Angela Merkel hatte als erste Frau im Amt der Bundeskanzlerin von Beginn an mit genau dem Gegenwind zu kämpfen, der in den ersten, männerdominierten Jahren der Berliner Republik zu erwarten war. Warum aber hält sich bis heute der Begriff des „Girls-Camps“ als Bezeichnung für Merkels Beraterinnenkreis um Eva Christiansen und Beate Baumann? Warum scheint es vielen Publizisten noch heute wichtig immer wieder zu betonen, dass die engsten politischen Berater der Kanzlerin Frauen sind?
Bereits im Jahr 2001 berichtete die WELT über den neuen, vorsichtigen Führungsstil der damaligen CDU-Parteichefin. Als Zwischenbilanz nach einem Jahr in dieser Position stellt Roland Nelles fest: Zu „Merkels engstem Beraterkreis gehören derzeit fast nur Frauen – offenbar hält Merkel sie für zuverlässiger als Männer.“ Ihre Komik erhält diese nicht sonderlich tiefsinnige Deutung, wenn wir sie in Bezug auf das Geschlecht umdrehen in der Art: „Schröders engstem Beraterkreis gehören derzeit…“ Es wird offensichtlich, dass dies kaum eine Nachricht gewesen wäre. Merkels Aufstieg wurde im maskulin dominierten politischen Berlin stets als Bedrohung empfunden, zumal in der vor vermeintlichen Alphamännern strotzenden CDU der Nullerjahre. Auch deshalb kam ein Begriff wie das Girlscamp sehr gelegen, zeigt er doch in seiner Geringschätzung wunderbar wie sehr Angela Merkel nicht in die Zukunftsvorstellung vieler Männer passte.
Schon in besagtem Artikel in der Welt war er zudem Titelgebend und startete seine Geschichte, die bis zu einem „aktuellen“ Artikel von Hans Peter Schütz in politik & kommunikation reicht, der heute online veröffentlicht wurde. Schütz wärmt dabei die bereits mehrfach (auch von ihm) beschriebene Wichtigkeit der Frauen an der Seite Merkels auf. Warum der Hinweis auf die Bedeutung Eva Christiansens dabei nie ohne den Hinweis auf ihr Frausein auskommt, bleibt Schütz‘ Geheimnis. Bereits 2010 stellten Daniel Müller und Peter Goffart im Handelsblatt ganz richtig fest, dass „die Legende des von CDU-Männern beschworenen Frauenbündnisses längst Staub angelegt hat.“
Doch warum hält sich das Narrativ des schweigsamen Frauenzirkels so hartnäckig? Dies liegt zum einen an der Kraft solcher politischer Erzählungen, die gerade durch ihre Einfachheit fähig sind, Diskurse zu prägen. Merkels Frausein wurde immer als wichtige Komponente wahrgenommen und begann bereits bei „Kohls Mädchen“. Zu Beginn ihres Parteivorsitzes im Jahr 2000 startete dann eine respektlose Kampagne, die sich über Merkels Aussehen und Auftreten lustig machte. Sie schien ein gefundenes Fressen für die BUNTE und Gala -Redakteure sowie die Stefan Raabs der deutschen Medienlandschaft. Als erste Kanzlerin Deutschlands stieg sie dann schnell in den vom Listenwahn befallenen Gazetten zu einer der „mächtigsten Frauen“ weltweit auf. Stets blieb ihre Weiblichkeit Teil der Erzählungen, die ihre (mediale) Persönlichkeit prägten. Bis hin zum vergangenen Wahlkampf, als sie endgültig zur „Mutti“ der Nation wurde. Sogar ihre charakteristische Handhaltung wurde im Zeichen weiblicher Macht als sogenannte Yoni-Geste gedeutet.
Diskursiv ist Merkel also eingehegt in ihre Rolle als Frau in der Politik. Und das, obwohl sie nicht aktiv an dieser Legende mitarbeitet, oder sich etwa davon distanzieren würde. Sicher ist sie auch über ihre politische Praxis eingebunden in die Erzählungen über sich, doch lässt sich darin kaum eine Strategie, oder gar eine Lenkung des Diskurses erkennen. Vielmehr ist es gerade die Vielstimmigkeit des Merkel-Narrativs, die es so wirkmächtig macht. Vor allem da sich die Kernaussage auf Banalitäten, wie das Geschlecht ihrer Berater reduziert, wird die „Analyse“ dieses Führungszirkels mit einer gewissen Bedeutungsschwere unterlegt. Merkels Stil bleibt bewusst undurchsichtig, denn das kann getrost als strategischer Anteil an ihrer Inszenierung gedeutet werden.
Letztlich scheint auf Merkel in Bezug zu den Männern des politischen Berlins ein Zitat zu passen, dass niemand geringerem als Gandhi zugeschrieben wird: „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“