2012 war aus netzpolitischer Sicht ein spannendes Jahr – und deshalb ist es begrüßenswert, dass ein Jahresrückblick Netzpolitik veröffentlicht wurde.
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iRights.info: Das Netz 2012 – Jahresrückblick Netzpolitik.
Das Werk befasst sich mit allen relevanten Themen, von Datenschutz über Urheberrecht bis hin zur Piratenpartei, und bietet damit einen angemessenen Einstieg in den Gegenstandsbereich. Die Form, in der die einzelnen Punkte behandelt werden, vermag jedoch nicht immer überzeugen.
iRights.info: Das Netz 2012 – Jahresrückblick Netzpolitik.
iRights-Media-Verlag, Berlin, 142 S., ISBN: 978-3-944362-00-7, 14,90 € (Print), 4,99 € (E-Book).
Rezension von Marvin Bender
Braucht es einen Jahresrückblick Netzpolitik für das Jahr 2012? Anscheinend schon – sonst wäre das Erscheinen von gleich zwei Publikationen mit sehr ähnlichem Titel und Anliegen wohl nicht zu erklären. Neben einem 280 Seiten umfassenden Sammelband mit dem Namen „Jahrbuch Netzpolitik 2012 – Von A wie ACTA bis Z wie Zensur“, herausgegeben von Markus Beckedahl und Andre Meister, liegt hier die Veröffentlichung aus dem neu gegründeten iRights-Media-Verlag „Das Netz 2012 – Jahresrückblick Netzpolitik“ vor. Fairerweise sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass es sich bei der hier besprochenen Publikation allerdings eher um ein Magazin, sowohl von der Erscheinung, als auch vom Inhalt her, handelt. Daher kann und soll die vorliegende Rezension nicht an den strengen Kriterien einer wissenschaftlichen Beurteilung angelegt werden. Vielmehr sollen die hier geäußerten Kritikpunkte als Anstoß dienen, das im Kern vielversprechende Format für die nächsten Jahre weiterzuentwickeln.
Das Netz als Thema
Wie kann nun diese Publikation unter (zugegebenermaßen abgeschwächten) wissenschaftlichen Maßstäben beurteilt werden? Die Zielsetzung, die der Redaktionsleiter Phillip Otto im Editorial angibt, verspricht einen nicht zu hoch gesteckten, neutralen Rückblick über die Thematik: „Der Jahresrückblick Netzpolitik betrachtet mit Abstand und in Form einer Nachschau die Entwicklungen im Jahr 2012“ (S. 3) – dies wird allerdings nur in Ansätzen eingelöst. Zwar werden alle relevanten netzpolitischen Themen, von Datenschutz über Urheberrecht bis hin zur Piratenpartei abgearbeitet, jedoch mag die Form, in der dies geschieht, nur in einigen Fällen überzeugen. Zu oft wird eine neutrale Betrachtung aufgegeben, an zu vielen Stellen eigene Meinung mit reiner Information vermengt. Besonders deutlich lässt sich dies an einem Beitrag mit dem Titel „Open Data & Open Government: Show- statt Transparenzeffekt“ von Lorenz Matzat illustrieren. Dort heißt es: „[…] aber leider ist für das Thema [Open Data und Open Government] das Bundesinnenministerium unter Hans-Peter Friedrich (CSU) zuständig. Von ihm Enthusiasmus zu erwarten, wenn es nicht um das Abschieben von Asylbewerbern oder die vermeintliche Bedrohung durch Islamisten geht, übersteigt wohl seine Kapazität“ (S. 92). Solche Äußerungen, mögen sie auch zu den Ausnahmen des vorliegenden Heftes gehören, sind fernab guter journalistischer und wissenschaftlicher Praxis. Zudem rücken sie den größten Erfolg, den es im Bereich der Netzpolitik im vergangenen Jahr gab, nämlich das Überwinden gegenseitiger Vorwürfe und die konstruktive gemeinsame Arbeit zwischen Politik und Zivilgesellschaft, in ein negatives Licht. Eine rein pessimistische Sichtweise auf die Entwicklung der Netzpolitik findet sich in der Veröffentlichung insgesamt jedoch eher selten. Als ein positives Beispiel, wie ein Jahresrückblick zu einem netzpolitischen Thema von Inhalt und Struktur überzeugen kann, lässt sich der Beitrag zum Thema ACTA unter dem Titel „ACTA – Der Big Bang der Netzpolitik“ anführen. Hier hat es der Autor Matthias Spielkamp (zugleich Redaktionsleiter von iRights.info) verstanden, sowohl die Argumente der Befürworter und Gegner darzustellen, als auch Schlüsselmomente der Debatte und des Entscheidungsprozesses anzuführen sowie auf mögliche Folgen einer Unterzeichnung des Vertrags einzugehen. Lediglich hätte der Text an der einen oder anderen Stelle etwas ausführlicher gestaltet werden können.
Besonders gut gelungen sind auch die Interviews mit verschiedenen netzpolitischen Akteuren, die zu bestimmten Sachverhalten ihre Sicht auf die Dinge schildern. Neben Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC) und Sachverständige in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft, die einen Rückblick auf die Arbeit in der Internet-Enquete wagt und dort insbesondere die Schwierigkeiten, aber auch die Erfolge in der Zusammenarbeit mit Abgeordneten beschreibt, überzeugen die Experteninterviews zu den verschiedenen Politikinhalten (z.B. Prof. Dr. Thomas Hoeren zu „Kontrollen im Netz“, S. 112f.).
Das Themenspektrum ist umfassend und zeigt dem netzpolitisch interessierten Leser alle relevanten politischen Entscheidungen und -diskussionen in der Retrospektive. Sinnvoll ergänzt werden die Beiträge zudem durch zwölf einzelne monatliche Zeitleisten, auf denen netzpolitische Schlüsselmomente datiert sind – ein Format, welches dem Ziel, einen Jahresrückblick Netzpolitik zu leisten, am nächsten kommt.
Ein Jahresrückblick – für wen?
Bleibt noch die Frage nach der Zielgruppe eines solchen Jahresrückblickes zu beantworten. Um Bürger über das netzpolitische Jahr 2012 umfassend zu informieren, reicht es nicht. Dafür sind die Beiträge oftmals zu kurz und lassen an der einen oder anderen Stelle grundlegende Aspekte außen vor. Man muss schon wissen, was sich beispielsweise hinter dem Kürzel ACTA verbirgt – zumindest mag dies dem netzpolitisch uniformierten Leser durch die alleinige Lektüre des Magazins nicht unbedingt klar werden. Darüber hinaus wird durch Beiträge mit teilweise einseitigen Sichtweisen auf eine Thematik (siehe Beispiel Open Data) dem Leser die Möglichkeit genommen, sich eine eigene Meinung zu den vorliegenden netzpolitischen Themen zu bilden.
Als Einstieg in das Thema Netzpolitik scheinen Umfang und Qualität der meisten Beiträge angemessen – und zur Not gibt es ja noch das Internet, wo sich dann umfangreichere Beiträge zu den Themenschwerpunkten finden lassen. Geht man von der Zielgruppe der netzpolitisch Interessierten und Informierten aus, so scheint insbesondere die Printform wenig geeignet zu sein. Viele Beiträge haben den Charakter eines Blogbeitrags, sodass der Leser an der einen oder anderen Stelle die Kommentierungsfunktion vermissen dürfte, die in einem Printmagazin ja bekanntlich nicht gegeben ist.
Fazit: Ein gedrucktes Blog
Es verlangt schon etwas Mut, sich mit einem Jahresrückblick Netzpolitik auf den Print(-Markt) zu wagen. Zweifelsohne war 2012 mit dem Scheitern von ACTA oder der Arbeit der Internet-Enquete aus netzpolitischer Sicht ein spannendes Jahr. Braucht es aber gleich einen Jahresrückblick Netzpolitik? Ja, definitiv und auch in den Folgejahren wären sich entsprechende Veröffentlichung zu wünschen. Die Interviews mit Experten aus Theorie und Praxis sollten unbedingt beibehalten werden, auch wenn es einige weniger sein könnten, die dann aber vom Umfang etwas länger sind. Allerdings sollte der Jahresrückblick insgesamt einer sein, der sich inhaltlich tiefgründig und zumindest in Ansätzen wissenschaftlich-neutral mit den Schlüsselmomenten (deutscher) Netzpolitik befasst und die Geschehnisse nüchtern und mit gebotenem Abstand betrachtet. An einigen Stellen scheint dies gelungen (Beispiel ACTA), andere Beiträge wiesen eher die Form eines Blogbeitrags auf. Diese sollten bekanntlich ihren Platz im Netz haben und nicht den Weg in ein gedrucktes Magazin finden.