursprünglich erst für Januar 2018 angesetzt, doch der Wechsel einer Grünen-Abgeordneten zur CDU-Fraktion brachte die bestehende Rot-Grüne-Koalition um ihre Einstimmen-Mehrheit. Die Folge ist die vorgezogene Landtagswahl, welche nun im Schatten der Bundestagswahl und den sich abzeichnenden Koalitionssondierungen stattfindet. Sogenannte “Voting Advice Applications” (VAA), häufig als Online-Wahlhilfen bezeichnet, bieten Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit, sie bei ihrer Wahlentscheidung zu unterstützen. Erstmals entschied sich eine Landeszentrale für politische Bildung, den Auftrag für eine Online-Wahlhilfe an das Bundeswahlkompass -Team zu vergeben. Durch die vorgezogenen Landtagswahlen und die dadurch bedingte kurze Vorlaufzeit konnte die bekannte Wahlhilfe “Wahl-O-Mat” nicht umgesetzt werden. Der Landeswahlkompass basiert auf den gleichen methodischen und theoretischen Grundlagen wie der Bundeswahlkompass und positioniert die Parteien anhand von 30 Statements in einem zweidimensionalen Politikraum. Durch die Angabe der Zustimmung oder Ablehnung eines Statements wird auch die individuelle Position der Nutzerinnen und Nutzer berechnet und in der politischen Landschaft dargestellt, was ihnen eine Einschätzung der Nähe zu den einzelnen Parteien ermöglicht. Eine klare Wahlempfehlung spricht der Landeswahlkompass nicht aus, stattdessen gibt er einen Überblick über die niedersächsische Parteienlandschaft und die individuelle Übereinstimmung mit den Parteipositionen in den unterschiedlichen Dimensionen und Themenfeldern.

In diesem Beitrag möchten wir die Berechnung der Parteipositionen im Vorfeld der Niedersächsischen Landtagswahl näher betrachten, insbesondere die der Kleinstparteien, und vor diesem Hintergrund mögliche Koalitionsoptionen diskutieren.

Methodik: Von der Selbstpositionierung zur Berechnung der politischen Landschaft

Zur technischen und inhaltlichen Umsetzung des Landeswahlkompasses wurde die niederländische Agentur Kieskompas beauftragt, die in Deutschland schon den Bundeswahlkompass 2017 (Switek/Thomeczek/Krouwel 2017) und 2013 sowie den “EU-Profiler” zu den Europawahlen 2009 und 2014 entwickelte. Die wissenschaftliche Begleitung übernahm federführend Prof. Dr. Markus Tepe der Universität Oldenburg.

Der Landeswahlkompass gehört zu den sogenannten  “Voting Advice Applications” (VAA), die inzwischen auch in Deutschland verbreitet sind und Informationen zu Wahlen und Parteien aufbereiten. Kieskompas ist vor allem durch seine Wahlhilfe-Projekte in den Niederlanden bekannt, welche darauf basieren, dass sowohl Parteien als auch Wählerinnen und Wähler in einem zweidimensionalen politischen Raum verortet werden (Krouwel, Vitiello und Wall, 2012; Krouwel, van Elkfrinkhof 2014).

Den Kern des Landeswahlkompasses bilden 30 Statements. Hierbei handelt es sich um politische Aussagen zu den wichtigsten Wahlkampfthemen. Zur Ermittlung geeigneter Inhalte traf das wissenschaftliche Team zunächst eine Vorauswahl von 48 salienten Aussagen, wie zum Beispiel: „Alle Kohlekraftwerke in Niedersachsen sollen in den nächsten 10 Jahren abgeschaltet werden“. Jede Aussage wird einer der beiden Dimensionen zugeordnet, welche die Basis für die Berechnung der Positionierung im politischen Raum bilden. Bei der ersten Dimension handelt es sich um eine ökonomische Links-Rechts-Achse, die sich vorwiegend über Themen wie Umverteilung, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und den Wohlfahrtsstaat definiert. Die zweite Dimension umfasst gesellschaftlich-kulturelle Themenfelder und wird als Progressiv-Konservativ-Achse bezeichnet, für die Fragen zur nationalen Identität, Ökologie, und Zuwanderung konstitutiv ist. Eine Aussage ist so formuliert, dass sie einem der vier Pole (links, rechts, konservativ, progressiv) zugeordnet werden kann. Die verwendeten Achsen gelten in der internationalen Parteienforschung als die beiden wichtigsten Faktoren zur Strukturierung des europäischen Parteienwettbewerbs (Marks et al. 2006). Während die Links-Rechts-Achse als “Klassiker” der Theorie des rationalen Wählers gilt (Downs 1957), wurde die gesellschaftlich-kulturelle Konfliktlinie durch die “Stille Revolution” (Inglehart 1977) und die Verbreitung postmaterialistischer Werte geprägt.

Beispielstatement Landeswahlkompass Niedersachsen 2017

Die 48 ausgewählten und zugeordneten Aussagen wurden den Parteien mit der Bitte um eine Selbstpositionierung übersendet. Dabei erhielten alle 15 vom Landeswahlleiter zugelassenen Parteien die Möglichkeit zur Teilnahme. Zur Positionierung stand ihnen eine fünfstufige Skala zur Verfügung, die sich von “stimme vollkommen zu” über “neutral” bis hin zu “stimme überhaupt nicht zu” erstreckte. Im Gegensatz zum Wahl-O-Maten verfassten die Parteien hierzu jedoch keine gesonderten Texte als Begründungen zu ihrer Einordnung, sondern belegten ihre Positionen mit Nachweisen aus offiziellen Dokumenten wie Pressemitteilungen, Wahlkampf- oder Grundsatzprogrammen. Die entsprechenden Textstellen wurden in der Wahlhilfe mit einem Link zur Quelle hinterlegt, so dass Nutzerinnen und Nutzer diese selbst überprüfen und nachvollziehen können.

Nach Sichtung der Selbstpositionierung bezüglich der 48 vorausgewählten Statements, wählte das wissenschaftliche Team in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für Politische Bildung diejenigen 30 Statements aus, die in der veröffentlichten Wahlhilfe zu finden sind. Entscheidend war, dass Parteien die ausgewählten Fragen tatsächlich thematisieren und zugleich Meinungsdifferenzen deutlich werden. Aus inhaltlichen als auch aus methodischen Gründen liegt der Fokus gerade auf polarisierenden Aussagen. Zudem sollte ein möglichst breites Themenspektrum abgedeckt werden.

In einem letzten Schritt beseitigte das Team verbliebene Unklarheiten mit den Parteien bezüglich ihrer Standpunkte, so dass die Textnachweise logisch mit den Positionierungen verknüpft werden konnten.

Die politische Landschaft zur Landtagswahl: Hart umkämpftes links-progressives Spektrum

Auf Basis der Selbstpositionierung der Parteien können deren Standpunkte in der zweidimensionalen politischen Landschaft zur Landtagswahl in Niedersachsen abgebildet werden. Auffällig ist zunächst, dass bei den (zukünftigen) Bundestagsparteien eine deutliche “Lager-Logik” zu erkennen ist. Während AfD, CDU und FDP sich im rechts-konservativen Quadranten befinden, sind Linke, Grüne und SPD im links-progressiven Raum verortet. Innerhalb dieser Lager sind aber deutliche Distanzen zwischen den Positionen erkennbar, beispielsweise zwischen SPD und Linken.

Die politische Landschaft zur niedersächsischen Landtagswahl 2017

Auf der gesellschaftlich-kulturellen Achse belegen Linke (progressiv) und AfD (konservativ) die beiden Extrempole. Diese Positionierung der AfD ist Ausdruck der Machtübernahme durch den nationalkonservativen Flügel. Die Linke nimmt auch auf der wirtschaftlichen Achse die äußerste linke Position ein, während die FDP hier die größte Nähe zum rechten Pol aufweist – jedoch mit deutlicher Tendenz zur Mitte. Insgesamt ist an dieser Stelle anzumerken, dass viele Themen – wie zum Beispiel zur Besteuerung – nicht in der Länderkompetenz liegen. Das kann dazu führen, dass Landesverbände kostenintensive Vorschläge gegen den Willen des Bundesverbands unterstützen, für deren Finanzierung sie selbst nicht verantwortlich sind. Die mittige Positionierung der AfD auf dieser Achse ist sicherlich auch ein Ausdruck dessen, dass die Partei seit dem Abgang von Gründer Bernd Lucke von ihren neoliberalen Vorstellungen in der Wirtschaftspolitik abgerückt ist.

Zieht man die kleineren Parteien hinzu, bleibt die Lager-Logik, die zwischen einem links-progressiven Lager mit Linke/SPD/Grünen und einem rechts-konservativen Lager, das sich aus AfD, FDP und CDU zusammensetzt, bestehen. Einzige Ausnahme sind die Freien Wähler, die eine links-konservative Position einnehmen und somit eine elektorale Nische besetzen. Auffällig ist, dass alle anderen Kleinstparteien mit Linke, SPD und Grünen im links-progressiven Quadranten um Wählerstimmen konkurrieren.1

Alle Parteien decken somit einen spezifischen Bereich der politischen Landschaft ab, wobei die zwei (fast) unbesetzten Quadranten auf gewisse Lücken im parteipolitischen Angebot verweisen. Dies deckt sich mit früheren Beobachtungen, dass eine relativ starke Korrelation zwischen den beiden Achsen besteht, d.h. starke wirtschaftlich linke Positionen gehen mit gesellschaftlich progressiven Positionen und starke wirtschaftlich rechte Positionen mit gesellschaftlich konservativen Positionen einher (vgl. Marks et al. 2006).

Kleinstparteien: Ökologischer Parteienwettbewerb und (links-progressive) Spaßpartei

Mit Bündnis 90/Die Grünen, der Tierschutzpartei und der neugegründeten V-Partei konkurrieren gleich drei Parteien um die Gunst der ökologischen Wählerschaft.2  Die Positionen von Grünen und V-Partei liegen dabei dicht beieinander. Wesentlicher Unterschied ist vor allem, dass die V-Partei alle Landwirtschaftsbetriebe auf eine rein bio-vegane Produktion umstellen möchte. Die Tierschutzpartei liegt auf der wirtschaftlichen Achse nahe bei den anderen beiden ökologischen Parteien, ist auf der gesellschaftlichen Achse jedoch deutlich mittiger positioniert. Der Grund wird deutlich, wenn man ausschließlich die Positionen in den Themenbereichen “Zuwanderung” und “Wirtschaft” betrachtet, denen insgesamt neun Statements zugeordnet sind. Während sich hier für die meisten Parteien nur marginale Positionsveränderungen ergeben, ist die Tierschutzpartei nun deutlich am konservativen Pol verortet, wohingegen sich die Positionen der Grünen nun näher an einer Mitte-Position befinden. In Umweltfragen sind alle drei ökologischen Parteien sehr progressiv eingestellt. Bezüglich der Zuwanderungsthemen nimmt die Tierschutzpartei, im Gegensatz zu Grünen und V-Partei, allerdings eine deutlich ablehnende Haltung ein und positioniert sich konservativer. Mit anderen Worten: Die Mitte-Position in der Gesamtübersicht ist das aggregierte Ergebnis von sehr progressiven Positionen im Bereich Umwelt und sehr konservativen Positionen im Bereich Zuwanderung. Diese Beobachtung deckt sich mit Analysen der niederländischen Tierschutzpartei (Otjes und Krouwel 2015). Ein Grund dafür liegt in der strikten Ablehnung religiöser Bräuche wie dem Schächten.3  Die Verschiebung der Grünen hin zur Mitte, die sich bei der Betrachtung der Themen Wirtschaft und Zuwanderung ergeben, ist sicherlich auch ihrer Regierungsbeteiligung zuzuschreiben. Als Regierungspartei kennen sie rechtliche und politische Grenzen aus eigener Erfahrung, sind pragmatischer in ihren Forderungen und nehmen seltener Extrempositionen ein. Der neue Pragmatismus ist zugleich Ausdruck der Bereitschaft der Grünen, sich zunehmend für neue Bündnisoptionen zu öffnen (Switek 2017). Der nächste Absatz wird jedoch zeigen, dass dies aus personellen Gründen nur eingeschränkt auf Niedersachsen zu übertragen ist.

Politische Landschaft berechnet für die Unterthemen “Wirtschaft” und “Zuwanderung”

Bei den Freien Wählern zeigt sich eine deutlich konservative Haltung für die Unterthemen “Gesellschaft” und “Zuwanderung”, aber eine progressive Einstellung bezüglich Fragen der Sicherheit. Die Satirepartei “DIE PARTEI” ist bemerkenswerterweise bezüglich aller Unterthemen im links-progressiven Quadranten positioniert. Auch wenn die Begründungen der Spaßpartei auf ein erratisches Antwortverhalten hindeuten, lässt die hohe Konsistenz der Positionierungen einen anderen Schluss zu. Diese Beobachtung deckt sich auch mit den Analysen des Wahl-O-Maten, bei denen DIE PARTEI große Übereinstimmung im Antwortmuster mit Grünen (72 %) und Linken (82 %) erkennen lässt(Tröger et al. 2017).

VW und Studiengebühren: Zwei äußerst heikle Wahlkampfthemen

Zwei Wahlkampfthemen lassen eine Selbstpositionierung der Parteien erkennen, die auf den ersten Blick überraschend erscheint. Das Thema VW spielt im niedersächsischen Wahlkampf eine große Rolle, denn das Land ist durch den Ministerpräsidenten im Aufsichtsrat des Automobilherstellers vertreten. Trotz des Abgasskandals wollen die meisten Parteien an der Beteiligung festhalten. Selbst die FDP, die sich sonst strikt gegen staatliche Eingriffe in die Wirtschaft ausspricht, nimmt nur eine neutrale Position ein. Sie möchte den Sitz im Aufsichtsrat an unabhängige Experten anstelle der Politiker vergeben, die dann im Sinne des Landes entscheiden. Auch die Grünen befürworten eine Beteiligung des Landes an VW und wollen den Einfluss der Regierung für einen ökologischen Umbau des Unternehmens nutzen. Kurioserweise sind es hier die wirtschaftlich linken Parteien, die der Beteiligung eher kritisch gegenüberstehen (DIE PARTEI, V-Partei, Tierschutzpartei).

Die Wiedereinführung von Studiengebühren fordern nur AfD und FDP, wenn auch in abgeschwächter Form. Nach der Einführung der unpopulären Beiträge durch CDU und FDP im Jahr 2005, wurden sie von der rot-grünen Landesregierung in der laufenden Legislaturperiode abgeschafft. Der CDU ist dieses Thema offensichtlich zu heikel, denn sie lehnt eine Wiedereinführung kategorisch ab.

Übersicht der Positionierungen zur VW-Beteiligung und Studiengebühren

Viel Phantasie bei Dreierbündnissen gefragt

Ministerpräsident Weil gab bereits bekannt, dass er eine große Koalition für unwahrscheinlich hält. Das Verhältnis zwischen den beiden Volksparteien ist äußerst angespannt, seit die Grünen-Abgeordnete Twesten zur CDU-Fraktion wechselte und somit Neuwahlen erzwang. Nahezu ausgeschlossen dürfte daher eine Jamaika-Koalition sein, die CDU und Grüne an einen Kabinettstisch bringt. Beide Bündnisse müssten zudem erhebliche Distanzen überbrücken, wie aus den Positionen in der politischen Landschaft deutlich wird. Problematisch ist, dass laut aktuellem Stimmungsbild weder ein rot-grünes Bündnis noch Schwarz-Gelb eine Mehrheit hat. Die Linke muss, wie auch die AfD, um einen Einzug in den Landtag bangen, in dem beide Parteien aktuell nicht vertreten sind. Weil zeigte sich offen für eine Ampel-Koalition, welche die FDP jedoch ablehnt. Im Hinblick auf die politische Landschaft erscheint eine rot-rot-grüne Koalition als logische Option, die bisher von den Akteuren nicht ausgeschlossen wurde – das wäre für ein westdeutsches Bundesland ein Novum. Koalitionen mit der AfD schlossen alle Parteien bereits aus.

Fazit

Die Gesamtbetrachtung der politischen Landschaft zur niedersächsischen Landtagswahl fördert eine deutliche „Lager-Logik“ zutage, da sich fast alle Parteien entweder im links-progressiven oder rechts-konservativen Quadranten befinden. Die einzige Ausnahme bilden die Freien Wähler. Diese besetzen durch ihre konservative Haltung in den Bereichen “Gesellschaft” und “Zuwanderung” und dem gleichzeitig progressiven Standpunkt in Sicherheitsfragen eine links-konservative Nischenposition.

Die meisten Parteien konkurrieren im links-progressiven Lager um Wählerstimmen. Besonders die ökologische Wählerschaft verfügt mit der V-Partei, der Tierschutzpartei, den Grünen und der ÖDP über neue Entscheidungsalternativen. Dabei hebt sich die V-Partei durch ihre Forderung nach rein bio-veganen Landwirtschaftsbetrieben von den Grünen ab, während die Tierschutzpartei im Bereich Zuwanderung deutlich konservativere Positionen vertritt als ihre ökologisch orientierten Konkurrenten.

Insgesamt ist auch bemerkenswert, dass die Satirepartei DIE PARTEI eine hohe Konsistenz in ihren Positionierungen aufweist und dabei häufig mit Antwortmustern der Grünen und der Linken übereinstimmt. Die Position der AfD im rechts-konservativen Lager spiegelt hingegen ihre Entwicklung hin zu einer eindeutig nationalkonservativen Partei wider.

Erstaunlich ist, dass sich die meisten niedersächsischen Parteien trotz des Abgasskandals für eine Fortführung der Beteiligung des Landes an VW aussprechen. Demgegenüber lehnen fast alle Parteien eine Wiedereinführung der Studiengebühren ab. Derzeit befürworten nur AfD und FDP die Wiedereinführung gestaffelter Studiengebühren.

Vor dem Hintergrund der Neuwahlen gestaltet sich die Koalitionsfrage besonders schwierig, denn eine große Koalition oder ein Jamaika-Bündnis erscheint in Niedersachsen aufgrund des Wechsels der Grünen-Abgeordneten Twesten zur CDU, die damit die Landesregierung stürzte, unwahrscheinlich. Zudem verfügen derzeit weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb über eine Mehrheit; die FDP lehnt eine Ampel-Koalition ab. Ein rot-rot-grünes Bündnis erscheint daher als realistische Machtoption für SPD und Grüne.

Literatur

Downs, Anthony (1957): An economic theory of democracy. New York: Harper & Row.

Inglehart, Ronald (1977): The silent revolution: changing values and political styles among western publics / Ronald Inglehart. Princeton, NJ: Princeton UnivPress.

Marks, Gary/ Hooghe, Liesbet/ Nelson, Moira/ Edwards, Erica (2006): Party Competition and European Integration in the East and West: Different Structure, Same Causality. Comparative Political Studies, 39(2), 155–175. https://doi.org/10.1177/0010414005281932.

Krouwel, André/ Vitiello, Thomas/ Wall, Matthew (2012): The practicalities of issuing vote advice: a new methodology for profiling and matching. International Journal of Electronic Governance, 5(3–4), 223–243.

Krouwel, André/ van Elfrinkhof, Annemarie (2014): Combining strengths of methods of party positioning to counter their weaknesses: the development of a new methodology to calibrate parties on issues and ideological dimensions. Quality & Quantity, 48(3), 1455–1472. https://doi.org/10.1007/s11135-013-9846-0. 

Otjes, Simon/ Krouwel, André (2015). Two shades of Green? The electorates of GreenLeft and the Party for the Animals. Environmental Politics, 24(6), 991–1013. https://doi.org/10.1080/09644016.2015.1067349.

Switek, Niko (2017): Ampel, Kenia und Kiwi – Neue Vielfalt der Regierungskoalitionen. In: Bieber, Christoph/Blätte, Andreas/ Korte, Karl-Rudolf/ Switek, Niko (Hrsg.): Regieren in der Einwanderungsgesellschaft: Impulse zur Integrationsdebatte aus Sicht der Regierungsforschung. (81 – 88). Wiesbaden: Springer VS.

Switek, Niko/ Thomeczek, Jan Philipp/ Krouwel, André (2017): Die Vermessung der Parteienlandschaft vor der Bundestagswahl 2017 mit dem Bundeswahlkompass, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de, Online verfügbar unter: https://regierungsforschung.de/die-vermessung-der-parteienlandschaft-vor-der-bundestagswahl-2017-mit-dem-bundeswahlkompass/.

Tröger, Julius/ Pätzold, André/ Wendler, David/ Dinklage, Fabian/ Timcke, Marie-Louise/ Möller, Christoph/Klack, Moritz (2017). So nah stehen die Parteien der AfD. Online verfügbar: https://interaktiv.morgenpost.de/parteien-bundestagswahl-2017/ (Abgerufen am 4. Oktober 2017).

Zitationshinweis

Thomeczek, Jan Philipp / Jankowski, Michael/ Braun, Sarah (2017): Der Landeswahlkompass zur niedersächsischen Landtagswahl 2017: Harter Kampf um die linke Wählerschaft und hohe Hürden für Dreierbündnisse, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de, Online verfügbar unter: https://regierungsforschung.de/der-landeswahlkompass-zur-niedersaechsischen-landtagswahl-2017-harter-kampf-um-die-linke-waehlerschaft-und-hohe-huerden-fuer-dreierbuendnisse/

 

 

  1. An dieser Stelle ist anzumerken, dass sich unter den vier nicht teilnehmenden Parteien mindestens zwei befinden (Deutsche Mitte, Liberal-Konservative Reformer), die wahrscheinlich den rechts-konservativen Parteien zugeordneten werden können. []
  2. Die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) stellt eine vierte grüne Partei dar, die jedoch ihre Teilnahme am Landeswahlkompass Niedersachsen abgesagt hat. []
  3. Siehe Pressemitteilung der Tierschutzpartei Niedersachsen vom 01.09.2017: https://www.tierschutzpartei.de/was-tun-wenn-straftaten-beobachtet-werden/. []

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