Governance städtischer Nachhaltigkeitspolitik in Deutschland

© Institut für Politikwissenschaft der TU Darmstadt

Städte werden regelmäßig als entscheidende Akteure und Orte für eine nachhaltige Entwicklung bezeichnet. Um diese zu erreichen, gilt die aktive Einbindung von Bürgerinnen in Policy-Making-Prozesse vielfach als Grundvoraussetzung. Wie Präferenzen der Stadtgesellschaft bei der Initiierung und Verstetigung städtischer Nachhaltigkeitsbemühungen aber tatsächlich einbezogen werden und welche Rolle unterschiedliche kommunale Institutionen hierbei spielen, ist bislang nicht tiefergehend betrachtet worden. Diese Fragestellungen greift Svenja Bauer-Blaschkowski von der TU Darmstadt in diesem Beitrag auf. 

Kommunen sind zentral für die Umsetzung global und national formulierter Nachhaltigkeitsziele. Hier werden abstrakte Zielsetzungen durch politische Maßnahmen wie den Ausbau von Radwegen, die Einrichtung von KiTa-Plätzen oder die Einführung von Recup-Systemen konkretisiert und vor Ort für Bürgerinnen erfahrbar. Gleichsam wird für Politik und Verwaltung auf lokaler Ebene unmittelbar ersichtlich, ob Maßnahmen erfolgreich zu einer nachhaltigeren Entwicklung beitragen und ob diese auch gesellschaftlich trag- und politisch mehrheitsfähig sind.

Governance städtischer Nachhaltigkeitspolitik in Deutschland

Institutionalisierung und Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure in 13 „Leader“-Städten

Autorin

Svenja Bauer-Blaschkowski ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich öffentliche Verwaltung und Public Policy am Institut für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Darmstadt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der vergleichenden Policy Analyse, lokaler Politik und Nachhaltigkeitspolitik.

Kommunen sind zentral für die Umsetzung global und national formulierter Nachhaltigkeitsziele. Hier werden abstrakte Zielsetzungen durch politische Maßnahmen wie den Ausbau von Radwegen, die Einrichtung von KiTa-Plätzen oder die Einführung von Recup-Systemen konkretisiert und vor Ort für Bürgerinnen erfahrbar (Bogumil & Holtkamp 2013: 8). Gleichsam wird für Politik und Verwaltung auf lokaler Ebene unmittelbar ersichtlich, ob Maßnahmen erfolgreich zu einer nachhaltigeren Entwicklung beitragen und ob diese auch gesellschaftlich trag- und politisch mehrheitsfähig sind.

Auf kommunaler Ebene kommt hierbei insbesondere Städten eine wichtige Rolle zu. Sie sind Lebensmittelpunkt für 77 Prozent der Menschen in Deutschland. Sie gelten gemeinhin als Treiber für die Entwicklung innovativer Policies und als Reallabore für eine Erprobung ebendieser. Nachhaltigkeit – im Sinne  eines mehrdimensionalen Konzeptes mit wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen, bisweilen auch kulturellen oder Good-Governance Aspekten – fällt in Deutschland nahezu gänzlich in den Bereich freiwilliger Aufgaben der Kommunen. Städte haben daher einen großen Gestaltungsspielraum bei der Initiierung, Formulierung und Implementierung von Nachhaltigkeitspolicies. Diesen nutzen sie höchst unterschiedlich: Während sich bei 19 Prozent der deutschen Groß- und Mittelstädte (mindestens 50.000 Einwohner) keinerlei Engagement für Nachhaltigkeit feststellen lässt, informieren zahlreiche Städte umfangreich über das Thema, formulieren 20 bzw. 27 Prozent der Städte Nachhaltigkeitsstrategien oder -leitbilder oder erfassen ihre Nachhaltigkeitsfortschritte systematisch (24 Prozent) (Bauer-Blaschkowski 2023). Circa 10 Prozent der Städte kristallisieren sich hierbei als „Leader“ heraus, die vielfältige Nachhaltigkeitspolicies nutzen, sich in Netzwerken austauschen oder auf nationaler Ebene im Rahmen des „Oberbürgemeisterdialogs“ (angegliedert an den Rat für Nachhaltige Entwicklung) auf Nachhaltigkeitsbelange aufmerksam machen. Hierbei handelt es sich um wirtschaftlich, geografisch und soziostrukturell durchaus diverse Städte.

Neuere Analysen zeigen, dass Städte sich insbesondere dann für Nachhaltigkeit einsetzen,

  • wenn im Rat der Sitzanteil linker Parteien oder Wählervereinigungen mit sozial-ökologischer Policy-Orientierung hoch ist,
  • wenn sich die Stadt mit ökologischem Problemdruck, wie beispielsweise einer starken Flächenversiegelung, konfrontiert sieht,
  • wenn ihre Bevölkerung gebildet und urban geprägt ist, oder
  • wenn sie über ein nachhaltigkeitspolitisches Erbe verfügt, also sich bereits in den 1990er oder 2000er Jahren im Zuge der global initiierten Lokalen Agenda 21-Bewegung Stadt und Bürgerinnen für Nachhaltigkeit engagierten.

Daneben begünstigt die namentliche Institutionalisierung von Nachhaltigkeit innerhalb der Stadtverwaltung das Ausmaß des nachhaltigkeitspolitischen Engagements ebenso wie eine konkordanzorientierte, stärker auf Aushandlung und Kompromiss ausgelegte kommunale Institutionenkonstellation. Diese Befunde verdeutlichen, dass auf lokaler Ebene sowohl das institutionelle Arrangement als auch die Einstellungen der Bürgerschaft hochrelevant für umfassende Nachhaltigkeitsbemühungen sind. Dies ist wenig verwunderlich: Denn auf lokaler Ebene stehen Staat und Bürgerinnen in einem besonders nahen Verhältnis. Regiert wird regelmäßig hierarchisch, verwaltungsdominiert und im Zusammenspiel mit gewählten Vertreterinnen (Holtkamp & Bogumil 2016: 8), aber auch häufig mit direkter Einbindung zivilgesellschaftlicher Gruppen oder der Bürgerschaft, sodass deren Präferenzen auf lokaler Ebene besonders oft in Politiken übersetzt werden sollten (Gross & Jankowski 2021: 220). Für Policy-Entscheidungen mit dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung gilt die aktive Einbindung von Bürgerinnen aus normativer Perspektive mitunter gar als Grundvoraussetzung (vgl. u.a. Bertelsmann Stiftung 2016: 20).

Wie Präferenzen der Stadtgesellschaft bei der Initiierung und Verstetigung städtischer Nachhaltigkeitsbemühungen aber tatsächlich einbezogen werden und welche Rolle unterschiedliche kommunale Institutionen hierbei spielen, ist bislang nicht tiefergehend analysiert worden. Eine Analyse städtischer Nachhaltigkeitspolitik aus einer Governance-Perspektive erscheint daher besonders naheliegend (vgl. hierzu auch: Bogumil & Holtkamp 2013: 13). Unter Governance wird im vorliegenden Beitrag das Steuern und Koordinieren unter Berücksichtigung nicht-staatlicher Akteure mit dem Ziel, Interdependenzen zu managen, verstanden (Benz & Dose 2004: 24). Steuerung und Koordination beruhen dabei auf institutionalisierten Regelsystemen. Governance umfasst zudem Interaktionsmuster und Modi kollektiven Handelns, die sich im Rahmen von Institutionen ergeben (Benz & Dose 2004: 24). Diesem Governance-Verständnis folgend werden sowohl staatliche als auch gesellschaftliche Akteure in den Blick genommen und ihr Zusammenwirken und Agieren im Rahmen von Institutionen betrachtet. Ein besonderes Augenmerk gilt hierbei Institutionen innerhalb der kommunalen Verwaltung, die die politischen Entscheidungsprozesse auf der kommunalen Ebene nach wie vor maßgeblich prägt (Holtkamp & Bogumil 2016: 8). Daran anknüpfend ergeben sich folgende Fragestellungen für den vorliegenden Beitrag: Wie wird Nachhaltigkeit in Städten institutionell verankert? Wie werden zivilgesellschaftliche Akteure und Bürgerinnen in nachhaltigkeitspolitische Policy-Making Prozesse eingebunden oder sind sie sogar maßgeblich für deren Initiierung? Gibt es Varianzen oder Gemeinsamkeiten und lassen sich hieraus übergreifende Rückschlüsse darauf ziehen, welche Governance-Arrangements eine ambitionierte städtische Nachhaltigkeitspolitik begünstigen?

Zur Beantwortung der Fragestellungen sollen 13 nachhaltigkeitspolitische Leader-Städte in den Fokus der Analyse gerückt werden, die ein besonders umfassendes Set an Nachhaltigkeitspolicies nutzen und sich damit einer ambitionierten Nachhaltigkeitspolitik verschrieben haben. Informationen hierzu basieren auf einer Vollerhebung der Nachhaltigkeitspolicies deutscher Städte mit mindestens 50.000 Einwohnern, die 2021 durchgeführt wurde (Bauer-Blaschkowski 2021; 2023). Als zentrale Datenquellen für die nachfolgende Analyse dienen 13 semi-strukturierte Interviews, die 2021 mit den Leiterinnen der für Nachhaltigkeit zuständigen Verwaltungseinheiten geführt wurden. Auf Wunsch zahlreicher Interviewpartnerinnen wurde die Fallauswahl anonymisiert.

Bei der institutionellen Verortung von Nachhaltigkeit in der Verwaltungsstruktur zeigen sich zwischen den Leader-Städten strukturelle und inhaltliche Unterschiede. Bei sieben Leadern ist der Begriff „Nachhaltigkeit“ oder „nachhaltige Entwicklung“ in der Denomination der zuständigen Verwaltungsstelle explizit enthalten, sodass die Relevanz des Themas unmittelbar ersichtlich wird.

In rund der Hälfte der Städte ist Nachhaltigkeit in einem Dezernat oder Amt angesiedelt, das für Umwelt und/oder Klimaschutz zuständig ist. Es finden sich aber auch Zuordnungen zu den Bereichen Internationales und globale Entwicklung oder zum Bereich Stadtentwicklung. Aus dieser Varianz bei der fachlichen Zuordnung wird zugleich auch die unterschiedliche historische Genese des Nachhaltigkeitsverständnisses der Städte ersichtlich, die sich auch im Zuge der Interviews rekonstruieren ließ. Während in vielen Städten zunächst ein primär ökologisches Verständnis von Nachhaltigkeit vorherrschte, begriffen andere Städte Nachhaltigkeit aus einer globalen Entwicklungsperspektive oder als Instrument zur Steuerung einer ganzheitlichen, integrierten Stadtentwicklung.

In fünf Städten ist Nachhaltigkeit in kein Amt oder Referat eingegliedert, sondern als Stabsstelle verankert oder unmittelbar der Oberbürgermeisterin oder der Stadtpräsidentin zugeordnet. In den Interviews erläutern die Gesprächspartnerinnen unterschiedliche Vorzüge, die mit der jeweiligen Institutionalisierung einhergehen: Die Verankerung als Stabsstelle oder beim OB-Dezernat bewirkt eine Nähe zur Stadtspitze, verdeutlicht die aktuelle politische Relevanz des Themas in der Stadt („Nachhaltigkeit ist Chefinnensache“), erleichtert die verwaltungsinterne Vernetzung und sorgt für eine verbesserte Querschnittsbearbeitung der mehrdimensionalen Thematik. Die Verankerung entlang der klassischen Verwaltungsstrukturen erschwert zwar die Querschnittsbearbeitung, stärkt aber zugleich etwaige Vorhaben, da diese den Rückhalt eines gesamten, in der Regel seit Jahren bestehenden Amtes oder Dezernates genießen, von dessen Spitze in den traditionellen Verwaltungsstrukturen vorangetrieben werden können und dort auf mehr Akzeptanz stoßen.

Die verwaltungsinterne Funktion der für Nachhaltigkeit zuständigen Einheiten beschreiben die Interviewpartnerinnen insbesondere als informierend, koordinierend, vernetzend und integrierend. Sie sensibilisieren die gesamte Verwaltung für Nachhaltigkeitsaspekte, tragen Informationen zu Nachhaltigkeitsaktivitäten und -fortschritten aus den einzelnen Ämtern zusammen, machen diese sichtbar oder greifen bei der Policy-Formulierung auf die fachliche Expertise der Ämter zurück.

In fünf Leader-Städten existieren zusätzlich verwaltungsintern institutionalisierte Gremien, die unter Bezeichnungen wie Steuerungsgruppe, Lenkungskreis, Arbeitsgemeinschaft, Forum oder Kernteam firmieren. Hierbei handelt es sich um Gremien, die aus (einer oder mehreren) Vertreterinnen aller Dezernate, teilweise sogar aller Ämter sowie den für Nachhaltigkeit zuständigen Einheiten bestehen und die sich regelmäßig zu Nachhaltigkeitsmaßnahmen oder strategischen Fragen beraten. Eine nähere Betrachtung zeigt, dass diese Gremien fast ausschließlich in Städten institutionalisiert werden, in denen Nachhaltigkeit entsprechend einer sektoralisierten Verwaltungslogik einem einzelnen Dezernat zugeordnet ist. Nach Einschätzung der Interviewpartnerinnen tragen die Gremien tatsächlich erheblich dazu bei, Fachlogiken aufzubrechen, den dezernatsübergreifenden Austausch zu Nachhaltigkeitsthemen zu erleichtern und zu systematisieren und sorgen dafür, dass es in allen Dezernaten und Ämtern Ansprechpartnerinnen für Nachhaltigkeit gibt.

In drei Städten bestehen Doppelstrukturen, in denen neben den bereits genannten Verwaltungseinheiten so genannte (lokale) Agendabüros mit Nachhaltigkeit befasst sind. Die Agendabüros wurden im Zuge des Lokalen Agenda 21-Prozesses in den 1990er Jahren oder Anfang der 2000er Jahre in zahlreichen Leader-Städten eingerichtet, aber mittlerweile überwiegend aufgelöst oder institutionell neu eingebunden. In den Städten mit Doppelstruktur erfüllen sie eine Scharnierfunktion zwischen Verwaltung und Bevölkerung. Die Agendabüros unterstützen aus der Verwaltung heraus vorrangig die Vernetzung und Koordination zivilgesellschaftlicher Interessengruppen, stellen Informationen bereit und dienen als Anlaufstelle für interessierte Bürgerinnen.

In sechs Leader-Städten wurden so genannte Nachhaltigkeitsbeiräte institutionalisiert, in denen Vertreterinnen zivilgesellschaftlicher Initiativen oder Interessengruppen, aus der Wirtschaft und der Wissenschaft sitzen. Die Beiräte haben vor allem eine Beratungsfunktion und sollen gesellschaftliche Expertise in den städtischen Nachhaltigkeitsprozess integrieren. Dabei zeigt sich eine deutliche Varianz zwischen rein zivilgesellschaftlich besetzten Beiräten und solchen, in denen auch Verwaltungsmitarbeiterinnen oder Mitglieder der Ratsfraktionen vertreten sind und denen damit auch eine stärkere Austauschfunktion zwischen Stadt und Zivilgesellschaft zukommt. Sieben Städte haben 2021 noch keinen Beirat institutionalisiert. In einer Stadt war zum Interviewzeitpunkt ein Antrag hierfür formuliert. In zwei Städten gibt es Nachhaltigkeitsforen, die rein der Vernetzung und dem Austausch zivilgesellschaftlicher Akteure dienen und hierbei von der Verwaltung unterstützt werden. In vier Städten findet sich kein vergleichbares existierendes oder in Planung befindliches Gremium. Interessanterweise handelt es sich bei den Städten ohne institutionalisierten Nachhaltigkeitsbeirat um sämtliche Städte, die eine verwaltungsinterne Doppelstruktur aus zuständiger Einheit und Agendabüro mit aufgebaut haben und die stark hierüber den Austausch mit zivilgesellschaftlichen Gruppierungen pflegen.

Um zivilgesellschaftliche Akteure darüber hinaus in die Nachhaltigkeitsprozesse der Städte einzubinden, nutzen die Leader vielfältige weitere Formate. Hierbei differenzieren die Interviewpartnerinnen deutlich zwischen der Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft und der Stadtgesellschaft bzw. den einzelnen Bürgerinnen. Alle Städte unterstützen Initiativen und Vereine durch Marketing, Infomaterial und Webseitenpräsenz bei ihrer Sichtbarkeit, fördern die Vernetzung untereinander, indem sie Plattformen bereitstellen, oder unterstützen bei der Finanzierung einzelner Projekte. Nahezu alle Interviewpartnerinnen benennen mehrere Gruppen und Vereine in ihren Städten im Bereich Nachhaltigkeit, die gut organisiert und vernetzt sind und denen es gelingt, regelmäßig ihre politischen Präferenzen in entsprechenden Gremien zu artikulieren oder diese gezielt an Entscheidungsträgerinnen heranzutragen. Hierbei handelt es sich um höchst unterschiedliche Gruppen aus der Kreativwirtschaft oder Startup-Szene, mit Eine-Welt-Fokus, aus dem sozialen Bereich oder mit Interessen im Bereich Klima und Umwelt. In drei Städten werden auch wirtschaftliche Akteure (Industrie- und Handelskammer, einzelne große Unternehmen) als gewichtige Interessenvertreterinnen für Nachhaltigkeitsthemen ausgemacht. Umwelt- und Klimaaktivistinnen wird stadtübergreifend regelmäßig das umfassendste und politisch ambitionierteste Engagement zugesprochen.

Der Austausch mit der gesamten Stadtgesellschaft und einzelnen Bürgerinnen wird dagegen mehrheitlich als deutlich schwieriger beschrieben. Einige Leader haben versucht, die Stadtgesellschaft über mehrjährige Partizipationsprozesse in Form von Bürgerdialogen oder Workshops in die Erarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategien oder Leitbilder zu integrieren. Um Bürgerinnen generell für das Thema zu interessieren, werden häufig niederschwellige, kleinteilige Formate gewählt, wie beispielsweise im Rahmen von Stadtfesten der ökologische Fußabdruck berechnet oder Fotoboxen zu den SDGs in der Fußgängerzone aufgestellt.

Alle Interviewpartnerinnen schätzen die Grundeinstellung ihrer Stadtgesellschaft gegenüber Nachhaltigkeitsthemen als überwiegend oder gänzlich positiv ein. Interessanterweise skizzieren Interviewpartnerinnen aus Ostdeutschland und eine Interviewpartnerin aus einer westdeutschen Stadt aber auch, dass positive Einstellungen themenspezifisch und zwischen sozialen Milieus variieren. Die Interviewpartnerinnen bringen dies mit der ostdeutschen Historie, dem Wohlstand sowie dem Bildungsniveau der Bürgerinnen in Zusammenhang. Mitunter werde Nachhaltigkeit dann als „Akademikerthema“ wahrgenommen, das in einer wohlhabenden, linken „Nachhaltigkeitsbubble“ diskutiert werde, aber die viel grundlegenderen Probleme anderer Bürgerinnen kaum berühre. Interviewpartnerinnen, die eine ausnahmslos positive Grundhaltung der Bevölkerung ausmachen, sprechen hingegen regelmäßig von einer fordernden, bürgerlich-akademisch geprägten Milieu, die das Thema sogar aktiv antreibe. Mehrere Gesprächspartnerinnen bemängeln im Rahmen der Interviews, dass es ihnen nicht möglich sei, alle Bürgerinnen ihrer Stadt mit dem Thema zu erreichen oder in partizipative Prozesse einzubinden. Manche entscheiden sich daher dafür, vorwiegend Multiplikatorinnen (beispielsweise Sportvereine) zu adressieren oder sich auf den Austausch mit Interessenvertreterinnen zu konzentrieren, während wenige versuchen, über Formate wie Losverfahren Bürgerinnen aus der ganzen Stadtgesellschaft zum Austausch einzuladen.

Lediglich zwei Interviewpartnerinnen machen die Stadtgesellschaft als eindeutige Initiatorin der lokalen Nachhaltigkeitsbemühungen aus und nur in einem Fall wird der gesamte Nachhaltigkeitsprozess als „bottom-up“ und unabhängig von Aktivitäten der staatlichen Akteure eingeordnet. In vier Fällen skizzieren die Interviewpartnerinnen ein gemeinsames Vorgehen von Stadtbevölkerung, Verwaltung und Ratsmitgliedern bei der Initiierung und Verstetigung von Nachhaltigkeitsbemühungen. In der Hälfte der Städte wird der Nachhaltigkeitsprozess als von der Politik oder von der Verwaltung initiiert beschrieben, der beispielsweise nach Unterzeichnung der Musterresolution des Deutschen Städtetags, im Zuge der Bewerbung für eine Förderlinie mit Nachhaltigkeitsbezug oder aufgrund des individuellen Engagements der Oberbürgermeisterin oder der fachlich zuständigen Bürgermeisterin zustande kam. Damit erweist sich auch im Bereich der lokalen Nachhaltigkeitspolitik insbesondere das Handeln staatlicher Akteure aus Politik und Verwaltung als essenziell für Agendasetzungs- und Policy-Making-Prozesse.

Um die Nachhaltigkeitsbemühungen der Städte sichtbarer zu machen und verbindlich zu verstetigen, werden Nachhaltigkeitsstrategien, das regelmäßige Monitoring von Nachhaltigkeitserfolgen oder die turnusgemäße Weiterentwicklung in einer deutlichen Mehrheit der Städte durch den Rat oder den Magistrat beschlossen. Viele Interviewpartnerinnen beschreiben die Beschlüsse als zusätzliche Absicherung ihrer Bemühungen, die gezielt von der Verwaltung angestrebt werde, um eine Institutionalisierung über Bande zu erreichen und „Nachhaltigkeit auch wirklich nachhaltig zu machen“. Interessanterweise konstatieren mehrere Interviewpartnerinnen auch eine Art „ideelle Institutionalisierung“ des Nachhaltigkeitsgedankens. Nachhaltigkeit sei aus ihrer Stadt als Thema gar nicht mehr wegzudenken oder die Stadt werde auch von außen so stark mit Nachhaltigkeit verbunden, dass es beispielsweise neuen Oberbürgermeisterinnen oder neuen Ratsmehrheiten gar nicht mehr möglich sei, das Thema von der Agenda zu nehmen.

Im vorliegenden Beitrag wurde die Institutionalisierung von Nachhaltigkeit auf lokaler Ebene und die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure in 13 Leader-Städten analysiert und folgende Fragestellungen formuliert: Wie wird Nachhaltigkeit in Städten institutionell verankert? Wie werden zivilgesellschaftliche Akteure und Bürgerinnen in nachhaltigkeitspolitische Policy-Making Prozesse eingebunden oder sind sie sogar maßgeblich für deren Initiierung? Gibt es Varianzen oder Gemeinsamkeiten und lassen sich hieraus übergreifende Rückschlüsse darauf ziehen, welche Governance-Arrangements eine ambitionierte städtische Nachhaltigkeitspolitik begünstigen?

Die Kurzanalyse hat gezeigt, dass sich auch zwischen nachhaltigkeitspolitischen Leadern, die alle ein umfängliches und vergleichbares Set an Nachhaltigkeitspolicies nutzen, Unterschiede bei der Institutionalisierung von Nachhaltigkeit und der Einbindung von Bürgerinnen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zeigen. Einen „Königsweg“ scheint es also nicht zu geben. Dennoch lassen sich übergreifende Kernmerkmale bei den Governance-Arrangements ausmachen: Alle Leader verfügen innerhalb der Stadtverwaltung über eine Einheit, die explizit für Nachhaltigkeit zuständig ist. Nachhaltigkeit wird innerhalb der Verwaltung regelmäßig durch eine federführende, steuernde und koordinierende Einheit, in selteneren Fällen auch mithilfe von Doppelstrukturen aus einer Einheit und einem Agendabüro, bearbeitet. Überwiegend wird das Thema in die klassische, sektoralisierte Verwaltungsstruktur integriert, um die verwaltungsinterne Durchschlagskraft zu erhöhen. Um den verwaltungsinternen, überfachlichen Austausch zu Nachhaltigkeitsfragen zu erleichtern und zu systematisieren, richten mehr als ein Drittel der Städte dezernatsübergreifende Gremien ein. Im Rahmen dieser „Kernteams“ findet ein turnusmäßiger Austausch zwischen Vertreterinnen aller Dezernate oder Ämter statt, der von allen Interviewpartnerinnen als hochrelevant und gewinnbringend für die Nachhaltigkeitsarbeit der Verwaltung dargestellt wird.

In allen Leader-Städten engagieren sich zahlreiche Gruppierungen und Initiativen für Nachhaltigkeitsbelange. Die Einschätzung, ob diese zivilgesellschaftlichen Gruppen aber auch politisch Einfluss nehmen, variiert zwischen den Städten und je nach Themenbereich deutlich. Der Austausch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren wird in rund der Hälfte der Leader-Städte mithilfe von Nachhaltigkeitsbeiräten institutionalisiert, in denen Vertreterinnen unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Gruppierungen, der Wirtschaft und aus der Wissenschaft, mitunter auch Vertreterinnen aus Politik und Verwaltung, sitzen und die an die Stadt angebunden sind.  Die Funktion der Nachhaltigkeitsbeiräte wird positiv dargestellt – sie ermöglichen eine verbesserte Vernetzung der zivilgesellschaftlichen Akteure, den Austausch zwischen unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen und der Verwaltung und machen gesellschaftliche Expertise für den städtischen Nachhaltigkeitsprozess zugänglich.

In allen Leader-Städten steht die Stadtgesellschaft dem Themenkomplex Nachhaltigkeit wohlwollend gegenüber. Interessanterweise wird die Stadtgesellschaft aber nur in sehr wenigen Fällen als Initiatorin und Treiberin eines städtischen Nachhaltigkeitsprozesses charakterisiert. Vielmehr erfolgte die Initiierung nachhaltigkeitspolitischer Bemühungen in den meisten Städten durch Politik und Verwaltung oder in einem Zusammenspiel dieser mit der Zivilgesellschaft. Bei der Policy-Formulierung von Nachhaltigkeitsleitbildern oder Strategien setzten die Leader mehrheitlich auf breite, teilweise mehrjährige Partizipationsprozesse, um möglichst viele Bürgerinnen und Gruppierungen einzubinden. Gleichsam bemängeln viele, dass sich regelmäßig vor allem Bürgerinnen aus akademisch-bürgerlich geprägten Milieus in derartigen Verfahren einbringen. Nur wenige Städte versuchen dieser Problematik durch innovative Formate aktiv entgegenzuwirken. Dementsprechend lässt sich auch im Bereich Nachhaltigkeit von einer Dominanz der lokalen Exekutivorgane in politischen Entscheidungsprozessen sprechen. Ein alleiniger Fokus auf zivilgesellschaftliche Akteure scheint damit zu kurz gegriffen, wenn nachhaltigkeitspolitische Prozesse oder Entscheidungen auf der lokalen Ebene analysiert werden sollen. Gleichwohl spielen Bürgerinnen als Normadressatinnen eine essenzielle Rolle bei der Umsetzung nachhaltigkeitspolitischer Maßnahmen vor Ort, sodass zukünftig eine breitere, milieuübergreifende Einbindung der Stadtgesellschaft unabdingbar erscheint, um eine nachhaltige Entwicklung von Städten zu erreichen.

Literatur

Bauer-Blaschkowski, Svenja (2021): Nachhaltigkeitspolitik in deutschen Städten – Versuche, einen Pudding konzeptionell und methodisch an die Wand zu nageln. Potsdam: 14. FoJuS-Jahrestagung, 25.-26. Februar 2021, Konferenzveröffentlichung.

Bauer-Blaschkowski, Svenja (2023): Urban sustainability in Germany: Which factors can explain the variety of commitment? Prag, 04.-08. September 2023, Konferenzveröffentlichung.

Benz, Arthur; Dose, Nicolai (2004): Governance – Modebegriff oder nützliches sozialwissenschaftliches Konzept? In: Arthur Benz & Nicolai Dose (Hrsg.) Governance – Regieren in komplexen Mehrebenensystemen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 13-35.

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2016): Monitor Nachhaltige Kommune. Bericht 2016 – Teil 1. Ergebnisse der Befragung und der Indikatorenentwicklung. Gütersloh.

Bogumil, Jörg; Holtkamp, Lars (2013): Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung: Eine praxisorientierte Einführung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Gross, Martin; Jankowski, Michael (2021): Kommunalpolitik: Komplex, polarisiert und zunehmend schwieriger? In: Bürger und Staat (4), S. 215-221.

Holtkamp, Lars; Bogumil, Jörg (2016): Ost- und westdeutsche Kommunen zwischen Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie. Theoretische Annahmen. In: ebd. (Hrsg.): Kommunale Entscheidungsstrukturen in Ost- und Westdeutschland. Wiesbaden: Springer, S. 7-48.

Zitationshinweis

Bauer-Blaschkowski, Svenja (2023): Governance städtischer Nachhaltigkeitspolitik in Deutschland, Institutionalisierung und Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure in 13 „Leader“-Städten, Kurzanalyse, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online verfügbar: https://regierungsforschung.de/governance-staedtischer-nachhaltigkeitspolitik-in-deutschland/

This work by Svenja Bauer-Blaschkowski is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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