Nach der Wahl ist vor der Wahl – Rheinland-Pfalz im Superwahljahr 2021

Prof. Dr. Manuela Glaab, die an der der Universität Koblenz-Landau lehrt und forscht, analysiert die zurückliegenden Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz. Während die SPD auf die beliebte Ministerpräsident Malu Dreyer als Zugpferd im Wahlkampf setzen konnte, gelang es den anderen Parteien nicht, eine überzeugende Alternative anzubieten. Welche Signalwirkung könnten die Koalitionsverhandlungen nun Richtung Bundesebene senden?

Die zurückliegenden rheinland-pfälzischen Landtagswahlkämpfe haben eine Gemeinsamkeit: Sie alle standen unter dem Eindruck von Krisenereignissen weitreichenden Ausmaßes. 2011 brachte die Reaktorkatastrophe von Fukushima die Trendwende zum grünen Wahlerfolg; 2016 katapultierte die Flüchtlingskrise die AfD ins Landesparlament; und 2021 ist die Covid 19-Pandemie das alles beherrschende Thema. Im Unterschied zu den beiden vorigen Wahljahren hatte dies heuer auch gravierende Konsequenzen für die Wahlkampagnen: Der Wahlkampf konnte aufgrund des Lockdowns nur mit Einschränkungen geführt werden.

Nach der Wahl ist vor der Wahl – Rheinland-Pfalz im Superwahljahr 2021

Autorin

Prof. Dr. Manuela Glaab ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politisches System der Bundesrepublik Deutschland am Institut für Sozialwissenschaften, Abteilung Politikwissenschaft, der Universität Koblenz-Landau. Seit 2012 ist sie Fellow der NRW School of Governance.

Die zurückliegenden rheinland-pfälzischen Landtagswahlkämpfe haben eine Gemeinsamkeit: Sie alle standen unter dem Eindruck von Krisenereignissen weitreichenden Ausmaßes. 2011 brachte die Reaktorkatastrophe von Fukushima die Trendwende zum grünen Wahlerfolg; 2016 katapultierte die Flüchtlingskrise die AfD ins Landesparlament; und 2021 ist die Covid 19-Pandemie das alles beherrschende Thema.1 Im Unterschied zu den beiden vorigen Wahljahren hatte dies heuer auch gravierende Konsequenzen für die Wahlkampagnen: Der Wahlkampf konnte aufgrund des Lockdowns nur mit Einschränkungen geführt werden. So wurden von den Parteien im Land vermehrt Plakate geklebt, statt auf den Plätzen in den Kommunen und Städten die direkte Begegnung mit den Wähler*innen zu suchen. Außerdem konnten die Pläne für den Haustürwahlkampf kaum realisiert werden. Und da Social Media-Kampagnen und virtuelle Dialog-Formate nicht alle Wählergruppen gleichermaßen erreichen, wurden umso größere Erwartungen in die „klassischen“ Medienereignisse – das TV-Duell zwischen der Ministerpräsidentin und ihrem Herausforderer von der CDU sowie die „Elefantenrunde“ der Spitzenkandidatinnen und –kandidaten – gesetzt. Dass damit in der letzten Phase des Wahlkampfes vor allem darauf abgezielt wird, die noch Unentschlossenen zu erreichen und zur Stimmabgabe zu mobilisieren, ist bekannt. Neu war 2021 jedoch die Ungleichzeitigkeit von Wahlkampfendspurt und Briefwahlentscheidung: Seit Anfang Februar konnte bereits per Briefwahl in Rheinland-Pfalz abgestimmt werden und schon Anfang März wurde berichtet, dass die Briefwahlquote alle Rekorde brechen würde. Während der Wahlkampfhöhepunkt für das Fernsehpublikum inszeniert wurde, hatten schon mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten ihre Stimme per Briefwahl abgegeben (Rheinzeitung v. 02.03.2021).

Dass Rheinland-Pfalz zusammen mit Baden-Württemberg im Superwahljahr den ersten Stimmungstest an der Wahlurne abliefern würde, trug zur Spannung am Wahlabend ganz wesentlich bei. Dabei ließen die Umfragen in den Monaten vor der Landtagswahl kaum auf eine Wechselstimmung im Land schließen. Die Ampelkoalition in Mainz hatte – anders als die sogenannte „Komplementärkoalition“ der Grünen mit der CDU in Stuttgart – weitgehend geräuschlos regiert. Zwar ließen die Zufriedenheitswerte der Landesregierung im Verlauf der Corona-Krise etwas nach, doch gelang es der Union nicht, sich als bessere Wahlalternative zu profilieren. Den Vorsprung bei der Sonntagsfrage („Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag in Rheinland-Pfalz Landtagswahl wäre?“) büßte sie mit dem näher rückenden Wahltermin wieder ein. Und wie schon bei der Landtagswahl 2016 hatten die Christdemokraten der Sympathieträgerin der SPD, Ministerpräsidentin Malu Dreyer, keine vollends überzeugende Personalalternative entgegenzusetzen. Tatsächlich erreichte Spitzenkandidat Christian Baldauf als Chef der CDU-Landtagsfraktion bei Weitem nicht den Bekanntheitsgrad seiner Vorgängerin – und Parteichefin – Julia Klöckner.  Während sich Umfragen zufolge 53 Prozent der Rheinland-Pfälzer*innen weiterhin Dreyer als Ministerpräsidentin wünschten, hätten nur 29 bei einer Direktwahl Baldauf ihre Stimme gegeben (Infratest dimap, Rheinland-Pfalz Trend März 2021). Selbst in der Unionsanhängerschaft äußerten 26 Prozent der Befragten eine Präferenz für die Amtsinhaberin, gegenüber 71 Prozent für Baldauf. Bei Anhängern der SPD und der Grünen kam Dreyer auf 93 beziehungsweise 80 Prozent Zustimmung; die FDP-Anhänger allerdings zeigten sich mit 45 Prozent Zustimmung für Dreyer und 44 Prozent für Baldauf gespalten. Der von der SPD gewählte Wahlkampfslogan „Wir mit ihr“ setzte jedenfalls konsequent auf den Erfolgsfaktor Dreyer.

Tabelle 1: Vorläufiges Endergebnis der Wahlen in RLP; Quelle: Landeswahlleiter (https://www.wahlen2021.rlp.de/de/ltw/wahlen/2021/; Zugriff am 21.03.2021)

Dass die Wahlkampagnen der Parteien in Zeiten der Pandemie nur bedingt zur Mobilisierung taugten, belegt die gesunkene Wahlbeteiligung. Trotz enorm hoher Briefwählerquote (65,9 Prozent der Wähler*innen) gingen insgesamt lediglich 64,4 Prozent der Rheinland-Pfälzer*innen zur Wahl und damit 6,0 Prozentpunkte weniger als noch 2016 (Wahlbeteiligung: 70,4 Prozent; Briefwähleranteil: 30,6 Prozent). Zu überraschen vermag dennoch, dass populistische Kräfte kaum von der anhaltenden Krise und einer potenziell damit einhergehenden Proteststimmung profitieren konnten.

Das Wahlergebnis vom 14. März 2021 scheint stattdessen auf den ersten Blick Kontinuität in Rheinland-Pfalz zu signalisieren: Die SPD konnte das Ergebnis von 2016 beinahe halten und erreichte 35,7 Prozent (-0,5 Prozentpunkte) der Stimmen. Die CDU fiel noch einmal zurück und landete bei 27,7 Prozent (-4,1 Prozentpunkte), dem historisch schlechtesten Ergebnis in Rheinland-Pfalz. Die Grünen lösten die AfD als drittstärkste Kraft ab, erreichten mit 9,3 Prozent (+4,0 Prozentpunkte) jedoch anders als erhofft kein zweistelliges Ergebnis. Die FDP büßte demgegenüber 0,7 Prozentpunkte ein, sicherte sich mit 5,5 Prozent aber den Wiedereinzug ins Landesparlament. Dies gelang auch der AfD mit 8,3 Prozent, was einen Stimmenverlust von 4,3 Prozentpunkten bedeutet. Die Linke konnte auch 2021 mit nur 2,5 Prozent die Fünfprozentmarke in Rheinland-Pfalz nicht überspringen (-0,3 Prozentpunkte), stattdessen schafften dies erstmals die Freien Wähler mit 5,4 Prozent der Stimmen (+3,2 Prozentpunkte).

Erst auf den zweiten Blick, in der Längsschnittperspektive, wird deutlich, dass sich die Kräfteverhältnisse im Land durchaus gewandelt haben. Deutlich verändert hat sich zuletzt das parlamentarische Format: Nach zuvor vier Parteien waren in der Phase ab 2006 wieder lediglich drei Parteien im Landtag vertreten (1983 bis 1987 sogar nur zwei). 2016 zogen dann erstmals fünf Parteien in das Landesparlament ein, da der FDP der Wiedereinzug gelang und die AfD „aus dem Stand“ 12,6 Prozent der Stimmen holte. 2021 zieht nun mit den Freien Wählern eine sechste Partei in Fraktionsstärke in das Parlament ein. Unterdessen vereinen die vormals dominanten Parteien – SPD und CDU – nur noch 63,4 Prozent der Wählerschaft auf sich, weniger als je zuvor in der Landesgeschichte. Sowohl die elektorale als auch die parlamentarische Fragmentierung (4,43 beziehungsweise 3,73) des rheinland-pfälzischen Parteiensystems haben aktuell einen neuen Höhepunkt erreicht.

Da es sich bei den Freien Wählern um eine Partei handelt, die sich als bürgerliche „Kraft der Mitte“ positioniert und somit das demokratische Parteienspektrum stärkt, hat der Befund eines „moderaten Pluralismus“ mit klar zentripetalen Tendenzen (so beschrieben von Uwe Jun) im rheinland-pfälzischen Parteiensystem weiterhin Bestand. Zu konstatieren ist auch, dass die AfD einerseits Verluste zu verzeichnen hat, sich andererseits aber inzwischen auf eine Stammwählerschaft stützen kann, welche sie aus Überzeugung und nicht allein aus situativen Protestmotiven heraus wählt. Ob zudem unverändert von einer „Zweiparteiendominanz“ in Rheinland-Pfalz gesprochen werden kann, erscheint in Anbetracht der nachlassenden Parteienkonzentration zumindest fraglich. Zwar kann sich die SPD wieder deutlicher von der CDU – die Asymmetrie beträgt -8 Prozentpunkte zuungunsten der Union – absetzen, doch hat sie keineswegs zulegen können. Es wurden beinahe 81.000 Wähler*innen verloren. Dass es dieses Mal beinahe wieder für eine rot-grüne Lagerkoalition gereicht hätte (49 von 101 Landtagsmandaten), ist in erster Linie der Stärke der Grünen zu verdanken, die bei der Landtagswahl auch erstmals ein Direktmandat (Wahlkreis Mainz I) in Rheinland-Pfalz erobert haben. Dagegen hat die CDU ihre frühere Dominanz in der Fläche eingebüßt: Sie holte insgesamt noch 23 Direktmandate (SPD: 28) und erreichte nur in vier Wahlkreisen den höchsten Landesstimmenanteil.

Im Superwahljahr 2021 richtet sich das Interesse über die Landesgrenzen hinaus nun vor allem auf die Frage, welche Regierungskoalitionen in Rheinland-Pfalz – und im Nachbarland Baden-Württemberg, wo zeitgleich Landtagswahlen stattfanden – gebildet werden. In beiden Ländern haben bisher Koalitionen regiert, die ein neues Mehrheitsmodell auf Bundesebene darstellen könnten. Hier interessiert vor allem das Modell der „Ampel“, also einer SPD-geführten Koalition mit den Liberalen und den Grünen. Im Unterschied zu vorherigen „Modellversuchen“ in Brandenburg (1990-1994) und Bremen (1991-1995) hatte die Mainzer Ampelkoalition nicht nur eine volle Legislaturperiode lang Bestand, sondern wurde vom Wahlergebnis auch bestätigt. Ministerpräsidentin Dreyer bekundete noch am Wahlabend die Absicht, das Bündnis mit FDP und Bündnis 90/Die Grünen fortsetzen zu wollen. Die beiden nicht mehr gleich starken Partner wiederum zeigten sich offen, setzten aber dennoch unterschiedliche Akzente. Während die grüne Spitzenkandidatin Anne Spiegel sogleich grüne Zielvorstellungen für mögliche Koalitionsverhandlungen markierte, zeigte sich die ebenfalls von einer Spitzenkandidatin, Daniela Schmitt, angeführte FDP etwas verhaltener (in Baden-Württemberg wiederum brachte man die „Ampel“ unverzüglich als neue Mehrheitsoption ins Spiel). Es bestehen jedoch wenig Zweifel daran, dass die in Mainz bereits anlaufenden Koalitionsverhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden.

Inzwischen befinden sich die Parteien auf Bundesebene bereits im Vorwahlkampfmodus. Zwar können die Verhältnisse auf Länderebene nicht ohne Weiteres auf den Bund übertragen werden; zudem sind alle Farbenspiele zum gegenwärtigen Zeitpunkt und angesichts unkalkulierbarer Auswirkungen der Pandemiedynamik auf die politischen Stimmungsbarometer spekulativ. Dennoch rücken die Landtagswahlergebnisse vom März neue Koalitionsmodelle für das Regieren im Bund in den Bereich des Vorstellbaren, zumal sich in den beiden Flächenländern erneut bestätigt hat, dass klassische Lagerkoalitionen in Deutschland inzwischen die Ausnahme darstellen. Vor allem für die Grünen, aber auch für die Liberalen erwachsen daraus neue Machtoptionen, da sie an unterschiedlichen Koalitionsvarianten mitwirken könnten – je nachdem wie sich die Mehrheitsverhältnisse nach der Bundestagswahl darstellen. Dass nach 1949 erstmals in der Geschichte der Bundestagswahlen kein amtierender Bundeskanzler zur Wiederwahl antritt, nährt die Spekulationen zusätzlich. Klar ist aber, dass weder die SPD noch – nach gegenwärtiger Einschätzung – die Union über ein gleichermaßen populäres „Zugpferd“ wie Dreyer in Rheinland-Pfalz oder Kretschmann in Baden-Württemberg verfügen, die beide ihren Amtsbonus bei den Landtagswahlen voll ausspielen konnten.

Was die Ampelkoalition anbelangt, so könnte Rheinland-Pfalz insoweit stilbildend wirken, hier in der vergangenen Wahlperiode demonstriert wurde, dass Dreierkoalitionen nicht notwendigerweise konfliktträchtiger sind als Zweierbündnisse. Aus koalitionstheoretischer Perspektive betrachtet sind eine genügende politische Schnittmenge, eine faire Verteilung von Ämtern und Portfolios sowie Kernkompetenzprojekte, die den beteiligten Parteien Profilierungschancen bieten, wichtige Erfolgsbedingungen. Ein funktionierendes Koalitionsmanagement bedarf zudem verlässlicher Kooperationsregeln. In der Ampelkoalition wurde in der vergangenen Wahlperiode ein kooperativer Politikstil gepflegt, ohne dass der Führungsanspruch der populären Ministerpräsidentin jemals in Frage gestanden hätte. Inzwischen kennt man sich, auch wenn es Veränderungen im Personaltableau geben wird. Daher könnte eine neue Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz auf ein gewachsenes Vertrauen aufbauen. Die Akteure im Bund müssten sich dieses erst erarbeiten.

Zitationshinweis:

Glaab, Manuela (2021): Nach der Wahl ist vor der Wahl – Rheinland-Pfalz im Superwahljahr 2021, Kurzanalyse, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/nach-der-wahl-ist-vor-der-wahl-rheinland-pfalz-im-superwahljahr-2021/

This work by Manuela Glaab is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. Timo Schummers M.Ed. sei gedankt für inhaltliche Anregungen und die Unterstützung bei der Datenauswertung. []

Teile diesen Inhalt:

Artikel kommentieren

* Pflichtfeld