Vor wenigen Tagen hat die neue Große Koalition ihre Arbeit aufgenommen. Das Thema Digitalisierung soll einen Schwerpunkt bilden, zumindest wenn man dies an den fast 300 Erwähnungen im Koalitionsvertrag festmacht. Und auch die Äußerung der neuen Staatssekretärin für Digitalisierung im Kanzleramt Dorothee Bär, Digitalisierung als Top-Thema in allen Ministerien zu verankern, verstärkt diesen Eindruck (ZDF 2018). Großes Augenmerk liegt dabei auf dem Ausbau von Infrastruktur. Außerdem wird auch in vielfältigen weiteren Bereichen auf digitale Mittel gesetzt, wie Landwirtschaft, Schiffbau, Militär und in der Polizeiarbeit. Darüber hinaus finden sich im Koalitionsvertrag viele weitere Digitalisierungs-Themen wie beispielsweise E-Health und Mobile-Health oder digitale Bildung. Kurzum: Beim Studium des Koalitionsvertrages entsteht der Eindruck, dass künftig alle Lebensbereiche digitalisiert werden.
Obwohl der Eindruck entsteht, dass in Zukunft alle Lebensbereiche digitalisiert werden, bleibt undeutlich, welche Konzepte hinter den Digitalisierung-Schlagwörtern stehen. Aline Franzke und Dennis Michels erörtern anhand der digitalen Spaltung im Blick auf den Zugang zum Internet und anhand der Datenethik am Beispiel eines digitalen BürgerInnenportals, dass massive Kraftanstrengungen auf Politik und Gesellschaft zukommen, um das Potenzial der Digitalisierung vollständig verwirklichen zu können.
Digitale Spaltung und Datenethik im Koalitionsvertrag 2018: Immer noch #Neuland?
Autoren
Aline Franzke, M.A. promoviert als Stipendiatin des Graduiertenkollegs „Digitale Gesellschaft“ an der NRW School of Governance zum Thema Datenethik in der Kommunalverwaltung. Davor studierte sie an der Universität Wien Philosophie und an der Universität Utrecht Applied Ethics. Sie ist Mitglied im Ethikausschuss der Association of Internet Researchers und Affiliated Researcher an der Utrecht Data School.
Dennis Michels, M.A. promoviert als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt Digitale Parteienforschung (DIPART) an der NRW School of Governance zum Thema digitalisierte Parteikommunikation. Sein Studium der Politikwissenschaften, Soziologie, sowie Internationale Studien absolvierte er in Bonn, Frankfurt am Main und Southampton, UK. Während des Studiums sammelte er national und international Praxiserfahrung im Europäischen Parlament in Brüssel, einem Think Tank in Berlin und einer lokalen Entwicklungsorganisation in Kampala, Uganda.
Hinweis: Die Veröffentlichung wurde im Rahmen des Verbundprojekts Digitale Gesellschaft durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.
Vor wenigen Tagen hat die neue Große Koalition ihre Arbeit aufgenommen. Das Thema Digitalisierung soll einen Schwerpunkt bilden, zumindest wenn man dies an den fast 300 Erwähnungen im Koalitionsvertrag1 festmacht. Und auch die Äußerung der neuen Staatssekretärin für Digitalisierung im Kanzleramt Dorothee Bär, Digitalisierung als Top-Thema in allen Ministerien zu verankern, verstärkt diesen Eindruck (ZDF 2018). Großes Augenmerk liegt dabei auf dem Ausbau von Infrastruktur: Nach wie vor sind viele Regionen Deutschlands nicht an Breitbandanschlüsse mit hohen Internetgeschwindigkeiten angeschlossen (BMVI 2018). Dies kann vor allem für Bewohner und Gewerbebetriebe in ländlichen Regionen zum Problem werden, weshalb dieser Mangel durch den Ausbau des Glasfasernetzwerks behoben werden soll. Neben der Verbesserung der technischen Infrastruktur wird auch in vielfältigen weiteren Bereichen auf digitale Mittel gesetzt, wie Landwirtschaft, Schiffbau, Militär und in der Polizeiarbeit. Darüber hinaus finden sich im Koalitionsvertrag viele weitere Digitalisierungs-Themen wie E-Health und Mobile-Health, der digitale Mittelstand, der digitale Binnenmarkt der EU, Wirtschaft 4.0, die Erarbeitung einer Blockchain-Strategie, die Digitalisierung der Verwaltung, E-Government, die Digitalisierung in der Bauwirtschaft, digitale Mobilität durch automatisiertes Fahren, oder digitale Bildung. Kurzum: Beim Studium des Koalitionsvertrages entsteht der Eindruck, dass künftig alle Lebensbereiche digitalisiert werden.
Trotz alledem, welche Konzepte hinter den Digitalisierungs-Schlagwörtern stehen, bleibt vage. Dies entspricht zwar der Natur der Sache eines Koalitionsvertrages, der eher große Leitlinien als detaillierte Maßnahmenpakete aufzeigen will, aber nicht der vorliegenden Analyse, deren Ziel ein genauerer Blick auf die geplanten Maßnahmen ist. So wird anhand zweier gesellschafspolitisch relevanter Herausforderungen der Digitalisierung exemplarisch aufgezeigt, welche massive Kraftanstrengung auf die Gesellschaft zukommt, wenn die digitalen Hoffnungen des Koalitionsvertrages auf Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand tatsächlich verwirklicht werden sollen.
Erstens wird das viel diskutierte Phänomen der so genannten digitalen Spaltung betrachtet (Initiative D21 2018). Nach einer Begriffsbestimmung wird dargestellt, inwieweit Gefahren digitaler Spaltungen im Koalitionsvertrag erkannt werden und welche Maßnahmen dagegen ergriffen werden. Zweitens werden anhand des Beispiels „Digitales BürgerInnenportal“ ethisch relevante Faktoren im Umgang mit Daten diskutiert. Der Vorschlag des Koalitionsvertrages zur Einrichtung einer digitalen Ethikkommission wird anschließend aufgegriffen und Vorschläge zu einer konkreteren Ausgestaltung der Kommission erarbeitet.
Das Gesamtergebnis der Betrachtung ist, dass der Fokus des Koalitionsvertrages auf Digitalisierungsthemen zwar löblich und notwendig ist, es aber neben ethisch vertretbaren technischen Standards und einer gut durchdachten Ethikkommission vor allem einer digitalen Aufklärung der breiten Masse bedarf. Denn um mit dem jetzt angestrebten Tempo bei der Digitalisierung Schritt zu halten, benötigt die Bevölkerung Wissen, Fähigkeiten, Einsicht in den Nutzen und Vertrauen in die Technik, die Sicherheit und die Sinnhaftigkeit neuer digitalisierter Strukturen und Prozesse. Digitale Bildung könnte sowohl digitale Spaltung verringern wie auch die Autonomie der Bürgerinnen und Bürger in der digitalisierten Gesellschaft sowie die selbstbestimmte Nutzung von Daten stärken.
1. Digitale Spaltung der Gesellschaft?
Seit vielen Jahren wird die Debatte um die digitale Spaltung der Gesellschaft in Deutschland und vielen anderen Ländern geführt. Digitale Spaltung wird als die Ungleichheit der Teilhabe von Mitgliedern der Gesellschaft an der digitalisierten Lebenswelt verstanden. Bei der Einführung des Begriffs (englisch: digital divide) durch die National Telecommunications and Information Administrationder USA in den 1990er Jahren meinte man damit noch die simple Frage, ob ein Internetanschluss vorhanden ist oder nicht (NTIA 1998). Spätestens seit Mitte der 2000er Jahre hat sich ein differenzierteres Verständnis von digitaler Spaltung etabliert: Mit der weit verbreiteten Verfügbarkeit von Computern und Internetanschlüssen in privaten Haushalten (zumindest westlicher Staaten) rücken neue Ungleichheiten in den Fokus, die über fehlende Infrastruktur (sog. „materieller Zugang“) hinausgehen. Diese neuen Ungleichheiten sind in zwei Arten zu unterteilen. Erstens, indem das Begriffsverständnis des Zugangs der BürgerInnen zum Internet erweitert wird und zweitens, indem man das Nutzungsverhalten der AnwenderInnen näher betrachtet (van Dijk 2005; Wei 2012).
Zunächst zum Begriff des Zugangs: Digitale Spaltung geht über die Ungleichheit des materiellen Zugangs per Internetanschluss hinaus. Auch Fragen der digitalen Bildung (intellektueller Zugang), Fragen des Interesses und der Akzeptanz der neuen Technologie (motivationaler Zugang) und eine Frage des sozialen Umfeldes (sozialer Zugang) können Ungleichheiten hervorrufen, die zu einer digitalen Spaltung der Gesellschaft führen können (van Dijk 2005; Yu et al. 2016). Darüber hinaus lassen sich innerhalb dieser verschiedenen Zugangsarten weitere Differenzierungen vornehmen: Denn der materielle Zugang über einen Internetanschluss ist keine dichotome Frage: Die Qualität des Zugangs, z.B. die Internetgeschwindigkeit, kann für den Nutzer einen großen Unterschied machen, insbesondere, wenn anspruchsvollere Nutzungsarten des Internets angewendet werden sollen, wie beispielsweise Videokonferenzen oder der Austausch großer Datenmengen. Weiterhin bestehen Unterschiede im intellektuellen Zugang zu Internetanwendungen (Brake 2013: 601f.), etwa zwischen Fähigkeiten, Informationen über aussagekräftige Suchbegriffe zu suchen, die Zuverlässigkeit einer Quelle zu beurteilen, oder Unterschiede bezüglich grundlegenden Wissens, wie Computer funktionieren. Noch anspruchsvollere Fähigkeiten verlangt die Anwendung von Programmiersprachen oder die Nutzung von Content-Management-Systemen. Auch die Ungleichheit der Motivation, das Internet überhaupt nutzen zu wollen und Ungleichheiten des sozialen Umfeldes, d.h. Personen, die Unterstützung leisten können, wenn die eigenen Fähigkeiten nicht ausreichen sind mögliche Quellen digitaler Ungleichheit. Ein breites Verständnis von Ungleichheiten des Zugangs ist notwendig, um Gefahren von digitalen Spaltungen zwischen Bevölkerungsgruppen erkennen zu können.
Über die Betrachtung der Ungleichheiten des Zugangs hinaus ist auch die Betrachtung der Internetnutzung aufschlussreich: Mittlerweile wird die unterschiedliche Nutzung des Internets als Quelle unterschiedlicher Teilhabe an der digitalen Lebenswelt verstanden. Min (2010: 23) stellt fest, dass anders als frühere technische Innovationen wie Radio, Fernsehen oder Autos, Computer und Internet wesentlich komplexere Technologien mit verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten sind, da sie als Plattformtechnologien für Information und Wissen zu verstehen sind. Im Gegensatz zu früheren Innovationen entstehen so schneller große Unterschiede zwischen den Fähigkeiten der BürgerInnen, die Technologie effektiv nutzen zu können. Die Frage nach dem Nutzungsverhalten der AnwenderInnen stellt dabei einen veränderten Blickwinkel auf Ungleichheiten dar, der allerdings auf ähnliche Ursachen digitaler Spaltung verweist, wie noch zu zeigen sein wird. Grundsätzlich unterschieden wird bei der Art der Nutzung des Internets eine informationsbezogene Nutzung von einer unterhaltenden Nutzung (Wei 2012: 303f.). Ersteres kann als „kapitalfördernde“ Nutzung, wie beispielsweise die Suche nach politischen Informationen, die Verfolgung von Karriereoptionen und die Nutzung von Informationsangeboten zu Gesundheit und Finanzen umschrieben werden. Diese Nutzung erhöht im Gegensatz zur rein unterhaltenden Nutzung individuelle Chancen in der Gesellschaft (Hargittai/Hinnant 2008) und zeigt einen positiven Zusammenhang zu politischem Wissen, Partizipation und der Aneignung sozialen Kapitals. Es ist davon auszugehen, dass eine möglichst vielfältige Nutzung der unterschiedlichen informationsbezogenen Angebote dazu führt, die Chancen des Internets und damit der digitalen Gesellschaft bestmöglich zu nutzen (Wei 2012: 311).
Es muss davon ausgegangen werden, dass eine geringe Teilhabe im digitalen Raum auch eine Exklusion in der analogen Gesellschaft nach sich zieht, da die Grenzen zwischen online und offline zunehmend verschwimmen und Online- und Offline-Aktivitäten sich mehr und mehr ergänzen (Initiative D21 2018: 7). Teilweise ist sogar zu erwarten, dass bestimmte Zugänge zu sozialen Ressourcen sich vollständig von der Offline- in die Onlinewelt verschieben und dadurch die gesellschaftliche Teilhabe der digital Abgehängten noch stärker gefährdet wird (Wei 2012: 312; DIVSI 2016: 76ff.). Gerade deshalb ist es mehr als geboten, insbesondere für die politischen Gestalter der Digitalisierung, sich die sozialen Folgen des Digitalisierungsprozesses vor Augen zu führen und drohende Exklusionstendenzen frühzeitig zu benennen und zu bekämpfen. Im Folgenden wird dargestellt, wie der Koalitionsvertrag der Großen Koalition von 2018 die digitale Spaltung in Deutschland beurteilt, welche Maßnahmen dagegen geplant sind und wie dies anhand aktueller Erkenntnisse über die digitale Spaltung in Deutschland zu bewerten ist.
1.1 Maßnahmen gegen die digitale Spaltung im Koalitionsvertrag
Der Koalitionsvertrag benennt grundsätzlich das Ziel, digitale Teilhabe für alle zu etablieren: Aufgabe der Großen Koalition sei, „die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit jeder [an der Digitalisierung] teilhaben kann“ (S. 37). Ob eine digitale Spaltung in Deutschland besteht oder aufzubrechen droht, wird trotz vorhandener Erkenntnisse dazu allerdings nicht erwähnt (Initiative D21 2018; DIVSI 2016: 76ff.). Stattdessen werden im Digitalisierungskapitel zunächst allgemeine Ziele benannt, die als Ansätze zur Herstellung digitaler Teilhabe in verschiedenen Bereichen interpretiert werden können. Ausführlich wird vom Ausbau der digitalen Infrastruktur gesprochen, aber auch von der „Vermittlung von digitalen Fähigkeiten […] für alle Altersgruppen“ (S. 37). Wie die geplanten Maßnahmen im Detail und vor dem Hintergrund des oben dargestellten Verständnisses von digitaler Spaltung aussehen, wird im Folgenden dargestellt.
1.1.1 Materieller Zugang
Ein großer Schwerpunkt liegt auf dem Thema ‚Ausbau von Infrastruktur‘, was dem materiellen Zugang der Bevölkerung zugutekommen soll. Laut Koalitionsvertrag ist ein flächendeckender Zugang „zum schnellen Internet aller Bürgerinnen und Bürger“ (S. 38) bis 2025 geplant, wobei vor allem auf Glasfasertechnologie gesetzt wird. Staatliche Einrichtungen sollen bereits in den nächsten vier Jahren an das Glasfasernetz angeschlossen werden. Ein weiterer Schwerpunkt liegt dabei auf den „unterversorgte(n) Gebiete(n) in ländlichen Regionen“ (S. 38) – ohne diese oder deren Bedarfe genauer zu benennen.
Zum Abgleich mit der Realität wird auf bereits veröffentliche Erhebungen zum Thema Digitalisierung in Deutschland zurückgegriffen. Die bekannteste Studie zum Stand der Digitalisierung der Gesellschaft in Deutschland und damit auch zum materiellen Zugang der Bevölkerung zum Internet ist der D21-Digital-Index (Initiative D21 2018).2 Die letzten Erhebungen der Initiative im Zeitraum von August 2016 bis Juli 2017 haben ergeben, dass 81% der Deutschen das Internet nutzen und die Zahl Jahr für Jahr leicht steigt. Der materielle Zugang ist daher allgemein recht hoch, wobei die Zahl von 19% „Offlinern“ nicht unerheblich ist. Als Gründe für die Nichtnutzung des Internets werden hauptsächlich mangelndes Interesse (81%), mangelnder Nutzen (30%), ausreichende Alternativangebote durch klassische Medien (30%) und eine zu hohe Kompliziertheit (22%) angegeben (Initiative D21 2018: 12f.). Es zeigt sich hieran bereits, dass Zugangshemmnisse nicht hauptsächlich im materiellen Zugang zu suchen sind, sondern eher im motivationalen und im intellektuellen Zugang. Nur je 1% der „Offliner“ haben angeben, dass der Grund für die Nichtnutzung des Internets die mangelnde Verfügbarkeit oder die Geschwindigkeit des Zugangs ist. Der massive Ausbau von Infrastruktur wird daher kaum etwas an der Spaltung zwischen 81% „Onlinern“ und 19% „Offlinern“ ändern.
1.1.2 Intellektueller Zugang
Als weitere Maßnahme ist im Koalitionsvertrag die „Digitale Bildungsoffensive“ (S. 39) genannt, die unter anderem „die digitale Selbstbestimmung und individuelle aktive Teilhabe“ zum Ziel hat. Sie könnte Mittel sein, den intellektuellen Zugang der Bevölkerung zum Internet zu stärken. Zunächst rückt die digitale Bildung von Kindern und Jugendlichen in den Fokus. Mit Blick auf die Schulen werden als entsprechende Maßnahmen der „Digitalpakt#D“ und der „Digitalpakt Schule“ erwähnt sowie die Einrichtung von „Kompetenzzentren für Digitalisierung“, die „technisches und pädagogisches Know-how“ vermitteln sollen. Der „Digitalpakt Schule“ sieht neben dem Ausbau von digitaler Infrastruktur an Schulen vor, dass alle neu eingeschulten SchülerInnen ab dem Schuljahr 2018/19 umfassende digitale Kompetenzen erlernen, die in einem Strategiepapier der Kultusministerkonferenz aufgelistet sind. Darunter befinden sich Suchen, Verarbeiten und Speichern von Informationen, digitale Kommunikations- und Kollaborationsmöglichkeiten, Erlernen von Kenntnissen zu Privatsphäre und Datenschutz im Internet, Problemlösung und Verwendung digitaler Werkzeuge, Kenntnisse zur Funktionsweise von Algorithmen, die Reflektion digitaler Medienangebote und viele weitere Kompetenzen (BMBF/KMK 2017; KMK 2016: 10ff.). Außerdem sollen Lehrer und Berufsschullehrer laut Koalitionsvertrag von „Maßnahmen zur digitalen Fort- und Weiterbildung“ (S. 40) profitieren. Aber auch in der Erwachsenenbildung sollen „Programme und digitale Angebote für Menschen jeden Lebensalters“ gefördert werden, „die dem Erwerb von Digitalkompetenzen dienen“ (S. 40). Und nicht zuletzt strebt der Koalitionsvertrag an, sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern anzunehmen und mittels beruflicher Weiterbildung dafür zu sorgen, dass diese „den sich immer schneller verändernden Qualifikationsanforderungen gerecht werden können“ (S. 41). Der Stellenwert der Weiterbildung wird sehr stark betont. Besonders wird davon gesprochen, mit Blick auf die Digitalisierung „eine neue Weiterbildungskultur“ zu etablieren.
Erkenntnisse zur Frage, in welchem Zustand sich die deutsche Gesellschaft in Bezug auf den intellektuellen Zugang befindet, liefert der D21-Digital-Index. Demnach gaben mit 22% ein erheblicher Anteil der Nicht-Nutzer des Internets an, dass sie aufgrund der zu hohen Kompliziertheit von der Nutzung absehen. Außerdem fühlte sich ein Drittel aller Befragten (also auch der „Onliner“) von der Dynamik und der Komplexität der Digitalisierung überfordert, unter den über 50jährigen waren dies sogar etwa 42%. Zusätzlich wurde gefragt, wie vertraut bestimmte Begriffe der digitalen Welt (z.B. „Cookies“, „Cloud“, „Darknet“, „Algorithmus“, „Elektronische Gesundheitsdienste“, „Big Data“, „E-Government“) sind, was ebenfalls als Indikator für intellektuellen Zugang interpretiert werden kann. Männer kennen sich mit allen abgefragten Begriffen besser aus als Frauen. „Offliner“ kannten fast keinen der abgefragten Begriffe. Dieses Defizit zeigte sich auch bei den über 50jährigen „Onlinern“: Sie wiesen erheblich niedrigere Fähigkeiten im Umgang mit allgemeinen Computeranwendungen wie Textverarbeitung, Anwendungsinstallation und Programmiersprachen auf und offenbarten damit Defizite im intellektuellen Zugang. Im Hinblick auf die Frage, ob die im D21-Digital-Index festgestellte digitale Spaltung des intellektuellen Zugangs zwischen „Onlinern“ und „Offlinern“, aber auch zwischen Alt und Jung oder zwischen Männern und Frauen verringert werden kann wird es im Lichte dieser Erkenntnisse sehr stark darauf ankommen, wie die vom Koalitionsvertrag vorgesehenen Maßnahmen ausgestaltet werden.
1.2 Schwächen des Koalitionsvertrags hinsichtlich digitaler Teilhabe
Bei der Betrachtung von Ungleichheiten bezüglich des motivationalen Zugangs der Bevölkerung zum Internet findet man im D21-Digital-Index Hinweise, die im Koalitionsvertrag kaum Beachtung finden. Es wurde festgestellt, dass 81% der „Offliner“ kein Interesse am Internet haben und 30% der „Offliner“ keinen Nutzen darin sehen. Mag dies teilweise auf Unkenntnis der Angebote und Möglichkeiten des Internets zurückzuführen sein, die durch erwähnte Weiterbildungen verringert werden könnte, so steckt doch mehr dahinter: Ein fehlender Anreiz, das Internet überhaupt nutzen zu wollen. Da niemand dazu gezwungen werden kann (und soll), die vielfältigen Möglichkeiten des Internets auch zu nutzen, stellt dies eine besonders schwierige Herausforderung dar. Zwar spricht der Koalitionsvertrag davon, dass die Regierung „Neugier auf digitale Technologien wecken“ (S. 37) will. Allerdings wird es stark darauf ankommen, wie dies umgesetzt wird, um vor allem ältere Menschen von den Vorteilen des Internets zu überzeugen und nicht ihren sozialen Ausschluss zu riskieren. Denn gerade, wenn mehr und mehr Dienstleistungen ausschließlich im Internet angeboten werden, riskiert der Staat hier eine digitale Exklusion großer Bevölkerungsgruppen, wenn nicht fundierte und lebensnahe Erklärungen gegeben werden, was genau die Vorteile des Einzelnen bei der Nutzung des Internets sind.
1.3 Spezielle Förderung einzelner Bevölkerungsgruppen
Ebenfalls nur sehr kurz geht der Koalitionsvertrag auf die spezielle Förderung einzelner, besonders von der digitalen Exklusion betroffener Bevölkerungsgruppen ein. Es wird erwähnt, dass „ältere Menschen bei der Digitalisierung nicht allein“ (S. 27) gelassen werden und durch Weiterbildung digitale Teilhabe erlangen sollen. Mit Blick auf die digitale Spaltung zwischen Alt und Jung, insbesondere beim intellektuellen Zugang, wird es darauf ankommen, ob dieser kurze Passus ernst genommen und mit ausreichenden Maßnahmen unterfüttert wird, um soziale Exklusion Älterer zu vermeiden. Noch kürzer ist der Absatz zur digitalen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Statt die Gefahr einer digitalen Exklusion von Menschen mit Behinderungen zu benennen, wird betont, dass die Digitalisierung „neue Teilhabechancen insbesondere für sinnesbehinderte und mobilitätseingeschränkte Menschen“ (S. 95) eröffnet. Es ist daher fraglich, ob die neue Bundesregierung die Herausforderungen bezüglich einer Inklusion von Menschen mit Behinderung in die digitale Lebenswelt erkannt hat, die sich besonders auf intellektuellen und sozialen Zugang beziehen könnten, da diese Menschen möglicherweise eine spezielle digitale Bildung oder aktive Unterstützung bei der Anwendung von Internetangeboten benötigen.
1.4 Nutzungsverhalten
Nicht nur unter den „Offlinern“, sondern auch unter den „Onlinern“ werden die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des Internets offenbar noch nicht voll ausgeschöpft. Leider liefert der D21-Digital-Index bezüglich unterschiedliche Nutzungsverhalten keine detaillierten Informationen, die exakt in informationsbezogene und unterhaltungsbezogene Nutzung unterschieden werden können. Auffällig ist aber, dass jeweils weniger als ein Drittel der Befragten „online bezahlen“ (30%), „Dienstleistungen online bestellen“ (22%), „Waren oder Dienstleistungen über das Internet verkaufen/anbieten“ (20%), „Cloud-Services“ nutzen (19%), „Blogs und Foren lesen oder selbst Inhalte einstellen“ (16%), oder „Lernangebote“ (11%) nutzen. Es kann daher vermutet werden, dass eine digitale Spaltung zwischen einer kleinen Anzahl fortgeschrittener Nutzer und einer großen Anzahl eingeschränkter Nutzer besteht, da diese Zahlen auffällig niedrig sind. Zwar trauen sich ca. 70% zu, eine Internetrecherche durchzuführen, allerdings sind dies wesentlich mehr Männer (75%) als Frauen (66%). Diese Ungleichheit zeigt sich ebenfalls bei der generell nur sehr eingeschränkt vorhandenen Fähigkeit, Inhalte in sozialen Netzwerken zu posten (45%), die bei Frauen (42%) ebenfalls noch einmal niedriger ausfällt, als bei Männern (48%). Diese Zahlen geben allerdings allenfalls Hinweise auf weitere digitale Spaltungen, da nur vereinzelt die Vielfalt der Nutzungsarten von verschiedenen Bevölkerungsgruppen abgefragt wurde. Mit Blick auf die Umfrageergebnisse scheint eine Erklärung der Nutzungsmöglichkeiten des Internets ebenso wie eine verstärkte digitale Bildung für die gesamte Bevölkerung sinnvoll. Spezielle Fördermöglichkeiten sollten außer für ältere Menschen auch für Frauen angeboten werden, die laut der Umfrage häufig niedrigere Kompetenzen aufweisen.
Es folgt nun ein thematischer Schwenk zum Umgang des Koalitionsvertrags mit dem Thema Daten und Datenethik. Anhand der geplanten Einführung eines BürgerInnenportals in der digitalisierten Verwaltung wird aufgezeigt, wie der Vertrag an das Thema herangeht, wo Herausforderungen erkannt werden und wie die angedachte Ethikkommission dabei helfen soll, sie zu lösen. All dies wird in den folgenden Ausführungen kritisch untersucht und einem abschließenden Fazit unterzogen.
2. Herausforderungen im Umgang mit Daten am Beispiel eines digitalen BürgerInnenportals
Ein zentrales Element im Koalitionsvertrag und gleichzeitig Vorreiterprojekt der Digitalisierung der Verwaltung ist das digitale BürgerInnenportal. Es soll die Vorteile eines digitalisierten Deutschlands für jede und jeden unmittelbar erlebbar machen, indem „praktisch alle Verwaltungsdienstleistungen elektronisch verfügbar“ (S. 12) gemacht werden. Im internationalen Vergleich hat man den Eindruck, dass Deutschland derzeit eher einen der hinteren Plätze in puncto Digitalisierung belegt (Accenture 2018). Länder wie Estland mit einer weit fortgeschrittenen E-Democracy, oder auch die skandinavischen Länder haben bereits gezeigt, wie eine digitalisierte Verwaltung aussehen kann. Natürlich haben sich auch schon einige potentielle Probleme für diese offenbart. So kann exemplarisch Estland angeführt werden, das nach jahrelanger sowjetischer Besatzung 1991 entschieden den Weg zur digitalen Demokratie ging und nach wie vor als Vorreiter angesehen werden kann. Entscheidend für die Sicherheit solcher Systeme scheint eine Onlinesignatur oder eine andere sichere Onlineidentifikation von BürgerInnen zu sein (Alvarez et al. 2009: 504). Gerade in Pilotphasen sind technische Probleme, interne Datenleaks, aber auch versuchte Manipulationen von außen zu erwarten. In Bezug auf technische Unsicherheiten scheint man sich in Deutschland schwer zu tun. Dennoch will Staatsministerin Dorothee Bär nicht mehr über die Kritik an digitalisierter Verwaltung reden, sondern sich vielmehr auf Potenziale fokussieren. Die Digitalisierungskritik ist in Deutschland besonders stark und hemmt die zügige Umsetzung von Innovationen. Gerade diese grundkritische Haltung könnte aber auch ein Vorteil in der Entwicklung sein, wenn beispielsweise keine ausnahmslos technikeuphorische Haltung propagiert wird, sondern eine kritische Analyse in Digitalisierungsprozesse eingebaut wird.
2.1 Digitales BürgerInnenportal
Der Aufbau eines digitalen BürgerInnenportals ist nicht unbedingt eine neue Entwicklung. Schon seit einigen Jahren wird die Einführung eines Portals angestrebt, das BürgerInnen helfen soll, viele Behördenkontakte zu vereinfachen. Ein BürgerInnenportal soll Wartezeiten verkürzen, Gänge zum Amt überflüssig machen und somit nicht nur die Zeit der BürgerInnen, sondern auf lange Sicht auch Kosten einsparen. Die Schwierigkeit in der Entwicklung einer solchen Plattform findet sich aber schon in der Uneinigkeit darüber, welche Software eingesetzt werden soll. Zudem ist es nicht ganz leicht, die unterschiedlichen Verwaltungsaufgaben technisch umzusetzen, die ein solches Portal abdecken sollte. Dies bedeutet allerdings nicht, dass dies gänzlich unmöglich ist, denn allem voran ist dies eine Frage des Willens. Ähnliches ist beispielsweise in den Niederlanden durchaus gelungen, wo jede Bürgerin und jeder Bürger per sogenannter „Bürgerservicenummer“ vielfältige Dienste von Stadtverwaltungen online abrufen kann und auf der personenbezogene Daten gespeichert sind (Gemeinde Utrecht 2018). Zwar haben es die kleineren Nachbarn alleine schon wegen der Landesgröße leichter, solche Systeme aufzubauen. Entscheidender erscheint dennoch der politische Wille für die Umsetzung solcher Systeme, der sich vor allem in der Bereitstellung von finanziellen Mitteln sowie einer engen politischen Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen ausdrücken würde. Angesichts seit langem bestehender Forderungen nach Modernisierung von Stadtverwaltungen ist es nicht verwunderlich, dass große Hoffnungen an das BürgerInnenportal geknüpft werden. Abgesehen von den technischen, finanziellen und politischen Schwierigkeiten finden sich aber auch ethische Hindernisse in der Entwicklung solcher Systeme, insbesondere mit Blick auf den Umgang mit personenbezogenen Daten.
2.2 Umgang mit Daten
Der Umgang mit Daten ist in Deutschland allgemein und auch im Koalitionsvertrag ein sensibles Thema. Medial wurde beispielsweise auf die ökonomischen Interessen von Anbietern sozialer Netzwerke beim Umgang mit Daten hingewiesen und eine erste Sensibilisierung von BürgerInnen bezüglich des Themas wird deutlich (Broy/Precht 2017; Seibt/Siemens 2017; Beuth 2017; Reichert 2018). Auch der aktuelle Fall Rund um das Unternehmen Cambridge Analytica offenbart, wie Facebookdaten beispielsweise für politische Zwecke genutzt werden können (Lobo 2018). Datenschutz wird in Deutschland großgeschrieben, aber gleichzeitig will die neue Bundesregierung laut Koalitionsvertrag auf Datensicherheit setzen. „Damit Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Institutionen die Potenziale der Digitalisierung wahrnehmen, braucht es ein grundlegendes Vertrauen in die Sicherheit und Vertraulichkeit von Kommunikation, Daten und IT-Strukturen“ (S. 44). Wie genau dieses Vertrauen auch technisch umgesetzt werden soll, ist zentral. Allerdings verschweigt der Koalitionsvertrag große Herausforderungen, die mit diesem Thema verbunden sind. Die technische Umsetzung des Datenschutzes in der digitalisierten Verwaltung gestaltet sich beispielsweise schwierig, da jedes technisches System gehackt und von staatlicher Seite keine hundertprozentige Datensicherheit garantiert werden kann. Insbesondere ist ein stärker vernetztes System, das durchaus in der Lage sein sollte, verschiedene Behörden miteinander kommunizieren zu lassen, anfälliger für Datenverluste. Ein effektives Datenmanagement und ein genauer Sicherheitsplan werden zu diskutieren sein.
Welche Wertekonflikte beim Thema Datenaustausch zusätzlich entstehen können, wird am Beispiel des internationalen Datenaustausches mit Behörden der USA klar. Laut Koalitionsvertrag ist “[f]reier und sicherer Datenaustausch mit anderen Wirtschaftsräumen […] eine Grundvoraussetzung für den Erfolg der deutschen und europäischen Digitalwirtschaft“ (S. 43). In Bezug auf die Sicherheit der Daten wird weiter ausgeführt: „Wir wollen den transatlantischen Datenaustausch auf Grundlage des EU/US-Privacy-Shield erhalten. Gleichzeitig werden wir uns auf europäischer Ebene dafür einsetzen, entsprechende wirksame Abkommen zum Schutz des Datenaustausches auch mit anderen Weltregionen anzustreben“ (S. 43). Oberstes Gebot ist folglich die Datensicherheit. Ein Wertekonflikt auf mehreren Ebenen ist allerdings abzusehen. Erstens ist der Begriff der Privatssphäre ein stark kulturell geprägter Begriff, der unterschiedlich verstanden und ausgelegt werden kann. Es wird zwangsläufig zu spezifizieren sein, was unter Privatsphäre für BürgerInnen in Bezug auf Daten zu verstehen ist. Wird von Privatheit im Sinne von ‚Uneinsichtigkeit für Dritte‘ gesprochen? Wenn ja, wer sind diese ‚Dritten‘? Wird kommerzielle Überwachung weiterhin legitim sein, wenn sie dem wirtschaftlichen Erfolg dienlich ist? Die Referenz zu einer vermeintlichen Datensicherheit von BürgerInnen scheint sich primär an wirtschaftlichen Interessen zu orientieren und wenig an einem diversen Verständnis von Privatheit als Schutz von BürgerInnen. Unter einer rein wirtschaftlichen Prämisse ist allerdings davon auszugehen, dass sich im Moment eines Datenhandels das Privatheitsverständnis des wirtschaftlich Stärkeren durchsetzen wird.
Die Privatsphäre ist ohne Zweifel ein wichtiger Bestandteil moderner Demokratien und nicht umsonst in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonventionen verankert. Gerade aber wenn Systeme wie das angedachte BürgerInnenportal vernetzter sein werden, stellt das eine Herausforderung für die Privatsphäre von Menschen dar. Beispielsweise ist es denkbar, unterschiedliche Ämter vernetzter miteinander kommunizieren zu lassen. Allerdings erlauben detailreiche Datenanalysen differenzierte Einblicke beispielsweise in Geschlecht, sexuelle Orientierung, politische Gesinnung oder den sozioökonomischen Hintergrund von Menschen. Diese Einsichten könnten einerseits ohne Zweifel für eine differenziertere Sozialpolitik genutzt werden, sind aber dennoch als unmittelbarer Widerspruch zu demokratischen Prinzipien wie dem Schutz des Privatlebens zu verstehen. Wenn digitale BürgerInnenportale völlig neugestaltet werden, sollte dieser Punkt bereits bei der Implementierung Beachtung finden. Der Koalitionsvertrag schweigt allerdings dazu. Gerade im Bezug auf BürgerInnenportale, stellt sich ganz konkret die Frage, welche Schritte angedacht werden, um Datenprivatheit von BürgerInnen sicherzustellen und gleichzeitig mit nationalen und internationalen Institutionen zu kooperieren.
Auch die Kontrolle über eigene Daten ist ein wichtiger Aspekt. Hier offenbart der Koalitionsvertrag Lücken. Besondere Komplexität, die der Koalitionsvertrag verschweigt, ist in Bezug auf kommerzielle Datenanbieter zu erwarten. Öffentliche Behörden sind längst nicht mehr in der Lage, notwendige Daten vollständig eigenständig zu erheben und müssen daher auf kommerzielle Anbieter zurückgreifen. Diese Anbieter haben aber oftmals andere Standards bei ihrer Datenerhebung, als die öffentlichen Behörden selbst. So muss beispielsweise die Genauigkeit von Datensets, die durch kommerzielle Anbieter erhoben wurden, vor der Verwendung von öffentlichen Verwaltungen geprüft und adressiert werden. Bei Datenerhebungen von Drittanbietern besteht allerdingt die Gefahr, dass die erhobenen Daten für kommerzielle Zwecke weiterverwendet werden. Daten haben immer auch etwas mit Wissen zu tun. So lässt sich mit genaueren Daten über Lebensgewohnheiten, Krankheiten oder auch über den sozioökonomischen Hintergrund von BürgerInnen nicht nur ein besserer BürgerInnenservice anbieten, sondern natürlich lassen sich auch Rückschlüsse auf deren Konsumverhalten ziehen.
Darüber hinaus sollte eine sorgfältige und informationsgeleitete Kommunikation des Staates mit dessen BürgerInnen über Absichten der Weitergabe persönlicher Daten nicht nur oberstes Gebot sein. Spätestens mit dem Inkrafttreten der neuen personenbezogenen Datenschutzverordnung der EU (Trunomi 2018) wird das ein Muss. Bereits jetzt lässt sich allerdings feststellen, dass seitenlange Datenschutzerklärungen kaum zum besseren Kenntnisstand von BürgerInnen führt. Es muss darüber nachgedacht werden, in welcher Art und Weise Menschen über die Weitergabe ihrer Daten informiert werden können, die von diesen auch verstanden wird. Momentan hat es eher den Anschein, dass gerade durch die extrem detailreiche Informationsflut Menschen sogar weniger auf ihre Daten achten, da ein Eindruck von Sicherheit vermittelt wird. Im Koalitionsvertrag lautet es dazu: „Daten sind der Treibstoff für Innovationen und neue Dienste. Diese wollen wir ermöglichen und gleichzeitig den hohen und weltweit angesehenen Datenschutzstandard Europas und Deutschlands halten. Um die Chancen und den Nutzen behördlicher Verwaltungsdaten für Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger noch weiter zu verbessern, werden wir im Rahmen eines zweiten Open Data Gesetzes die Bereitstellung von Open Data ausweiten“ (S. 46).
2.3 Ethikkommission
Als Lösungsansatz für viele der Herausforderungen im Umgang mit Daten wird im Koalitionsvertrag der Großen Koalition die Einführung einer Daten-Ethikkommission angedacht. Sie soll „Regierung und Parlament innerhalb eines Jahres einen Entwicklungsrahmen für Datenpolitik, den Umgang mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz und digitalen Innovationen“ vorschlagen und „einen Weg definieren, der gesellschaftliche Konflikte im Bereich der Datenpolitik auflöst“ (S. 47). Weitere Ausführungen finden dazu nicht statt. Was im Koalitionsvertrag nur kurz erwähnt wird, soll im Folgenden mit inhaltlichen Vorschlägen gefüllt werden.
Die Ethikkommission wäre besonders wegen des angesprochenen Wertekonflikts zwischen Staat und kommerziellen Anbietern und den Interessen von BürgerInnen relevant. Daher ist es wenig verwunderlich, dass die Bundesregierung eine Ethikkommission ins Leben rufen will, die sich besonders mit den digitalen Herausforderungen beschäftigt. Ethikkommissionen habe in den letzten Jahren besonders in der Evaluierung von technischen Schwierigkeiten einen Boom erlebt. So scheint es gerade dann einen Bedarf an vermehrter ethischer Konsolidierung zu geben, wenn es im politischen System einer Abschätzung von etwaigen Technikfolgen für die Entwicklung einer Gesellschaft bedarf (Bieber 2013: 234). Während die Einsetzung von Ethikkommissonen zwar zu hilfreichen Impulsen für vielfältige Debatten führen kann, wurde dennoch darauf hingewiesen, dass hohe normative Anforderungen an solche Gremien bisher kaum erfüllt werden konnte (Bieber 2013).
Wünschenswert wäre hierbei Ethik als wissenschaftliche Disziplin zu verstehen, die nicht moralisiert, sondern Möglichkeiten und Potenziale von Digitalisierung bewertet (Pieper 2017: 10). Es wird bezüglich der Kommission insbesondere zu fragen sein, wie sie besetzt wird. Digitalisierung ist keine Welle, die über das Land hereinbricht, sondern kann als eine Entwicklung gesehen werden, die es nach Werten und spezifischen Vorstellungen zu gestalten gilt. Gerade deshalb ist kritisch zu hinterfragen, wer diesen Wandel evaluieren und gestalten wird. Drei Punkte sind zum jetztigen Zeitpunkt für die Arbeit einer solchen Kommission wichtig: Erstens sollte dabei auf die technischen Aspekte geachtet werden, das heißt, inwiefern bereits Werte in der Sammlung und Aufbereitung von Daten eingebettet sind. Technik folgt immer einer gewissen Logik und diese gilt es zu reflektieren (van den Hoven 2007: 67). So muss beispielsweise schon in der Erhebung von Daten entschieden werden, welche Daten später gebraucht werden. Sobald die Daten erhoben sind, müssen Datensets ‚bereinigt‘ werden, das heißt, von bestimmten, für die Analyse nicht wichtigen Faktoren befreit werden. All dies hat mit Interessen und persönlichen Wertigkeiten zu tun, die sich dann auch im Set wiederspiegeln. Zweitens sollte die Ethikkommission ständig evaluieren, inwiefern digitale Reformen soziale Ungleichheit befördern könnten und wie einer solchen Entwicklungen entgegen zu wirken ist. Und als dritte Aufgabe wäre eine gezielte Reflexion über die digitale Bildung und ihre Auswirkungen auf die Autonomie von BürgerInnen wünschenswert, auch, aber nicht nur, bezüglich eines selbstbestimmten Umgangs mit Daten. Die Konsolidierung einer Ethikkommission kann daher nur sinnvoll sein, wenn Interessenskonflikte und deren zugrunde liegende Werteunterschiede in politische Debatten zurückgeführt werden und nicht hinter verschlossenen Türen von Experten entschieden werden (Bieber 2013: 235).
3. Fazit
Abschließend lässt sich sagen, dass die Vorhaben der Bundesregierung groß, aber an vielen Stellen des Koalitionsvertrags noch vage sind. Die digitalisierte Aufbereitung von personenbezogenen Daten stellt ohne Zweifel einen notwendigen Schritt in Richtung digitalisierte Verwaltung in der kommenden Legislaturperiode dar. Nichtsdestotrotz sollte nicht übersehen werden, dass es neben technischen Lösungen auch einer ethischen Evaluierung sowie einer Etablierung von klaren und strikten technischen Standards bedarf. Neben der Umsetzung von zeitgemäßen digitalen Lösungen muss im Sinne einer breiten Aufklärung vor allem an der Digitalkompetenz von BürgerInnen gearbeitet werden. Hier zeigt sich auch der Schnittpunkt zum Thema digitale Spaltung: Statt Digitalisierung primär als Ausbau von Infrastruktur zu verstehen, sollte die digitale Bildung vorangetrieben werden, um einer Exklusion von einzelnen Bevölkerungsgruppen von der digitalen Gesellschaft zu vermeiden und zugleich eine selbstbestimmte Nutzung von Internetanwendungen zu ermöglichen und Autonomie und Teilhabe der BürgerInnen zu stärken.
Die massive Förderung von digitaler Infrastruktur wird in Bezug auf die digitale Spaltung zwischen „Onlinern“ und „Offlinern“ nichts ändern, da die Gründe für die Nicht-Nutzung eher im intellektuellen und motivationalen Zugang liegen. Die „Digitale Bildungsoffensive“ klingt hingegen vielversprechend, auch mit Blick auf die bestehenden intellektuellen Defizite in der deutschen Bevölkerung. Sie birgt Hoffnungen, die digitale Spaltung in Deutschland zu verringern, allerdings nur, wenn ihr nicht nur auf dem Ausbau von schulischer Digital-Infrastruktur, sondern vielmehr auf den zu vermittelnden Kompetenzen liegt. Zur Herstellung von Chancengleichheit sind die geplanten Maßnahmen im Bereich Schule sinnvoll, insbesondere der umfangreiche Kompetenzkatalog des Strategiepapiers der Kultusministerkonferenz auf den der „Digitalpakt Schule“ verweist (KMK 2016: 10ff.). Zur Beseitigung bereits vorhandener digitaler Spaltungen kann darüber hinaus die Bedeutung von Erwachsenenbildung und beruflicher Weiterbildung nicht hoch genug bewertet werden. Es bleibt zu hoffen, dass hier in der Regierungsarbeit ein großer Schwerpunkt liegen wird, insbesondere da derzeit eine klare digitale Spaltung zwischen älterer und jüngerer Bevölkerung besteht. Vom Koalitionsvertrag unbeachtet ist hingegen die Frage des Anreizes, das Internet überhaupt zu nutzen. Eine groß angelegte Bewerbung der Vorteile des Internets, insbesondere für ältere Menschen, scheint notwendig. Noch nicht erkannt wurden darüber hinaus potenzielle neue Spaltungen, die durch unterschiedliches Nutzungsverhalten hervorgerufen werden könnten, wie auch eine notwendige spezielle Förderung von Frauen, die in vielen Bereichen des digitalen Lebens geringere Kompetenzen aufweisen als Männer. Möglicherweise höhere Anforderungen von Menschen mit Behinderung an die digitale Teilhabe wurden bislang überhaupt nicht reflektiert.
In Bezug auf ethische Gesichtspunkte bedeutet das: Nur über das Verständnis im Umgang mit technischen Systemen und das Verständnis der zugrundeliegenden, implizierten Normen und Werte kann ein politischer Diskurs darüber geführt werden, wie solche Systeme in der Zukunft aussehen sollen und wie die gesamte Gesellschaft am digitalen Fortschritt teilhaben kann. Bei gelungener Umsetzung könnten hohe Standards der digitalen Teilhabe und der ethischen Reflexion ein Alleinstellungsmerkmal Deutschlands werden. Ein kritischer Zugang zur Digitalisierung, wie er in Deutschland derzeit gepflegt wird, sollte somit nicht als Digitalisierungshindernis, sondern als eine Chance gesehen werden.
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Zitationshinweis:
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- Im Koalitionsvertrag vom 7.2.2018, der am 12.3.2018 unterzeichnet wurde, tauchen allein der Wortstamm ‘digi’ 298 Mal und das Schlagwort ‘Digitalisierung‘ 93 Mal auf. [↩]
- Seit 2013 erhebt die Initiative D21 jährlich repräsentative Daten, die einige Hinweise auf die Tiefe der digitalen Spaltung in der deutschen Bevölkerung geben. [↩]