Im Land der Oberlehrer

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, der an der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen lehrt und forscht, wirft einen Blick auf die Dynamiken zwischen der Ampel-Regierung und der Opposition. Wie verhalten sich die beiden und welches Verhalten wird durch den Wähler in Umfragen belohnt bzw. bestraft?

 

In unserer Umarmungsdemokratie profitiert die Opposition, wenn sie die Regierung unterstützt. Zurzeit hat die Union in den Umfragen die Regierungsparteien im Bund weit hinter sich gelassen. Die hart verhandelte Zustimmung der CDU/CSU zum neuen Bürgergeld katapultierte die Verlierer der Bundestagswahlen aktuell auf rund 30 Prozent in der Sonntagsfrage. Kooperative Opposition im deutschen parlamentarischen System belohnen die Bürger. Keineswegs Total-Opposition. Dabei ist es ungewohnt, sich wieder in eine demokratische Opposition einzuhören.

Im Land der Oberlehrer

Autor

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs-, Parteien- und Wahlforschung.

Hinweis: Dieser Beitrag erschien zuerst in der Süddeutschen Zeitung am Freitag, den 9.12.2022, S. 5.

In unserer Umarmungsdemokratie profitiert die Opposition, wenn sie die Regierung unterstützt. Zurzeit hat die Union in den Umfragen die Regierungsparteien im Bund weit hinter sich gelassen. Die hart verhandelte Zustimmung der CDU/CSU zum neuen Bürgergeld katapultierte die Verlierer der Bundestagswahlen aktuell auf rund 30 Prozent in der Sonntagsfrage. Kooperative Opposition im deutschen parlamentarischen System belohnen die Bürger. Keineswegs Total-Opposition. Dabei ist es ungewohnt, sich wieder in eine demokratische Opposition einzuhören. Die politische Ökumene der Groko-Serien narkotisierte. Die Opposition war marginalisiert oder als AfD schrill. Angela Merkel (CDU) orchestrierte zudem als Kanzlerpräsidentin die (Fast)Allparteienmehrheiten. Die Debatten im Parlament litten unter Diskurs-Allergie.

Das ist in ampeligen Zeiten anders. Die parteipolitischen Fronten sind mit Rot-Grün-Gelb wieder sichtbarer. Die Debatten im Bundestag sind vielstimmiger Ausdruck der Demokratie, vitalisiert durch heftige Kontroversen mit echten Alternativen. Ein Empörungsort für Proteste. Friedrich Merz (CDU) brilliert in der Rolle des Oppositionsführers mit schneidiger Selbstgewissheit. Seine neo-dirigistische Entschiedenheitsprosa brachte den Kanzler häufig in die Defensive und bediente zugleich die gewachsene Nachfrage nach verlässlicher Autorität.

Die Bestwerte für die bürgerlich-konservative Opposition sind parlamentarisch erarbeitete Merz-Werte. Weder wünscht sich eine Mehrheit die Union als Kanzlerpartei zurück, noch erkennt eine Mehrheit besondere Alleinstellungsmerkmale einer inhaltlich erneuerten Union. Die Umfragen belohnen in deutscher Manier, wenig überraschend, den Sound des oberlehrerhaften Besserwissens.

Und diese Rolle ist in Zeiten des Gewissheitsschwundes leicht zu erobern. Denn die Bundesregierung agiert als permanenter Krisenlotse. Planbarkeit der Politik war gestern. Unberechenbarkeit bleibt das Prinzip der politischen Steuerung. Mit Versuch und Irrtum tastet sich die Ampel im Modus des Nachbesserns durch die Vielfach-Krisen. Da ist es leicht, für Oppositionsparteien nachträglich aufzulisten, was man problemlösend besser hätte machen können, ohne nachzuweisen, dass man mit gleichem Kenntnisstand, zu ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen wäre.

Vielleicht ist das der Preis der Risikomoderne, in der für die Politik immer eine Erwartungssicherheit des Nicht-Erwartbaren besteht. Jede Umgangsroutine der vergangenen Jahre, führt nicht mehr zur Problemlösung. Politik wirkt immer unfertig, konfrontiert mit der Fiktion der dauerhaften Lösbarkeit von Problemen. Es existieren keine Zwangläufigkeiten mehr. Das jeweils Unwahrscheinliche zu managen, setzt mehr als nur neue Lagedefinitionen voraus. Moderne Fähigkeit, mit Verunsicherung umzugehen, erfordert Probehandeln im Geiste. Weiterdenker müssen nicht sehen, was eine Gesellschaft will oder was auf sie zukommt, sondern eher, was sie glaubt, erwarten zu können. Wer sich festlegt in diesen Zeiten, riskiert Glaubwürdigkeitsverluste. Die Krisenunübersichtlichkeit fördert mithin auch die kommunikativen Meister des Diffusen und des Ultrapragmatischen.

Die niedrigen Umfragewerte für die Ampel im Bund sind insofern nicht überraschend. Denn welcher sicherheitsdeutsche Wähler liebt experimentelles Regieren? Hier wählt man das Bekannte, das Vertraute, die Amtsinhaber. Sie garantieren in der politischen Mitte eine verlässliche Langeweile, wie die zurückliegenden Landtagswahlen auch 2022 erneut verdeutlicht haben.

Die Ampel leidet aber zusätzlich auch am ungewohnten Format – gegenüber Wählern ebenso wie gegenüber den Berichterstattern. Denn die Berliner Ampel modernisiert die traditionelle Kanzlerdemokratie. Scholz hat wie nie ein Kanzler zuvor ein historisch schwaches Mandat von den Wählern bekommen. Die flexible Trias ist ein Sonderformat. Zu dritt ist man systematisch kontroverser als zu zweit. Die fluiden Fronten als Dauer-Interessen-Abwägung sind so zu moderieren, dass sich kein „zwei gegen einen“ verfestigt. Die Kanzlerpartei ist dauerhaft in der Minderheit. Zwar nutzt Scholz die Dramaturgie der Richtlinienkompetenz, um zu priorisieren, aber den Koalitionsalltag bestimmen eher Stile wie anpassen, tauschen, kuratieren im Dissens-Management der Lern-Koalition. Die Krisennot stabilisiert die ampelige Unterstützer-Allianz. Dabei kann die Macht im Kanzleramt sein, muss sie aber nicht. Die Macht des Miteinanders hat bislang dazu geführt, dass Interna intern blieben. Die Dynamik der Vielstimmigkeit ist Teil der Vereinbarung. Wir müssen uns daran wieder neu gewöhnen, dass zum multizentrischen Regieren auch die Fraktionen des Bundestags dazugehören; ebenso wie die öffentlichen kontroversen Diskurse innerhalb der Koalition. Man hat den Eindruck, dass die Entscheidungsfähigkeit wichtiger ist als die Entscheidungskompetenz. Lernend-kollaborativ, fehlertolerant zeigt sich die Ampel. Das wirkt aufdringlich unfertig. Widersprüche zu umarmen ist zudem in der Ampel schwierig, aber auch für uns als Bürger anstrengend zu beobachten.

Zu den extrem antagonistischen Umfragewerten zwischen Regierung und Opposition kommt es auch durch den Gegenstand des Koalitionsvertrags. Geplant sind keine Reparaturarbeiten am Wohlfahrtsstaat, sondern die Transformation in eine digitale Nachhaltigkeitsgesellschaft. Und dies paart sich mit realen Verlustängsten. Wie soll das eine Gesellschaft goutieren, in der viel mehr Menschen über 70 Jahre stimmberechtigt sind als unter 30? Wie weit reicht der Veränderungspatriotismus angesichts der ökonomischen Knappheit? Wie entscheiden sich risikoaverse Sicherheitsdeutsche, die fast mit Angstlust überall zögerlicher agieren als andere Europäer. Wie populär klingen Zumutungen? Da liegt es nahe, dass sich viel mehr Menschen hinter den Bewahrern als hinter den Veränderern scharen. Da der Wählermarkt aber auch viele Fans des Erfolgs kennt, könnten nach einem durchgeheizten Winter die Werte für die Regierung wieder nach oben klettern.

Zitationshinweis:

Korte, Karl-Rudolf (2022): Im Land der Oberlehrer, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/im-land-der-oberlehrer/

This work by Karl-Rudolf Korte is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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