„Die Spareinlagen sind sicher“ – Über den Einsatz von Heuristiken bei politischen Entscheidungen.

Der Torwart der deutschen Nationalmannschaft, Manuel Neuer, gilt derzeit als einer der besten Torhüter der Welt – nicht nur wegen seiner Reflexe auf der Torlinie, sondern auch aufgrund seiner Strafraumbeherrschung und der Fähigkeit, gegnerische Flanken sicher abzufangen. Dazu beigetragen haben wohl verschiedene Faktoren: sein Talent, das Training, die Spielpraxis. Zumindest in Bezug auf das Abfangen von Flanken würde der Psychologe Gerd Gigerenzermöglicherweise noch einen weiteren Punkt anführen: das sichere Beherrschen der sogenannten „gaze heuristic“. Diese Heuristik besteht, wenn ein Ball in der Luft ist, darin, „die Laufgeschwindigkeit so anzupassen, dass der Blickwinkel, der Winkel zwischen Auge und Ball, konstant bleibt“. Auf diese Weise gelinge es, an die Stelle zu laufen, an der der Ball erreichbar sein wird. Gigerenzer kann belegen, dass diese Heuristik von Sportlern angewandt wird, denen in Wettkampfsituationen nur kurze Zeitspannen zur Verfügung stehen, um eine Entscheidung darüber zu treffen, wo man hinläuft, um den Ball zu fangen. Eine Berechnung der Flugbahn unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren ist in der gegebenen Zeit für gewöhnlich unmöglich und – um den Ball zu fangen – auch nicht nötig.

So ungewöhnlich es anmuten mag, die Leistungsfähigkeit Manuel Neuers mitunter auf das Beherrschen der gaze heuristic zurückzuführen, so wenig verbreitet ist es derzeit noch, politische Entscheidungen vor dem Hintergrund von Gigerenzers Annahmen zu betrachten. Denn Gigerenzer grenzt sich mit diesem Konzept erkennbar von anderen, in der Politikwissenschaft vorherrschenden Strömungen ab: So wird bspw. im neoklassischen Modell und anderen Ansätzen von einem rationalen „homo oeconomicus“ ausgegangen, der auf der Basis eines unbegrenzten Maßes an Informationen optimale Entscheidungen treffen kann. Gigerenzer stellt dem entgegen: „More infomation, computation and time is not always better“. Oder anders formuliert: „Less can be more“.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Übertragung der Ausführungen Gigerenzers auf eine politische Entscheidung als gewinnbringend. In der vorliegenden Arbeit wird sein Ansatz in Abgrenzung zum Modell des rationalen Entscheidens dargestellt und beleuchtet. Der Fokus wird dabei auf Gigerenzers Schritt von der vollständigen Rationalität über die begrenzte Rationalität nach Herbert Simon hin zur ökologischen Rationalität gelegt. Darauf aufbauend, wird der Frage nachgegangen, welches Erklärungspotenzial eine Heuristik, deren Einsatz Gigerenzer vornehmlich mit Beispielen aus dem Alltag belegt, im Falle einer politischen Entscheidung haben kann. Deshalb wird an einem Beispiel aus der Politik erstens untersucht, welche konkreten Hinweise sich für die Anwendung einer Heuristik finden lassen und zweitens, wie das Zustandekommen der Entscheidung mit Hilfe einer Heuristik erklärt werden kann. Während es also in Schritt eins um eine Analyse der verfügbaren Informationen über die Abläufe geht, wird auf dieser Basis im zweiten Schritt skizziert, wie der Entscheidungsprozess konkret abgelaufen sein könnte. Herausgegriffen wurde die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und des damaligen Bundesfinanzministers Peer Steinbrück vom 5. Oktober 2008, eine Garantie über die Spareinlagen der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland auszusprechen.

Beitrag als PDF-Datei

„Die Spareinlagen sind sicher“ – Über den Einsatz von Heuristiken bei politischen Entscheidungen.

Zitationshinweis

Binder, Björn (2012): „Die Spareinlagen sind sicher“ –  Über den Einsatz von Heuristiken bei politischen Entscheidungen. Erschienen in: Regierungsforschung.de, Politikmanagement und Politikberatung. Online verfügbar unter:  http://www.regierungsforschung.de/dx/public/article.html?id=146&show=type-6&by=articletype

Teile diesen Inhalt:

Artikel kommentieren

* Pflichtfeld